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10 Jahre Euro: Erfolge und Herausforderungen

Rede von Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB
Osnabrück, 12. Februar 2009

Einleitung

Sehr geehrter Herr Präsident Pöttering, sehr geehrter Herr Dr. Hentschel, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich danke Ihnen für die Einladung nach Osnabrück. Heute wende ich mich in deutscher Sprache an Sie. Das ist für mich eine Freude und eine Herausforderung. Ich bin gerne hierher gekommen, denn der Landkreis Osnabrück ist die Heimat von Hans-Gert Pöttering. Ich habe Hans-Gert Pöttering als Präsident des Europäischen Parlaments kennen und schätzen gelernt. Als Präsident der Europäischen Zentralbank bin ich regelmäßig zu Gast im Europäischen Parlament. Die Beziehungen zu den direkt gewählten europäischen Volksvertretern sind uns als EZB sehr wichtig.

Osnabrück ist auch ein geeigneter Ort für eine Rede zur europäischen Integration. Die Stadt trägt den Beinamen „Friedensstadt“. Hier und in Münster wurde der Westfälische Friede ausgehandelt. Dieser begründete 1648 eine europäische Friedensordnung nach dem 30-jährigen Krieg. Heute ist die europäische Integration die Grundlage für Wohlstand und Frieden in Europa, und dies seit 60 Jahren.

Hauptteil

Der Euro ist das sichtbarste Symbol der europäischen Einigung. Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist der Bereich, in dem die Integration am weitesten fortgeschritten ist. Heute ist der Euro die gemeinsame Währung von 329 Millionen Menschen in 16 Staaten. Vor 10 Jahren – am 1. Januar 1999 – wurde die gemeinsame Währung in damals 11 Staaten eingeführt. 10 Jahre sind in der Geschichte eine kurze Zeit. Dennoch ist es ein guter Anlass, über Erfolge und Herausforderungen zu sprechen – das Thema meines Beitrags heute Abend.

Ich möchte dieses Thema anhand von drei Fragen aufgreifen:

  1. Inwieweit ist der Euro eine Erfolgsgeschichte?

  2. Was ist die Rolle des Euro vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarkt-Turbulenzen?

  3. Was sind die Herausforderungen für die Zukunft der gemeinsamen Währung?

Dabei werde ich auch eine Reihe von aktuellen Themen ansprechen – in Bezug auf die globalen Finanzmarkt-Turbulenzen und die wirtschaftliche Entwicklung im Euro-Raum.

Zunächst zur ersten Frage:

Inwieweit ist der Euro eine Erfolgsgeschichte?

Der Euro ist eine stabile Währung und er ist ein wichtiger Beitrag zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Deshalb ist er eine Erfolgsgeschichte. Letztlich ist er damit ein Beitrag zur Sicherung des Wohlstands in den beteiligten Staaten.

Die Stabilität des Euro

Lassen Sie mich zunächst auf das Thema Stabilität eingehen. Vor der Einführung des Euro gab es Bedenken im Hinblick auf die Stabilität der zukünftigen gemeinsamen Währung, auch in Deutschland. Die ersten 10 Jahre des Euro zeigen, dass diese Sorgen unbegründet waren. Der Euro ist genauso stabil wie die stabilsten Vorgänger-Währungen, die in ihm aufgegangen sind. Das gilt selbstverständlich auch für die D-Mark. Das Versprechen „Der Euro wird stark wie die Mark“ wurde eingehalten.

Ein Blick auf die Inflationsraten im ersten Jahrzehnt des Euro macht dies deutlich: Die durchschnittliche jährliche Inflationsrate im Euro-Raum in den 10 Jahren seit Einführung des Euro war 2.2%. Zum Vergleich: die durchschnittliche jährliche Inflationsrate in Deutschland in den 90er Jahren vor der Euro-Einführung lag ebenfalls bei 2.2%. In den 80er Jahren lag sie bei 2.9%, in den 70er Jahren bei 4.9%. Das heißt: Der Euro braucht den Vergleich mit der D-Mark und den anderen Vorgänger-Währungen in Sachen Stabilität nicht zu scheuen.

Mit durchschnittlich 2.2% pro Jahr seit 1999 lag die Inflationsrate etwas über dem Niveau, das der EZB-Rat als Preisstabilität definiert hat: eine Inflationsrate im Euro-Raum von unter, aber nahe 2% über die mittlere Frist. Dennoch ist dies ein gutes Ergebnis, denn die ersten 10 Jahre waren keineswegs ruhige Zeiten. Insbesondere hatten wir es mit einem Ölpreisschock zu tun, der dem der 70er Jahre durchaus vergleichbar war. Zwischen Anfang 2002 und Mitte 2008 stiegen die Rohölpreise in Dollar gerechnet um fast 600%. Auch bei den Lebensmittelpreisen waren wir mit Preisschüben konfrontiert: zu Beginn des Jahrzehnts und insbesondere in den Jahren 2007 und 2008 durch den globalen Anstieg der Lebensmittelpreise.

Trotz dieser Schocks und kurzfristiger Preisausschläge blieben die Inflationsraten insgesamt niedrig. Vor allem: die Inflationserwartungen waren und sind fest verankert auf einem Niveau, das mit unserer Definition von Preisstabilität in Einklang steht. Das heißt: die Akteure in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten erwarten, dass die EZB auch mittel- und langfristig Preisstabilität gewährleisten wird, unabhängig vom Ausmaß verschiedenster kurzfristiger Schocks, die wir zu bewältigen haben. Sie vertrauen unserem Stabilitätsversprechen. Am deutlichsten wird dies daran, dass auf Euro lautende Anleihen mit einer Laufzeit von 30 und sogar 50 Jahren begeben werden, die bemerkenswert niedrig verzinst sind. Eine französische Staatsanleihe mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2055 zum Beispiel hat derzeit eine Rendite von 4.1%. Dies bedeutet Vertrauen in die Stabilität des Euro – in seine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel – über mehr als eine Generation hinweg.

Bargeldumstellung und Preissteigerungen

Ich weiß, dass in Deutschland und in anderen Ländern des Euro-Raums die Einführung des Euro-Bargeldes im Jahr 2002 mit Preissteigerungen in Verbindung gebracht wird. War der Euro ein „Teuro“? Es gab einige Preiserhöhungen im Zuge der Bargeldumstellung. Das statistische Amt der EU – Eurostat – schätzt den Beitrag der Bargeldumstellung zur Inflationsrate im Euro-Raum im Jahr 2002 auf 0,12% bis 0,29%. Dieser Beitrag war also gering im Jahr 2002 und unbedeutend in den gesamten 10 Jahren des Euro. Es gibt allerdings eine Diskrepanz zwischen der „gefühlten“ Inflation und der tatsächlichen, statistisch gemessenen Inflation. Diese Diskrepanz liegt nicht an einem Messfehler der Verbraucherpreis-Statistik. Diese Statistik ist qualitativ hochwertig.

Es gibt einige mögliche Gründe für die Abweichung zwischen „gefühlter“ und gemessener Inflation nach der Bargeldumstellung. Zum Beispiel traten Preissteigerungen vor allem bei häufig erworbenen und meist in bar bezahlten Gütern und Dienstleistungen auf. Solche Preise werden stärker wahrgenommen als Preise für Produkte, die nur in großen Zeitabständen gekauft werden, zum Beispiel Autos oder Computer. Auch ist es möglich, dass Verbraucher aktuelle, in Euro gerechnete Preise immer noch mit den Preisen in nationaler Währung vor 2002 vergleichen. Ein solches „eingefrorenes Preisgedächtnis“ führt zu einem verzerrten Preisvergleich.

Ebenso ist zu berücksichtigen, dass mit der Euro-Bargeldeinführung im Januar 2002 extern verursachte Erhöhungen der Energie- und Lebensmittelpreise und von indirekten Steuern zeitlich einhergingen. Diese hatten nichts mit dem Euro zu tun. In der öffentlichen Wahrnehmung wurden sie aber mit dem Bargeldumtausch in Verbindung gebracht.

Das institutionelle Fundament des Euro

Viele Beobachter haben der EZB nicht zugetraut, dass sie Preisstabilität gewährleisten und die Inflationserwartungen verankern kann. In der Tat, die EZB ist eine junge Zentralbank, die gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken im Eurosystem die Verantwortung für eine neue Währung, den Euro, in einem neuem Wirtschafts- und Währungsgebiet, dem Euro-Raum, übernommen hat. Es war deshalb keine Selbstverständlichkeit, dass der Euro sich so schnell als stabile und auch international anerkannte Währung etablieren konnte.

Dies war nur möglich, weil die EZB und die nationalen Zentralbanken des Eurosystems auf einem soliden institutionellen Fundament stehen. Dieses Fundament ist der in Maastricht 1991 ausgehandelte Vertrag und das Statut des ESZB. Dieser Vertrag und das Statut des ESZB sind eindeutig: Das vorrangige Ziel des Eurosystems ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Die EZB und die nationalen Zentralbanken des Eurosystems sind unabhängig, um dieses Ziel zu verfolgen. Weder die EZB, noch die nationalen Zentralbanken, noch die Mitglieder ihrer Beschlussorgane dürfen Weisungen jedweder Art von irgendeiner Seite einholen oder entgegennehmen. Dies gilt für europäische ebenso wie für nationale Institutionen. Diese sind verpflichtet, den Grundsatz der Zentralbank-Unabhängigkeit zu beachten.

Der Vorrang für Preisstabilität und die Unabhängigkeit der Zentralbank sind Ergebnis eines langen historischen Lernprozesses in der Geld- und Währungspolitik. Es ist theoretisch gut fundiert und empirisch belegt, dass unabhängige Zentralbanken besser dazu in der Lage sind, niedrige Inflationsraten zu gewährleisten als solche, die politischen Einflüssen unterliegen. Die Unabhängigkeit stellt vor allem sicher, dass Zentralbanken sich mittel- und langfristig der Sicherung der Preisstabilität widmen können, und nicht kurzfristiger politischer Einflussnahme oder dem Druck von Interessengruppen ausgesetzt sind.

In Deutschland hat das vorrangige Mandat für Preisstabilität als Ziel der Geldpolitik und die Unabhängigkeit der Zentralbank eine lange Tradition, die von der Deutschen Bundesbank verkörpert wird. Nicht zuletzt diese Tradition und das Statut der Bundesbank – die auch für die Zentralbankstatuten in anderen Ländern Europas Vorbild waren – standen Pate bei der Ausarbeitung des Vertrages von Maastricht und des Statuts des ESZB.

Ich selbst war 10 Jahre lang Gouverneur der unabhängigen Banque de France. Diese wurde im Januar 1994 unabhängig, 5 Jahre vor der Einführung des Euro. In diesen 5 Jahren war ich besonders stolz darauf, dass wir unser vorrangiges Ziel, Preisstabilität, gemäß unserer Definition – unter 2% – erreicht haben. Das Maß an Preisstabilität in Frankreich in diesen 5 Jahren stand damit in vollem Einklang mit dem in Deutschland. Man kann deshalb sagen: Mit der Schaffung des Euro wurde die Stabilitätskultur „europäisiert“ und rechtlich in die Form eines internationalen Vertrages gegossen.

Der europäische Stabilitätskonsens

Der im Vertrag von Maastricht festgelegte Vorrang für Preisstabilität und die Unabhängigkeit der Zentralbanken sind Ausdruck eines Stabilitätskonsenses, der in Europa – ja sogar weltweit – in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist. Es gibt heute ein allgemeines Bewusstsein dafür, dass stabile Preise eine grundlegende Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sind.

In der europäischen Bevölkerung finden der Vorrang für Preisstabilität als Ziel der Geldpolitik und die Unabhängigkeit der EZB breite Unterstützung. In Umfragen unter den Bürgerinnen und Bürgern in allen Ländern des Euro-Raums bewertet eine überwältigende Mehrheit Preisstabilität als wichtiges Ziel. Eine überwältigende Mehrheit hält es auch für wichtig, dass die EZB und das Eurosystem unabhängig von den Regierungen sind, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Unterstützung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger im Euro-Raum ist für die EZB sehr wichtig. Sie zeigt: Der Stabilitätskonsens wird in hohem Maße von der Bevölkerung geteilt, der wir letztlich verantwortlich sind.

Der Euro als Beitrag zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes

Die Gewährleistung von Preisstabilität für inzwischen 329 Millionen Europäer ist der Hauptgrund, warum der Euro in seinen ersten zehn Jahren eine Erfolgsgeschichte ist. Aber er ist nicht der einzige. Lassen Sie mich nur kurz einen anderen wesentlichen Grund nennen: Die Einführung des Euro war ein wichtiger Beitrag zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Durch die gemeinsame Währung konnten die Vorteile des Binnenmarktes besser ausgeschöpft werden. Die Handels- und Kapitalverflechtung zwischen den Euro-Ländern ist gewachsen.

Ich will nur einige Beispiele nennen:

  • Der grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsverkehr im Euro-Raum hat seit der Einführung der gemeinsamen Währung um circa 10 Prozentpunkte in Relation zum Bruttoinlandsprodukt zugenommen. Dies kann zum Teil dem Euro zugeschrieben werden. Der Handel zwischen den einzelnen Euro-Ländern macht inzwischen etwa die Hälfte ihrer gesamten Ex- und Importe aus. Gleichzeitig hat sich der Handel mit Ländern außerhalb des Euro-Raums dynamisch entwickelt. Die zunehmende Handelsintegration innerhalb der Währungsunion ging nicht auf Kosten des Handels mit Drittländern. Es ist also falsch, von einer „Festung Europa“ zu sprechen.

  • Der Euro hat den Wettbewerb, die Preistransparenz und die Konvergenz der Preise gefördert, die Transaktionskosten gesenkt und das Wechselkursrisiko beseitigt.

  • Der Euro hat die Direktinvestitionen innerhalb des Euro-Raums angekurbelt. Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen der Euro-Länder sind stark gestiegen.

  • Ebenso hat der Euro dazu geführt, dass die grenzüberschreitenden Wertpapier-anlagen innerhalb des Euro-Raums sich deutlich erhöht haben. Dies ist nur ein Beispiel für den Beitrag der gemeinsamen Währung zur Integration der Finanzmärkte in Europa. Diese ist noch nicht abgeschlossen. Die EZB und das Eurosystem unterstützen mit Nachdruck eine weitere Integration der europäischen Finanzmärkte.

Diese Entwicklungen zeigen: Der Euro ist ein wichtiger Katalysator zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Die Logik „Ein Markt, eine Währung“ war ein wesentlicher Impuls für die monetäre Integration in Europa. Sie hat sich als richtig erwiesen.

Euro, Geldpolitik und Beschäftigung

Der Vorrang für Preisstabilität, die eine notwendige Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung ist, ging im Euro-Raum keineswegs auf Kosten der Beschäftigung. Dies spiegelt sich in einer Zahl wieder: Seit Einführung des Euros 1999 bis 2008 hat sich die Zahl der Beschäftigten im Euro-Raum um mehr als 16 Millionen erhöht. In den Jahren zuvor, von 1990 bis 1998, lag der Zuwachs an Beschäftigten bei weniger als 6 Millionen. Diese neuen Arbeitsplätze im Euro-Raum wurden nicht durch den Euro geschaffen. Es gibt keinen direkten Bezug, denn die Beschäftigungsentwicklung wird von vielen Faktoren beeinflusst. Aber es ist eine Bestätigung, dass eine auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik voll und ganz mit der Schaffung von Arbeitsplätzen vereinbar ist.

Ich möchte nun zur zweiten eingangs gestellten Frage kommen:

Was ist die Rolle des Euro vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarkt-Turbulenzen?

Schon die Frage als solche macht deutlich: In den letzten eineinhalb Jahren hat sich das globale Umfeld, in dem wir agieren, völlig verändert.

Die globalen Finanzmarkt-Turbulenzen und der konjunkturelle Abschwung

Wir befinden uns derzeit in einer außergewöhnlichen Situation. Diese ist geprägt von einer Verschärfung und Ausweitung der globalen Finanzmarkt-Turbulenzen – insbesondere seit September letzten Jahres – und einem starken konjunkturellen Abschwung der Weltwirtschaft. Die Spannungen haben zunehmend vom Finanzsektor auf die Realwirtschaft übergegriffen. Ihre negativen Auswirkungen sind in der gesamten Weltwirtschaft spürbar. Praktisch alle Volkswirtschaften bewegen sich seit Ende 2008 in die gleiche Richtung – die Industriestaaten ebenso wie die Schwellenländer, die „emerging markets“. Dies trägt maßgeblich zum Ausmaß des gegenwärtigen Abschwungs bei.

Dieser konjunkturelle Abschwung hat auch den Euro-Raum erfasst. Die Auslandsnachfrage nach Exporten aus dem Euro-Raum ist gesunken. Ein Mangel an Vertrauen und verschärfte Finanzierungsbedingungen wirken sich negativ auf die Binnennachfrage aus. Auf der Grundlage unserer gegenwärtigen Analyse sehen wir eine anhaltend schwache Wirtschaftstätigkeit im Euro-Raum in den vor uns liegenden Quartalen. Die Spannungen an den Finanzmärkten haben weiterhin Auswirkungen auf die globale und europäische Wirtschaft. Die Konjunkturaussichten sind nach wie vor mit einer außergewöhnlich großen Unsicherheit behaftet.

Die Reaktion der EZB und der europäischen Regierungen

Die EZB hat schnell und flexibel auf die Finanzmarkt-Turbulenzen reagiert. Wir waren weltweit die erste Zentralbank, die am 9. August 2007 die Spannungen am Geldmarkt erkannt und wichtige Maßnahmen im Rahmen unserer Liquiditätssteuerung ergriffen hat. Mit einer sehr flexiblen Liquiditätssteuerung haben wir dafür gesorgt, dass solvente Banken nicht durch Liquiditätsengpässe in Bedrängnis geraten. Dies gilt insbesondere für die Zeit seit September 2008 nach der Intensivierung der finanziellen Turbulenzen, die zu einer sehr massiven Verschärfung der Spannungen geführt hat.

In der Reaktion auf die Finanzmarkt-Turbulenzen hat die EZB immer zwischen der Liquiditätssteuerung am Geldmarkt und ihrem geldpolitischen Kurs zur Sicherung der Preisstabilität unterschieden. Wir haben die Leitzinsen gesenkt, als sich die Anzeichen mehrten, dass der Inflationsdruck nachlässt. Der Rückgang der Inflationsraten ist vor allem auf die sinkenden Rohstoffpreise und die deutliche Konjunkturabschwächung zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund hat der EZB-Rat die Leitzinsen in drei Monaten zwischen Oktober 2008 und Januar 2009 um 2,25 Prozentpunkte gesenkt. Dies ist eine beträchtliche Senkung in einem sehr kurzen Zeitraum. Auf diese Weise haben wir dem nachlassenden Inflationsdruck in Anbetracht des konjunkturellen Abschwungs Rechnung getragen.

Die Regierungen in Europa haben ebenfalls schnell, entschieden und abgestimmt auf die Finanzmarkt-Turbulenzen reagiert: Sie haben den Zusammenbruch von Banken verhindert. Und sie haben den Bankensektor insgesamt vor Insolvenz geschützt, vor allem durch Kreditbürgschaften und Maßnahmen zur Re-Kapitalisierung. Dadurch wurde eine systemische Krise verhindert und eine Grundlage für neues Vertrauen geschaffen. Diese Maßnahmen der Zentralbanken und der Regierungen helfen den Banken, ihre Rolle in der Wirtschaft weiterhin wahrzunehmen, insbesondere über Kredit-Vergabe an Unternehmen und Haushalte.

Gründe für eine mittelfristige wirtschaftliche Erholung

Das Jahr 2009 wird sehr schwierig werden. Dies habe ich schon bei verschiedenen Gelegenheiten erwähnt. Ich sehe jedoch mindestens vier Gründe, warum wir zuversichtlich sein können, dass sich die Weltwirtschaft und die Industriestaaten erholen werden:

  • Die entschlossenen Reaktionen von Zentralbanken und Regierungen auf die außergewöhnliche Situation – nicht nur in Europa, sondern weltweit – werden zunehmend ihre Wirkung entfalten. Sie sind möglicherweise noch nicht hinreichend in den Erwartungen der Akteure im privaten Sektor berücksichtigt.

  • Das Wachstumspotenzial der aufstrebenden Volkswirtschaften zum Beispiel in Asien ist beträchtlich. Ihre derzeitige Wachstumsschwäche ist vorübergehend. Viele dieser Länder haben ein enormes Potenzial, ihre Binnennachfrage zu entwickeln.

  • Der technische Fortschritt ist sehr schnell, er wird weitergehen und sich weiter beschleunigen. Er ist eine wesentliche Quelle für zukünftiges, langfristiges Wachstum.

  • Die Öl- und andere Rohstoffpreise sind seit Mitte 2008 stark gesunken. Ihr Anstieg war ein wichtiger Faktor für die jetzige Wirtschaftsschwäche. Ihr derzeit niedriges Niveau ist ein expansives Element in der Weltwirtschaft.

Aus diesen Gründen scheint es eine vernünftige Arbeitshypothese zu sein, dass wir nach einem ungewöhnlich schwierigen Jahr 2009 im Jahr 2010 eine wirtschaftliche Erholung sehen werden.

Lehren aus den Finanzmarkt-Turbulenzen

Eine wirtschaftliche Erholung darf jedoch kein Anlass sein, zur Tagesordnung über zu gehen. Es müssen Lehren aus den Finanzmarkt-Turbulenzen gezogen werden. Diese Arbeit ist derzeit noch in vollem Gange. Viele nationale, europäische und internationale Institutionen und Gremien diskutieren die zu ziehenden Konsequenzen für das Finanzsystem. Das globale Finanzsystem muss widerstandsfähiger werden, um solche Episoden in Zukunft zu vermeiden. Ich möchte nur drei Stichworte nennen, die den Bedarf für Veränderungen aufzeigen:

  • Die Kurzfristigkeit des Handelns im Finanzsektor. Ein viel zu kurzfristiger Zeithorizont bei vielen Akteuren im Finanzsystem hat unter anderem zu einer übermäßigen Risikoneigung beigetragen. Deshalb müssen zum Beispiel die Vergütungssysteme und das Risikomanagement der Banken tiefgreifend verändert.

  • Die Transparenz der Finanzmärkte. Von entscheidender Bedeutung sind vollständige Informationen über alle Institutionen, Instrumente und Märkte, die für die Finanzstabilität relevant sind.

  • Die pro-zyklischen Eigenschaften des Finanzsystems. Im Finanzsystem gibt es die Neigung, in guten Zeiten übermäßige Risiken einzugehen. In einem Abschwung kommt es leicht zu Übertreibungen in die entgegen gesetzte Richtung. Hier stellt sich unter anderem die Frage nach den adäquaten Kapitalanforderungen an die Banken.

Die Rolle des Euro vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen

Lassen Sie mich vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen einige Worte zur Rolle des Euro sagen. Die letzten Monate haben uns einen wichtigen Vorteil des Euro vor Augen geführt: In stürmischer See ist es besser, auf einem großen Schiff zu sein als in einem kleinen Boot.

In der Geschichte – auch in der Wirtschaftsgeschichte – ist es immer spekulativ zu fragen, „Was wäre wenn?“. Ich will es dennoch tun, weil es sehr wohl begründete Hypothesen gibt. Eine solche wohl begründete Hypothese ist: Ohne den Euro gäbe es in Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit zusätzlich zu den Finanzmarkt-Turbulenzen, den Problemen im Bankensektor und dem konjunkturellen Abschwung schwere Währungs-Turbulenzen. Wir hätten es mit starken, erratischen Schwankungen zwischen den nationalen Währungen in Europa zu tun.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Krise im Europäischen Währungssystem in den Jahren 1992 und 1993. Diese wurden mit ausgelöst durch ein schwieriges internationales und europäisches Umfeld. Wir sahen starke Spannungen zwischen einzelnen nationalen Währungen. Dies führte zu abrupten Verschiebungen der Wettbewerbsfähigkeit zwischen einzelnen Ländern. Der EU-Binnenmarkt und insbesondere der freie Kapitalverkehr waren Spannungen ausgesetzt.

Ohne den Euro drohten ähnliche Schwierigkeiten heute. Die Zentralbanken wären an einer zusätzlichen Front als Krisenmanager gefragt. Der Euro schützt vor zusätzlichen Verwerfungen im Bereich der Währungen. Diese würden die aktuelle Lage verschärfen, die schon von Finanzmarkt-Turbulenzen und einem globalen wirtschaftlichen Abschwung geprägt ist.

Das Engagement der Väter der gemeinsamen Währung war visionär und wegweisend. Im Rückblick kann man die Einführung des Euro vor 10 Jahren als eine vorweggenommene, vorausschauende Antwort Europas auf die Herausforderungen und Risiken unserer heutigen Welt sehen.

Ich möchte nun die dritte Frage ansprechen:

Was sind die Herausforderungen für die Zukunft der gemeinsamen Währung?

Trotz aller Erfolge: Dies ist nicht die Zeit für Selbstgefälligkeit. Es gibt wichtige Herausforderungen. Die wichtigste und unmittelbarste ist natürlich die Bewältigung der Finanzmarkt-Turbulenzen und des wirtschaftlichen Abschwungs. Aber es gibt auch Herausforderungen, die über die Bewältigung der aktuellen Situation hinausreichen. Teilweise weisen sie aber Bezüge zu ihr auf.

Ich möchte auf drei Herausforderungen kurz eingehen: die Sicherung solider Staatsfinanzen, strukturelle Reformen in den Euro-Ländern und die Erweiterung des Euro-Raums.

Sicherung solider Staatsfinanzen

Solide Staatsfinanzen sind von großer Bedeutung. Sie flankieren die stabilitätsorientierte Geldpolitik der EZB. Sie verhindern, dass von der Finanzpolitik eines Landes im Euro-Raum negative Effekte auf andere Länder ausgehen. Darüber hinaus erhöhen solide öffentliche Finanzen die Flexibilität einer Volkswirtschaft. Sie sind Teil eines wachstumsfreundlichen Umfelds.

Die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten sollte das reibungslose Funktionieren der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion fördern. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist das Instrument, um dies sicherzustellen. Der Pakt ist der wichtigste Pfeiler der Wirtschaftsunion. Er unterstützt die Währungsunion.

Die strikte und glaubwürdige Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts ist unabdingbar. Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung bietet er die erforderliche Flexibilität. Automatische Mindereinnahmen und Mehrausgaben infolge des Konjunkturabschwungs stützen die Wirtschaft. Dort wo Spielraum vorhanden ist, können zusätzliche finanzpolitische Maßnahmen Wirkung zeigen. Sie sollten rechtzeitig, zielgerichtet und zeitlich begrenzt sein, und die jeweilige länderspezifische Situation im Hinblick auf die Staatsfinanzen berücksichtigen.

Bei allen kurzfristigen haushaltspolitischen Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur gilt es, die Nachhaltigkeit der Finanzpolitik mittel- und langfristig zu gewährleisten. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Solidität der Staatsfinanzen darf nicht untergraben werden, auch weil es die Wirksamkeit der konjunkturpolitischen Maßnahmen beeinträchtigen würde. Deshalb sollte schon heute über Strategien zur Konsolidierung der Staatsfinanzen nach dem Auslaufen der Konjunkturprogramme nachgedacht werden.

Strukturelle Reformen

Strukturelle Reformen in den Ländern des Euro-Raums sind vor allem aus zwei Gründen von großer Bedeutung. Sie sind erforderlich, um die Flexibilität und Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft im Euro-Raum zu steigern und um das Wachstumspotenzial zu erhöhen. Solche strukturellen Reformen betreffen die Märkte für Güter- und Dienstleistungen und den Arbeitsmarkt.

Reformen der Güter- und Dienstleistungsmärkte sollten den Wettbewerb stärken und eine wirksame Restrukturierung beschleunigen. Die Liberalisierung des Telekommunikationssektors ist ein Beispiel für eine gelungene Reform, die den Wettbewerb erhöht, die Produktvielfalt vergrößert und die Preise gesenkt hat – zum Nutzen der Verbraucher. Arbeitsmarktreformen sollten zwei Ziele anstreben: eine angemessene Lohnsetzung fördern und die Mobilität der Arbeitskräfte erleichtern – die Mobilität zwischen Sektoren der Wirtschaft und zwischen Regionen.

Flexible Arbeitsmärkte sind insbesondere in einer Währungsunion wichtig. Wechselkursanpassungen sind nicht möglich, um auf wirtschaftliche Entwicklungen und Veränderungen der Wettbewerbsfähigkeit zu reagieren. Der Lohnpolitik in den Mitgliedstaaten kommt deshalb eine besondere Verantwortung zu. Sie bestimmt in einem hohen Maß die Arbeitskosten und damit die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Sie muss an der Entwicklung der Produktivität, der Beschäftigungssituation und der Wettbewerbsposition des jeweiligen Landes ausgerichtet sein. Die relative Kostenentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen Länder des Euro-Raums müssen genau beobachtet werden.

Die derzeitige Situation sollte ein Katalysator sein, um strukturelle Reformen in den Euro-Ländern weiter voranzutreiben. Die Lissabon-Strategie der EU – mit dem Ziel, die Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken – und die Vollendung des Binnenmarktes, zum Beispiel im Dienstleistungssektor, bleiben sehr wichtige Elemente der europäischen Agenda. Sie sollten unter den gegenwärtigen Umständen nicht vergessen werden.

Erweiterung des Euroraums

Viele der Herausforderungen, vor denen die EZB steht, teilt sie mit anderen Zentralbanken wie dem Federal Reserve System der USA, der Bank of England oder der Bank of Japan. Dazu gehören aktuell vor allem die Bewältigung der Finanzmarkt-Turbulenzen und des Konjunkturabschwungs. Längerfristig sind es die Globalisierung mit dem Aufstieg von Schwellenländern wie China und Indien, der rasante wissenschaftliche und technische Fortschritt und die Alterung unserer Bevölkerung. All diese Entwicklungen beeinflussen das wirtschaftliche Umfeld, in dem Zentralbanken Geldpolitik betreiben.

Die Erweiterung des Währungsgebiets, für das wir Verantwortung tragen, ist eine spezifische Herausforderung für die EZB. Keine andere Zentralbank agiert in einem Wirtschafts- und Währungsraum, dessen Erweiterung Teil eines strukturierten Integrationsprozesses ist. Keine andere Zentralbank integriert regelmäßig neue Institutionen, wie im Falle des Eurosystems. Mit jeder Erweiterung des Euro-Raums nimmt das Eurosystem eine nationale Zentralbank in das „monetäre Team“ auf, das aus der EZB als „Kapitän“ des Teams und allen nationalen Zentralbanken der Euro-Länder besteht.

Der Euro wurde vor 10 Jahren in 11 EU-Mitgliedstaaten als gemeinsame Währung eingeführt. Das Währungsgebiet hatte zu Beginn 292 Millionen Einwohner. Heute umfasst der Euro-Raum 16 Länder mit insgesamt 329 Millionen Einwohnern. Im Laufe der ersten 10 Jahre kamen 5 neue Mitglieder hinzu: Griechenland, Slowenien, Malta, Zypern und am 1. Januar dieses Jahres die Slowakei. Mit Slowenien und der Slowakei sind erstmals mitteleuropäische Länder dem Euro-Raum beigetreten, die vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ in Europa unter kommunistischer Herrschaft standen. Der Beitritt zum Euro-Raum ist Zeugnis ihres Transformationsprozesses in den vergangenen zwei Jahrzehnten.

Der Beitritt von 5 Ländern in 10 Jahren ist auch ein Zeichen der Offenheit des Euro-Raums. Wir sind keine „geschlossene Gesellschaft“. Der Euro-Raum steht allen EU-Mitgliedstaaten offen. Die Voraussetzung für die Einführung des Euro ist, dass ein EU-Mitgliedstaat die Konvergenzkriterien von Maastricht erfüllt. Diese Konvergenzkriterien beziehen sich auf Inflation, langfristige Zinsen, Wechselkurse und Staatsfinanzen.

Die nachhaltige Erfüllung der Konvergenzkriterien vor der Übernahme des Euro als gemeinsame Währung liegt sowohl im Interesse der betroffenen Länder als auch des Euro-Raums. Es soll sichergestellt werden, dass Länder den Euro nicht einführen, ohne dass vorher die notwendige wirtschaftliche Konvergenz erreicht wurde. Ein hohes Maß an nachhaltiger wirtschaftlicher Konvergenz ist erforderlich, damit sie reibungslos in den Euro-Raum integriert werden können.

Die Konvergenzkriterien sind daher ein wichtiger Teil des stabilitätsorientierten Regelwerks der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die EZB und die Europäische Kommission berichten regelmäßig, inwieweit EU-Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Raums die Kriterien erfüllen. Sie dienen der Wahrung der Glaubwürdigkeit und der Funktionsfähigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion.

Schluss

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wenn wir auf die ersten 10 Jahre des Euro zurückblicken, so können wir dies mit Zufriedenheit tun. Die skeptischen Vorhersagen vor seiner Geburt sind nicht eingetreten. Der Euro ist eine historische Leistung. Seine ersten 10 Jahre sind eine Erfolgsgeschichte. Dies wird auch und gerade außerhalb unseres Kontinents so gesehen. Europa kann sehr stolz sein auf das Erreichte. Aber wie schon erwähnt: Dies ist nicht die Zeit für Selbstgefälligkeit. Wir sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Einige teilen wir mit anderen wichtigen Zentralbanken der Welt. Dazu gehören die Antwort auf die gegenwärtige globale Wirtschafts- und Finanzlage und die Lehren aus den derzeitigen Turbulenzen. Andere Herausforderungen stellen sich spezifisch für das Eurosystem, wie die Vollendung des gemeinsamen Marktes mit einer gemeinsamen Währung und eine erfolgreiche Erweiterung.

Die Menschen in Deutschland können sich ebenso wie alle 329 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Euro-Raum auf die EZB und das Eurosystem verlassen. Sie können sich insbesondere darauf verlassen, dass wir weiterhin ein solider und verlässlicher Anker der Stabilität und des Vertrauens sein werden. Beides ist gerade heute besonders wertvoll.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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