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Herausforderungen für die Geldpolitik im Euroraum

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB, Schweizerisch-Deutscher Wirtschaftsclub, Frankfurt am Main, 19. März 2018

Sehr geehrte Damen und Herren,

Gegenwärtig erholt sich die Wirtschaft im Euroraum noch stärker als erwartet. Viele hoffen daher, dass die Geldpolitik bald wieder „normaler“ wird.

Die Modalitäten des Ausstiegs aus unserem Ankaufprogramm sind dabei an eine Voraussetzung geknüpft: die nachhaltige Anpassung der Inflation an unser Ziel.

Wir sind zuversichtlicher geworden, dass die Inflation auf dem richtigen Weg ist. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis wir das Ziel erreichen. Auf dem Weg dahin brauchen wir allerdings weiterhin eine expansive Geldpolitik.

Das bedeutet aber nicht, dass unsere konkreten geldpolitischen Maßnahmen komplett unverändert bleiben müssen. Der graduelle Ausstieg aus dem Ankaufprogramm stellt uns jedoch vor gewisse Herausforderungen: Einerseits könnte ein zu rasches Ende zu überzogenen Marktreaktionen führen. Andererseits, nimmt die Effektivität des Ankaufprogramms mit der Zeit ab; die Nebenwirkungen nehmen zu. Um diese Risiken einzudämmen, brauchen wir eine glaubwürdige Perspektive für den Ausstieg.

Hintergründe für die Anpassung des Ankaufprogramms

Lassen Sie uns zunächst in die Vergangenheit blicken, in der wir das Ankaufprogramm bereits angepasst haben. Im Oktober des vergangenen Jahres beschloss der EZB-Rat die Ankäufe zu reduzieren. Am 8. März dieses Jahres bestätigte der EZB-Rat, dass die Nettokäufe im derzeitigen Umfang von monatlich 30 Mrd Euro bis Ende September 2018 erfolgen sollen. Falls erforderlich, können die Ankäufe darüber hinaus fortgeführt werden, bis der EZB-Rat eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennt, die mit seiner Definition von Preisstabilität auf mittlerer Sicht im Einklang steht.

Das Ankaufprogramm wurde wegen des erwarteten Preisschubs aufgrund des kräftigen und breit angelegten Wirtschaftswachstums im Euroraum angepasst. Seit nunmehr 18 Quartalen wächst die Wirtschaft im Euroraum ununterbrochen, wobei die einschlägigen Indikatoren auf ein anhaltendes kräftiges Wachstum hindeuten.

Den Projektionen der EZB-Experten zufolge dürfte die Wirtschaft kurzfristig sogar noch etwas schneller wachsen als bislang erwartet. Das jährliche reale BIP wird 2018 um 2,4 %, 2019 um 1,9 % und 2020 um 1,7 % steigen. Gegenüber den Projektionen vom Dezember 2017 wurden die Aussichten für das Wachstum des realen BIP im Jahr 2018 nach oben korrigiert; für die beiden darauffolgenden Jahre bleibt der Ausblick unverändert.

Insgesamt werden die Risiken für die Wachstumsaussichten des Eurogebiets als ausgewogen eingestuft. Es sind nunmehr globale Faktoren, die die starken Wachstumsaussichten eintrüben könnten.

Erstens, die von der US-Regierung angekündigten neuen Handelsmaßnahmen. EZB-interne Schätzungen deuten darauf hin, dass die Erstrundeneffekte der vorgeschlagenen Maßnahmen für den Euroraum wahrscheinlich gering ausfallen, auch im Fall von Vergeltungsmaßnahmen seitens der US Handelspartnern. Folgeeffekte könnten allerdings stärker ausfallen.

Zweitens, die Entwicklungen an den Devisen- und anderen Finanzmärkten. Diesbezüglich möchte ich darauf hinweisen, dass die jüngste Volatilität an den Aktienmärkten jedoch nur geringe Auswirkungen auf andere Vermögensklassen im Euroraum hatte.

Das starke Wirtschaftswachstum wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Mit dem Anstieg der Beschäftigung um fast 7,5 Millionen seit Mitte 2013 konnten in der Summe die in der Krise verlorenen Arbeitsplätze wiederhergestellt werden. Die Arbeitslosigkeitslücke oder unemployment gap – eine Messgröße für Überkapazitäten am Arbeitsmarkt – scheint nun geschlossen – obschon wiederholt nach unten revidiert, und die Beschäftigung im Euroraum ist so hoch wie nie zuvor.

Kurzum: Unsere Geldpolitik hat die Nachfrage erfolgreich angekurbelt und brachliegende Ressourcen wieder produktiven Verwendungen zugeführt. Angesichts dessen sollte der Inflationspfad sich mittelfristig unserem Inflationsziel von unter, aber nahe 2 % annähern. Und die Inflation nimmt auch zu, zwar langsamer als wir es uns wünschen, aber zuletzt auch deutlicher als noch im Oktober erwartet, als wir die Ankäufe zurückgefahren haben. Das gestiegene Vertrauen, dass die Inflation auf dem richtigen Weg ist, wird auch in Zukunft unserer Reaktion beeinflussen.

Zwei zusätzliche Faktoren spielen eine wesentliche Rolle: Der erste Faktor hat mit der abnehmenden Wirkung unserer Nettoankäufe im Laufe der Zeit zu tun. Dem Bestand kommt eine zunehmend größere Bedeutung zu als dem Zuwachs. Der zweite Faktor bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen Produktion und Inflation.

In der Vergangenheit war eine hochgradig expansive Gelpolitik notwendig gewesen, um dem Konjunktureinbruch entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass die Inflation mit unserer Definition der Preisstabilität vereinbar blieb. Sogenannte Gegenwinde minderten die Wirksamkeit unserer Geldpolitik und die galt es zu bekämpfen.

Beispielsweise ließ der Abbau der Verschuldung die Ersparnisneigung ansteigen, die allgemeine Unsicherheit dämpfte Investitionen, und eine lange Phase niedriger Inflation drohte, die Inflationserwartungen zu entankern. Außerdem droht eine echte Deflation.

Dieser negativen Einflussfaktoren haben während der anhaltenden Erholung nachgelassen. So haben sich die Ängste vor einer Deflation zerstreut. Und es liegt die Vermutung nahe, dass unter diesen Umständen eine unveränderte Gelpolitik unangemessen expansiv wirkt.

Hinzu kommt, dass die Wirkung des Bestandes an Wertpapieren auf unserer Bilanz mit der Zeit effektiver wird: bei zunehmender Größe unseres Portfolios nimmt der zusätzliche Effekt eines bestimmten Kaufvolumens zu. Aufgrund unserer hohen Anleihebestände, ist der Streubesitz deutlich geringer geworden als zu Beginn unseres Ankaufprogramms. Hierdurch erhöht sich der relative Anteil unserer Käufe am Markt und damit der Effekt dieser Ankäufe je ausgegebener Milliarde Euro. Anders gesagt: Heute lässt sich mit einem geringeren Kaufvolumen derselbe Effekt erzielen wie zuvor mit einem höheren.

Mit dem Anstieg der Anleihebestände steigt auch unser Reinvestitionsbedarf, weshalb wir unsere Bruttokäufe erhöhen müssen – also unsere Nettokäufe zuzüglich unserer Reinvestitionen. Und das in einem Umfeld geringerer Neuverschuldung in den meisten Euroändern. Selbst bei einem geringeren Volumen von Nettokäufen, behält das Eurosystem eine erhebliche Markpräsenz. So wird zwischen März 2018 und Februar 2019 mit kumulativen Tilgungen in Höhe von rund 167 Mrd. Euro gerechnet.

Aus all diesen Gründen war eine Anpassung unseres geldpolitischen Kurses erforderlich. Entsprechend sind wir in der Lage unsere Geldpolitik an dem sich verstärkenden Aufschwung in Zukunft anzupassen, ohne dadurch Wachstum oder Inflation stark zu beeinträchtigen. Und je weiter die Erholung voranschreitet, desto weniger hängt die Wirtschaft von geldpolitischen Sondermaßnahmen ab.

Der zweite Faktor hinter unserer Entscheidung beruht auf der Frage, wie schnell sich eine stärkere Nachfrage in steigenden Preisen niederschlagen wird?

Der Euroraum ist keineswegs die einzige fortgeschrittene Volkswirtschaft, die ein robustes Produktionswachstum mit Inflationsraten unterhalb der historischen Werte aufweist. Es würde den Rahmen sprengen, auf die diversen Erklärungsversuche von Ökonomen einzugehen. Ehrlich gesagt überzeugt mich keiner von ihnen sonderlich. Ich bin der Meinung, dass diese Faktoren uns allerdings nicht davon abhalten, mittelfristig unsere Aufgabe zu erfüllen. Wir werden vielleicht etwas länger brauchen, um unser Ziel zu erreichen, aber wir werden es erreichen.

Lassen sie mich auf eine theoretische Erklärung kurz eingehen. Das Verhältnis zwischen Unterauslastung und Inflation, die so genannte Phillips-Kurve, ist so flach geworden, dass Produktionsänderungen kaum Auswirkungen auf die Inflation haben. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Längere Perioden niedriger Inflation können Lohnsteigerungen verringern, da bis zu einem gewissen Grad Löhne an die Inflation gekoppelt sind. Zudem haben unsichere Arbeitsplätze, Digitalisierung und hohe Arbeitslosigkeit die Gewerkschaften dazu bewogen, der Beschäftigung gegenüber den Löhnen Priorität einzuräumen. Und die Krise hat zu einer breiteren Unterauslastung auf dem Arbeitsmarkt geführt – d.h. unfreiwillige Teilzeit- und Zeitarbeit – die wieder absorbiert werden muss, bevor der Lohndruck steigt.

In der Praxis sehen wir positive Anzeichen: Tatsächlich ist der Unterschied zwischen der Gesamtarbeitslosenquote und weiter gefassten Messgrößen für die Unterauslastung am Arbeitsmarkt in den vergangenen zwei Jahren etwas geringer geworden. Der Anteil von Unternehmen, die angeben, dass Arbeitskräftemangel ihre Produktion einschränkt, ist im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor so hoch wie nie. Das Ergebnis ist ein stärkeres Lohnwachstum, das zu einem Anstieg der Inflation beiträgt. Mehrere Messgrößen für die zugrunde liegende Inflation haben den Wendepunkt anscheinend durschritten.

Ich betone das Wort „Anscheinend“, da geldpolitische Entscheidungsträger in ihren Urteilen bescheiden sein sollten[1].

Die Schätzungen der Unterauslastung in der Wirtschaft gehen stark auseinander und werden häufig korrigiert. Modellergebnisse, so komplex sie auch sein mögen, sollten mit der gebotenen Vorsicht behandelt werden. Schließlich sind Beurteilungen auf der Grundlage von Erfahrungen nach wie vor ein essenzieller Bestandteil des geldpolitischen Entscheidungsprozesses.

Geldpolitische Entscheidungen sollten daher nicht nur auf Modellergebnissen basieren, sondern auch die Risikokonstellation berücksichtigen. Es gibt Zeiten, in denen Tatenlosigkeit weitaus gefährlicher ist als das Ergreifen von Maßnahmen, und in denen entschlossenes Handeln das Vernünftigste ist. Zum Beispiel war unser Ankaufprogramm notwendig, um das Risiko einer Deflation abzuwenden. Es gibt jedoch auch Zeiten, in denen sich die Risikokonstellation grundlegend ändert und somit die geldpolitischen Entscheidungsträger vorsichtiger agieren sollten.

Künftige Herausforderungen für die Geldpolitik

Lassen Sie uns nun in die Zukunft schauen. Aus meiner Sicht sind die Voraussetzungen für das allmähliche Auslaufen des Ankaufprogramms gegeben. Es ist allerdings Sache des EZB-Rats zu entscheiden, wann genau es so weit sein wird.

Ich möchte hier nicht einen möglichen Zeitplan diskutieren. Vielmehr möchte ich einige der Risiken ansprechen, denen wir bei der Umsetzung unserer Gelpolitik in den kommenden Jahren begegnen werden. Diese Risiken dürften zunehmen, je länger wir das Ankaufprogramm fortsetzen.

Das erste Risiko bezieht sich auf die nachlassenden deflationären Gegenwinde, die ich bereits erwähnt habe. Könnte es sein, dass unsere Geldpolitik mit einem Mal zu expansiv ist? Oder anders formuliert, dass wir aufgrund der Unsicherheiten und Ungenauigkeiten, die mit der Messung der Unterauslastung und des Inflationsdrucks bestehen, der Entwicklung hinterherlaufen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Da die Geldpolitik mit langen und unterschiedlichen Zeitverzögerungen wirkt, könnten wir am Ende mit einer höheren Inflation dastehen, als mit unserem Auftrag vereinbar ist.

Dann müssten wir den geldpolitischen Kurs in den kommenden Jahren drastisch korrigieren. Eine solche Korrektur der Zinsen wäre allerdings mit Risiken für den Finanzsektor verbunden. Banken könnten hart getroffen werden, da die Refinanzierungskosten schneller steigen als die Zinserträge aus der Kreditvergabe.

Es könnte allerdings auch sein, dass diese Faktoren inzwischen schon gewirkt haben. Somit könnte die Inflation im Laufe des Jahres höher ausfallen, als von uns erwartet. Dann würden wir der Entwicklung hinterherlaufen – und dies auch merken –, und wir müssten unsere Forward Guidance anpassen.

Diese hatten wir eingeführt, um die Markterwartungen zu stabilisieren und um die Wirksamkeit unserer Vermögensankäufe zu steigern. Das tun wir indem wir vorhersagen, dass die Zinsen erst deutlich nach Ende des Ankaufprogramms steigen werden. Eine Verlängerung unserer Ankäufe verzögert die Markterwartungen eines Zinsanstiegs und drückt die Zinserwartungen über die gesamte Kurve nach unten. Natürlich hängt die Wirksamkeit der Forward Guidance auch von unserer Glaubwürdigkeit ab.

Tatsächlich ist Forward Guidance ein Versprechen, nicht auf künftige kurzfristige Datenergebnisse zu reagieren. Das soll die Märkte dazu zu bringen, weiterhin mit niedrigen Zinsen zu rechnen. Ist unsere Forward Guidance jedoch zu weit in die Zukunft gerichtet, so besteht das Risiko, dass uns hierdurch unnötig die Hände gebunden sind.

Dieses Risiko ist derzeit besonders akut, da wie bereits erwähnt, künftige Leitzinsanhebungen schrittweise erfolgen müssen. Wird dieser Prozess zu spät eingeleitet, könnte die Geldpolitik zu lange zu locker bleiben. Im Laufe des Jahres wird der Zeitpunkt kommen, unseren geldpolitischen Kurs weiter graduell anzupassen an unser Vertrauen, unser Ziel zu erreichen – die Markterwartungen sind diesbezüglich angemessen. Dann sollten wir natürlich gründlich darüber nachdenken, wie sehr wir uns im Voraus festlegen wollen.

Das zweite Risiko für die Geldpolitik sind die Nebenwirkungen der niedrigen Zinsen. Unsere Maßnahmen haben die Finanzierungsbedingungen für Privathaushalten und Unternehmen deutlich verbessert und die Kreditvergabe wieder angekurbelt.

Lockere Finanzierungsbedingungen können jedoch zu Investitionen in Projekte verleiten, die nur bei Niedrigzinsen profitabel sind. Bei steigenden Zinsen können solche Investitionen kippen. Tatsächlich können Banken und Anleger versucht sein, sich auf Renditejagd zu begeben, ohne für die eingegangenen Risiken angemessen entschädigt zu werden.

Unser Auftrag ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Die Bankenaufsicht und die makroprudenzielle Politik haben wiederum dafür zu sorgen, dass Risiken für die Finanzstabilität angemessen eingedämmt werden. Auch wenn es derzeit keine Belege dafür gibt, dass im Euroraum Vermögenspreisblasen vorliegen, gibt es hier und da Auffälligkeiten, etwa bei den Gewerbeimmobilien. Und es gibt Anzeichen für ein von Renditejagd geprägtes Verhalten.

Die Finanzkrise hat gezeigt, wie diese Risiken aufgrund ihrer Auswirkungen auf Banken die reibungslose Durchführung der Geldpolitik beeinträchtigen können. Schließlich sind die Banken nach wie vor zentraler Bestandteil des geldpolitischen Transmissionsmechanismus im Euroraum. Daher sollten wir bedenken, dass diese Risiken die Umsetzung der Gelpolitik erschweren können.

Des Weiteren bestehen längerfristige Risiken für die Geldpolitik. Durch die niedrigen Zinsen lässt die Geldpolitik gegebenenfalls indirekt zu, dass ineffiziente Firmen sich über Wasser halten können, die schließlich zu „Zombiefirmen“ werden. Somit können Abschwünge weniger leicht eine produktivitätssteigernde „schöpferische Zerstörung“ herbeiführen: dass ineffiziente Firmen verdrängt und somit Ressourcen frei werden, die dann in effizienteren Unternehmen zur Steigerung der Gesamtproduktivität beitragen. Tatsächlich gibt es Belege dafür, dass die schöpferische Zerstörung während der Rezession weniger stark ausgeprägt war als in früheren Abschwungphasen[2] und dass Zombiefirmen in einigen Ländern des Euroraums das Produktivitätswachstum belastet haben[3].

Das Produktivitätswachstum spielt eine bedeutende Rolle für die Durchführung der Geldpolitik. Ein höheres Produktivitätswachstum regt Investitionen an, und Konsumenten werden in Erwartung eines künftiger höheren Einkommens ermuntert, bereits heute mehr Geld auszugeben. Bei einem langsameren Produktivitätswachstum muss die Geldpolitik daher die Zinsen stärker senken als dies ansonsten nötig wäre, um die Wirtschaft anzukurbeln. Angesichts der derzeit niedrigen Zinsen und unseres recht umfangreichen Bestands an Vermögenswerten würde dies unsere Fähigkeit einschränken, auf künftige Abwärtsrisiken zu reagieren.

Ich habe soeben die wirtschaftlichen Risiken aufgezeigt. Es bestehen jedoch auch rechtliche Risiken für die EZB in Bezug auf unsere von den EU-Verträgen auferlegten Pflichten. Gemäß Artikel 127 müssen wir „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft [...] handeln, wodurch ein effizienter Einsatz von Ressourcen gefördert wird.“ Das heißt, wir sollten nur so viel tun wie nötig, um unseren Auftrag der Preisstabilität zu erfüllen. Und dabei müssen wir uns darüber bewusst sein, welche Nebenwirkungen eine zu lang andauernde expansive Geldpolitik haben kann.

Ein wichtiger Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft ist, dass Preise auf Märkten gebildet werden, und zwar durch die Interaktion von Wirtschaftssubjekten des privaten Sektors. Durch eben diese Interaktionen sollte sichergestellt sein, dass Preise korrekt gebildet werden. Diese sollten nicht das Ergebnis von Interaktionen im Rahmen unserer Vermögensankäufe sein. Und das gilt auch für das Kreditrisiko.

Natürlich spielt das Eurosystem mit seinem hohen Bestand an Vermögenswerten nun eine große Rolle am Markt, größer als je zuvor. Wir erwerben mitunter Anleihen von institutionellen Anlegern, wie beispielsweise Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen, welche die von uns zu zahlenden Preise in die Höhe treiben könnten angesichts einer zunehmenden Verknappung. Wir sollten vermeiden, dass sich die Liquiditätsbedingungen in bestimmten Marktsegmenten unnötig erschweren durch eine unangebrachte Verlängerung des Ankaufprogramms.

Wir müssen also darauf achten, dass wir keinen unverhältnismäßigen Einfluss auf die Preisbildung nehmen.

Eine weitere Schwierigkeit könnte sich aus unseren Ankäufen von Wertpapieren des öffentlichen Sektors ergeben. Ein wichtiger für diese Ankäufe geltender Sicherungsmechanismus sind die Sperrzeiten, aufgrund derer wir um den Ausgabetag einer Neuemission keine Ankäufe tätigen. Dies erleichtert die Preisbildung und gewährleistet, dass Artikel 123 AEUV – das Verbot der monetären Finanzierung – voll und ganz eingehalten wird.

Schlussbemerkungen

Die wirtschaftliche Erholung im Euroraum hat sich besser entwickelt als erwartet und die Beschäftigung hat deutlich zugelegt. Die Löhne sowie die zugrunde liegende Inflation scheinen die Trendwende geschafft zu haben.

Alle Voraussetzungen für eine nachhaltige Anpassung der Inflation an unser Ziel sind gegeben. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit. Aber: Eile mit Weile.

Wir können mit den sich verbessernden Verlauf des Inflationspfades allmählich unsere Nettokäufe zurückfahren, und dabei eine ausreichend lockere Geldpolitik beibehalten, um die Inflation auf ihrem Weg hin zu unserem Ziel weiter zu unterstützen.

Wir werden auch künftig die wirtschaftliche Entwicklung im Auge behalten und die Geldpolitik so gestalten, dass sie weiterhin im Einklang mit unserem Ziel der Preisstabilität steht.

Dabei müssen wir auch den Risiken Rechnung tragen.

Ziehen wir unsere geldpolitischen Impulse zu früh und zu schnell zurück, könnten die Vermögenspreise einbrechen und die Renditen stark ansteigen, was negative Ansteckungseffekte für die Wirtschaft zur Folge hätte.

Dauert das Ankaufprogramm zu lange an, steigen die Nebenwirkungen. Und wenn wir der Einschätzung von Marktteilnehmern Vorschub leisten, dass der Ausstieg vielleicht permanent hinausgeschoben wird, so könnte dies etwaige Klippeneffekte verstärken.

Wir verfolgen eine glaubhafte Perspektive für den Ausstieg, um diese Risiken einzudämmen.

  1. [1] Siehe Y. Mersch, Economic Policy and the Need for Humility, Rede auf der Konferenz „Banking and Financial Regulation“, Università Bocconi, 9. Oktober 2017.

  2. [2] E. Bartelsman, P. López-Garcia und G. Presidente, Cyclical and structural variation in resource reallocation in Europe, Mimeo.

  3. [3] Siehe z. B. Gopinath et al. Capital Allocation and Productivity in South Europe, NBER Working Paper Nr. 21453, 2015; Borio et al, Labour reallocation and productivity dynamics: financial causes, real consequences, Working Papers der BIZ, Nr. 534, 2016; D. Andrews und F. Petroulakis, Breaking the shackles: Zombie firms, weak banks and depressed restructuring in Europe, Working Papers des Economics Department der OECD, Nr. 1433, 2017.

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