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Luis de Guindos
Vice-President of the European Central Bank
  • INTERVIEW

Interview mit Süddeutsche Zeitung

Interview mit Luis de Guindos, Vize-Präsident der EZB, geführt von Markus Zydra und Meike Schreiber am 3. Februar

8 Februar 2023

Herr De Guindos, zuletzt sind die Energiepreise gesunken. Ist der Inflationsspuk bald vorbei?

Nein, die Inflation muss uns weiter Sorgen machen. Es gibt zwar einige positive Effekte, die den Inflationsdruck abmildern. Dazu gehört der besagte Energiepreisrückgang. Dazu kommt die Aufwertung des Euro an den Devisenmärkten, das hilft auch. Darüber hinaus gibt es weniger Güterknappheit, die ja das Resultat der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie war. Allerdings sehen wir, dass die Öffnung der Wirtschaft in China nach dem Lockdown zu mehr Nachfrage führt, bei Energie, bei Metall, bei Rohstoffen. Das kann neuen Preisdruck erzeugen. Auch die Löhne steigen.

Haben Beschäftigte keinen Anspruch auf höhere Löhne, um die Inflation auszugleichen?

Doch, das haben sie, natürlich. Es darf aber keine Lohn-Preis-Spirale entstehen. In den aktuellen Lohnverhandlungen schaut man zurück auf die hohe Inflation des vergangenen Jahres. Doch die Inflation wird sich im Laufe des Jahres abschwächen. Wir erwarten für dieses Jahr eine durchschnittliche Inflationsrate von rund 6 % mit 3,6 % im vierten Quartal. Die Gewerkschaften könnten also geneigt sein, zu viel Lohnausgleich zu fordern. Da müssen wir aufpassen.

Ist das nicht ein wenig hartherzig? Vor allem ärmere Haushalte sind von der Inflation stark betroffen.

Wenn wir in eine Lohn-Preis-Spirale kommen, muss die EZB die Zinsen noch weiter erhöhen als anderenfalls notwendig. Bei einer solchen Dynamik gewinnt keiner und alle stehen am Ende schlechter da. Die besonders betroffenen Menschen müssen Unterstützung von ihren Regierungen erhalten, und zwar einen gezielten Inflationsausgleich. Dann können die Menschen auf einen Teil ihrer Lohnforderungen verzichten und die EZB muss ihre Geldpolitik weniger stark straffen. Damit wäre allen gedient.

Viele Menschen sind sauer: Die Inflationsraten gehen nur langsam zurück. Und die Preise bleiben hoch, sie werden nicht auf den Stand von 2021 zurückfallen.

Das stimmt. Auch wenn der Preisanstieg sich nun langsam abschwächt, befinden sich die Preise jetzt generell auf einem höheren Niveau als noch vor einem oder vor anderthalb Jahren. Ich verstehe, dass die Menschen darüber enttäuscht sind. Aber es waren auch außergewöhnliche Schocks, die zu dieser Inflation geführt haben: die plötzliche Öffnung der Wirtschaft nach der Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine. Die EZB muss jetzt zusehen, dass die Inflation auf unser Ziel von 2 % fällt.

Blicken wir anderthalb Jahre zurück: Was muss sich die EZB in ihrer Geldpolitik im Hinblick auf die hohe Inflation vorwerfen lassen?

Die Notenbanken und viele andere Organisationen haben lange geglaubt, dass der Inflationsschub vorübergehend wäre. Ich muss zugeben: Das war ein Fehler, allerdings war die Unsicherheit auch enorm groß. Wir alle haben die Hartnäckigkeit der Inflation unterschätzt. Wir haben zwar bereits im Dezember 2021 entschieden, unsere pandemiebedingten Nettoanleihekäufe einzustellen, und haben dann im Juli des darauffolgenden Jahres begonnen, die Zinsen zu erhöhen. Im Nachhinein betrachtet hätten wir aber noch früher reagieren müssen.

Müsste sich die EZB für diesen Fehler bei den Menschen entschuldigen?

Wir können die Vergangenheit nicht ändern, wir müssen an die Zukunft denken. Das Beste, was wir tun können, ist, die Inflation so bald wie möglich wieder auf unser Ziel von 2 % zu bringen.

Wie stark ist der Vertrauensverlust der Menschen in die EZB aufgrund der hohen Preise?

Die Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen Vertrauen haben, dass wir die Inflation wieder auf 2 % senken können. Die sogenannten Inflationserwartungen, die man messen kann, zeigen das eindeutig: Die Haushalte und Firmen erwarten, dass die Inflation bald wieder sinkt.

Die Aktienmärkte steigen wieder, weil die Investoren auf sinkende Inflation und auf ein baldiges Ende der Zinserhöhungen wetten.

Es kann gut sein, dass die Finanzmärkte zu optimistisch sind, was die Entwicklung der Inflation und unsere geldpolitische Reaktion angeht.

Wann ist denn jetzt Schluss mit den Zinserhöhungen?

Wir haben vergangene Woche die Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte erhöht, bei unserer nächsten Sitzung im März werden sehr wahrscheinlich weitere 0,5 Prozentpunkte folgen. Danach sehen wir weiter. Ich würde nicht ausschließen, dass es nach März zu weiteren Zinserhöhungen kommt. Der Kampf gegen die Inflation ist noch nicht gewonnen. Die Verbraucherpreise im Euroraum sind im Januar immer noch um 8,5 % gestiegen (wobei der deutsche Inflationswert geschätzt wurde), trotz des Absinkens der Energiepreise. Die Kerninflation, bei der Energie- und Lebensmittelpreise herausgerechnet werden, liegt mit 5,2 % auf dem höchsten Niveau in der Geschichte der Währungsunion. Das ist nicht gut.

Allzu hohe Zinssätze könnten der Wirtschaft schaden. Besteht für die EZB die Gefahr, dass sie es übertreibt?

Unser Mandat ist es, für stabile Preise zu sorgen. Punkt. Ein anderes Mandat haben wir nicht. Die hohe Inflation schadet allen in der Gesellschaft.

Zinserhöhungen wirken mit einer Zeitverzögerung. Haben die Maßnahmen überhaupt schon Wirkung gezeigt?

Unsere Zinspolitik wirkt mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren. Aber wir sehen bereits die ersten Effekte: die Kreditkosten für Haushalte und Firmen steigen. Das hat zur Folge, dass die Nachfrage nach Krediten abnimmt. Das wiederum hilft, die Wirtschaft abzukühlen, und führt dazu, dass die Preisanstiege schwächer werden.

Eine Frage zur Finanzstabilität. Der hochverschuldete indische Energiekonzern Adani wird gerade von einem Leerverkäufer attackiert. Wenn Adani zusammenbräche, könnte er das indische Bankensystem mitziehen. Auch westliche Banken sind dort massiv engagiert. Macht Ihnen das Sorgen?

Wir äußern uns nicht zu einzelnen Unternehmen. Unabhängig davon gilt, dass sich die europäischen Banken im Durchschnitt als sehr robust erweisen. Ihre Gewinnmargen sind zuletzt stark gestiegen, das macht sie widerstandsfähiger. Andererseits verlangsamt sich die Wirtschaft, was auch Folgen haben könnte. Wir haben natürlich permanent ein Auge auf die Finanzunternehmen, die keine Banken sind, also die Schattenbanken. Vor zwei Jahren etwa gab es den Fall, dass die Schieflage des Vermögensverwalters Archegos bei mehreren Banken für große Verluste gesorgt hat. Risiken dieser Art müssen wir sehr genau beobachten. Grundsätzlich sehen wir vor allem zwei Risiken für die Finanzstabilität des Euroraums: Zum einen ein übertriebener Optimismus der Finanzmärkte, was den Ausblick der Inflation und entsprechend die geldpolitische Reaktion angeht. Zum anderen ein möglicher Widerspruch in der Ausrichtung der Fiskal- und der Geldpolitik.

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