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Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
auf der „Welt“-Währungskonferenz,
Berlin, 14. Mai 2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ein funktionierendes Zusammenspiel sowohl zwischen den europäischen Institutionen als auch zwischen nationaler und europäischer Ebene setzt gegenseitiges Vertrauen voraus. Vertrauen darein, dass jede Institution rechtmäßig und innerhalb ihres jeweiligen Verantwortungsbereichs handelt. Gewaltenteilung und gegenseitige Kontrolle sind fundamentale Errungenschaften moderner Demokratien. Sie bedeuten aber nicht, dass eine Autorität gegenüber den anderen mit Argwohn und Unterstellungen agiert.

Auch wenn der Titel unserer heutigen Diskussionsrunde („die EZB zwischen Staatenrettung und Geldpolitik“) anderes suggerieren mag, die EZB kann, darf und wird keine Staaten „retten“. Unser Handeln orientiert sich an unserem geldpolitischen Mandat, so wie es in Artikel 127 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegt ist: Die EZB hat für Preisstabilität im Euroraum zu sorgen.

Wie nahezu allen Notenbanken in der industrialisierten Welt, genießt die EZB einen hohen Grad an Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit ist dabei kein Freibrief für uns Notenbanker. Sie dient als Schutz, damit wir unseren Auftrag frei von politischen Einflüssen erfüllen können.

Zugleich hat dieses Privileg der politische Unabhängigkeit einen Preis: den unbedingten Respekt vor den Grenzen unseres Mandats.

Der zielführendste Weg, als unabhängige Institution Rechenschaft gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern abzulegen, ist, uns daran zu messen, ob und inwieweit wir unserem Auftrag gerecht werden, für ein stabiles Preisniveau zu sorgen. Und unsere bisherigen Ergebnisse sind über jeden Zweifel erhaben.

Um unserem Mandat gerecht zu werden, stehen uns dabei eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung. Der Ankauf von Staatsanleihen am Primärmarkt zählt ausdrücklich nicht dazu, denn monetäre Staatsfinanzierung ist laut EU-Vertrag untersagt.

Unser Mandat umfasst gleichwohl die Möglichkeit, unter entsprechenden Auflagen am Sekundärmarkt Staatsanleihen zu kaufen (sogenannte „Outright Monetary Transactions“, kurz OMTs), sollte dies aus geldpolitischer Sicht geboten sein. Diese Option ist explizit in Artikel 18.1 der EZSB/EZB-Satzung niedergeschrieben.

Um diese klare, geldpolitische Ausrichtung von OMTs zu verdeutlichen, möchte ich kurz die Lage an den europäischen Kapitalmärkten im Sommer 2012 in Erinnerung rufen:

Ängste, die Währungsunion könne auseinanderbrechen, hatten zu starken Spannungen an den Kapitalmärkten geführt.

Besonders stark betroffen war der Markt für Staatsanleihen. Sowohl langfristige als auch kurzfristige Anleihen einiger Mitgliedsstaaten verzeichneten ungewöhnlich hohe Risikoaufschläge. Im Juli 2012 lag das Renditenniveau spanischer Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren teilweise bei 6,6%; für italienische bei 5,1%.

Zum Teil reflektierten diese Renditeaufschläge die wirtschaftlichen Fundamentaldaten der jeweiligen Mitgliedstaaten. Der rapide Anstieg der Renditeaufschläge im ersten Halbjahr 2012 war aber auch Ausdruck der unbegründeten Angst, der Euroraum könne auseinanderbrechen. Modellrechnungen – mit all ihren Ungewissheiten und Schwächen innerhalb und außerhalb der EZB - zeigen, dass Renditeaufschläge für 2-jährige spanische und italienische Staatsanleihen, die nicht anhand von Fundamentaldaten erklärt werden können, im Juli 2012 bei bis zu 2 Prozentpunkten erreichten.

Die Preisentwicklung von Staatsanleihen beeinflusst die Preisbildung anderer Wertpapiere, etwa von Bank- oder Unternehmensanleihen – zentrale Variablen in der geldpolitischen Funktion. Verwerfungen am Staatsanleihemarkt wirken sich deshalb auch darauf aus, wie effektiv unsere Geldpolitik ist.

Im Sommer 2012 erreichten unsere geldpolitischen Signale einige Euroländer nur noch eingeschränkt. Mitunter kamen sie gar nicht mehr in der Realwirtschaft an. Unser Leitzins hatte seine leitende Funktion verloren. Um es im Zentralbankdeutsch zu sagen: die geldpolitische Transmission war erheblich gestört.

Unter diesen Bedingungen haben wir am 6. September 2012 die Möglichkeit von OMTs angekündigt. Wir wollten sicherzustellen, dass wir auch in Krisenzeiten unserem geldpolitischen Mandat für den gesamten Euroraum gerecht werden können.

Wir haben damals drei Bedingungen für OMTs deutlich gemacht: Erstens werden wir OMTs nur in Erwägung ziehen, um sicherzustellen, dass unsere geldpolitischen Signale auch in der Realwirtschaft ankommen. Und das im gesamten Euroraum. So wie es unser Mandat verlangt. Zweitens kommen OMTs nur dann in Frage, wenn sie nicht durch kurzfristige nationale Eigeninteressen unterlaufen werden, das heißt, wenn der betroffene Mitgliedstaat sich streng an die Auflagen eines Anpassungsprogramms der Europäischen Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hält und entsprechende makroökonomische, strukturelle sowie haushaltspolitische Reformen durchführt. Drittens muss dieser Mitgliedstaat Zugang zum Anleihemarkt haben oder ein solcher Zugang unmittelbar bevorstehen, um nicht unbotmäßig in den marktwirtschaftlichen Preismechanismus einzugreifen (Art. 2 unseres Statuts).

Nur solange diese drei Voraussetzungen gegeben sind, kann die EZB den Ankauf von Staatsanleihen der in Frage kommenden Mitgliedstaaten auf dem Sekundärmarkt erwägen, wenn dies aus geldpolitischer Sicht notwendig sein sollte. Diese drei Voraussetzungen – gestörte geldpolitische Transmission, Konditionalität und Markzugang – sind also notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingungen für OMTs. Der EZB-Rat wird in jedem Einzelfall unabhängig und ausschließlich mit Blick auf geldpolitische Notwendigkeiten über eventuelle OMTs entscheiden.

Diese geldpolitische Ausrichtung spiegelt sich auch in der Ausgestaltung von OMTs wider. So beschränken sie sich – sollten sie denn getätigt werden – auf Laufzeitbereiche von ein bis maximal drei Jahren, weil auch andere geldpolitischen Instrumente des Eurosystems traditionell auf diesen kurzfristigen Zeitraum ausgerichtet sind.

OMTs unterscheiden sich auch deutlich von Staatsanleihekäufen der EFSF- oder des ESM, die angeschlagene Staaten finanziell unterstützen. EFSF und ESM leisten – unter strikten Auflagen - Finanzhilfen, um Finanzstabilität zu wahren und können die Finanzierungsbedingungen der betroffenen Mitgliedsländer verbessern. Bei OMTs, hingegen, geht es nicht darum, die Finanzierungsbedingungen der Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet anzugleichen. OMTs haben nicht das Ziel, für einheitliche Zinsen im Euroraum zu sorgen. In einem funktionierenden Markt werden Risiken angemessen eingepreist. Daran sollen OMTs nichts ändern. Deshalb werden fundamental begründete Zinsunter-schiede beziehungsweise Risikoausfallprämien nicht angegangen. OMTs sollen lediglich ungerechtfertigte Zinsspitzen abschneiden.

Die EZB darf, kann und will das Handeln demokratisch legitimierter Regierungen nicht ersetzen. Im Gegenteil. OMTs sind so ausgestaltet, dass der Marktmechanismus geschützt bleibt und die Mitgliedstaaten gefragt sind, notwendige Reformen zu unternehmen.

Trotz dieser klaren geldpolitischen Ausrichtung wird jedoch in der Öffentlichkeit über die Rechtmäßigkeit von OMTs diskutiert. Aus Respekt vor der Gerichtsbarkeit äußere ich mich nicht öffentlich zu anhängigen Verfahren. Und nach meinem Rechtsempfinden stünde das auch Richtern gut zu Gesicht.

Deshalb mache ich mir die Formulierung von Verfassungsrichter Peter Huber zu eigen Die EZB wird die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs in „aller Demut und Entspanntheit abwarten“. Und ähnlich wie er, bin ich sehr optimistisch, dass das Zusammenwirken von EZB und europäischem Gerichtshof „zu einem guten Ergebnis“ führen wird. Bis dahin sind wir in unserem Handeln nicht eingeschränkt.

Im Februar hat das Bundesverfassungsgericht dem Europäischen Gerichtshof Rechtsfragen zu OMTs zur Vorabentscheidung vorgelegt. Da Gericht behält sich aber vor, über die Vereinbarkeit von OMTs mit der deutschen Verfassungsidentität zu entscheiden. Mit diesem Vorlagebeschluss handelt das Bundesverfassungsgericht im Sinne der geteilten Verantwortung im europäischen Gerichtsverbund. Es achtet die Aufgabenteilung zwischen europäischer und mitgliedstaatlicher Rechtsprechung und kann seinem eigenen Urteil die Ansichten des Europäischen Gerichtshofs zugrunde legen. Umgekehrt wird der Europäische Gerichtshof die Grenzen seiner Rechtsprechung einhalten und nicht in den Aufgabenbereich des Bundesverfassungsgerichts eingreifen.

Das rechtliche und politische Miteinander der öffentlichen Verwaltungen der Mitgliedstaaten und der Organe der Europäischen Union funktioniert, wenn wir uns gegenseitig achten und darauf vertrauen, dass wir im Sinne unseres jeweiligen Auftrags und im Einklang mit geltendem Recht handeln. Dieses Vertrauen bildet die Grundlage der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten untereinander und zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union und deren Organen. Es basiert auf den uns verbindenden demokratischen Werten, die für neue Mitgliedstaaten in den Kopenhagener Kriterien ausdrücklich festgehalten sind.

Diesen vertrauensvollen Umgang sollten wir uns bewahren – für ein Europa als vielgestaltiges, sich ergänzendes Ganzes, auf der Grundlage der europäischen Verträge.

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