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Countdown to November: European supervision ready for lift-off

Rede von Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB,
Handelsblatt Konferenz „Banken im Umbruch“,
Frankfurt am Main, 3. September 2014

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Summary

Die europäische Bankenaufsicht wird sich auf die langjährigen Erfahrungen von 18 – bald 19 – Ländern stützen und diese in eine gemeinsame neue europäische Aufsichtskultur einfließen lassen, sagt Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), in einer Rede auf der Konferenz „Banken im Umbruch“ in Frankfurt.

Ein wesentlicher Vorteil der neuen europäischen Aufsicht („Single Supervisory Mechanism“ – SSM) bestehe darin, Quervergleiche über Ländergrenzen hinweg nutzen zu können. „Ich denke hier nicht nur an die Bewertung bestimmter Portfolios, sondern auch an die frühzeitige Identifizierung von Risiken, die erst oder leichter in der horizontalen Analyse sichtbar werden“, erklärt sie. Bereits durch den Bilanzcheck („Asset Quality Review“) dieses Jahres erhalte die EZB tiefere Erkenntnisse über die Prozesse der Banken, sodass geprüft werden könne, „welche Unterschiede zwischen Banken gerechtfertigt sind und wo wir kritisch nachfragen müssen.“

Lautenschläger betont, dass Entscheidungen in der neuen europäischen Bankenaufsicht zentral gefällt werden, der SSM aber auf regionale Kenntnisse und Erfahrungen aufbauen könne. „Mit der Beteiligung der nationalen Aufsichtsbehörden am Aufsichtsprozess bleibt die EZB nah an den regionalen Markt- und Bankenstrukturen“, sagt sie. Auch auf der Ebene der Personalpolitik setze man auf das Zusammenführen verschiedener Aufsichtskulturen. Die Leiter der gemeinsamen Aufsichtsteams würden beispielweise nicht dem Land entstammen, in dem das von ihnen beaufsichtigte Institut seinen Hauptsitz habe. „Um es konkret zu machen: die Chefaufseherin für die Deutsche Bank wird eine Französin sein. BNP Paribas wird von einem Italiener beaufsichtigt werden.“

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Sehr geehrte Damen und Herren,

in genau zwei Monaten werden wir Im Euroraum eine neue Ära einläuten: Am 04. November 2014 wird die Europäische Zentralbank mit dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus die wesentlichen Kompetenzen in der Bankenaufsicht übernehmen. Im Unterschied zur Einführung des Euro-Bargelds im Jahr 2002 wird es bei diesem Integrationsschritt allerdings kein Symbol einer großen Änderung geben, das für jeden Bürger fassbar ist. Dennoch: der Start des einheitlichen Aufsichtsmechanismus bedeutet nicht nur Fortschritt in der europäischen Integration, sondern auch Fortschritt in der täglichen Aufsichtsarbeit.

EZB – einer der größten Aufseher der Welt

Die EZB wird die direkte Aufsicht über rund 120 Institute und über mehr als 80% der aggregierten Bankbilanz des Euroraums übernehmen. In absoluten Zahlen entspricht dies per 30. Juni 2014 mehr als 21 Billionen Euro Bilanzsumme. Hinzu kommt die indirekte Aufsicht der EZB über die weniger bedeutenden Institute – etwas mehr als 3.500 an der Zahl. Hier werden wir die Aufsicht durch die Setzung von verbindlichen Aufsichtsstandards prägen.

Die EZB wird damit zu einem der größten Aufseher der Welt. Ich gehe davon, dass unsere geografische Zuständigkeit sich in den nächsten Jahren ausdehnen und die Anzahl der direkt und indirekt von der EZB beaufsichtigten Banken weiter wachsen wird. Einerseits treten neue Mitglieder dem Euroraum bei. Anderseits bietet die sogenannte „close cooperation“ auch denjenigen EU-Mitgliedstaaten, deren Währung noch nicht der Euro ist, die Möglichkeit, an der Bankenunion teilzunehmen. Als diese Option in die SSM-Verordnung eingefügt wurde, meinten Skeptiker, es sei nicht zu erwarten, dass ein Mitgliedstaat seine alleinige Aufsichtskompetenz gegen eine Mitgliedschaft im Aufsichtsmechanismus tauschen werde. Die Entwicklung der letzten Monate hat gezeigt, dass die EZB aber einiges mehr zu bieten hat als nur einen Sitz im Aufsichtsgremium. Die EZB genießt Vertrauen und Glaubwürdigkeit: ein wertvolles Gut – in der Geldpolitik wie in der Bankenaufsicht.

Glaubwürdigkeit muss allerdings täglich neu verdient werden. Der geldpolitische Teil der EZB kann hier bereits auf eine solide Erfolgsbilanz zurückblicken. Im bankenaufsichtlichen Teil stehen wir erst am Anfang. Das heißt allerdings nicht, dass wir erst am 4. November beginnen werden, unseren Weg zu suchen. Seit etlichen Monaten arbeiten meine Kollegen und ich unter anderem daran, festzulegen, welche Schwerpunkte wir in unserem Aufsichtsansatz setzen wollen – konzeptionell wie thematisch. Die entscheidenden Fragen sind dabei: Wie nutzen wir die Vorteile, die sich aus der Aufstellung der EZB als Bankenaufsicht von 19 nationalen Bankensystemen ergeben? Und wie stellen wir sicher, dass institutsspezifische Kenntnisse der nationalen Aufseher optimal erhalten und eingebracht werden? Lassen Sie mich an einigen Beispielen verdeutlichen, zu welchen Schlüssen wir gekommen sind. Ich werde mich dabei auf die Besonderheiten des SSM konzentrieren. Wundern Sie sich also bitte nicht, dass ich Selbstverständlichkeiten wie etwa einen präventiven, zukunftsgerichteten und risikoorientierten Aufsichtsansatz nicht nennen werde.

18 Perspektiven – eine Best Practice

Fangen wir mit 18 Perspektiven und einer Best Practice an: Bei der Entwicklung der Aufsichtskultur des SSM sind wir in einer einzigartigen Ausgangslage. Zahlreiche Länder haben im Nachgang zur Finanzmarktkrise ihre Aufsichtsstruktur angepasst. Die Reformen orientieren sich dabei in der Regel an den länderspezifischen Erfahrungen in der Krise und an internationalen Empfehlungen. Beim Aufbau des SSM ist das zwar ähnlich – es gibt aber einen großen Unterschied: Wir stützen uns nicht nur auf die Erfahrungen eines Landes, sondern wir lassen die Perspektive von 18 – bald 19 – Mitgliedsstaaten in eine gemeinsame neue europäische Aufsichtskultur einfließen. Persönlich empfinde ich diesen Teil als einen der spannendsten Aspekte am Aufbau des Aufsichtsmechanismus. Stellvertretend hierfür steht in meiner Arbeitswoche die Besprechung der Führungskräfte des SSM. Jeden Freitag kommen Danièle Nouy, die vier Bereichsleiter des SSM und ich zu einer Besprechung zusammen. Rund um den Tisch sind damit die französische, die deutsche, die finnische, die spanische und sogar die US-amerikanische Aufsichtstradition vertreten. Ein weiterer Kollege bringt seine Erfahrung aus langjähriger Tätigkeit bei einer systemrelevanten Bank mit ein. Das ist natürlich nur eins von vielen Beispielen, in denen wir aus den verschiedenen Herangehensweisen die „Best Practice“ herausarbeiten und zur Grundlage unseres aufsichtlichen Handels machen. Dieser Prozess wird am 4. November noch nicht abgeschlossen sein, sondern über die kommenden Jahre weiter verfeinert werden.

Horizontale Analysen und „level-playing field”

Ein weiterer wesentlicher Vorteil einer europäischen Aufsicht wird darin bestehen, den europäischen Quervergleich nutzen zu können und ein „level-playing field“ herzustellen. Es gibt zahlreiche Länder in Europa, in denen die Bankenlandschaft von wenigen großen Banken dominiert wird. Die nationale Aufsicht war damit vor das Problem gestellt, Sachverhalte nur an einer einzigen Bank oder an einer sehr kleinen Gruppe von Banken zu beurteilen. Ich denke hier nicht nur an die Bewertung bestimmter Portfolios, sondern auch an die frühzeitige Identifizierung von Risiken, die erst oder leichter in der horizontalen Analyse sichtbar werden. Internationale Arbeitsgruppen und die Europäische Bankaufsichtsbehörde wirkten diesem Problem zwar entgegen, für den Quantensprung wird hier allerdings erst der SSM sorgen. Der SSM ist in der Lage, auf detaillierte aufsichtliche Informationen im gesamten Euroraum zuzugreifen und vergleichende Analysen zu erstellen. Ich spreche an dieser Stelle bewusst in der Gegenwart. Denn mit dem zurzeit laufendenden Comprehensive Assessment bewegen wir uns bereits auf einer europäischen Ebene. Mit großem Aufwand in den beteiligten Behörden und Banken haben wir die Bewertung der Bankportfolios einem einheitlichen Bewertungsschema unterworfen. Durch den Asset Quality Review erhalten wir auch tiefere Erkenntnisse über die Prozesse der Banken – und zwar in einer Art und Weise, die es uns ermöglichen wird zu prüfen, welche Unterschiede zwischen Banken gerechtfertigt sind und wo wir kritisch nachfragen müssen. Das Wissen, das wir aus diesen Peer-Gruppenvergleichen erhalten, werden wir ab dem 4. November auch für andere Aufsichtsaktivitäten nutzen. Bisher wurden diese Verfahren auf nationaler Ebene durchgeführt. Durch uns werden sie im gesamten Euroraum harmonisiert. Dadurch gewinnen wir eine bessere Vergleichbarkeit der jeweiligen Risikosituationen der Banken und können so unsere aufsichtlichen Tätigkeiten zielorientierter ausrichten.

Föderale Struktur – zentrale Entscheidung

Kritische Stimmen haben uns in der Vergangenheit gewarnt, die Vielfältigkeit der europäischen Bankenlandschaft aus den Augen zu verlieren und eine „europäische Einheitsbank“ kreieren zu wollen. Ich gebe zu, in einer Harmonisierung und Zentralisierung von Entscheidungsmacht liegt auch immer die Gefahr einer Gleichmacherei. Institutionelle Barrieren schützen die EZB allerdings vor einer solchen Entwicklung. Mit der Beteiligung der nationalen Aufsichtsbehörden am Aufsichtsprozess bleibt die EZB nah an den regionalen Markt- und Bankenstrukturen. Zudem werden die Mitarbeiter der EZB sich mit jeder direkt beaufsichtigten Bank, ihrem Geschäftsmodell und ihrem Risikoprofil intensiv auseinandersetzen. Die seit dem frühen Sommer stattfindenden „kick-off meetings“, bei denen die bisherigen Aufseher, die EZB und die Banken zusammenkommen, sind hierfür erst der Auftakt.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang festhalten, dass in der Aufsicht nicht nur eine zu große Ferne, sondern auch eine zu große Nähe Gefahren in sich birgt. Andere Sichtweisen und neue Aufsichtsansätze und Methoden können den Blick schärfen und die Gefahr, aus einer langjährigen Vertrautheit Gepflogenheiten einer Bank ungerechtfertigt zu akzeptieren, mindern. Dieser Gefahr treten wir auch mit den vorhin genannten Quervergleichen und Analysen entgegen.

Dabei belassen wir es aber nicht; wir werden auch auf Ebene der Personalpolitik diesem Problem entgegenwirken. Die Leiter der gemeinsamen Aufsichtsteams werden nicht dem Land entstammen, in dem das von ihnen beaufsichtigte Institut seinen Hauptsitz hat. Um es konkret zu machen: die Chefaufseherin für die Deutsche Bank wird eine Französin sein. BNP Paribas wird von einem Italiener beaufsichtigt werden. Zudem werden die Mitarbeiter eines Aufsichtsteams einem Rotationsprinzip unterworfen sein. Insgesamt werden wir damit nicht nur zu einem objektiveren Urteil über die Bank gelangen; wir werden auch das Entstehen einer gemeinsamen Aufsichtskultur fördern.

Bankenaufsicht in einer Notenbank

Lassen Sie mich noch kurz ein paar Worte zur Bankenaufsicht in einer Notenbank sagen. Die Ansiedelung des SSM unter dem Dach der EZB wird uns in die Lage versetzen, Synergieeffekte zu heben. Der Austausch mit den Kollegen aus dem Marktbereich, dem Zahlungsverkehr und der ökonomischen Analyse wird den Aufsehern helfen, einen anderen Blickwinkel für das aktuelle Marktgeschehen, die Bedeutung eines bestimmten Instituts für den Zahlungsverkehr und das wirtschaftliche Umfeld zu entwickeln. In einem Bereich wird die Zusammenarbeit besonders intensiv sein: bei der makroprudenziellen Aufsicht. Hier werden wir dafür sorgen, dass makroprudenzielle und mikroprudenzielle Erkenntnisse zusammengeführt und Fehlentwicklungen zielgenau adressiert werden.

Fazit

Meine Damen und Herren, der europäischen Aufsichtslandschaft steht ein großer Umbruch bevor. Mit dem SSM wird auf europäischer Ebene ein starker neuer Aufseher entstehen. Er wird in der Position und in der Verantwortung sein, nicht alles anders, aber einiges besser zu machen. Mit dem Endspurt des Comprehensive Assessment, der Veröffentlichung der Ergebnisse in der zweiten Oktoberhälfte und der Übernahme der Aufsichtstätigkeit am 4. November stehen uns anstrengende Monate bevor. Dabei sollten wir nicht vergessen, gelegentlich innezuhalten und über das unmittelbar vor uns Liegende hinauszublicken. Der SSM mag als Folge und zur Lösung bestimmter Probleme Europas ins Leben gerufen worden sein. Er wird perspektivisch aber weit mehr leisten können und – so meine Hoffnung – über Europa hinaus wirken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich freue mich auf Ihre Fragen.

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