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Rede aus Anlass der Verleihung des internationalen Preises der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung

Professor Dr. Dr. h.c. mult. Otmar Issing, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, 12. Oktober 2003 Berlin

Im Jahre 1976 publizierte das Institute of Economic Affairs unter dem Titel: "Choice in Currency: A Way to Stop Inflation" eine Schrift, die ohne große Umschweife nichts weniger forderte, als das Monopol der Notenbanken für die Ausgabe von (Zentralbank-) Geld aufzuheben und das Geldangebot – wie bei anderen Gütern auch – dem Wettbewerb zu überlassen. Wenig später vertiefte der Autor seine Thesen in dem Buch "Entnationalisierung des Geldes". Sein Name: Friedrich August von Hayek.

Zwei Gründe bewegen mich, diesen Hinweis meiner Dankesrede voranzustellen. Zum einen brachte mich diese Publikation in persönlichen Kontakt mit dem Autor. Hayek's Vorschlag war so revolutionär, dass ich unbedingt eine deutsche Übersetzung in einen der beiden Sammelbände (Geldtheorie bzw. Geldpolitik), die ich gerade vorbereitete, aufnehmen wollte. Die Verhandlungen mit dem Autor verliefen reibungslos bis zu dem Zeitpunkt, als ich beabsichtigte, dem Aufsatz das folgende Hayek-Zitat voranzustellen: "Inflation is made by government and its agents. Nobody else can do anything about it." In einer langen Korrespondenz und einem noch längeren Telefongespräch einigten wir uns schließlich darauf, dass sich der Term "government" nicht adäquat ins Deutsche übersetzen lässt. Zum anderen ließ mich die Auseinandersetzung mit seinem Vorschlag zur Reform des Geldwesens besser verstehen, wo und warum ich dem von mir seit langem bewunderten Autor nicht uneingeschränkt zustimmen konnte und folgen wollte. Doch davon später.

Nur zur Erinnerung: Das war Ende der siebziger Jahre, also zu einem Zeitpunkt, als die Vorstellung, ich könnte einmal für Geldpolitik verantwortlich und somit Repräsentant einer "Monopolinstitution" sein, nicht einmal als Fiktion existierte. Als ich 1999 vom Institute of Economic Affairs die ehrenvolle Einladung erhielt, die Memorial Lecture aus Anlass des 100. Geburtstages v. Hayeks zu halten, hatte ich die Gelegenheit, meine Position zum Währungswettbewerb auszuführen. So steht denn meine auf diesem Vortrag basierende Veröffentlichung in der gleichen Reihe wie die Schrift von Hayeks. Knapp 20 Jahre vorher hatte ich mich mit einem Beitrag an der Festschrift zu seinem 80. Geburtstag beteiligt.

Beginnen möchte ich mit dem tiefen Eindruck, den Hayek's Werk auf mich gemacht hat. Am Anfang stand das Buch "The Road to Serfdom" – "Der Weg zur Knechtschaft" (Erscheinungsjahr 1944), das ich als junger Student geradezu verschlungen habe. (Ich werde häufiger von Hayek zitieren. Da ich das Zuhören nicht unnötig erschweren möchte – gehen Sie einfach davon aus, dass alles, was intelligent klingt, nicht von mir stammt.)

Das Werk und vielleicht noch mehr das Motto – "Den Sozialisten in allen Parteien" – hat dem Autor Widerspruch in fast allen Kreisen und darüber hinaus auch bittere Feindschaft eingetragen. Für mich – und ich denke für jeden aufmerksamen Leser, daher auch die empörten Reaktionen – öffnete es die Augen für den im Kern totalitären Anspruch der Konzeptionen umfassender Planung und sozialistischer Kontrolle. Hier ist bereits die Erkenntnis ausgesprochen – später in zahlreichen Beiträgen und unter vielen Aspekten erhärtet: Die Marktwirtschaft ist das sine qua non einer freiheitlichen Gesellschaft. Von falschen Vorstellungen geleitete Interventionen mindern den Wohlstand und bedrohen zunehmend die Freiheit, ohne das Versprechen auf ein Mehr an Gerechtigkeit halten zu können.

Es ging mir dann wie vielen anderen in der ganzen Welt: Ich habe jede neue Veröffentlichung mit Spannung erwartet und die meisten Publikationen gelesen. Weder ist jedoch hier der Ort noch hätte ich die Kompetenz, das Gesamtwerk angemessen zu würdigen. Ich möchte mich daher darauf beschränken herauszustellen, welche Gedanken den tiefsten Eindruck hinterlassen haben.

Wenn ich gleichwohl mit einem einzelnen Buch fortfahre, dann deswegen, weil das monumentale Werk "Die Verfassung der Freiheit" (deutsche Übersetzung 1971) im Titel seine Botschaft im Ganzen zusammenfasst. In dieser umfassenden "Neudarstellung der Grundprinzipien einer Philosophie der Freiheit" spannt der Autor einen weiten Bogen von den Bedrohungen der Freiheit zu den institutionellen Elementen der Bewahrung der Freiheit. "Was eine freie Gesellschaft dem Einzelnen bietet, ist viel mehr, als was ihm offenstünde, wenn nur er allein frei wäre. Wir können daher den Wert der Freiheit nicht voll würdigen, solange wir nicht wissen, worin sich eine Gesellschaft freier Menschen als Ganzes von einer Gesellschaft unterscheidet, in der Unfreiheit herrscht". (Alle Zitate aus der Einleitung zur "Verfassung der Freiheit"). Und immer wieder – in verschiedenen Veröffentlichungen – die Warnung vor den Grenzen, ja unvermeidlichen Mängeln – um das mildeste Wort zu verwenden – des Versuches, eine Gesellschaft nach vorgedachten, vorgefertigten Mustern zu organisieren. Friedrich A. von Hayek steht dagegen in der Denktradition der englischen und schottischen Philosophen des Liberalismus, die – in den Worten Adam Fergusons – zeigen, "Wie Nationen im Dunkeln auf Einrichtungen stoßen, die in der Tat das Ergebnis menschlichen Handelns sind, nicht die Durchführung eines menschlichen Planes" (zitiert nach "Verfassung der Freiheit", S. 69).

In einem meiner Universitätsseminare, das ausschließlich diesem Werk gewidmet war, konnte ich erleben, welche Faszination von diesem Autor auf junge Menschen ausging, sobald sie bereit waren, sich auf seine Gedankenführung einzulassen.

Später spricht Hayek davon, dass er in seinem Leben eine "Entdeckung" gemacht hat. "Es war die Erkenntnis, dass das Preissystem ein System von Signalen ist, das den Menschen in die Lage versetzt, sich an Ereignisse und Umstände anzupassen, von denen er nichts weiß; dass unsere ganze moderne Ordnung, unsere ganze Weltwirtschaft und unser Wohlstand auf der Möglichkeit einer Anpassung an Vorgänge beruhen, die wir nicht kennen..." (Friedrich A. von Hayek, Festveranstaltung zum 80. Geburtstag, Baden-Baden 1980, S. 38). Kein menschlicher Verstand und auch kein Computer kann über das gesamte, in den Individuen verkörperte Wissen verfügen und noch weniger in sinnvoller Weise koordinieren. Die Überlegenheit der spontanen Ordnung gegenüber jeglicher Planung nimmt daher auch nicht mit der wachsenden Komplexität wirtschaftlicher und sozialer Erscheinungen ab, sondern ganz im Gegenteil zu! Gerade wegen der Verstreutheit des Wissens in der Welt bietet die Philosophie der englischen und schottischen Liberalen auch die überlegenen geistigen Grundlagen für die modernen, hochkomplexen Großgesellschaften der Moderne.

Dazu nur als Nebenbemerkung: Schon sehr früh hatte sich Hayek an der Debatte um die Möglichkeit einer "sozialistischen Wirtschaftsrechnung" beteiligt. Mit seinen späteren, tieferen Einsichten – angewandt auf die nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr veränderte Welt –, konnte er erst recht nicht an dem Scheitern der sozialistischen Planwirtschaften zweifeln. Was heute so selbstverständlich erscheint, war jedoch selbst unter führenden Ökonomen bis zur Stunde des Zusammenbruchs des "realen Sozialismus" heftig umstritten. (Noch 1989 schrieb Samuelson in der 13. Auflage seiner "Economics": "Sovjet economy is proof that contrary to what many skeptics had earlier believed, a socialist command economy can function and even thrive", p. 837. Dazu bemerkt der erste Träger des Preises, Leszek Balcerowicz: "One can only wonder how so many economists could support the claim of the economic viability and even the superiority of socialism and disregard the warnings coming from von Mises and Hayek...". Toward a Limited State, World Bank Group 2003, p. 20.)

Setzt das Preissystem die Signale für die Aktivitäten der Individuen wie deren unbewusste und ungeplante Koordinierung zu einem sinnvollen Ganzen – wer dächte dabei nicht an die "unsichtbare Hand" eines Adam Smith -, so fungiert der Wettbewerb als ein "Entdeckungsverfahren" (siehe den gleichnamigen Aufsatz, abgedruckt in den "Freiburger Studien"), "in dem Kundschafter auf der ständigen Suche nach unausgenützten Gelegenheiten sind". Man verstehe Wettbewerb in diesem Zusammenhang nicht als ein auf die Wirtschaft beschränktes Phänomen – sein Wirken erstreckt sich auf so gut wie alle Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Diese Funktionen können der Wettbewerb und das Preissystem nur in einer freiheitlichen Gesellschaft entfalten, in einer Gesellschaft, die offen ist für neue Gedanken, Experimente, Entwicklungen. Für den Liberalen – v. Hayek grenzt sich in einem eigenen Kapitel deutlich von der Position der Konservativen ab – ist die Zukunft offen, er sieht in dieser Offenheit keine Bedrohung, sondern Chancen, freiheitlichem Handeln Raum zu geben. Der liberale Standpunkt beruht auf "Mut und Zuversicht", "auf einer Bereitschaft, der Veränderung ihren Lauf zu lassen, auch wenn wir nicht voraussagen können, wohin sie führen wird" (Verfassung der Freiheit, S. 484).

Genau an dieser Stelle der Philosophie der Freiheit begann für mich das Zögern, der Zweifel. Kann, darf eine Gesellschaft am Ende jedes Risiko eingehen bis hin zum Risiko der Selbstzerstörung? Doch hätte Prometheus den Menschen das Feuer gebracht, hätte er erst Fluch und Segen dieser "Innovation" gegeneinander abwägen müssen?

Sie werden nicht von mir eine Antwort auf diese ewige Frage der Menschheit erwarten, die in unserer Zeit den Menschen selbst zum Mittelpunkt einer Auseinandersetzung macht, für die weltweit Kommissionen aller Art eine Lösung suchen, während Forscher an vielen Orten ihre Entscheidung für den Fortschritt, die Neugier, längst getroffen haben.

Lassen Sie mich von der hohen Ebene der Verallgemeinerung auf die eines speziellen Beispiels herabsteigen und an den Beginn meiner Rede anknüpfen. Aus seiner Überzeugung, dass stabiles Geld in den Händen staatlicher Autoritäten auf Dauer nicht zu erhoffen ist, gibt es für Hayek nur eine Folgerung, nämlich die nach der Abschaffung der eigentlichen Ursache für Inflation und schlechtes Geld, des Notenbankmonopols. Wie jedes andere Gut soll auch die Produktion von Geld vollständig dem Wettbewerb überlassen werden. Nun werden Sie alles andere als überrascht sein, wenn ein Vertreter einer Monopolinstitution nicht ein Plädoyer für Wettbewerb auf eben diesem Sektor hält. Und es mag Sie möglicherweise auch nicht – zumindest nicht vollständig – überzeugen, dass in einer Welt konvertibler Währungen und freien Kapitalverkehrs hinreichende Wettbewerbselemente wirksam sind.

Meine Vorbehalte sind ohnehin grundsätzlicher Natur und betreffen den Kern des Vorschlags. Was wäre vom Währungswettbewerb à la Hayek zu erwarten? Können wir die möglichen Ergebnisse antizipieren – ohne das Experiment tatsächlich durchzuführen? Zu dieser Frage liegt inzwischen eine unübersehbare Fülle von Publikationen vor. Ich kann hier nicht in wenigen Sätzen eine objektive und zudem umfassende Einschätzung des Ergebnisses vortragen. Für mich – und zu diesem Resultat bin ich lange vor meiner Zeit als Notenbanker gelangt – wäre dies ein konkreter Fall eines absehbar so hohen Risikos für die Gesellschaft, dass dieser radikale Vorschlag nach meiner Auffassung nur zu erwägen wäre, wenn das Währungswesen vollständig zerrüttet und eine befriedigende alternative Lösung nicht denkbar wäre.

Mit einer Verfassung, die der Notenbank bei ihren Entscheidungen Unabhängigkeit verleiht und sie zugleich eindeutig auf das Ziel der Preisstabilität verpflichtet, steht eine solche Lösung zur Verfügung. Sie mögen sagen – kein Wunder, dass der Redner diese Auffassung vertritt, entspricht sie doch genau dem Statut der Europäischen Zentralbank. Gewiss, doch hat Hayek ursprünglich selbst Sympathien in diese Richtung geäußert (siehe "Verfassung der Freiheit", S. 409ff).

Damit ist die generelle Frage nach den Risiken, die eine Gesellschaft einzugehen bereit sein sollte, nicht einmal klar gestellt, geschweige denn beantwortet. Lassen Sie es mich dabei bewenden, dass ich in diesem Punkt über den Stand des Zweifels nicht hinausgekommen bin.

Jedenfalls hat dieser grundsätzliche Dissens das Kuratorium der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung nicht abgehalten, ihren Preis an jemanden zu verleihen, der nach einer wissenschaftlichen Laufbahn Verantwortung in einer Notenbank, eben einer Monopolinstitution trägt. Es mag Sie beruhigen, dass für mich ganz persönlich eine Mahnung von Hayek's allgegenwärtig bleibt: "Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Unwissenheit ernster nehmen". Und: "Während die Annahme einer hinreichenden Kenntnis der konkreten Tatsachen im allgemeinen eine Art intellektueller Hybris hervorruft, die sich der Illusion hingibt, der Verstand könne über alle Werte ein Urteil abgeben, erzeugt die Einsicht in die Unmöglichkeit eines solchen vollständigen Wissens eine demütige und ehrfürchtige Haltung gegenüber jener Erfahrung der Menschheit als einer Gesamtheit, die in die Werte und in die Institutionen der bestehenden Gesellschaft eingegangen ist." (Die Theorie komplexer Phänomene, Walter Eucken Institut, 1972, S. 32f).

Die Warnung vor der "Anmaßung von Wissen" – "Pretence of Knowledge" sollte in der Tat auf jedem Schreibtisch stehen. Ob ich im Alltag immer hinreichend dem Kriterium der Demut genüge, mögen andere beurteilen. In Demut nehme ich jedenfalls den nach einem der großen Denker des 20. Jahrhunderts benannten Preis entgegen und danke all denen, die sich für mich entschieden haben.

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