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Dankesrede anlässlich der Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

Rede von Dr. Willem F. Duisenberg, President der Europäischen Zentralbank, Frankfurt am Main, 24. Juli 2002

Zunächst einmal möchte ich dem Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, der hier von Herrn Bundesminister Eichel vertreten wird, für die Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Durch diese Auszeichnung fühle ich mich überaus geehrt. Ihnen, Herr Minister, danke ich ebenfalls für Ihre freundlichen Worte. Und ich danke allen Anwesenden dafür, dass Sie diesen besonderen Augenblick mit mir teilen.

Zusammen mit so hoch angesehenen Persönlichkeiten wie Karl Otto Pöhl, Helmut Schlesinger und Hans Tietmeyer genannt zu werden, ist für einen ehemaligen Präsidenten der niederländischen Zentralbank eine große Ehre. Anfang der Siebzigerjahre wurde der niederländischen Zentralbank und insbesondere meinem Vorgänger Jelle Zijlstra klar, dass die relativ kleine und offene Volkswirtschaft der Niederlande gar nicht anders konnte, als ihre Geldpolitik an ihrem wichtigsten Handelspartner und Nachbarn Deutschland auszurichten. Wir meinten, dadurch die Glaubwürdigkeit der deutschen Geldpolitik "importieren" und die interne Stabilität der Deutschen Mark auf den niederländischen Gulden übertragen zu können. Diese Strategie war umstritten, und die niederländische Zentralbank beschloss in einem eher zurückhaltenden Ansatz eine an einem Wechselkursziel orientierte Politik. 1983, zu Beginn meiner Amtszeit als Präsident der De Nederlandsche Bank, wurde ich mit dem Beschluss der niederländischen Regierung konfrontiert, den Gulden im Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems nicht im selben Maß wie die deutsche Währung aufzuwerten – ein Beschluss, der gegen den ausdrücklichen Rat der niederländischen Zentralbank gefasst worden war. Diese Entscheidung führte zu einem Gefälle zwischen den niederländischen und deutschen Zinssätzen, das den Niederlanden leider noch fast acht Jahre lang zu schaffen machte. Die wichtigste Lehre, die für mich und auch für die Regierung daraus zu ziehen war, bestand in der Einsicht, dass es sehr schwer ist, Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten zu erlangen, dass es aber ganz leicht ist, sie zu verlieren.

Nach 1983 war der Wechselkurs des Gulden mehr oder weniger fest an den der D-Mark gebunden. Und wie in den Siebzigerjahren erwartet, entsprach die Preisentwicklung in den Niederlanden weitgehend der in Deutschland. Ganz offensichtlich bewährte sich die niederländische Geldpolitik während der Turbulenzen, denen das Europäische Währungssystem im Juli 1993 ausgesetzt war, als beschlossen wurde, die Schwankungsbandbreiten des Wechselkursmechanismus auszuweiten. Nur die enge Bindung des Gulden an die Mark, besiegelt durch einen Briefwechsel zwischen Bundesbank und De Nederlandsche Bank, überlebte diesen Sturm. Die Glaubwürdigkeit der niederländischen Geldpolitik war offenbar wiederhergestellt.

Parallel zu diesen Entwicklungen ließen sich führende Politiker Europas auf ein Vorhaben ein, das noch viel ehrgeiziger war als die enge Bindung zwischen niederländischem Gulden und Deutscher Mark: die Einführung einer gemeinsamen Währung in Europa. Einer der Väter dieses Vorhabens, Pierre Werner – ehemals Premierminister von Luxemburg –, ist erst vor kurzem gestorben. Bedauerlicherweise war seinem Vorschlag, die Währungsunion bis zum Ende der Siebzigerjahre zu erreichen, kein Erfolg beschieden. An dieser Stelle möchte ich ihm den gebührenden Tribut für seine Bemühungen zollen. Das Scheitern dieses Projekts hat Europa aber wohl nicht geschadet, denn damals war der Binnenmarkt noch längst nicht verwirklicht. Vielmehr waren die politischen Erwartungen, die mit einer gemeinsamen Währung in Europa verbunden wurden, der wirtschaftlichen Realität zu weit voraus. Wäre hingegen die Einführung einer gemeinsamen Währung nach der Verabschiedung des Vertrags von Maastricht gescheitert, so hätte dies weitaus größeren Schaden angerichtet.

Die gemeinsame Währung wurde auf Umwegen erreicht. In den weltweiten Währungsturbulenzen Anfang der Siebzigerjahre und der nachfolgenden Rezession trat der gesamte im Werner-Bericht niedergelegte Plan zunächst in den Hintergrund. Einen neuen Impuls bekam die Vision von einer gemeinsamen Währung in Europa aber nach der Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte 1987, welche die Grundlage für den europäischen Binnenmarkt schuf. Dahinter stand die – meiner Ansicht nach zutreffende – Auffassung, dass nicht alle Vorteile eines Binnenmarkts ausgeschöpft werden könnten, solange dieser noch Wechselkursschwankungen unterliege. Darüber hinaus wurden freier Kapitalverkehr, feste Wechselkurse und eine unabhängige Geldpolitik der Mitgliedstaaten allgemein als unvereinbar betrachtet. (Diese Ansicht vertrat übrigens erstmals mein Kollege im Direktorium der EZB, Tommaso Padoa-Schioppa.) Die damals eingeleiteten Initiativen wären allerdings nicht möglich gewesen ohne den Willen und den Mut der Politiker, eine gemeinsame Währung in Europa zu schaffen. Dieser Prozess, der mit der Einführung der Euro-Banknoten und -Münzen am 1. Januar dieses Jahres abgeschlossen wurde, verlangte der deutschen Regierung ein beträchtliches Maß an Entschlossenheit ab.

Auf dem Weg zur Einführung des Euro erwies sich Deutschland als beharrlicher Befürworter einer gemeinsamen, stabilitätsorientierten Währung. Der Binnenwert der gemeinsamen Währung sollte mindestens so stabil sein wie der Binnenwert der Deutschen Mark. Wenn es ein Land in Europa gab, das die damaligen Anliegen Deutschlands voll und ganz verstand, so war es vielleicht meines – und zwar nicht nur, weil die Niederlande enorm von der stabilitätsorientierten Geldpolitik der Deutschen Bundesbank profitiert hatten. Die Niederlande hatten darüber hinaus die Vorteile einer stabilen Währung und niedriger Inflationsraten schätzen gelernt. Deshalb wurde Deutschland in dem Prozess, der schließlich zur Währungsunion in Europa führte, von der niederländischen Regierung und insbesondere von der niederländischen Zentralbank nachdrücklich unterstützt. Ich möchte sogar behaupten, dass sich die Niederlande für die Verteidigung der Stabilität der Währung häufig noch entschiedener eingesetzt haben als Deutschland. Als kleines, für seine direkte und offene Art bekanntes Land konnten die Niederlande in vielen Fällen Standpunkte und Strategien vertreten, die für Deutschland als einen der Hauptakteure in Europa höchstens in abgeschwächter Form in Frage kamen.

In diesem Zusammenhang möchte ich der deutschen Regierung für das Vertrauen danken, das sie in mich als den "Hüter" der neuen Währung gesetzt hat – soweit diese Aufgabe von einem Einzelnen überhaupt zu erfüllen ist. Darüber hinaus möchte ich der deutschen Regierung meine Hochachtung für ihren Mut aussprechen, die D-Mark als ein Symbol deutscher Identität zu "opfern" und im Interesse von Frieden und Wohlstand in Europa den Euro, eine Größe von damals noch ungewissem Stellenwert, zu unterstützen. Dankbar bin ich natürlich auch für die freundlichen Worte, die Herr Eichel über meine Rolle bei der Euro-Bargeldeinführung gefunden hat. Es sollte aber nicht vergessen werden – so meine ich jedenfalls –, dass der bisherige Erfolg des Euro und vor allem die reibungslose Bargeldumstellung in erster Linie der Bevölkerung zuzuschreiben ist. Ohne die Unterstützung der Bürger Europas wäre das Projekt gescheitert. Und ohne den Rückhalt, den die stabilitätsorientierte Geldpolitik in der Bevölkerung findet, wäre es nicht möglich gewesen und wird es nicht möglich sein, den Wert der Währung zu sichern.

In Ihrer Rede, Herr Eichel, haben Sie einen Punkt aufgegriffen, der auch in der Anregung zur Verleihung des Verdienstordens Erwähnung findet, nämlich die erfolgreiche Gewährleistung der Preisstabilität durch die Europäische Zentralbank in den Anfangsjahren der Währungsunion, die sich in einer durchschnittlichen jährlichen Inflationsrate von 2 % während dieses Zeitraums widerspiegelt. Diesbezüglich ist sich die Bundesregierung, wie verschiedene Indikatoren der Inflationserwartungen zeigen, mit den Akteuren der Wirtschaft einig. Das ist aber kein Grund zur Selbstgefälligkeit. Im Jahr 2000 betrug die Inflationsrate im Euroraum 2,3 %, 2001 belief sie sich auf 2,5 %. Für dieses Jahr rechnen wir mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von knapp über 2 %. Die EZB wird getreu ihrem Auftrag wachsam bleiben, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren und sich die Unterstützung der Bürger Europas zu erhalten. Was dies betrifft, so habe ich bereits aus meiner Erfahrung als Präsident der niederländischen Zentralbank berichtet: Glaubwürdigkeit ist viel leichter zu verspielen als zu gewinnen.

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass die EZB ein stabiles gesamtwirtschaftliches Umfeld nicht – oder nur zu einem recht hohen Preis – gewährleisten kann, wenn sie auf sich alleine gestellt ist. Der Erfolg einer stabilitätsorientierten Geldpolitik hängt auch von Lohnzurückhaltung ab, die in der Zuständigkeit der Sozialpartner liegt, sowie von einer soliden Haushaltspolitik, die gemäß den Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts Aufgabe der europäischen Regierungen ist. Ich freue mich, Herr Eichel, dass sich die Bundesregierung weiterhin zur Einhaltung der Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts verpflichtet. In Ihrer Rede äußern Sie sich lobend über meine Verdienste als Finanzminister der Niederlande. Ich muss zugeben, dass meine Finanzpolitik der frühen Siebzigerjahre, die auf einen maximalen Anstieg der Steuer- und Sozialabgabenlast um einen Prozentpunkt des Nationaleinkommens pro Jahr hinauslief und die vor dem makroökonomischen Hintergrund dieser Zeit zu sehen ist, definitiv nicht den heutigen finanzpolitischen Auffassungen entsprechen würde.

Es ist nicht überraschend, dass die stabilitätsorientierte Politik und der zur Sicherung der makroökonomischen Stabilität bereitgestellte Handlungsrahmen insbesondere in der gegenwärtigen Phase des Konjunkturzyklus auf die Probe gestellt werden. Dennoch bin ich – anders als einige Kritiker – der Ansicht, dass der makroökonomische Handlungsrahmen, vor allem der Stabilitäts- und Wachstumspakt, den Entscheidungsträgern in der Finanzpolitik genügend Spielraum einräumt, solange sich die Regierungen an die Bestimmungen des Paktes halten. Dies zeigt sich auch deutlich in der Finanzpolitik einiger Mitgliedstaaten. Außerdem denke ich, dass es ein großer Fehler und der stabilitätsorientierten Kultur abträglich wäre, den im Vertrag von Maastricht festgelegten makroökonomischen Handlungsrahmen zu verändern – unabhängig davon, ob es sich um die Finanz- oder die Geldpolitik handelt.

Verehrte Gäste, meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Eichel, die Ehre, die mir heute zuteil wurde, weiß ich sehr zu schätzen. Obwohl die EZB und ihre Entscheidungsträger unabhängig agieren, ist die Regierung des größten Landes der Europäischen Union offensichtlich der Meinung, ich hätte meine Arbeit ordentlich getan. Nach diesem Vertrauensbeweis trage ich leichter an meiner Verantwortung als Präsident der EZB. Nochmals herzlichen Dank für diese Auszeichnung.

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