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Die Bedeutung integrierter Finanzräume für die wirtschaftliche Entwicklung

Rede von Gertrude Tumpel-Gugerell, Mitglied des Direktoriums der EZB
Internationale Raiffeisenunion
Berlin, 4. November 2004

Einleitung

Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Es ist mir eine besondere Freude, an der heutigen Tagung teilzunehmen.

Es war schließlich eine Raiffeisenbank, der ich meine ersten Ersparnisse im Alter von 6 Jahren anvertraut habe.

Ich bin beeindruckt, wie weit viele von Ihnen gereist sind, um an dieser Tagung teilzunehmen.

Sie haben mir die Frage gestellt: Ist ein integrierter Finanzraum gut für die wirtschaftliche Entwicklung?

Ich möchte fünf Argumente anführen: um Sie zu überzeugen:

  1. Die Einführung des Euro ist ein großer Erfolg. Dennoch gibt es Herausforderungen: Wir brauchen mehr Wachstum, mehr Beschäftigung.

  2. Integration der Finanzmärkte fördert Wachstum. Ein offener Markt für Unternehmensfinanzierung ist erforderlich

  3. Fehlende Integration der Banken und der Risikokapitalmärkte kann zulasten der kleinen und jungen Unternehmen gehen. Gerade diese zählen zu den Hauptkunden der Genossenschaftsbanken.

  4. Wie sieht die Ertragslage der Genossenschaftsbanken aus?

  5. Was ändert sich mit Basel II?

Die Euro als Erfolg

Die Einführung des Euro ist ein großer Erfolg. Der Wegfall der Wechselkursschwankungen fördert den inner-europäischen Handel. Damit unterstützt der Euro auch den einheitlichen Binnenmarkt.

Es wurde ein Handels- und Wirtschaftsraum geschaffen, der den USA vergleichbar ist. Mit der Gründung der Europäischen Zentralbank gibt es eine glaubwürdige und unabhängige Währungspolitik. Der Euro genießt hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Rund 50 Länder in der Welt orientieren sich bereits am Euro.

Der Erfolg des Euro und der Geldpolitik der EZB zeigt sich deutlich in der Entwicklung der Inflation in Europa. Seit der Einführung 1999 bewegt sich die Inflationsrate um 2%. Die Erwartungen über Preissteigerungen in der Zukunft konnten trotz steigender Energiepreise unter Kontrolle gehalten werden. Diese Stabilität der Preisentwicklung unterstützt die Wirtschaftsentwicklung in Europa. Für alle Marktteilnehmer herrscht nun europaweit Planungssicherheit für die Gestaltung der Preise.

Aber es gibt große Herausforderungen: Europas Wirtschaft hat noch nicht genug Dynamik. Die Arbeitslosigkeit ist noch immer zu hoch.

Integration fördert Wachstum

Eine stärkere Integration von Finanzräumen führt zu mehr Wirtschaftswachstum. Die treibenden Kräfte sind hierbei ein intensiverer Wettbewerb und der Zugang zu neuen Märkten. Mehr Wettbewerb führt dazu, dass Unternehmen einen besseren Zugang zu Finanzierungen haben, Investitionen werden damit gefördert und tragen zu höherem Wirtschaftswachstum bei.

Damit sollte die beste Verwendung von Kapital sichergestellt werden. Auch der Wettbewerb rechtlicher Rahmenbedingungen und talentierter Finanzleuten dient diesem Ziel.

Ein integrierter Finanzraum erlaubt weiters eine unmittelbarere Wirkung der Geldpolitik der Zentralbank. Dies ermöglicht eine schnellere Reaktion auf wirtschaftliche Schocks. Die Geldpolitik wird berechenbarer und wirksamer für alle Kapitalmarktteilnehmer.

Der Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsgrad eines Finanzraums und Wirtschaftswachstum beruht vor allem auf dem Zugang zu Kapital für junge und kleine Unternehmen. Diese sind die treibende Kraft für Innovationen und nachhaltiges Wachstum. Aber gerade diese Firmen haben es oft schwer, Kapitalgeber zu finden. Mangelndes Eigenkapital und oft hohes Investitionsrisiko schrecken Kapitalgeber ab.

Es gilt also zu untersuchen, inwieweit die Integration eines Finanzraums die Investitionen kleiner und junger Firmen ermöglicht.

Nichtintegration ist kostenspielig

Die Kosten mangelnder Integration sind in den europäischen Ländern unterschiedlich.

Der Ansatz der Studie ist, dass Punkto Integration der Finanzmärkte die gleichen Bedingungen wie in den USA herrschen. Dieser Ansatz ist sicher extrem, er zeigt allerdings besonders deutlich, welche Länder am meisten und welche am wenigsten von Integration profitieren können.

Die Größe des Mehrwachstums eines Landes setzt sich dabei aus zwei Faktoren zusammen. Erstens, aus der Kapitalintensität der Industrien eines Landes und zweitens, dem Entwicklungsgrad seines Finanzsystems.

Am wenigsten würden die Niederlande, Großbritannien und Schweden von zusätzlichen Integration profitieren. Die Wirtschaft dieser Länder könnte nur bis zu einem halben Prozent pro Jahr mehr wachsen. Italien, Belgien und Dänemark dagegen würden am meisten profitieren, im Durchschnitt deutlich mehr als ein Prozent extra Wachstum pro Jahr. Deutschland mit seinem hoch entwickelten Finanzsystem liegt im Mittelfeld. Aufgrund seiner kapitalintensiven Industriestruktur würde Deutschland deutlich mehr von einer Integration der Finanzmärkte profitieren als z.B. die Niederlande. Wie sehr sind nun die Finanzmärkte in Europa zusammengewachsen, also integriert?

Gute Integration des Geldmarkts

Damit sind die Taggeldsätze für alle Banken in der Eurozone die gleichen.

An dieser Stelle möchte ich eine aktuelle Nachricht an die Partnerbanken auf dem Geldmarkt weitergeben.

Bisher hat die EZB Feinsteuerungsoperationen zum Ausgleich der Liquiditätsbedingungen am Ende der Mindesreserveperiode nur dann vorgenommen, wenn sie ein extremes Liquiditätsungleichgewicht in die eine oder andere Richtung erwartet hatte. Allerdings, auf Grund der jüngsten Erfahrungen erscheint es jedoch angebracht, beträchtlichen Liquiditätsungleichgewichten, welche eine übermäßige Volatilität im Tagesgeldsatz verursachen, wirksamer zu begegnen.

Dies trifft besonders auf solche Ungleichgewichte zu, die aus Änderungen in den Prognosen des Eurosystems für die autonomen Liquiditätsfaktoren am Ende der Mindestreserveperiode resultieren.

Gute Integration des Anleihemarkts

Bei der Entwicklung der Zinsunterschiede von Staatsanleihen zeigt sich ein deutliches Zusammenwachsen der Länder, die an der Währungsunion teilnehmen. Auch hier begann ca. drei Jahre vor der Einführung des Euro eine Konvergenz. Seit Einführung des Euro gibt es nur mehr geringfügige Zinsunterschiede, die mit der Einschätzung der Kreditwürdigkeit der einzelnen Staaten zu tun haben.

Der Geld- und Anleihenmarkt der Eurozone ist mit der Einführung der gemeinsamen Währung vollständig integriert.

Fehlende Integration der Banken- und des Risikokapitalmarkts

Anders stellt sich die Situation des Bankensektors dar. Zwar gab es auch hier bei Unternehmenskrediten den Beginn einer Konvergenz der Zinsen seit 1996, allerdings kam es auch mit der Einführung des Euro nicht zu einer vollständigen Angleichung. Seit Ende 2000 sehen wir eine zunehmende Streuung der Zinsen für Unternehmenskredite innerhalb der Eurozone. Auch nach der Einführung des Euro muss also ein Unternehmen für denselben Kredit bei einer deutschen Bank einen anderen Zinssatz bezahlen als bei einer französischen Bank.

Die nach wie vor bestehenden Differenzen bei den Kreditzinsen lassen darauf schließen, dass es auf diesem Gebiet noch keinen „Europäischen Markt“ gibt.

Fehlende Integration: Banken

Eine Betrachtung von Bankenfusionen bestärkt den Schluss, dass der Wettbewerb von Banken in der Eurozone eher ab- als zugenommen hat. Die meisten Fusionen finden innerhalb eines Landes statt. Grenzüberschreitende Fusionen zwischen Banken aus verschiedenen Ländern der Eurozone sind die Ausnahme. Es gibt also eine nationale, aber keine europäische Konsolidierung des Bankensektors. In einem integrierten Finanzmarkt sollten allerdings nationale Grenzen nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium für Fusions- oder Investitionsentscheidungen sein.

Die Integration des Bankensektors wäre aber insbesondere für kleinere Unternehmen, die sich traditionell über Bankkredite finanzieren, von großer Bedeutung. Eine alternative Finanzierungsform zu Bankkrediten stellt für neue Unternehmen das so genannte Venture Capital dar. Die Integration des Venture-Capital-Markts in Europa ist daher für kleine und innovative Unternehmen auch von Bedeutung.

Venture Capital Markt

Die Investionen in Europa betragen weniger als die Hälfte der in den USA. In den Jahren des Technologiebooms 1999 und 2000 wurde in Europa sogar nur rund ein Fünftel des US Volumens investiert. Der Venture Capital Markt, ein Lieferant für Risikokapital und wichtiger Inkubatur für Innovationen ist in Europa noch zu wenig entwickelt.

Schwache Integration des VC-Markts

Dies zeigt sich auch in der mangelnden Integration des europäischen Venture Capital Markts. Die meisten Investionen fließen in heimische Firmen. Außer in Großbritannien, der Schweiz und Deutschland, beträgt der Anteil ausländischer Aktivitäten eines europäischen Venture Capital Fonds weniger als ein Zehntel.

Die Einführung des Euro hat zwar eine gute Integration des Geld- und Anleihemarkts möglich gemacht. Defizite bestehen jedoch bei der wachstumsrelevanten Unternehmensfinanzierung, insbesondere bei kleinen, jungen, innovativen Unternehmen.

Dieses Defizit bringt mich zwangsläufig zu der Rolle der Genossenschaftsbanken.

Genossenschaftsbanken und das Problem der Kreditvergabe

Mark Twain hat das fundamentale Problem der Kreditvergabe auf den Punkt gebracht:

„Eine Bank leiht Dir nur Geld, wenn Du beweisen kannst, dass Du es nicht brauchst.“

Genau dieses Problem hat zum Schaffung des Genossenschaftsbanksektors in der Mitte des 19. Jahrhunderts geführt.

Der Ursprung der Genossenschaftsbanken lag in der Kreditrationierung für Handwerker und Bauern. Kommerzielle Banken beschränkten sich entweder auf die Finanzierung von Staat, Handel und verarbeitender Industrie, oder forderten hohe Sicherheiten, die nicht geleistet werden konnten. Um das von Mark Twain auf den Punkt gebrachte Informationsproblem zu lösen, wurden unter der Führung von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen Genossenschaften gegründet. Die Kreditgeber verfügen über dieselben Informationen wie die Kreditnehmer. Da z.B. Handwerker entsprechend dem Prinzip den Selbsthilfe und Selbstverantwortung anderen Handwerkern Geld leihen, kommt es auch zu sehr langfristigen Kreditvergaben – man kennt ja schließlich die Unwägbarkeiten und Besonderheiten des eigenen Gewerbes.

Die Nachteile sind allerdings untrennbar mit den Vorteilen verbunden. Da z.B. Handwerker anderen Handwerkern Kredite geben, kann es zu einer unzureichenden Diversifizierung des Kreditrisikos nach Branchen oder Regionen kommen.

In den letzten dreißig Jahren wurde eine beachtliche Konsolidierung des Genossenschaftssektors erreicht. Existierten 1970 in Deutschland noch mehr als 11.000 Kreditgenossenschaften, so sind es mittlerweile nur noch rund 1600. Hat es der Genossenschaftssektor es geschafft, auf diese Weise seine Vorteile zu wahren?

Die Ertragssituation der Genossenschaftsbanken

Ein kürzlich erschienener Bericht der Bundesbank kommt zu dem Schluss, dass die Kreditgenosschenschaften mit fünf Prozent die höchste Eigenkapitalrendite aller deutschen Banken für das Jahr 2003 erzielten. Die Stärke des Genossenschaftssektors erklärt sich aus drei Faktoren. Erstens, erzielen die Kreditgenossenschaften einen hohen Zinsüberschuss, was auf eine gewisse lokale Marktmacht schließen lässt. Zweitens haben Kreditgenossenschaften nur einen durchschnittlichen Aufwand für Risikovorsorgen. Drittens, haben Kreditgenossenschaften eine neutrale Position bei anderen und außerordentlichen Erträgen. Das heißt, dieser Sektor beteiligt sich nicht, oder vorsichtiger, am Finanzanlagegeschäft. Gerade dieses Geschäft ist für den dramatischen Einbruch der Ertragslage bei den großen Geschäftsbanken verantwortlich. Sie verloren ca. acht Milliarden Euro durch Neubewertungen von Wertpapieren und Beteiligungen.

Die genossenschaftlichen Zentralbanken tragen einen höheren Anteil der Risikovorsorgen. Vergleicht man die Eigenkapitalrenditen europäischer Genossenschaftsbanken liegen Italiens Banco Popolare Verona e Novara und Frankreichs Crédit Mutuel im Spitzenfeld.

Ich bin überzeugt, dass eine weitere Konsolidierung des Bankwesens in Europa – besonders auch grenzüberschreitend – eine Voraussetzung für gute Ertragskraft der Banken und gleichzeitig bestmögliche Finanzierungsbedingungen für die Kunden ist.

Basel II und die Rolle der EZB

Ich möchte mich nun einem weiteren Thema zuwenden, das derzeit für den gesamten Bankensektor hochaktuell ist, nämlich Basel II.

Im Juni dieses Jahres wurde in Basel die Rahmenvereinbarung über die neue Eigenkapitalempfehlung für Kreditinstitute veröffentlicht. Seitens der EZB begrüßen wir die Fertigstellung der Rahmenvereinbarung im Baseler Ausschuss nachdrücklich. Wir sind zuversichtlich, dass diese neuen Regeln nicht nur das Bankensystem krisenfester machen werden, sondern auch gesamtwirtschaftlich positive Effekte auslösen.

Die neuen Regeln sollen einerseits das Kreditrisiko begrenzen. Zum anderen geben sie genug Spielraum, sodass Kreditinstitute verschiedener Größen, mit unterschiedlichen Risikoprofilen und Portfolios in dem neuen Regelwerk für sie den optimalen Ansatz finden. Man versucht auch, das Ausfallrisiko des jeweiligen Kreditnehmers besser abzuschätzen.

In der Diskussion wurden oft Sorgen um die zukünftige Lage der kleinen und mittleren Unternehmen geäußert. Diese Diskussion ist besonders für den genossenschaftlichen Bankensektor von Bedeutung. Ich kann Ihnen versichern. Diese Sorgen sind nicht begründet.

Die Eigenschaften des Mittelstandes sind bei der Berechnung des Eigenkapitals, das für Ausleihungen an kleine und mittlere Unternehmen zu halten ist, berücksichtigt worden. Basel II erlaubt auch eine weitergehende Anerkennung von mittelstands-typischen Sicherheiten. Neben Hypotheken sind nunmehr auch Lebensversicherungen, verschiedenste Arten von Forderungen oder auch Fahrzeuge zulässige Sicherheiten im Kreditgeschäft.

Basel II hat bereits vor dem Inkrafttreten Wirkung gezeigt. So beobachten wir am Anleihemarkt einen längerfristigen Aufwärts-Trend in der Mittelaufnahme von Unternehmen: Seit 1999 haben Industrieunternehmen immer öfter ihren Finanzierungsbedarf durch Unternehmensanleihen gedeckt.

Die Bedeutung von Basel II liegt nicht nur in der Verbesserung der Risikomodelle, sondern auch in den Auswirkungen auf das EU-Finanzsystem. Da wir einen EU-weit harmonisierten Standard entwickelt haben, wird es zu einem Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen Ländern kommen.

In diesem Zusammenhang möchte ich drei Aktivitäten der EZB herausgreifen, die zur Förderung der Finanzintegration dienen.

Zum einen beteiligt sich die EZB im ‚Committee of European Banking Supervisors’ (CEBS). Das seit Januar dieses Jahres aktive Gremium soll vor allem die konsistente EU-weite Implementierung der neuen Richtlinien unterstützen sowie die Aufsichtskooperation insgesamt fördern.

Weiters ist auch die direkte Mitwirkung der EZB im Basler Ausschuss zu nennen.

Drittens ist die EZB bei der Abfassung der Rechtsmeinung direkt im Entstehungsprozess der neuen bankenaufsichtlichen Rahmenbedingungen involviert. Auch dort verfolgen wir das Ziel, die Integration des EU-Finanzsystems zu fördern.

Schlussbemerkungen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Integration eines Finanzraums das Wirtschaftswachstum nachhaltig fördern kann. Dies geschieht durch Zugang zu neuem Kapital und durch eine effizientere Zuteilung von existierendem Kapital, vor allem für kleine, junge, innovative Unternehmen.

Obwohl der Euro ein großer Erfolg ist, und entscheidend zur Intergration von Geld- und Anleihemärkten beigetragen und den Markt für Unternehmensanleihen in Schwung gebracht hat, ist der Banken- und Venture-Capital-Sekor noch zu wenig integriert.

Die EZB unterstützt die Entwicklung hin zu einem modernen Risikomanagement der Banken über den Basel II Prozess.

Ich habe damit den weiten Bogen von Euro, Wachstumsdynamik und Schaffung eines gemeinsamen offenen Finanzraums gezogen und damit die Herausforderungen auch für die Genossenschaftsbanken skizziert.

Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg!

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