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Fünf Jahre Krise – wo steht Europa heute?

Rede von Jörg Asmussen, Mitglied des Direktoriums der EZB, Martinsgansessen Nordmetall,Hamburg, 27. November 2013

Sehr geehrter Herr Lambusch,

sehr geehrte Abgeordnete,

sehr geehrte Vertreter der Landesregierungen und des Senats,

meine Damen und Herren,

haben Sie vielen Dank für Ihre einleitenden Worte und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl als neuer Präsident von Nordmetall. Als Flensburger weiß ich selbst, wie vielseitig die Metallindustrie hier im Norden ist: sie umfasst nicht nur Schiffbau, sondern auch Windkraft und Elektrotechnik, Flugzeuge und Metallverarbeitung. Ich wünsche Ihnen immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel, um diese Vielseitigkeit mit einer starken Stimme zu vertreten.

Als Norddeutscher freue mich, wieder hier in Hamburg zu sein. Zwischen Elbe und Alster war es immer selbstverständlich, eine Brücke zwischen Deutschland und Europa und dem Rest der Welt zu sein. Das galt in den Hochzeiten der Hanse genauso wie heute, und die Eurozone ist so etwas wie die Hanse der Neuzeit. Deshalb ist Hamburg als weltoffene Stadt ein guter Ort, um etwas zur europapolitischen Debatte in Deutschland beizutragen. Allzu oft wird diese Debatte meinungsstark, aber faktenschwach geführt.

Ich möchte heute Fakten sprechen lassen und mit drei Vorurteilen aufräumen, die mir häufig begegnen und die in Deutschland die Menschen verunsichern:

Erstens wird die Krise oft so kommentiert, als würde nichts voran gehen, aber alles immer schlechter werden. Fakt ist: Es gibt deutliche Fortschritte bei der Bewältigung der Krise, die Krisenstrategie wirkt.

Zweitens wird in den letzten Wochen wieder verstärkt im Rest Europas und auch jenseits des Atlantiks mit Verweis auf den deutschen Leistungsbilanzüberschuss argumentiert, Deutschland müsse nur weniger wettbewerbsfähig werden. Dann ginge es dem ganzen Euroraum besser. Auch das ist falsch. Fakt ist: Europa braucht ein wettbewerbsfähiges Deutschland.

Drittens wird behauptet, Deutschland brauche dieses Europa und den Euro eigentlich gar nicht, es werden vermeintlich bessere Alternativen für Deutschland aufgezeigt. Fakt ist: Deutschland braucht ein stabiles Europa und einen stabilen Euro.

Die Krisenstrategie wirkt

Fünf Jahre sind seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers vergangen. Dreieinhalb seit dem Beschluss des ersten Griechenland-Programmes. Wir sind auf einem guten Weg aus der Krise. Das gilt für die einzelnen Mitgliedsstaaten, aber auch für den Euroraum insgesamt. Das beste Zeichen hierfür ist, dass Irland und Spanien zum Ende des Jahres ihre Anpassungsprogramme erfolgreich abschließen werden.

Die Anpassungsstrategie in den einzelnen Ländern ist jeweils auf die spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten. Es geht im Kern dabei aber immer um drei Dinge: die Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen; die Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und Potentialwachstum; die Sanierung des Bankensektors. Es handelt sich nicht um reine „Sparprogramme“, wie oft behauptet wird.

In Irland hat sich die Haushaltslage verbessert und der Bankensektor ist erheblich robuster geworden. Das wichtigste hier ist jedoch: Das Wachstum ist zurückgekehrt. Für dieses Jahr rechnet die EU-Kommission mit 0,3 Prozent, im nächsten Jahr dann mit 1,7 Prozent.

Im Falle Spaniens hat das Anpassungsprogramm, das auf den Bankensektor beschränkt war, maßgeblich zum Restrukturierungsprozess und zum Abbau systemischer Risiken der spanischen Banken beigetragen. Gleichzeitig hat Spanien Fortschritte bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte gemacht, auch wenn hier noch einiges zu tun bleibt. Die Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Wirtschaft hat sich ebenfalls verbessert. Bester Beleg hierfür sind ein Rückgang der spanischen Lohnstückkosten seit 2008 um gut 13 Prozentpunkte im Vergleich zum Euroraum. Die Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit zeigt sich auch in einer verbesserten Leistungsbilanz: Während Spanien im Jahr 2008 ein Leistungsbilanzdefizit von beinahe 10% des BIP aufwies, hat es heute einen Leistungsbilanzüberschuss von 1,5% des BIP, was sich nicht nur an weniger Importen, sondern auch durch stärkere Exporttätigkeit erklärt. Spanien ist schon heute der zweitgrößte Autoproduzent in der Eurozone und exportiert seine Autos erfolgreich auf den Weltmärkten.

Zu Griechenland, wo die Ausgangslage am schwierigsten war: Die Lage hat sich stabilisiert. Erstmals seit Jahren sind die Daten zum Wirtschaftswachstum im Einklang mit den Erwartungen und in diesem Jahr wird erstmals seit langem ein Primärüberschuss erreichbar sein. Das bedeutet, dass die staatlichen Einnahmen die Ausgaben übersteigen werden, wenn man Zinszahlungen außen vor lässt. Das Land hat dabei eine notwendige, aber auch sehr harte Konsolidierungsleistung erbracht, die Respekt verdient. Gemessen am jeweiligen BIP lag das Defizit dort 2009 bei fast 16 Prozent – im nächsten Jahr wird es nur noch zwei Prozent betragen. Unbestritten ist aber auch, dass Griechenland bei seinen Reformbemühungen nicht nachlassen darf.

Auch Portugal zeigt Anzeichen zur Besserung: Die Wirtschaft dort wird im nächsten Jahr erstmals seit drei Jahren wieder wachsen, laut Herbstprognose der Kommission um 0,8 Prozent. Und auch die Arbeitslosigkeit stabilisiert sich. Es wird erwartet, dass ab dem nächsten Jahr die Arbeitslosenzahlen zurückgehen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Land sich weiter an die Programmvorgaben hält.

In Zypern schließlich sehen wir Erfreuliches: Die Ziele für die Fiskalpolitik hat das Land bis jetzt übererfüllt und auch der Bankensektor kommt langsam wieder auf die Füße. Das Programm läuft erst seit 8 Monaten und das Land hat noch einen weiten Weg vor sich. Ein guter Anfang ist gemacht.

Parallel zu den Anstrengungen der Programmländer wurde das europäische Regelwerk, der Stabilitäts- und Wachstumspakt, gestärkt. Auch andere Mitgliedsstaaten haben erhebliche Konsolidierungsanstrengungen hinter sich gebracht. So kommt es, dass der Euroraum im internationalen Vergleich auf seinem Weg zu gesunden öffentlichen Finanzen gut dasteht: Im Euroraum liegt erreicht der Schuldenstand nach Angaben der Kommission im nächsten Jahr seinen Scheitelpunkt bei 96% des BIP und wir dann fallen, während der US amerikanische Schuldenstand bei rund 105% mit steigender Tendenz liegt und in Japan bei 243% des BIP.

Diese Konsolidierungserfolge dürfen wir nun nicht in Frage stellen. Der Konsolidierungskurs muss konsequent weitergegangen werden. Trotz der Konsolidierungsfortschritte haben wir die Aufgabe noch vor uns, die teilweise sehr hohe Schuldenquoten senken. Das ist nicht zuletzt eine Frage der Generationengerechtigkeit in schnell alternden Gesellschaften. So zahlt Italien beispielsweise jährlich rund 80 Mrd. EUR an Zinsen für seine öffentliche Verschuldung. Das ist Geld, das für Bildung- und Infrastrukturausgaben fehlt.

Was wir ebenfalls nicht aus dem Blick verlieren dürfen, ist die private Verschuldung, die zumindest in einigen Ländern des Euroraumes ebenfalls Sorgen bereitet. Im Durchschnitt sind die privaten Haushalte und Unternehmen in der Eurozone mit rund 170% gemessen am BIP verschuldet. Spitzenreiter sind hier Luxemburg mit über 370%, gefolgt von Irland mit 330%, Portugal mit knapp 260%, Belgien mit knapp 250% und den Niederlanden mit rund 220% privater Verschuldung gemessen an der Jahreswirtschaftsleistung. Denn wir haben es nicht nur mit einer Staatsschuldenkrise zu tun, wie in Deutschland oft behauptet wird. Wir müssen auch bei der privaten Verschuldung auf ein nachhaltig tragfähiges Niveau zurückfinden. Auch die übermäßige private Verschuldung bremst Wachstum.

Es ist zu früh, den Sieg zu erklären: Mit 12% ist die Arbeitslosigkeit im Euroraum zu hoch und jeder 4. Jugendliche in Europa ist ohne Arbeit. Die Krise ist erst beendet, wenn die Arbeitslosenzahlen in der Eurozone wieder sinken. Es gibt aber Fortschritte bei den notwendigen Arbeitsmarktreformen: So stellt beispielsweise die OECD fest, dass die Arbeitsmärkte in Portugal, Spanien und Griechenland mittlerweile flexibler sind als die in Frankreich, den Niederlanden, oder Deutschland.

Der Ausblick für die Eurozone ist hoffnungsvoll: Die EU Kommission hat vor kurzem ihre Herbstprognose vorgelegt. Nach negativem Wachstum im Euroraum von 0,4% in diesem Jahr sagt sie für 2014 ein positives Wachstum von 1,1% und 1,7% für 2015 voraus. Das heißt, der wirtschaftliche Aufschwung ist zwar schwach, er ist ungleichmäßig und fragil. Aber die Richtung stimmt.

Europa braucht ein wettbewerbsfähiges Deutschland

Doch nicht nur in Deutschland werden diese Erfolge oft zu wenig beachtet. Auch im Ausland, gerade jenseits des Atlantiks, bekommt man teilweise den Eindruck, Europa käme nicht voran. Allerdings ist dort oft ein anderer Schuldiger schnell ausgemacht: Gerade die deutsche Exportstärke sei eine der Ursachen für den zu langsamen Abbau der Ungleichgewichte in der Eurozone. Entsprechend, so wird argumentiert, sei es nun an Deutschland „seinen Teil beizutragen“.

Dieses Argument beruht auf einem grundlegenden Missverständnis: Eine Währungsunion ist kein Einzelrennen jeder gegen jeden. Währungsunion ist Mannschaftssport – und wenn ein Teamkollege gut in Form ist, profitieren alle davon.

In einem integrierten Europa ist die Stärke des einen nicht die Schwäche des anderen. Wir stehen gemeinsam in einem globalen Wettbewerb, mit Wertschöpfungsketten, die sich durch die ganze Union ziehen. In Hamburg, an einem der größten Standorte von Airbus, versteht man das.

Die Europäische Kommission hat entschieden, den deutschen Leistungsbilanzüberschuss unter die Lupe zu nehmen. Wie setzt sich der deutsche Leistungsbilanzüberschuss zusammen? Von den sieben Prozent Überschuss im Jahr 2012 entfielen gerade einmal rund 2 Prozent auf die anderen Länder im Euroraum. Im Jahr 2007 lag der Überschuss gegenüber dem restlichen Euroraum noch bei rund 4,5 Prozent – er hat sich also halbiert. Für die am stärksten von der Krise betroffenen Länder [1] ist der Rückgang noch deutlicher: von zwei auf nun nur noch rund ein halbes Prozent.

Deutschland hat heute also eine deutlich ausgeglichenere Bilanz gegenüber seinen Europartnern, aber vergrößert seinen Überschuss gegenüber dem Rest der Welt. Das ist nicht nur ein Ausweis der deutschen Wettbewerbsfähigkeit – davon profitieren unsere europäischen Nachbarn. Denn aus zahlreichen Mitgliedsstaaten kommen Vorprodukte nach Deutschland, die dann hier zusammengebaut und in den Rest der Welt exportiert werden. Deutschland ist erfolgreicher Verkäufer von Produkten „made in Europe“, viele Mittelständler sind europäische oder globale Champions. Das aufs Spiel zu setzen, wäre eine gefährliche Strategie, nicht nur für unser Land, sondern für den gesamten Kontinent. Was Deutschland schadet, ist auch nicht gut für Europa.

Um dies zu veranschaulichen: Der IWF hat jüngst festgestellt, dass Deutschland seine führende Rolle in der Automobilherstellung gerade auch durch innereuropäische Wertschöpfungsketten behaupten kann. Während die Anzahl der in Deutschland montierten Autos zwischen 1992 und 2011 recht konstant bei rund 5,5 Millionen Stück pro Jahr lag, hat sich die Anzahl der Wagen, die für deutsche Hersteller vor allem von unseren osteuropäischen Nachbarn gefertigt wurden, in diesem Zeitraum verdreifacht, und zwar auf rund 7,7 Millionen Stück pro Jahr.

Man macht es sich viel zu einfach, wenn man behauptet, dass ein weniger wettbewerbsfähiges Deutschland automatisch anderen Ländern helfen würde. Im Gegenteil: „Man kann den Schwachen nicht dadurch stärker machen, dass man den Starken schwächt“ – so hat Abraham Lincoln das gesehen.

Neue Berechnungen der Kommission zeigen, dass das Wachstumspotential im Euroraum in der Krise deutlich zurückgegangen ist von durchschnittlich 2 1/4 Prozent 2000-2007 auf knapp 1 Prozent 2008-2012. Um das wieder zu stärken, brauchen wir mehr Produktivität im gesamten Euroraum. Auch deshalb wäre ein weniger wettbewerbsfähiges Deutschland schlecht für Europa.

Wenn die Kritik an der deutschen Exportstärke unberechtigt ist, so ist ein anderer Teil der Kritik an den hohen Leistungsbilanzüberschüssen berechtigt: die Binnennachfrage ist zu schwach in Deutschland. Um die Binnennachfrage zu steigern, muss das Wachstumspotential Deutschlands erhöht werden.

Beispielhaft geht es mir hier um zwei Themen: Erstens, in das Wachstum von morgen investieren. Zweitens, Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland noch weiter öffnen und so dem demographischen Wandel begegnen.

Werfen wir zunächst nochmal einen Blick auf den deutschen Überschuss. Dort verbirgt sich noch eine Botschaft: Ein Leistungsbilanzüberschuss heißt, dass ein Land mehr spart, als es investiert. Das ist für sich genommen nichts Schlechtes, wenn das Kapital woanders produktiver arbeiten kann und ein Land so für die Zukunft vorsorgt. Wenn das aber dazu führt, dass wie in der Vergangenheit im Falle Deutschlands die eigene Infrastruktur vernachlässigt wird, dann ist das nicht gut für Deutschland – und es schadet auch Europa.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einer Studie darauf hingewiesen, dass sich in Deutschland seit 1999 jährlich im Vergleich zum Rest des Euroraums eine Investitionslücke in Höhe von drei Prozent des deutschen BIPs aufgetan hat. Das entspricht etwa 75 Milliarden Euro pro Jahr, die zusätzlich hätten investiert werden müssen.

Diese Investitionslücke gilt es jetzt zu schließen. Das DIW nennt drei Bereiche: Verkehrsinfrastruktur, Bildung und die Energiewende. Damit stiege das Wachstumspotential Deutschlands und damit auch das des Euroraums. So werden Produkte „made in Europe“ noch hochwertiger und wettbewerbsfähiger auf den Weltmärkten. Davon profitieren deutsche Firmen genauso wie ihre Lieferanten in der Wertschöpfungskette im Euroraum.

Neben Investitionen gibt es allerdings noch einen zweiten Bereich, den ich kurz ansprechen möchte und der schon andeutet, dass Deutschland manche Herausforderungen eben nicht alleine stemmen kann. Die Rede ist hier vom demographischen Wandel. Deutschland als Gesellschaft altert. Das ist individuell erfreulich, wie ich an meinen Eltern sehe, aber insgesamt stellt es uns vor große Herausforderungen. Nach Berechnungen von OECD und statistischem Bundesamt schrumpft die deutsche Erwerbsbevölkerung bis 2020 um gut 4 Millionen und bis 2050 um zwölf Millionen Menschen. Die Konsequenzen bekommt das Land schon heute zu spüren. Laut OECD hat schon jedes vierte Unternehmen in Deutschland Probleme, qualifizierte Berufseinsteiger zu finden. Das ist sicher auch branchenspezifisch und regional verschieden. Doch insgesamt ist dieser Mangel an Fachkräften ein Hemmnis für nachhaltiges Wachstum.

Das führt zu der Schlussfolgerung: Deutschland muss offensiv um qualifizierte Zuwanderung werben. Das gilt auch und gerade im Hinblick auf den restlichen Euroraum. Dabei geht es nicht darum, anderen Ländern ihre gutausgebildeten jungen Menschen dauerhaft abzuwerben. Aber aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, gerade unter jungen Akademikern in Ländern wie Spanien und Griechenland, wäre mehr Mobilität in jedem Fall geboten. Andernfalls tritt ein, was die Wirtschaftswissenschaftler „Hysteresis“ nennen – man verliert langsam die gelernten Fähigkeiten, wenn man zu lange nicht arbeitet.

Was gut für Europa ist, ist auch gut für Deutschland

Lassen Sie mich zum dritten Teil meiner Ausführungen kommen. Bisher habe ich argumentiert, dass das, was für Deutschland gut ist, auch Europa weiterhilft. Doch auch der Umkehrschluss ist richtig: Was gut für Europa ist, ist auch gut für Deutschland – denn Deutschland ist auf ein stabiles Europa und insbesondere auf einen stabilen Euro angewiesen.

Preisstabilität und Finanzstabilität nehmen in einer Währungsunion keine Rücksicht auf Landesgrenzen. Deshalb ist es auch für Deutschland essentiell, dass beides effektiv auf europäischer Ebene gewahrt werden kann. In der Krise haben wir gesehen, wie schnell Verunsicherungen auf den Finanzmärkten von einem Land aufs andere übergreifen können.

Lassen Sie mich auf diese beiden Aspekte näher eingehen: Preisstabilität wird im Euroraum bereits effektiv von der Europäischen Zentralbank gewahrt – davon profitiert auch Deutschland. Stärken müssen wir hingegen die europäische Finanzmarktarchitektur, gerade auch im Interesse Deutschlands.

Preisstabilität ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Deshalb wurde Preisstabilität zu Recht zum vorrangigen Ziel der Europäischen Zentralbank und man erwartet in Deutschland wie im Rest des Euroraums, dass wir dieses Mandat erfüllen. Wenn man sich anschaut, wie uns das bisher gelungen ist, stellt man fest: Die EZB steht der Bundesbank in Sachen Preisstabilität in nichts nach. In Deutschland lag die Inflationsrate in den Siebziger Jahren bei 4,9 Prozent, in den Achtziger Jahren bei 2,9 Prozent und in den Neunziger Jahren bei 2,3 Prozent. Seitdem die EZB die Geldpolitik übernommen hat, lag die durchschnittliche Inflationsrate in Deutschland bei 1,6 Prozent.

Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Die für uns relevante Größe ist die Preisstabilität im gesamten Euroraum. Aber diese Zahlen zeigen: Die Geldpolitik der EZB, die erfolgreich für den Euroraum war, war auch gut für Deutschland.

Wenn man sich außerdem vor Augen führt, wo eine fiktive Deutsche Mark heute im Vergleich zum Dollar oder Yen stehen würde, stellt man fest: Deutschland als Exportnation hat stark von der gemeinsamen Währung im Verhältnis zum Rest der Welt profitiert. Eine D-Mark stünde im Weltwährungssystem von heute ganz anders da, als es sich D-Mark-Nostalgiker, die die Welt der 1980er Jahre vor Augen haben, vorstellen. Es führt kein Weg zurück in die währungspolitische Kleinstaaterei. Deutschland profitiert im Übrigen enorm davon, dass mit dem Euro Wechselkursschwankungen innerhalb der Eurozone weggefallen sind. Der deutsche Exportanteil in den Euroraum liegt bei 40%, in die EU bei 60%.

Nun gibt es in Deutschland in letzter Zeit vermehrt Kritik an unserer Geldpolitik. Dabei sticht ein Einwand heraus, den ich gerne widerlegen möchte: der Vorwurf, unsere Geldpolitik würde die Sparer „kalt enteignen“.

Die Sorge um die Sparguthaben ist nachvollziehbar, allerdings ist Anlass hierfür in erster Linie die schwache Konjunktur. Unsere Geldpolitik ist eine Reaktion auf die schwache Konjunktur und soll nachhaltiges Wachstum bei stabilen Preisen dienen. Würden wir in der gegenwärtigen Situation die Zinssätze anheben, dann würde sich dies wiederum dämpfend auf die Konjunktur auswirken mit einer wiederum negativen Folge für die Spareinlagen.

Warum? Die meisten von uns sind nicht nur Sparer, sondern auch Arbeitnehmer. Bei einer anhaltenden Rezession würden Arbeitsplätze verloren gehen, oder Lohnkürzungen wären hinzunehmen und damit würde auch das verfügbare Einkommen, das gespart werden kann, sinken.

Für die Verzinsung von Sparguthaben ist im Übrigen nicht der Leitzins der EZB entscheidend, sondern die Verzinsung sicherer, langfristiger Anlagen. In Deutschland also der Zinssatz langjähriger Bundesanleihen. Dass die Verzinsung der langfristigen Bundesanleihen aktuell relativ niedrig ist, lässt sich weitgehend dadurch erklären, dass Anleger angesichts der Spannungen an den Staatsanleihenmärkten zu Recht den sicheren Hafen Deutschland gesucht haben. Es ist also auch im Interesse des deutschen Sparers, wenn sich die Renditeabstände von Bundesanleihen und anderen Staatsanleihen wieder verringern. Das wird der Fall sein, wenn es den Staaten, die heute in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, wieder besser geht. Deutschland ist keine Insel.

Der richtige Weg zur Bewältigung der Krise und auch zur Normalisierung der Zinsen auf bundesdeutsche Sparguthaben liegt also nicht in einer anderen Geldpolitik – er liegt zuvorderst in einer verbesserten wirtschaftlichen Lage und in einem stabileren europäischen Bankensektor.

Die Krise hat uns gelehrt: Finanzstabilität kann in einer Währungsunion nicht national erreicht werden. Zu tief sind die finanziellen Verflechtungen. Deshalb brauchen wir eine verlässliche Finanzmarktarchitektur für den Euroraum: die Bankenunion.

Zunächst wird die EZB im November 2014 die Aufsicht über die wichtigsten Banken im Euroraum übernehmen. Gemeinsam mit den beschlossenen einheitlichen Aufsichtsregeln wird das dazu führen, dass alle Banken im Euroraum nach denselben Regeln spielen. Das ist ein entscheidender Schritt hin zu einer Rückkehr des Vertrauens in den europäischen Bankensektor.

Es ist allerdings zentral, hier nicht stehen zu bleiben. Wir brauchen einen gemeinsamen europäischen Abwicklungsmechanismus, eine europäische Abwicklunsgbehörde und einen von den Banken gefüllten europäischen Abwicklungsfonds, um die Wechselwirkung zwischen fragilen Banken und Staatshaushalten endgültig zu überwinden. Dann wird sich das Kapital wieder gleichmäßiger in der Eurozone verteilen – das wird dann auch die Kapitalverzinsung in Deutschland wieder steigen lassen.

Eine vollständige Bankenunion wäre aber nicht nur im Interesse der Sparer – sie wäre auch im Interesse der Steuerzahler. Durch gemeinsame neue Regeln zur Bankenabwicklung, eine bessere Aufsicht in den Händen der EZB und einen gemeinsamen Abwicklungsmechanismus verringert sich das Risiko, in Zukunft noch einmal die Rechnung für eine Bankenkrise zu zahlen.

Ich komme in die Schlusskurve:

Lassen Sie mich noch einmal auf die drei anfangs erwähnten Vorurteile zurückkommen. Ich wollte Ihnen heute einige Fakten zur Frage „wo Europa nach fünf Krisenjahren heute steht?“ näherbringen wollen: Erstens, wir sollten den Erfolg nicht kleinreden, die Anpassungsstrategien funktionieren. Zweitens, Europa profitiert von einem wettbewerbsfähigen Deutschland. Und drittens, ein stabiles Europa und ein stabiler Euro sind im besten Interesse Deutschlands.

Daher sollten wir unser europäisches Haus weiterbauen. Als Bauplan bietet sich die Hansestadt Hamburg an: wirtschaftlich stark, offen für Andersdenkende und Andersgläubige, aber abwehrbereit, um die Freiheitsrechte und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen. Die Hansestadt Hamburg ist ein funktionierendes Gemeinwesen, sein Bürgersinn und seine Unternehmergeist – wie auch der Bürgersinn und der Unternehmergeist in den anderen Hansestädten und im ganzen Norden – sind ein gutes Modell für ein Europäisches Haus. In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen nun einen guten Appetit.

  1. [1]ES, GR, IE, IT, PT, SI

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