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Mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts 
am 16. Februar 2016 im OMT-Verfahren

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
Einleitende Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,
Karlsruhe, 16. Februar 2016

Herr Vorsitzender,

Hoher Senat,

Einleitung

Sie haben die Europäische Zentralbank erneut gebeten, sich zu dem Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 als sachkundige Dritte zu äußern, dessen Vereinbarkeit mit dem nationalen Verfassungsrecht Sie in diesen Verfahren überprüfen. Es handelt sich um den Beschluss, die wesentlichen Merkmale der geldpolitischen Outright-Geschäfte des Eurosystems an den Sekundärmärkten für Staatsanleihen – kurz: OMTs – zu genehmigen. Dieser Aufforderung komme ich gerne nach.

Was hat sich seit der letzten mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2013 geändert?

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat Ihre Vorlagefragen auf der Grundlage des von Ihnen unterbreiteten Sachverhalts beantwortet.

Der Gerichtshof der Europäischen Union, der nach den Verträgen für die Auslegung des Unionsrechts und über die Gültigkeit der Handlungen der Unionsorgane und damit auch der Europäischen Zentralbank entscheidungsbefugt ist, hat festgestellt, dass OMTs mit dem Unionsrecht vereinbar sind:

Eine Überschreitung des geldpolitischen Mandats der Europäischen Zentralbank ergibt sich erstens weder aus der Konditionalität, der Selektivität, der Parallelität der OMTs noch aus einer Umgehung der Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme des Europäischen Stabilitätsmechanismus – kurz: ESM. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist dem Vortrag der Europäischen Zentralbank gefolgt und hat bestätigt, dass OMTs in Anbetracht ihrer Ziele und der zu ihrer Erreichung vorgesehenen Mittel zum Bereich der Geldpolitik gehören und damit unter die Befugnisse des Eurosystems fallen. Geldpolitische Maßnahmen wie OMTs können sich mittelbar auf die Stabilität des Euro-Währungsgebiets auswirken, ohne dass geldpolitische Maßnahmen deswegen als wirtschaftspolitische Maßnahmen einzustufen wären. Der Umstand, dass die Europäische Zentralbank eine eigene unabhängige geldpolitische Entscheidung über die Durchführung von OMTs trifft, lässt auch die Möglichkeit ausscheiden, dass die Hilfsprogramme des ESM unterlaufen werden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat ferner bestätigt, dass OMTs verhältnismäßig sind und der Europäischen Zentralbank, was die gerichtliche Nachprüfung dieser Voraussetzungen betrifft, ein weites Ermessen eingeräumt. Danach war die Europäische Zentralbank insbesondere berechtigt, anzunehmen, dass der Ankauf von Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten unter den zum 6. September 2012 gegebenen Bedingungen geeignet ist, den geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu begünstigen und die Einheitlichkeit der Geldpolitik zu wahren. Diese Bedingungen waren dadurch gekennzeichnet, dass die Zinssätze für Staatsanleihen der verschiedenen Mitgliedstaaten des Euroraums eine hohe Volatilität und extreme Unterschiede aufwiesen, die nicht durch makroökonomische Unterschiede, sondern durch starke Verwerfungen an den Staatsanleihemärkten, insbesondere ausgelöst von unbegründeten Ängsten seitens der Anleger bezüglich der Umkehrbarkeit des Euro, verursacht worden waren. OMTs gehen auch nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Sie sind nicht nur strikt an die mit ihnen verfolgten Ziele gebunden, sondern ihr Volumen ist auch – wie die Europäische Zentralbank in der letzten mündlichen Verhandlung vorgetragen hat – in mehrfacher Hinsicht beschränkt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zweitens entschieden, dass OMTs nicht das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung verletzen. Er hat insbesondere herausgestellt, dass OMTs den Mitgliedstaaten nicht den Anreiz nehmen, eine gesunde Haushaltspolitik zu betreiben. Die beiden Entwürfe des Rates der Europäischen Zentralbank für einen Beschluss und eine Leitlinie zu OMTs, die am 6. September 2012 bereits vorgelegen haben, sehen ausreichende Vorkehrungen vor, die sicherstellen, dass dem Tätigwerden des Eurosystems nicht die gleiche Wirkung zukommt wie dem unmittelbaren Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten.

Lassen Sie mich nur einzelne Beispiele erwähnen. Der Rat der Europäischen Zentralbank entscheidet über den Umfang, den Beginn, die Fortsetzung und die Aussetzung der Interventionen an den Sekundärmärkten. Darüber hinaus wird eine Mindestfrist zwischen der Ausgabe eines Schuldtitels auf dem Primärmarkt und seinem Ankauf an den Sekundärmärkten eingehalten. Weiterhin wird eine vorherige Ankündigung der Entscheidung, solche Ankäufe vorzunehmen, oder des Volumens der geplanten Ankäufe ausgeschlossen. Es gibt damit keine Gewissheit für Ankäufe von Staatsanleihen.

Welche Rolle kann die Europäische Zentralbank nach dieser Bestätigung ihres Handelns noch für sich in dieser mündlichen Verhandlung sehen?

Die Europäische Zentralbank kann keine Ausführungen zur Vereinbarkeit der OMTs mit dem nationalen Verfassungsrecht machen, da ihr hierfür die Zuständigkeit fehlt. Dennoch war und ist unsere Arbeitshypothese, dass der Vertrag von Maastricht, in dem die Geldpolitik auf die Europäische Zentralbank übertragen wurde, für vereinbar mit dem nationalen Verfassungsrecht erklärt worden ist.

Die Europäische Zentralbank nimmt an dieser mündlichen Verhandlung teil, um an der Aufklärung eventuell verbliebener Fragen mitzuwirken, soweit sie sich auf den Gegenstand dieses Verfahrens beziehen, d.h. sich auf OMTs, nicht aber auf andere geldpolitische Maßnahmen, erstrecken. Zugleich muss es dem Rat der Europäischen Zentralbank möglich bleiben, über die zukünftige Geldpolitik unabhängig zu entscheiden, um der Verpflichtung zur Wahrung der Preisstabilität im Euroraum gerecht werden zu können, wie es der Senat in Rn. 32 des Vorlagebeschlusses beschrieben hat.

Herr Vorsitzender,

Hoher Senat,

Nach diesen einleitenden Worten werde ich mich auf die folgenden zwei Punkte konzentrieren, die Sie in Ihrem Schreiben an die Europäische Zentralbank als wesentlich identifiziert haben:

  • Erstens die Aktualität und die Umsetzungsmodalitäten von OMTs;
  • Zweitens das mögliche Volumen von OMTs und potentielle Risiken für den Bundeshaushalt.

Aktualität und Umsetzungsmodalitäten von OMTs

Was die Aktualität von OMTs betrifft, lassen Sie mich zunächst folgendes klarstellen: OMTs wurden im Jahr 2012 entwickelt, um einer außergewöhnlichen Krisensituation zu begegnen. Diese Krisensituation war von massiven, eine Eigendynamik entwickelnden Verwerfungen an den Staatsanleihemärkten gekennzeichnet. Diese wiederum führten zu einer Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus, die sich zu einer Gefahr für die Preisstabilität entwickelte.

Das Eurosystem hat durch OMTs ein in seiner Satzung vorgesehenes geldpolitisches Instrument näher konkretisiert. Dieses kann vom Rat der Europäischen Zentralbank aktiviert werden kann, wenn die Voraussetzungen und die Notwendigkeit hierfür vorliegen.

Der Rat der Europäischen Zentralbank kann OMTs nur aktivieren, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ vorliegen:

  • Der Rat der Europäischen Zentralbank müsste eine Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus feststellen, die aus ungerechtfertigten Renditeaufschlägen, insbesondere aufgrund von unbegründeten Ängsten bezüglich der Umkehrbarkeit des Euro, an den Staatsanleihemärkten resultiert.
  • Der Mitgliedstaat, dessen Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gekauft würden, müsste an einem geeigneten Programm des ESM teilnehmen. Geeignet in diesem Sinne sind lediglich makroökonomische Anpassungsprogramme oder Kreditlinien mit erweiterten Bedingungen, die Primärmarktkäufe am Staatsanleihenmarkt durch Einrichtung einer entsprechenden ESM-Fazilität ermöglichen.
  • Der Mitgliedstaat, dessen Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gekauft würden, müsste die strenge Konditionalität erfüllen und das Programm zufriedenstellend umsetzen, was durch den Rat der Europäischen Zentralbank bewertet wird.
  • Dem Mitgliedstaat, dessen Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gekauft würden, müsste es gelungen sein oder gelingen, Zugang zu den Staatsanleihemärkten zu erlangen oder aufrechtzuerhalten, was ebenfalls durch den Rat der Europäischen Zentralbank bewertet wird.

Was die erste Voraussetzung betrifft, sind, nicht zuletzt dank der von der Europäischen Zentralbank durchgeführten geldpolitischen Maßnahmen, insbesondere der Entwicklung von OMTs, Störungen des geldpolitischen Transmissionsmechanismus deutlich zurückgegangen. Der Euroraum befindet sich in einem langsamen, aber stetigen Aufschwung. Einige der Mitgliedstaaten, die in den Jahren 2011 und 2012 Gegenstand von Marktübertreibungen waren, senden positive Wachstumssignale. Unabhängig davon dass Staatsanleiherenditen in unterschiedlichem Maße auf neue wirtschaftliche Entwicklungen reagieren, haben sich die Rendite-Unterschiede im Vergleich zu der Situation im Jahre 2012 deutlich verringert. Ziel der OMTs ist es nicht, eine Harmonisierung der Zinssätze unabhängig von den Unterschieden zu bewirken, die sich aus der makroökonomischen Lage oder der Haushaltslage der Mitgliedstaaten ergeben.

Was die zweite Voraussetzung betrifft, nehmen zwar zwei Mitgliedstaaten des Euroraums derzeit an makroökonomischen Anpassungsprogrammen des ESM teil. Keines dieser Programme ermöglicht jedoch Primärmarktkäufe durch den ESM am Staatsanleihenmarkt.

Zusammenfassend kann ich deshalb festhalten, dass OMTs zwar grundsätzlich als geldpolitisches Instrument zur Verfügung stehen. Die Voraussetzungen für dessen krisen- und lagebezogene Aktivierung sind jedoch derzeit nicht gegeben.

Mögliches Volumen und potentielle Risiken für den Bundeshaushalt

Im Hinblick auf das mögliche Volumen von OMTs gilt unverändert, dass ihr Umfang ex ante nicht quantitativ beschränkt ist, um zu vermeiden, dass sich Marktteilnehmer auf diese Situation einstellen und sie für ihre Zwecke und zu Lasten der Effektivität des eingesetzten geldpolitischen Instruments nutzen. Ungeachtet dessen ist das mögliche Volumen jedoch faktisch quantitativ auf ein- bis dreijährige Staatsanleihen, die sich für OMTs eignen, begrenzt. Staatsanleihen mit einer Laufzeit von ein bis drei Jahren bilden nur den kleineren Teil des Gesamtvolumens an Staatsanleihen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bestätigt, dass sich hieraus ergibt, dass die Verpflichtungen, die die Europäische Zentralbank eingeht, tatsächlich eingegrenzt und beschränkt sind. Um sicher zu gehen, dass es nicht zu einer signifikanten Verkürzung der Laufzeiten kommt, ist zudem vorgesehen, dass der Rat der Europäischen Zentralbank die Laufzeitstruktur und die Terminierung der Neu-Emissionen von Staatsanleihen in den entsprechenden Mitgliedstaaten genau beobachtet. Das Volumen von OMTs ist damit in vielfacher Hinsicht begrenzt.

Bei der Bewertung der potentiellen Risiken von OMTs ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz geldpolitischer Instrumente zur Wahrung der Preisstabilität grundsätzlich finanzielle Risiken für das Eurosystem beinhaltet. Dies gilt nicht nur für OMTs, sondern auch für Hauptrefinanzierungsgeschäfte, um ein geldpolitisches Standardinstrument als Beispiel zu nennen. Über Hauptrefinanzierungsgeschäfte stellt das Eurosystem Banken Zentralbankgeld zur Verfügung. Diese Kredite an die Banken können grundsätzlich, wenn auch mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, ausfallen. Deshalb begrenzt der Rat der Europäischen Zentralbank diese Risiken, indem er in den Hauptrefinanzierungsgeschäften die Hinterlegung von Sicherheiten verlangt. Auch für OMTs trifft der Rat der Europäischen Zentralbank Vorkehrungen, die das finanzielle Risiko des Eurosystems begrenzen. Dies geschieht insbesondere über die Bedingung strenger Konditionalität und die Überwachung zufriedenstellender Programmerfüllung. Diese strenge Konditionalität, deren Einhaltung von der Europäischen Zentralbank unabhängig auch aus geldpolitischer Sicht zu bewerten ist, stellt verbindlich sicher, dass die betroffenen Mitgliedstaaten hinreichende Haushaltsdisziplin wahren und strukturelle Reformen durchführen, um einen dauerhaft tragfähigen Haushalt zu gewährleisten. Für die Durchführung von OMTs ebenso wie für reguläre geldpolitischen Operationen der Europäischen Zentralbank gelten Bonitäts- und Risikomanagementregeln. Ein überhöhtes Ausfallrisiko wird hierdurch vermieden.

Daneben ist darauf hinzuweisen, dass die Europäische Zentralbank keine Käufe unter OMTs während einer Überprüfung eines Hilfsprogramms des ESM durchführen wird. Damit wird auch sichergestellt, dass die Marktbedingungen nicht direkt durch Käufe der Europäischen Zentralbank beeinflusst werden, während das Programm durch die Troika beurteilt wird.

Der Vergleich zwischen OMTs und Hauptrefinanzierungsgeschäften zeigt, dass die Unterschiede zwischen den finanziellen Risiken verschiedener geldpolitischer Instrumente gradueller und nicht prinzipieller Natur sind. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil ausdrücklich festgestellt, dass die für OMTs getroffenen Vorkehrungen geeignet sind, das eingegangene Verlustrisiko zu verringern. Er hat ebenfalls daran erinnert, dass eine Zentralbank wie die Europäische Zentralbank verpflichtet ist, Entscheidungen zu treffen, die, wie Offenmarktgeschäfte, unvermeidlich ein Verlustrisiko mit sich bringen.

Im Hinblick auf die in der Verhandlungsgliederung im Zusammenhang mit den potentiellen Risiken von OMTs für den Bundeshaushalt aufgeführte Notwendigkeit einer Rekapitalisierung der Bundesbank bekräftige ich den bereits in der letzten mündlichen Verhandlung geäußerten Standpunkt der Europäischen Zentralbank.

Soweit mir bekannt ist, gibt es nach deutschem Recht keine Pflicht des Bundes, die Bundesbank zu rekapitalisieren, auch wenn ihre Verluste ein Ausmaß erreichten, das ihre Eigenkapitalbasis gefährdete.

Auch aus dem Unionsrecht lässt sich eine solche „Ausfallhaftung“ der einzelnen Mitgliedstaaten bei stark vermindertem Eigenkapital der Zentralbank nicht als Regelfall ableiten. Aus dem in Artikel 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Grundsatz der finanziellen Unabhängigkeit folgt zwar, dass eine Zentralbank auf Dauer angemessen mit Eigenkapital ausgestattet sein muss, um ihre geldpolitischen Aufgaben im Eurosystem zu erfüllen. Dies bedeutet aber nicht, dass jeder eventuelle Verlust sofort und vollumfänglich durch die privaten oder öffentlichen Kapitaleigner bzw. die Mitgliedstaaten auszugleichen wäre. Eine Zentralbank kann kurz- und mittelfristig auch mit vermindertem oder negativem Eigenkapital ihren geldpolitischen Aufgaben im Eurosystem nachkommen. Insofern steht ein vermindertes oder negatives Eigenkapital einer geordneten und stabilitätsorientierten Geldpolitik nicht von vornherein entgegen.

Nur wenn dieser Zustand zu lange anhält – der letzte Konvergenzbericht der Europäischen Zentralbank spricht insoweit von einem „längeren Zeitraum“ – ergäben sich Zweifel, ob die Zentralbank ihre geldpolitischen Aufgaben im Eurosystem noch angemessen erfüllen könnte. In diesem extrem gelagerten Fall – und nur in diesem Fall – wäre sie nicht unmittelbar, sondern – so wiederum der letzte Konvergenzbericht der Europäischen Zentralbank – „innerhalb eines vertretbaren Zeitraums“ zu rekapitalisieren.

Schluss

Herr Vorsitzender,

Hoher Senat,

Für weitere Fragen zu diesen und anderen Punkten stehe ich/stehen meine Kollegen und ich sehr gerne bereit.

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