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  • Berlin, 25 September 2019

Einleitende Bemerkungen

Anhörung von Benoît Cœuré[1], Mitglied des Direktoriums der EZB, im Ausschuss Digitale Agenda zum Thema „Digitale Währungen, insbesondere Libra“, Deutscher Bundestag

Es ist mir eine Freude, heute mit Ihnen das Thema Digitale Währungen, insbesondere Libra, zu erörtern.

Zahlungssysteme bilden seit jeher das Herzstück des Finanzwesens, seit Kurzem ziehen sie jedoch verstärkt Aufmerksamkeit auf sich. Es grassiert das Innovationsfieber. Neue Ideen für Zahlungssysteme sind Ausdruck der Geschwindigkeit und Reichweite des aktuellen technologischen Fortschritts und seiner Auswirkungen auf unser Alltagsleben. Die herkömmlichen bankbasierten Zahlungssysteme geraten unter Druck. Von unten drängen technologische Start-ups, von oben etablierte Technologieriesen auf den Markt. Diese „BigTechs“ haben auf dem digitalen Markt eine starke Stellung erobert, Finanzaktivitäten jedoch bislang aus ihrem Kerngeschäft weitestgehend ausgeklammert.

Das globale Zahlungssystem wurde schrittweise modernisiert und verbessert, dennoch sind noch zwei große Herausforderungen zu bewältigen: Zugang und grenzüberschreitende Zahlungen. Weltweit haben 1,7 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Zahlungssystemen, nicht einmal zu dessen elementaren Formen. Und dies, obwohl 1,1 Milliarden von ihnen ein Mobiltelefon besitzen und jeder vierte auch Zugang zum Internet hat (Weltbank, 2018). Ergänzende Finanzdienstleistungen wie Kredite und Versicherungen werden über Zahlungskonten und E-Wallets angeboten. Ein fehlender Zugang hierzu behindert daher die finanzielle Inklusion insgesamt (Cœuré, 2019a).

Grenzüberschreitende Zahlungen wiederum sind unverzichtbar für den Welthandel und für Überweisungen von Migranten in ihre Heimat. Diese Zahlungen sind jedoch in der Regel langsamer, teurer und intransparenter als inländische Zahlungen (CPMI, 2018). Leider tragen die Kosten grenzüberschreitender Zahlungen ausgerechnet die Schwächsten in unserer Gesellschaft.

Eine Reihe sogenannter „Stablecoin“-Initiativen, die auf der Blockchain-Technologie aufbauen und von großen Technologie- oder Finanzunternehmen angeboten werden, zielen darauf ab, zumindest eines dieser Probleme oder, wie im Falle von Libra, beide Probleme zu lösen. Digitale Privatwährungen gibt es zwar schon seit Jahrzehnten, doch die neuen Initiativen verfügen über ausgedehnte Nutzer- und Kundennetzwerke und könnten somit erstmals weltweit Fuß fassen.

Diese Initiativen bringen große Herausforderungen mit sich, die eine ganze Reihe von Politikbereichen betreffen. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Risiken im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Hinzu kommen Verbraucher- und Datenschutz, Cyberresilienz, fairer Wettbewerb und Einhaltung der Steuervorschriften. Auch angesichts dieser Risiken haben die G7-Finanzminister und Notenbankgouverneure eine Arbeitsgruppe beauftragt, globale „Stablecoins“ eingehender zu analysieren. Die politischen Empfehlungen dieser Gruppe sollen zur Jahrestagung von IWF und Weltbank im Oktober dieses Jahres vorliegen. Auch der Finanzstabilitätsrat befasst sich nun mit den regulatorischen Implikationen dieser Initiativen und wird den Ministern und Notenbankgouverneuren der G20 Bericht erstatten.

Je nach Rechtssystem könnten die bislang identifizierten Risiken im Rahmen der bestehenden Regulierungs- und Aufsichtssysteme kontrolliert werden. Grundsätzlich gilt, dass die regulatorischen Maßnahmen international aufeinander abgestimmt sein sollten und der Grundsatz „gleiches Geschäft, gleiche Risiken, gleiche Regeln“ strikt eingehalten werden sollte.

Einige Aspekte erfordern jedoch möglicherweise neuartige Ansätze. In der Europäischen Union ist es beispielsweise Aufgabe der Europäischen Kommission, zusammen mit den Mitgliedstaaten, der EZB und den zuständigen Behörden zu überprüfen, ob der derzeitige Rechtsrahmen zweckmäßig ist. Es wird erhebliche Arbeit und ein weiterer Austausch mit der Öffentlichkeit und den Behörden erforderlich sein, bis damit zu rechnen ist, dass etwaige globale „Stablecoin“-Initiativen von den zuständigen Behörden gebilligt werden (BIS, 2019).

„Stablecoin“-Initiativen müssen über eine solide Rechtsgrundlage verfügen. In Anbetracht ihrer globalen Verbreitung muss einer möglichen Kollision nationaler Rechtsvorschriften vorgebeugt werden. Rechtsunsicherheit kann das Vertrauen in „Stablecoin“-Initiativen untergraben: ein Risiko, das in einem globalen Zahlungssystem von potenziell systemischer Bedeutung nicht hingenommen werden kann. Da sich viele „Stablecoin“-Initiativen an Privatpersonen richten, müssen die Rechte der Halter und die Pflichten der Emittenten klar kommuniziert und juristisch präzise geregelt werden.

Zudem stützen sich „Stablecoins“ auf eine von Marktneulingen betriebene, junge Technologie. Sie bietet Verbrauchern möglicherweise neue Vorteile, hat jedoch ihre Praxistauglichkeit – unter realen Bedingungen und in dem für ein globales Zahlungssystem erforderlichen Umfang – noch nicht unter Beweis gestellt. Auch ihre Governance-Strukturen sind neu, da ihnen ein dezentrales Modell zugrunde liegt. Daher ist es wichtig, dass diese Strukturen gut verständlich sind.

Sollten „Stablecoins“ breite Verwendung finden, dann könnte dies auch Probleme im Zusammenhang mit der geldpolitischen Transmission und der Finanzstabilität aufwerfen (Cœuré, 2019b). Dort, wo „Stablecoins“ an die Stelle von Fiatwährungen treten, besteht unter Umständen die Gefahr, dass die monetäre Souveränität der Länder untergraben wird. Sollten Kredite oder Überziehungen in „Stablecoins“ gewährt werden, könnte zudem die geldpolitische Transmission beeinträchtigt werden. Schließlich drohen Auswirkungen auf die Finanzstabilität, wenn die den „Stablecoin“-Initiativen zugrunde liegenden Vermögenswerte nicht hinreichend sicher und konservativ verwaltet werden. Halter müssen darauf vertrauen können, dass sie ihre Coins jederzeit zum Nennwert zurücktauschen können.

Angesichts all dessen ist die Libra-Initiative zweifellos ein Weckruf für Zentralbanken und Politik. Globale „Stablecoin“-Initiativen sind die logische Folge des rasanten technologischen Fortschritts, der Globalisierung und sich verändernder Verbraucherpräferenzen. Die Nachfrage nach schnellen, zuverlässigen und kostengünstigen grenzüberschreitenden Zahlungsmöglichkeiten wird in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach steigen. Diesen Herausforderungen sollten sich Politik und Zentralbanken stellen.

Quellen

  • Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (2019), Senior officials from public authorities meet on stablecoins, Pressemitteilung, 16. September.
  • Cœuré, B. (2019a), Fintech for the people, Rede anlässlich der 14. hochrangig besetzten Tagung von BCBS und FSI für Afrika über die Stärkung der Finanzaufsicht und aktuelle regulatorische Prioritäten, Kapstadt, 31. Januar.
  • Cœuré, B. (2019b), Digital challenges to the international monetary and financial system, Beitrag zur Podiumsdiskussion bei der Banque Centrale du Luxembourg – Konferenz der Toulouse School of Economics zum Thema: The future of the international monetary system, Luxemburg, 17. September.
  • Ausschuss für Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen (Committee on Payments and Market Infrastructures - CPMI) (2018), Cross-border retail payments, Februar.
  • Petralia, K., Philippon, T., Rice, T. und Veron, N. (erscheint in Kürze), Banking disrupted? Financial intermediation in an era of transformational technology, Geneva Reports on the World Economy, Nr. 22, Centre for Economic Policy Research.
  • Weltbank (2018), The Global Findex Database 2017: measuring financial inclusion and the fintech revolution.
  1. [1]Benoît Cœuré ist auch Vorsitzender des Ausschusses für Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen (Committee on Payments and Market Infrastructures – CPMI) und Vorsitzender der G7-Arbeitsgruppe zu Stablecoins. Die Auffassungen des Redners decken sich nicht unbedingt mit den Standpunkten des CPMI, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich oder der EZB.
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