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Der europäische Zahlungsverkehr im Umbruch

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
anlässlich des Zahlungsverkehrssymposiums 2017 der Deutschen Bundesbank,
Frankfurt am Main, 18. Mai 2017

Einleitung

Fintech hat den Boden für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Finanzdienstleistungen bereitet, die den Anforderungen der Nutzer in Bezug auf Geschwindigkeit und Komfort besser gerecht werden. Handel, vor allem der elektronische Handel, Produktivität und Wirtschaftswachstum können von Innovationen profitieren, die einen besseren Service mit sich bringen.

Um sein im Vertrag verankertes Mandat zu erfüllen, ist das Eurosystem entschlossen, mit Innovationen im Bereich der Finanzdienstleistungen Schritt zu halten, ohne dabei die Gewährleistung von Sicherheit und Effizienz der Finanzmarktinfrastruktur aus den Augen zu verlieren. Wir müssen auf die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft reagieren, die innovative und effiziente Dienstleistungen mit Auswirkungen auf das Leben aller Europäer bringt. Im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen lässt sich unter den Endverbrauchern ein Bedarf an Echtzeitzahlungslösungen beobachten. Die Branche muss Lösungen liefern, die der Innovation den Rücken stärken, auch mit Blick auf den weltweiten Wettbewerb. Europa verfügt über die nötige Innovationskraft und kann integrierte Lösungen für alle Marktteilnehmer – Einzelpersonen, die Branche und Händler – liefern. Dabei sollten wir alles daran setzen, nicht hinter der Entwicklung zurückzubleiben. Wir müssen also dafür sorgen, dass die Verbraucher in Europa in Echtzeit und mit einer sicheren sowie soliden Marktinfrastruktur ohne grenzüberschreitende Einschränkungen zahlen können – so wie es beim Bargeld bereits möglich ist. Die EZB wird deshalb sicherstellen, dass den Verbrauchern beim Zahlungsverkehr alle Möglichkeit offen stehen und der nötigen Marktinfrastruktur den Weg ebnen, die für die Akzeptanz von Echtzeitzahlungen in ganz Europa erforderlich ist. Dabei verfolgt die EZB einen vollständig integrierten Ansatz, um heimische Lösungen für den Euro zu fördern. Die Verbraucher können weiterhin die Zahlungsmethode wählen, die ihnen am ehesten zusagt. Echtzeitzahlungen werden bald zu unserem Alltag gehören und für die kommende Generation dürften sie das Zahlungsmittel erster Wahl sein.

Der Erfolg innovativer Finanzdienstleistungen hängt jedoch von einem klaren rechtlichen und regulatorischen Rahmen ab. Die Neufassung der Richtlinie über Zahlungsdienste (Payment Services Directive – PSD2) und die technischen Regulierungsstandards (Regulatory Technical Standards – RTS) schaffen die nötigen Voraussetzungen. Die europäischen Instanzen müssen ihre Anstrengungen fortsetzen. Sie sollten den Rechtsrahmen soweit erforderlich ergänzen, im Sinne der Rechtssicherheit eine Reihe von Aspekten klären und eine einheitliche Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten sicherstellen.

Abseits der rechtlichen Anforderungen ist es schließlich unerlässlich, dass sich die Marktakteure hinsichtlich der erforderlichen technischen, operationellen und geschäftlichen Voraussetzungen auf eine gemeinsame Linie einigen.

Ich möchte heute näher auf diese Themen eingehen und mich dabei auf zwei für die Verwirklichung innovativer Finanzdienstleistungen wesentliche Punkte konzentrieren:

  1. die grundlegende Marktinfrastruktur für Finanzdienstleistungen und
  2. den zugrunde liegenden Rechtsrahmen, der den Erfolg von Innovationen am Zahlungsmarkt ermöglicht.

In meinen Ausführungen werde ich den Schwerpunkt auf Echtzeitzahlungen und Dienste für die Zahlungsinitiierung legen.

Entwicklung der Eurosystem-Marktinfrastruktur

Für die Schaffung eines integrierten Finanzmarkts in Europa ist eine solide und effiziente Marktinfrastruktur unerlässlich. Das Eurosystem entwickelt die Marktinfrastruktur kontinuierlich weiter, damit sie den Bedürfnissen und Anforderungen des Markts gerecht wird. Im Herbst 2016 fiel der Startschuss für eine Sondierung bezüglich der weiteren Entwicklung unserer Marktinfrastruktur. In diesem Zusammenhang sind vor allem folgende Projekte zu nennen:

  1. TARGET Instant Payment Settlements (TIPS) und
  2. Konsolidierung von TARGET2 und TARGET2-Securities (T2S).

In nur einem halben Jahr wurden bereits deutliche Fortschritte erzielt.

TIPS und die Konsolidierung von TARGET2 und T2S sind eng miteinander verknüpft. Sollten diese Projekte in den nächsten Wochen grünes Licht erhalten, werden TARGET2, T2S und TIPS eine modulare Struktur mit einer Reihe gemeinsamer Elemente und einem zentralisierten Liquiditätsmanagement aufweisen. Das zentralisierte Liquiditätsmanagement bündelt alle erforderlichen Funktionen, sodass den Teilnehmern ein Liquiditätsmanagement über sämtliche Dienste des Eurosystems hinweg möglich ist. Dank der neuen Kontenstruktur können Teilnehmer die verfügbare Zahlungskapazität während der Geschäftszeiten eines der angeschlossenen Dienste nutzen, ohne dass die Geschäftszeiten der verschiedenen Dienste aufeinander abgestimmt werden müssen. Anfang Mai wurde eine Marktkonsultation zu den Nutzeranforderungen für diese Dienste eingeleitet. Wir hoffen auf eine rege Beteiligung der Marktteilnehmer.

Laut einer Marktkonsultation zu TIPS, die Anfang des Jahres durchgeführt wurde, besteht allgemein ein großes Interesse am Thema Echtzeitzahlungen und insbesondere auch an den möglichen Diensten, die TIPS bietet. Die Rückmeldungen zu dem vorgeschlagenen TIPS-Dienst waren insgesamt äußerst positiv. Unter anderem haben wir näher erläutert, wie sich TIPS in die künftige europäische Marktinfrastruktur einfügt, vor allem im Hinblick auf das Zusammenspiel mit automatisierten Clearinghäusern (ACH).

Mit der TIPS-Initiative reagiert das Eurosystem auf die „Beschleunigung“ unseres Alltags. In Europa gibt es einen immer größeren Wunsch nach der Möglichkeit, in Echtzeit zu zahlen, so wie die Menschen auch jederzeit auf Musik, Nachrichten und Verkehrsmeldungen zugreifen können. Mit der TIPS-Initiative soll die notwendige Infrastruktur für die europaweite Abwicklung von Echtzeitzahlungen geschaffen werden. Die Initiative kann also einen Beitrag zu einer gesamteuropäischen Perspektive leisten und einer erneuten Fragmentierung infolge der Entwicklung einzelstaatlicher Lösungen vorbeugen, die unter Umständen überhaupt keinen oder einen lediglich begrenzten länderübergreifenden Betrieb ermöglichen.

TIPS ist als Ergänzung der Clearingdienste der ACH gedacht. Das Zusammenspiel dieser Dienste kann eine europaweite Erreichbarkeit sicherstellen. Es deutet einiges darauf hin, dass Echtzeitzahlungen in Euro mit ACH allein auf europaweiter Ebene nicht umzusetzen sind. Zusammen mit TIPS hingegen können die ACH ihre Erreichbarkeit auf ganz Europa ausweiten, sofern es sich bei den Teilnehmern des ACH um Teilnehmer an TIPS oder über TIPS erreichbare Parteien handelt.

Auch die Rückmeldungen zum erwarteten Volumen, die im Zuge der Marktkonsultation eingingen, sind äußerst ermutigend. Die ursprünglichen Schätzungen des Eurosystems wurden deutlich übertroffen. Dies gilt sowohl für das Gesamtvolumen am Markt als auch für das Volumen, das die Marktteilnehmer voraussichtlich über TIPS abwickeln wollen. Beim Betrieb von TIPS unter voller Kostendeckung sollte dies zu attraktiveren Preisen führen.

Die Zukunft der Zahlungsverkehrslandschaft

Damit ein integrierter Finanzmarkt erfolgreich sein kann, müssen Gesetzgeber und Regulierungsbehörden für einen eindeutigen Rechtsrahmen sorgen, sodass innovative Zahlungsdienstleistungen für den gesamten europäischen Markt entwickelt werden können. Indem wir die Anforderungen festlegen, die innovativen Unternehmen einen unkomplizierten, sicheren und effizienten Marktzutritt ermöglichen, können wir den Wettbewerb fördern und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Nutzer von Fintech-Innovationen profitieren.

Die Neufassung der PSD2, die bis Januar 2018 in nationales Recht umzusetzen ist, zielt darauf ab, die europaweite Konkurrenz und Beteiligung in der Zahlungsverkehrsbranche zu erhöhen, unter anderem auch in Bezug auf Nichtbanken. Gleichzeitig soll sie für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen, indem sie die Anforderungen für den Verbraucherschutz sowie die Rechte und Pflichten der Anbieter und Nutzer von Zahlungsdienstleistungen festlegt.

In den letzten Jahren sind neue Drittanbieter (Third-party Providers – TPP) auf den Plan getreten, die Zahlungsinitiierungs- und/oder Kontoinformationsdienste am Anfang der Wertschöpfungskette anbieten. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) hat Level-2-Maßnahmen für eine starke Kundenauthentifizierung und eine sichere Kommunikation entwickelt. Sie sollen für die notwendigen Schutzmechanismen sorgen, um die Sicherheit von Zahlungsdienstleistungen zu gewährleisten. Die EBA hat der Europäischen Kommission eine Überprüfung der technischen Regulierungsstandards vorgelegt. Die Europäische Kommission wird bis Ende des Monats darüber befinden, ob sie den technischen Regulierungsstandards zustimmt oder Änderungen verlangt, bevor sie die Neufassung dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union zur Annahme vorlegt. Nach erfolgter Annahme bleibt den Zahlungsdienstleistern für die Umsetzung der Standards 18 Monate Zeit. Aktuell sehen sich die Marktteilnehmer im Hinblick auf die endgültige Form des Rechtsrahmens nach wie vor einer Reihe von Unsicherheiten gegenüber. Daher begrüße ich die Anstrengungen der europäischen Instanzen, diese Fragen so rasch wie möglich zu klären, um den Markt bei der Umsetzung des neuen Rechtsrahmens zu unterstützen. Ich möchte insbesondere drei Bereiche hervorheben:

Erstens ist der Rechtsrahmen in seiner aktuellen Form noch unvollständig. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Schnittstelle, die TPP für den Zugang zu kontoführenden Zahlungsdienstleistern (Account Servicing Payment Service Providers – ASPSP) nutzen: wird es sich dabei um eine sogenannte dedizierte Schnittstelle oder um einen Direktzugang handeln? Diesbezüglich muss die EU-Regulierungsbehörde noch festlegen, ob es eine oder zwei Schnittstellen geben soll, und in letzterem Fall, unter welchen Umständen sie jeweils genutzt werden können.

Zweitens müssen die Regulierungsbehörden in Bezug auf eine Reihe von Aspekten des Rechtsrahmens eine größere rechtliche Klarheit schaffen. Einer dieser Aspekte ist der „Europäische Pass“, d. h. die Bedingungen, unter denen ein in einem Land zugelassener TPP seine Dienstleistungen in der gesamten EU erbringen kann.

Ein weiterer Aspekt ist schließlich der spezifische rechtliche Rahmen, der zwischen der Umsetzung der PSD2 in nationales Recht bis Januar 2018 und dem Inkrafttreten der RTS im Jahr 2019 gültig ist.

Die zuständigen Stellen sollten einen einheitlichen Ansatz verfolgen und bei der Umsetzung der PSD2-Anforderungen nicht ohne guten Grund Ermessensspielräume ausnutzen, damit die Wettbewerbsgleichheit gewahrt bleibt. Dies gilt insbesondere für den bereits erwähnten Zeitraum zwischen der Umsetzung der PSD2 in nationales Recht und dem Inkrafttreten der RTS. Dass die Verpflichtung der TPP, sich gegenüber den ASPSP zu identifizieren, in Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt werden könnte, scheint beispielsweise nicht realistisch.

Mit einem sachgerechten Regulierungsrahmen und einer integrierten Marktinfrastruktur ist der Grundstein bereits gelegt worden. Die PSD2 kann jedoch nicht sämtliche Probleme lösen. Wir haben innerhalb des Euro Retail Payments Board eine Arbeitsgruppe gegründet, die die technischen, operationellen und geschäftlichen Anforderungen für Dienste zur Zahlungsinitiierung festlegen wird. Diese Arbeit stellt eine Herausforderung dar, da die Auffassungen unter den Beteiligten auseinandergehen. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass ein harmonisierter Ansatz und gemeinsame Geschäftspraktiken festgelegt werden, damit die betreffenden Anbieter auf integrierter Basis Zahlungsdienstleistungen in ganz Europa anbieten können. In diesem Sinne hoffe ich auf die Kooperation der Marktteilnehmer, die es uns ermöglicht, eine konstruktive Lösung zu finden, die für den Markt von Nutzen ist und dem Geist der Rechtsvorschriften entspricht. Die jüngsten Gespräche deuten darauf hin, dass Fortschritte erzielt wurden, und ich hoffe, dass wir unsere Energie bündeln und einen Kompromiss finden können, von dem alle in Europa profitieren.

Schlussbemerkungen

Lassen Sie mich abschließend noch einmal festhalten: Fintech hat das Potenzial innovativer Finanzdienstleistungen freigesetzt, die Vorteile für Einzelpersonen und Unternehmen mit sich bringen können. Das Eurosystem ist entschlossen, mit Innovationen im Bereich der Finanzdienstleistungen Schritt zu halten, ohne dabei die Gewährleistung von Sicherheit und Effizienz der Finanzmarktinfrastruktur aus den Augen zu verlieren.

TIPS kann die Basisinfrastruktur für Echtzeitzahlungen in ganz Europa bilden. Mit TIPS werden die Grundlagen für eine erfolgreiche Entwicklung innovativer Zahlungsdienste geschaffen. Im Zusammenspiel mit den ACH-Diensten kann der TIPS-Dienst einen Beitrag zur europaweiten Erreichbarkeit leisten.

Damit die Ziele der PSD2 mit Blick auf Marktzugang, Innovation und gleiche Wettbewerbsbedingungen erreicht werden, bedarf es der Klärung und einheitlichen Umsetzung einer Reihe von Aspekten des rechtlichen und regulatorischen Rahmens, insbesondere wenn im Januar 2018 die PSD2 und im Laufe des Jahres 2019 die zugehörigen RTS in Kraft treten. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass sich die zuständigen Stellen mit den Auswirkungen der neuen Richtlinie und der zugehörigen technischen Regulierungsstandards auf Echtzeitzahlungen befassen.

Ich lade die im Euro Retail Payments Board vertretenen Marktakteure auch dazu ein, sich über die rechtlichen Anforderungen hinaus auf technische, operationelle und geschäftliche Anforderungen zu verständigen. Dieses Vorhaben kann gelingen, wenn die Beteiligten im Geiste einer guten Zusammenarbeit handeln.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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