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Stärkung der finanziellen Solidität

Rede von Mario Draghi, Präsident der EZB,
International Monetary Conference 2013,
Shanghai, 3. Juni 2013

Einführung

Sehr verehrte Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude, bei der diesjährigen International Monetary Conference zu Ihnen zu sprechen.

Zuerst möchte ich den Veranstaltern zu einem Programm gratulieren, das die größten Herausforderungen, die politische Entscheidungsträger auf dem Weg zu einem robusteren Finanzsektor bewältigen müssen, präzise aufzeigt.

Der Finanzsektor ist das wichtigste Bindeglied zwischen Geldpolitik und Realwirtschaft. Daher liegen die Herausforderungen im Zusammenhang mit finanziellen Spannungen und die Aussichten auf Finanzreformen jedem Zentralbanker am Herzen.

Die Wirtschaftslage im Euroraum ist nach wie vor schwierig, aber Anzeichen einer möglichen Stabilisierung sind zu erkennen, und unser Basisszenario einer sehr allmählichen Erholung im Verlauf der zweiten Jahreshälfte 2013 bleibt bestehen.

Eine solche allmähliche Erholung ist der äußerst akkommodierenden Geldpolitik und dem Exportwachstum, gestützt durch die Belebung der Auslandsnachfrage, zuzuschreiben. Es kommt auf breiter Front zu einer Anpassung, und Haushalts- sowie Außenhandelsdefizite gehen zurück. Die Energiepreise sinken ebenfalls, und es zeigen sich zudem einige wichtige Vermögenseffekte, die Konsumausgaben und Investitionen unterstützen könnten. Diese Effekte ergeben sich aus der Erholung der Finanzmärkte, die praktisch allen Wirtschaftsteilnehmern, einschließlich Unternehmen, Banken und privaten Haushalten, zugute kommt.

Trotzdem gibt es noch Schwachstellen, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, meine Überlegungen zu geeigneten Maßnahmen gegen verbleibende finanzielle und wirtschaftliche Anfälligkeiten aus Sicht des Eurogebiets darzulegen. Den Schwerpunkt lege ich auf das Bankensystem, auf das rund zwei Drittel der Finanzierung der Wirtschaft im Euroraum entfallen.

Bei der Analyse der Kreditvergabefähigkeit und -bereitschaft der Banken im Eurogebiet sollte zwischen drei Faktoren unterschieden werden: der Refinanzierungssituation, der Kapitalposition und der Risikobereitschaft.

Jeder einzelne dieser Faktoren kann zuweilen gezielte Interventionsmaßnahmen erfordern, um Hindernisse bei der Kreditvergabe zu beseitigen. Die Art der Maßnahmen und die Zuständigkeit für diese Maßnahmen unterscheiden sich allerdings bei diesen drei Faktoren grundlegend.

In diesem Kontext möchte ich darlegen, welche drei wichtigen Lehren meiner Ansicht nach aus der Krise zu ziehen sind.

Erstens wurden in der Krise erneut sowohl die Tragweite als auch die Grenzen von Zentralbankmaßnahmen zur Stützung der Wirtschaft bestätigt.

Zentralbanken spielen in Zeiten akuter Marktturbulenzen eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung von Refinanzierungsbedingungen. Sie können aber nicht Schwächen hinsichtlich der Eigenkapitalpositionen der Banken kompensieren. Genauso wenig können sie Reformen zur Steigerung des Wachstumspotenzials von Volkswirtschaften ersetzen.

Zweitens traten im Rahmen der Krise die Leistungsfähigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihr unerschütterliches Engagement bei der Stützung der Wirtschaft in ihrem Streben nach Preisstabilität deutlich zu Tage.

Wir haben in Umfang und Tragweite bislang beispiellose geldpolitische Maßnahmen getroffen. Dabei haben wir vom breiten Spektrum unterschiedlicher Sichtweisen im EZB-Rat profitiert. Diese unterschiedlichen Sichtweisen tragen alle dazu bei, die einheitliche Geldpolitik für alle Länder des Eurogebiets zu gestalten, und bilden eine dauerhafte Grundlage für unsere gemeinsamen institutionellen Entscheidungen.

Drittens erwies sich in der Krise, dass wir unser geldpolitisches Instrumentarium an eine neue Realität anpassen mussten. Ein sehr bedeutendes neues Instrument waren die beiden dreijährigen längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (LRGs), die Anfang 2012 eine massive euroraumweite Kreditklemme verhindern halfen. Das hervorstechendste Merkmal dieser neuen Realität ist aber die finanzielle Fragmentierung innerhalb des Eurogebiets.

Als Gegenmaßnahme hat die EZB geldpolitische Outright-Geschäfte (Outright Monetary Transactions, OMTs) eingeführt. Diese Maßnahme war notwendig, um Gefahren für die Preisstabilität entgegenzuwirken; und sie war wirksam bei der Minderung der Fragmentierung und insbesondere bei der Erfüllung unseres Auftrags zur Gewährleistung von Preisstabilität.

Gestatten Sie mir, dies ausführlicher zu erläutern.

Verbesserung der Refinanzierungslage der Banken

Wie die Krise deutlich aufzeigte, kann ein plötzlicher Rückgang der Marktliquidität die Finanzmärkte schwer erschüttern.

Banken, die nicht mehr in der Lage sind, ihre illiquiden Aktiva zu refinanzieren, müssen entweder alternative Refinanzierungsquellen suchen oder Notverkäufe in großem Umfang tätigen, um den weiterhin handelbaren Teil ihrer Aktiva – wenngleich zu fallenden Preisen – zu verringern.

Um die für die Gesellschaft kostspieligen Notverkäufe zu vermeiden, kompensierte die EZB – wie die meisten Zentralbanken – den Mangel an privaten Finanzmitteln, indem sie solventen Banken gegen angemessene Sicherheiten zusätzliche Zentralbankliquidität bereitstellte.

Der EZB-Rat verfolgte hierbei einen dreifachen Ansatz.

Erstens ermöglichten wir diesen Banken umfassenden Zugang zu Zentralbankliquidität, indem wir sowohl unseren Leitzins senkten als auch den Sicherheitenpool für die Kreditvergabe an Banken des Euroraums ausweiteten.

Zweitens gaben wir Marktteilnehmern die Sicherheit, dass über den relevanten Planungszeitraum hinweg ein umfassender Zugang zu Zentralbankliquidität bestehen bleiben würde. Insbesondere unsere beiden LRGs mit dreijähriger Laufzeit gaben den Banken die Gewissheit, dass ihr Liquiditätsbedarf über Zeiträume, die über die übliche Laufzeit von Zentralbankkrediten hinausgehen, gedeckt werden würde. In der Tat nähern sich die LRGs den durchschnittlichen Laufzeiten ihrer Kreditportfolios stärker an.

Drittens gingen wir vehement gegen die finanzielle Fragmentierung vor, welche die Wirkung der Geldpolitik in genau jenen Teilen des Eurogebiets schwächte, in denen sie am stärksten benötigt wird. Die Fragmentierung hat zu unterschiedlichen Darlehensbedingungen für Unternehmen und private Haushalte geführt, welche dieselbe Bonität aufweisen, aber in verschiedenen Ländern angesiedelt sind.

Als unser wichtigstes Instrument zur Bekämpfung der Fragmentierung führten wir geldpolitische Outright-Geschäfte (Outright Monetary Transactions, OMTs) ein. Diese ermöglichen die gezielte Intervention an den Staatsanleihemärkten des Eurogebiets, vorausgesetzt das jeweilige Land verpflichtet sich im Rahmen eines wirtschaftlichen EU/IWF-Anpassungsprogramms zu strikter und wirksamer Konditionalität.

Nähere Betrachtung von OMTs

Nahezu ein Jahr nach ihrer Ankündigung sind die Vorteile von OMTs für alle sichtbar:

Die Renditeabstände an den Staatsanleihemärkten haben sich erheblich verringert. Seitdem OMTs angekündigt wurden, sind die Spreads langfristiger Anleihen für Spanien, Italien und Irland um rund 250 bis 300 Basispunkte und für Portugal um fast 600 Basispunkte zurückgegangen.

Die Renditeabstände an den Märkten für Unternehmensanleihen haben sich für wichtige Marktsegmente um etwa 150 bis 200 Basispunkte verringert, was Unternehmen die Finanzierung am Markt erleichterte. Dies gilt für große Unternehmen mit hohen Ratings wie auch für andere Unternehmen.

Der Marktzugang der Banken sowohl für die Refinanzierung als auch für die Kapitalaufnahme war wiederhergestellt, und die beträchtlichen Unterschiede bei den Refinanzierungskosten der Banken in den einzelnen Ländern nahmen etwas ab.

Einlagen flossen zurück: Banken in finanziell angeschlagenen Ländern konnten seit August 2012 eine Zunahme der bei ihnen platzierten Einlagen des geldhaltenden Sektors des Euroraums um etwa 200 Mrd Euro verzeichnen.

Ein weiteres Zeichen der Normalisierung – das für deutsche Sparer, Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften von großer Bedeutung ist – ist der Anstieg der Renditen deutscher Staatsanleihen, die zuvor durch panikbedingte Umschichtungen in sichere Häfen auf einem niedrigen Niveau gehalten wurden, um rund 25 Basispunkte.

Der beste zusammenfassende Indikator für die Fragmentierung und die damit zusammenhängenden Zahlungsflüsse im Eurogebiet sind die Target-Salden, die von ihrem Höchststand im letzten Jahr um 285 Mrd Euro bzw. 25 % zurückgegangen sind. Inzwischen befinden sich die Target-Salden in etwa auf dem Niveau, das vor der Einführung der beiden dreijährigen LRGs Ende 2011 herrschte.

Die Einrichtung von OMTs war daher für alle – für Staaten, Unternehmen, Banken sowie Einzelpersonen – von Vorteil und ist sowohl Peripherie- als auch Kernländern zugute gekommen.

Daher möchte ich detaillierter auf diese Maßnahme eingehen. Was ist ihr Zweck?

OMTs sollen Redenominierungsrisiken – die unbegründete Erwartung eines Auseinanderbrechens des Euroraums – an den Märkten beseitigen.

Redenominierungsrisiken schwächten unsere Fähigkeit zur Gewährleistung von Preisstabilität und liefen der Einheitlichkeit der Geldpolitik zuwider.

Die Möglichkeit, dass finanzielle Forderungen, die bei ihrer Emission auf eine bestimmte Währung, den Euro, lauteten, in einer anderen Rechnungseinheit getilgt werden könnten, war die Hauptursache für die Panik, welche zur Störung der geldpolitischen Transmission vor einem Jahr führte.

OMTs haben dieses Risiko aus den Marktwerten ausgepreist und wirken dem Wiederauftreten grundsätzlich nicht gerechtfertigter Redenominierungsängste entgegen. Ihre Rolle ist aber in einen soliden Rahmen eingebettet, in dem die EZB ihre oberste Aufgabe, die Gewährleistung von Preisstabilität, unter konstanten finanziellen Bedingungen erfüllen kann. Und die Finanzbehörden können sich um ihre Solvabilitätsbedingungen kümmern und sich auf strukturelle Anpassungen konzentrieren.

Bedenken wurden laut, dass OMTs möglicherweise Reformen auf nationaler Ebene verhindern.

Das Gegenteil ist der Fall. OMTs können nur eingesetzt werden, wenn Regierungen die Konditionalität akzeptieren, die zu Reformen führt. Gleichzeitig sorgt die mit den OMTs verbundene wirksame Konditionalität dafür, dass Regierungen und Parlamente erst dann ein Programm beantragen, wenn es unbedingt notwendig ist.

Die Länder können entweder ohne OMTs Reformen durchführen und ihre wirtschaftliche Souveränität aufrechterhalten oder sie können mit OMTs Reformen durchführen, wobei sie jedoch ihre wirtschaftliche Souveränität teilweise aufgeben müssen. In jedem Fall müssen sie ihre Reformbemühungen beharrlich fortsetzen.

Es ist deshalb ziemlich irreführend, wenn OMTs mit historischen Ereignissen verglichen werden, bei denen sich die Regierungen auf die Unterstützung durch die Zentralbank verließen, statt ihre Haushalte zu konsolidieren.

Gegen OMTs wurde auch angeführt, dass die Unabhängigkeit der Geldpolitik durch die Konditionalität geschwächt wird. OMTs sind aber nicht an politische Entscheidungen gebunden, da der EZB-Rat – auch nachdem ein Land an einem Programm teilnimmt – in alleinigem Ermessen entscheidet. Darüber hinaus stellt eben diese Konditionalität sicher, dass die Regierungen zahlungsfähig bleiben, was wiederum die Handlungsfreiheit der Geldpolitik schützt.

Als drittes Argument gegen OMTs wurde vorgebracht, dass sie erneut zu einer übermäßigen Verringerung der Renditeabstände von Anleihen im Euroraum führen würden, so wie dies vor der Krise beobachtet wurde.

Auch dies trifft nicht zu.

OMTs sind so gestaltet, dass sie die Renditen von Staatsanleihen knapp unter einem zuvor definiertem ‚Panik‘-Niveau halten; Ziel ist es nicht, die Renditen auf ein Niveau zu senken, das die staatliche Zahlungsfähigkeit in irgendeiner Form unterstützen würde.

Wie wir feststellen konnten, sorgt die bloße Existenz von OMTs dafür, dass die Renditen von Staatsanleihen nicht übermäßig steigen. Die Märkte erwarten, dass Regierungen bei einem zu starken Anstieg das Programm beantragen und dass Ankäufe der EZB die Renditen wieder senken. OMTs hatten daher einen sich selbst bewahrheitenden Abwärtseffekt auf Renditen, so wie es zuvor ohne OMTs zu einem sich selbst bewahrheitenden Aufwärtseffekt mit potenziell katastrophalen Risiken für den Euroraum kam.

Durch diesen Abwärtseffekt müssen die Renditeabstände sich aber nicht zwangsläufig annähern. Interventionen der EZB im Rahmen von OMTs würden nicht auf jene Renditeabstände von Staatsanleihen abzielen, die grundsätzlich gerechtfertigt sind.

Eine hohe Interventionsgrenze beim Zinssatz impliziert, dass die Regierungen weiterhin Anreize verspüren, ihren Primärsaldo auf ein stabilisierendes Niveau anzuheben und Strukturreformen durchzuführen. Sie haben nur diese beiden Optionen, um ihre Refinanzierungskosten deutlich unter das durch die OMTs abgesicherte Niveau zu senken.

Letztlich ist Beschäftigung ausschlaggebend dafür, dass Regierungen und Parlamente Maßnahmen treffen. Man muss sich vor Augen halten, dass für Regierungen und Parlamente die Notwendigkeit, Reformen durchzuführen, immer und insbesondere in der aktuellen Situation nicht von den Anleihemärkten herrührt, sondern sich aus den dramatischen Bedingungen am Arbeitsmarkt ergibt. Es ist leider so, dass Millionen Arbeitslose eine viel stärkere Triebfeder für Reformen sind als die für Staatsschulden zu zahlenden Zinsen. Und leider haben OMTs haben so gut wie keine Auswirkungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen. Wenngleich OMTs eine Dimension finanzieller Fragmentierung (das Risiko eines Auseinanderbrechens des Euro) gebannt haben, so haben sie doch nur eine abgeschwächte und indirekte Wirkung auf die andere Ursache der Fragmentierung – die negative Rückkoppelung zwischen Staaten und Banken.

Schließlich wurde kritisiert, dass OMTs ein Mittel zur Verlagerung von Risiken von Peripherie- zu Kernländern des Euroraums über die EZB-Bilanz seien. Das Gegenteil ist eingetreten: die Kernländer profitieren in erheblichem Maße davon, dass katastrophale Entwicklungen verhindert werden.

Denken Sie nur daran, dass die Risiken von Extremereignissen (Tail Risks), denen OMTs entgegenwirken sollen, Preise und Mengen an den Finanzmärkten sowohl in den Kern- als auch in den Peripherieländern verzerren. Durch ‚Tail Risks‘ entsteht eine Liquiditätsschwemme in Kernbankensystemen, wenn monetäre Vermögenswerte von in Panik geratenen Investoren aus fragilen Ländern in sichere Häfen gebracht werden.

OMTs ermöglichen es, den Reformdruck auf Peripherie-Staaten aufrechtzuerhalten, während das wiederhergestellte Vertrauen in den Euroraum die Geldströme aus Peripherieländern in Kernländer wie Deutschland verringert.

Was sagen uns die Daten? Ich erwähnte bereits den erheblichen Rückgang der Target-Salden insgesamt. Zu ergänzen ist, dass diese Verbesserung auch in Deutschland zum Tragen kommt: Deutschlands Target-Forderungen sind von ihrem Höchststand in Höhe von 760 Mrd Euro Mitte 2012 auf rund 590 Mrd EUR im letzten Monat gesunken. Dies entspricht einem Rückgang von 170 Mrd EUR oder 22 %.

Diese wichtige Verbesserung spiegelt weitgehend die Beseitigung unbegründeter Ängste vor einem systemischen Zusammenbruch der Währungsunion wider, die zuvor von den Märkten eingepreist worden war. Der Euroraum ist deshalb heute ein stabilerer und robusterer Anlageplatz als noch vor einem Jahr.

Und im Rahmen des OMT-Programms wurde nicht ein einziger Euro für den Erwerb von Staatsanleihen ausgegeben.

Stärkung der Risikoabsorptionsfähigkeit der Banken

Die Eigenkapitalposition der Banken liegt eindeutig nicht im Zuständigkeitsbereich von Zentralbanken. Es liegt zuallererst in der Verantwortung der Anteilseigner sicherzustellen, dass ihre Bank solvent ist und ihr Kerngeschäft aufrechterhalten kann. Und wenn der Privatsektor nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, das erforderliche Kapital zur Verfügung zu stellen, um Zahlungsfähigkeit herbeizuführen, dann ist es an den Finanz- und Aufsichtsbehörden zu entscheiden, ob und in welcher Form gehandelt werden muss.

Die Geldpolitik kann keinen dieser Politikbereiche ersetzen oder subventionieren.

Im Euro-Währungsgebiet wurden allerdings erhebliche Fortschritte in Bezug auf die Zahlungsfähigkeit erzielt: Banken haben frisches Kapital erhalten, und insbesondere in Ländern, die an Finanzhilfeprogrammen teilnehmen, wurden problematische Altlasten aus Bankbilanzen entfernt.

Doch es ist noch einiges zu tun, wobei insbesondere zwei politische Initiativen vorrangig umgesetzt werden sollten:

Zunächst müssen wir eine vollständige Transparenz über die Risiken im Zusammenhang mit Bankbilanzen schaffen. Eine solche Transparenz ist Voraussetzung dafür, dass der Bankensektor wieder dauerhaft gesundet – und ein gesunder Bankensektor ist Voraussetzung für die Wiederbelebung der Kreditvergabe.

Zweitens müssen wir die Anreize für die Anleger mit jenen der Gesellschaft abstimmen. Dies bedeutet, dass Marktteilnehmer, die von Aufwärtsentwicklungen risikoreicher Geschäfte profitieren wollen, auch entsprechende Verluste bei Abwärtsentwicklungen tragen sollten.

Auch in diesen Bereichen macht Europa Fortschritte.

Um die Transparenz zu erhöhen, richten wir den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) ein, über den die EZB mit der Aufsicht über weite Teile des europäischen Bankensystems betraut wird. Durch die Übertragung dieser Aufgabe an eine unabhängige Institution auf europäischer Ebene wird der SSM es letztlich ermöglichen, dass finanzielle Risiken früher erkannt werden.

Um zusätzliche Anreize zu verstärken, wird die institutionelle Architektur durch die Einführung von Regeln gestärkt, welche die Beteiligung von Anlegern beim Umgang mit in Not geratenen Banken erleichtern. Insbesondere werden derzeit auf europäischer Ebene harmonisierte Regeln und Verfahren für die Sanierung und Abwicklung von Banken entwickelt. Zur Gewährleistung einer konsistenten und wirkungsvollen Anwendung dieser Regeln soll ihre Umsetzung einem unabhängigen Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) unterstellt werden.

Bevor die EZB die Führung des SSM übernimmt, wird sie zusammen mit den nationalen Aufsichtsbehörden und unter angemessener Beteiligung von Unternehmen des privaten Sektors eine Bewertung der Bilanzen von Banken vornehmen, die in den SSM aufgenommen werden. Zu diesem Zweck müssen die nationalen Haushalte, und gegebenenfalls der ESM, eine angemessene Sicherung bereitstellen.

Minderung gesamtwirtschaftlicher Risiken

Die letzte Determinante der Fähigkeit und Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe hängt mit ihrer Risikoneigung zusammen.

Ebenso wenig wie jede andere Zentralbank kann auch die EZB mikroökonomische Risiken – das heiβt, die Frage, wie Banken im Einzelfall einschätzen, ob ein potenzieller Kreditnehmer einen Kredit zurückzahlen wird oder nicht – nicht steuern.

Die EZB trägt jedoch aktiv zu einer Verringerung der makroökonomischen Risiken bei, indem sie nämlich die Inflationsaussichten fest auf einem stabilen Niveau hält, bietet sie der Wirtschaft als Ganzes einen nominalen Anker. Dies wirkt sich stützend auf Entscheidungen zur Kreditvergabe und -aufnahme aus und gewährleistet, dass längerfristige Investitionsvorhaben rentabel bleiben.

Es liegt jedoch in der Verantwortung der nationalen Regierungen, Unsicherheiten in Zusammenhang mit Wachstum und der Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzen auszuräumen.

Ohne die bereits erzielten Fortschritte zunichte zu machen, ist es entscheidend, dass die Konsolidierung vor allem die fiskalische Zusammensetzung des Haushalts betrifft und dass die Ausgaben verringert werden, die am wenigsten zum Wachstum beitragen, und die Steuerlast der Wirtschaft gesenkt wird. Um Vertrauen zu genießen, müssen Politiker ihre Reformfahrpläne konsequent durchsetzen. Denn es ist in der Tat wenig gewonnen, wenn man heute bei Haushaltskorrekturen nachlässt und dies zu Markterwartungen führt, dass künftig die Zügel umso mehr gestrafft werden müssen.

Mittelfristig müssen wir sicherstellen, dass Korrekturen auf Produktivitätssteigerungen in unseren Volkswirtschaften basieren.

Nur wenn derartige Strukturreformen kontinuierlich umgesetzt werden, kann die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften des Euroraums im globalen Vergleich wiederhergestellt werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Gestatten sie mir, zusammenzufassen.

Die Stärkung der finanziellen Solidität erfordert ehrgeizige Anstrengungen in verschiedenen Bereichen. Die Wiederaufnahme der Kreditvergabe an die Realwirtschaft ist nur dann zu erwarten, wenn die akkommodierende Geldpolitik von einer zügigen Sanierung der Bilanzen und von entschlossenen Haushalts- und Strukturreformen begleitet wird.

Im Euroraum deuten die jüngsten Fortschritte darauf hin, dass die Entscheidungsträger bereit sind, sich den gleichzeitig anfallenden Aufgaben, d. h. der Reform ihrer Volkswirtschaften und der Vollendung der institutionellen Architektur auf europäischer Ebene, zu stellen.

Die EZB wird die gesamtwirtschaftliche Leistung weiterhin durch die Gewährleistung von Preisstabilität im Euroraum unterstützen.

Bei der Gestaltung ihrer Maßnahmen berücksichtigt die EZB künftige Herausforderungen und bleibt unserem geldpolitischen Handlungsrahmen zutiefst verpflichtet.

Dieser Rahmen ist geprägt dadurch, dass Preisstabilität entschieden verfolgt wird, dass unsere Zentralbankunabhängigkeit unangetastet bleibt und unsere geldpolitischen Instrumente auf die spezifischen aktuellen Herausforderungen zugeschnitten sind, wobei unser Preisstabilitätsziel gewahrt bleibt.

Unser Rahmen als solcher ist vom Erfolg anderer Zentralbanken inspiriert, die bewiesen haben, welche Vorteile eine solide institutionelle Basis für die Geldpolitik hat, und die sich aufgrund ihrer klaren Verpflichtung zur Gewährleistung von Preisstabilität Vertrauen und Respekt verdient haben. Die EZB hat die gleiche Verpflichtung und ihr stellt sich die Aufgabe, ihre Geldpolitik nicht in einem einzelnen Land, sondern in einem multinationalen Kontext umsetzen.

Dieser unterschiedliche Kontext und die beispiellosen Gefahren für die Finanzstabilität während der Krise haben neue Instrumente erforderlich gemacht, um das gleiche Ziel, die Gewährleistung von Preisstabilität auf mittlere Sicht für das gesamte Eurogebiet, zu erreichen.

Dieser Verpflichtung sind wir seit der Einführung des Euro stets nachgekommen. In den letzten 13 Jahren lagen die Inflationserwartungen im Durchschnitt bei 1,9 %.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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Europäische Zentralbank

Generaldirektion Kommunikation

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