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Was sind Referenzzinssätze? Warum sind sie wichtig und warum werden sie reformiert?

11. Juli 2019

Was sind Referenzzinssätze?

Referenzzinssätze werden regelmäßig aktualisiert und sind öffentlich zugänglich. Sie werden auch Benchmark-Zinssätze oder einfach nur Referenzsätze genannt. Sie stellen eine wichtige Grundlage für alle Arten von Finanzkontrakten dar, z. B. für Hypotheken, Überziehungskredite und andere komplexere Finanzgeschäfte.

Referenzzinssätze werden von einer unabhängigen Stelle berechnet. Meist sollen sie die Kosten der Kreditaufnahme in verschiedenen Märkten abbilden. So können sie beispielsweise Aufschluss darüber geben, wie teuer es für Banken ist, sich untereinander Geld zu leihen. Oder darüber, was es Banken kostet, Finanzmittel aus anderen Quellen wie Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften und Geldmarktfonds zu beziehen.

Somit spielen Referenzzinssätze im Finanz- und Bankensystem sowie in der Wirtschaft insgesamt eine zentrale Rolle. Doch was genau macht sie so wichtig? Und warum werden sie zurzeit reformiert?

Warum sind Referenzzinssätze so wichtig?

Sie werden in unserer Wirtschaft vielfach verwendet

Dies gilt für Einzelpersonen und Organisationen im gesamten Wirtschaftssystem.

Banken z. B. ziehen sie heran, wenn sie Kredite an Privatpersonen oder Unternehmen vergeben.

Eine Bank, die einem Unternehmen Geld leiht, kann als Zins für diesen Kredit einen bestimmten Referenzzinssatz plus 2 % vereinbaren. Das Unternehmen würde also Zinsen zahlen, die 2 % über dem aktuellen Referenzsatz liegen. Das bedeutet, dass die Kosten des Kredits steigen, wenn der Referenzzinssatz steigt, und dass sie sinken, wenn der Referenzzinssatz sinkt. In diesem Fall kann der Referenzzinssatz eine verlässliche, unabhängige und relativ einfache Bezugsgröße für alle Beteiligten darstellen.

Unternehmen, Banken und andere Organisationen nutzen Referenzzinssätze auch zur Bewertung ihrer Bilanzpositionen. Rechnungsprüfer können mithilfe von Referenzzinssätzen leichter ermitteln, wie viel Organisationen bzw. deren finanzielle Vermögenswerte letztendlich wert sind.

Referenzzinssätze werden außerdem in komplexeren Finanztransaktionen verwendet, etwa bei der Emission von Wertpapieren mit variablen Zinssätzen, Optionen, Terminkontrakten und Swaps.

Ein Zinsswap beispielsweise ist einfach ausgedrückt eine Transaktion zwischen zwei Parteien, die vereinbaren, die Zinszahlungen des jeweils anderen zu übernehmen. Bei einem solchen Swap kann mindestens einer der ausgetauschten Zinssätze auf Basis des Referenzzinssatzes festgelegt werden. Dies schafft für alle beteiligten Parteien Transparenz, sorgt für eine gewisse Standardisierung der Vereinbarung und erleichtert die Verhandlungsführung.

Darüber hinaus kommen Referenzzinsätze unter anderem auch in folgenden Fällen zur Anwendung: wenn Strafzinsen für Überziehungskredite auf Girokonten oder Zinsen für Privatkundeneinlagen berechnet werden und wenn Zinsen für Hypothekar- und Privatkundenkredite vereinbart werden.

Referenzzinssätze helfen Zentralbanken dabei, ihre Aufgaben zu erfüllen

Referenzzinssätze können auch für die Arbeit der Zentralbanken relevant sein. Wir bei der EZB können zum Beispiel Referenzzinssätze heranziehen, wenn wir dafür sorgen, dass die Preise im Euroraum stabil bleiben.

Wenn ein Referenzzinssatz die Zinssätze korrekt widerspiegelt, zu denen Banken Kredite vergeben und aufnehmen, kann er uns dabei helfen, das Funktionieren der Finanzmärkte und die Verfügbarkeit von Geld im Euroraum besser zu verstehen. Und das ist wichtig für die geldpolitischen Beschlüsse: Wenn wir wissen, wie gut der Zugang zu Geld für Banken ist, dann können wir auch abschätzen, wie bereitwillig sie dieses Geld in Form von Krediten an Unternehmen und Privatpersonen weitergeben. Dies alles schlägt sich letztlich im Preisniveau nieder.

Anhand der aktuellen Referenzzinssätze können wir außerdem die konkreten Folgen unserer geldpolitischen Beschlüsse überwachen. Wenn die EZB eine Erhöhung oder Senkung der Zinsen beschließt, können wir die Auswirkungen an den Änderungen der Referenzzinssätze für den Euro nachverfolgen.

Warum werden die Referenzzinssätze zurzeit reformiert und worin genau bestehen die Reformen?

Referenzzinssätze sind sinnvoll, so lange sie als verlässlich und frei von Verzerrungen gelten. Idealerweise sollte ihre Berechnung transparent, und sie sollten leicht und öffentlich zugänglich sein. Wenn ein Vertrag auf einem verlässlichen Referenzzinssatz beruht, kann der vereinbarte Zinssatz von keiner der beteiligten Parteien beeinflusst werden. So kann ein verlässlicher Referenzzinssatz dafür sorgen, dass der Wert eines Vertrags objektiv und unstrittig bleibt.

Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Referenzzinssätze müssen klare Governance-Strukturen und transparente Methoden dafür sorgen, dass sie verlässlich sind.

Zu diesem Zweck werden die europäischen Referenzzinssätze zurzeit grundlegend reformiert. Der Reformprozess geht zu einem großen Teil von der EU-Benchmark-Verordnung aus, die 2016 veröffentlicht wurde und im Januar 2018 in Kraft getreten ist.

Die aktuell am meisten genutzten europäischen Referenzzinssätze
EONIA

Der EONIA ist der aktuelle Tagesgeld-Referenzzinssatz für den Euro. Eine Arbeitsgruppe des privaten Sektors zu risikofreien Zinssätzen sprach die Empfehlung aus, dass die Marktteilnehmer den EONIA ab dem 2. Oktober 2019 schrittweise durch den neuen Euro Short-Term Rate (€STR) ersetzen. Der EONIA wird von der EZB berechnet, und zwar bislang als gewichteter Durchschnitt der Zinssätze für unbesicherte Euro-Übernachtkontrakte zwischen Banken. Die Berechnung erfolgt im Auftrag des European Money Markets Institute (EMMI), einer gemeinnütziger Vereinigung mit Sitz in Brüssel, Sobald der €STR zur Verfügung steht, wird der EONIA dem EMMI zufolge als €STR plus einem Zinsaufschlag berechnet. So soll es bis zum 3. Januar 2022 gehandhabt werden, damit die Märkte ausreichend Zeit für die Umstellung haben.

EURIBOR

Der EURIBOR ist ein Referenzzinssatz für unbesicherte Kredite auf dem Interbankenmarkt, der für mehrere Laufzeiten berechnet wird (eine Woche sowie einen, drei, sechs und zwölf Monate). Er wird vom European Money Markets Institute (EMMI) verwaltet. Damit der EURIBOR die Vorgaben der EU-Benchmark-Verordnung erfüllt, hat das EMMI ihn eindeutig definiert, und zwar als den Zinssatz, zu dem sich Banken in der EU und der Europäischen Freihandelszone am Interbankenmarkt unbesicherte Finanzierungen beschaffen könnten. Das EMMI führt außerdem schrittweise eine neue Berechnungsmethode für den EURIBOR ein, die sogenannte „Hybridmethode“. Diese basiert so weit möglich auf tatsächlichen Transaktionen, zieht aber auch Experteneinschätzungen heran, wenn keine Transaktionen verfügbar sind.

2017 beschloss die EZB die Ausarbeitung des neuen Referenzzinssatzes €STR (Euro Short-Term Rate), der ab dem 2. Oktober 2019 veröffentlicht wird. Er könnte als eine Art Absicherung fungieren, wenn der private Sektor seinen eigenen Tagesgeld-Referenzzinssatz EONIA nicht mehr weiterführen kann.

2018 empfahl die Arbeitsgruppe des privaten Sektors zu risikofreien Zinssätzen für den Euroraum, den EONIA durch den €STR zu ersetzen. Damit wurde auch den Rückmeldungen der Marktteilnehmer Rechnung getragen. Heute unterstützt die Arbeitsgruppe den Markt bei der Umstellung auf den €STR. Die EZB stellt das Sekretariat für die Arbeitsgruppe. Zusammen mit den anderen Institutionen, die diese gegründet haben, d. h. der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), der Europäischen Kommission und der belgischen Finanzaufsichtsbehörde (FSMA), nimmt sie als Beobachterin an den Sitzungen teil.

Der €STR im Detail

Der €STR soll wiedergeben, wie viel eine Bank bezahlen muss, wenn sie bei finanziellen Gegenparteien bis zum nächsten Geschäftstag Geld aufnimmt, ohne Sicherheiten zu stellen. Dieser Vorgang wird auch als „unbesicherte Übernacht-Geldaufnahme“ bezeichnet. Bei den Gegenparteien kann es sich z. B. um Banken, Geldmarktfonds, Investment- oder Pensionsfonds und andere Finanzakteure wie Zentralbanken handeln.

Der €STR berücksichtigt somit mehr Komponenten als der EONIA, der ausschließlich auf Transaktionen unter Banken beruht. Darüber hinaus werden die realen Transaktionsdaten, die die EZB zur Berechnung des €STR verwendet, von einer größeren Anzahl von Banken bereitgestellt. Diese weiter gefasste Basis schützt gegen Manipulationen und sorgt dafür, dass der €STR den Preis der unbesicherten Übernacht-Geldaufnahme im Euroraum verlässlich abbildet.

Nähere Einzelheiten hierzu finden sich in dem im Juni 2018 erschienenen Dokument The euro short-term rate (€STR) methodology and policies. Weiteren Aufschluss geben die diesbezüglichen Fragen und Antworten.