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Interview mit Handelsblatt

Interview mit Luis de Guindos, Vize-Präsident der EZB, geführt von Frank Wiebe und Jan Mallien am 14 März

20 März 2022

Herr de Guindos, wie groß ist die Gefahr, dass es durch den Krieg in der Ukraine zu Problemen im europäischen Finanzsystem kommt?

Es gab schon vor der aktuellen Krise Risiken, etwa die hohen Bewertungen an den Finanzmärkten und die Verschuldung im privaten Bereich wie der Staaten. Aber die Entwicklung heute ist nicht vergleichbar mit der vor zwei Jahren beim Ausbruch der Corona-Pandemie. Es gibt keine Liquiditätsengpässe. Die Unternehmen können zum Beispiel weiterhin Anleihen platzieren. Die Aktienmärkte schwanken zwar, aber wir sehen im Moment keine dramatischen Entwicklungen.

Es hat aber Probleme an den Rohstoffmärkten gegeben?

Bei Rohstoff-Derivaten ist es zu so genannten Margin Calls gekommen, also zur Nachforderung von Sicherheiten für offene Positionen. Aber bisher konnten diese Nachforderungen nach unseren Beobachtungen erfüllt werden.

Was ist aus ihrer Sicht die größte Gefahr für das Finanzsystem?

Das Makrorisiko, also die möglichen Folgen für die Gesamtwirtschaft; höhere Inflation und geringeres Wachstum, sind die größten Risiken, auch für die Banken. Das spielt eine viel wichtigere Rolle als Probleme in einzelnen Marktsegmenten.

Bewegen wir uns jetzt auf eine Stagflation zu, also eine Situation mit schwacher Konjunktur und hoher Inflation?

Das würde ich nicht sagen. Vor Ausbruch des Kriegs sind wir für das laufende Jahr von vier Prozent Wachstum ausgegangen, etwas weniger im nächsten Jahr. In unseren jüngsten Prognosen sehen wir selbst in unserem schlechtesten Szenario für das laufende Jahr im Euroraum immer noch ein Wachstum von über 2% voraus, insofern also keine Stagflation. Aber es gibt voraussichtlich für einen längeren Zeitraum als vor dem Krieg erwartet eine höhere Inflation.

Welche Rolle spielt der zuletzt schwache Euro?

Wir steuern keinen bestimmten Wechselkurs an. Wir nehmen natürlich zur Kenntnis, dass bestimmte Importe durch einen schwächeren Eurokurs teurer werden. Auf der anderen Seite: Die Währungsverschiebung zeigt sich vor allem gegenüber dem Dollar, der immer noch als Fluchtwährung gefragt ist. Wenn wir uns den Währungskorb unserer Handelspartner genauer anschauen, sehen wir, dass der Euro recht stabil geblieben ist.

Zum Teil wird sogar spekuliert, die EZB könnte am Devisenmarkt intervenieren.

Wir intervenieren nicht am Devisenmarkt, weil wir kein Wechselkursziel verfolgen.

Die Inflation ist zuletzt deutlich gestiegen. Kann die EZB die Preise überhaupt noch unter Kontrolle halten?

Für uns kommt es jetzt darauf an, wie stark die Löhne reagieren. Denn wenn die Erhöhungen zu hoch sind kann das die Preise noch weiter hochtreiben und zu dauerhaft höherer Inflation beitragen. Dafür sehen wir bisher keine Anzeichen, aber wir müssen die Entwicklung genau beobachten. Dasselbe gilt für die Inflationserwartungen. Basierend auf Umfragen und den Marktdaten sind für die kommenden drei bis fünf Jahre die Erwartungen in der Nähe unseres Inflationsziels von zwei Prozent verankert. Aber wir müssen das im Auge behalten.

In der vergangenen Woche hat die EZB einen schnelleren Stopp ihrer Anleihezukäufe in Aussicht gestellt. Was bedeutet das für mögliche Zinserhöhungen?

Die wichtigste Entscheidung in unserer Sitzung war, die potenziellen Zinserhöhungen von dem Anleiheprogramm abzukoppeln, sie werden nicht automatisch nach dem Stopp der Zukäufe erfolgen müssen. Damit halten wir uns alle Optionen offen, flexibel auf die Daten zu reagieren.

Heißt das, die erste Zinserhöhung kommt erst später?

Das hängt alles von den Daten ab. Wir beobachten die Inflationsentwicklungen genau. Wir werden extrem wachsam gegenüber Zweitrundeneffekten sein und auf Entwicklungen achten, die auf eine Lohn-Preis-Spirale hindeuten, bei der sich beide Faktoren gegenseitig verstärken. Hierbei sollte auch die Finanzpolitik ihren Beitrag leisten.

Was meinen Sie genau?

Der Preisschock bei Energie- und Rohstoffen, den wir momentan erleben, macht viele Unternehmen und Arbeitnehmer ärmer. Die Finanzpolitik sollte durch temporäre, gezielte Hilfen dazu beitragen, die Lasten zu verringern. Dies würde auch die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale reduzieren.

Laufen die Beschlüsse der vergangenen Woche wirklich auf eine Straffung der Geldpolitik hinaus?

Ich würde sagen, es ist eine Normalisierung.

Nach den eigenen Prognosen der EZB soll die Inflation 2024 schon wieder auf rund zwei Prozent sinken. Warum sollte das so plötzlich passieren?

Zurzeit sind Prognosen besonders schwierig. Ein Grund für das Abflauen der Inflation könnte sein, dass der starke Anstieg der Energiepreise sich nicht allzu lange fortsetzen kann. Die Preise können sich zwar auf hohem Niveau stabilisieren, aber nicht mehr im selben hohen Tempo wie zurzeit weitersteigen.

Die EZB hat früher die Inflation immer wieder zu hoch eingeschätzt, zuletzt eher zu niedrig. Gibt es da ein Problem mit den Modellen, auf denen die Prognosen beruhen?

Wir haben im vergangenen Jahr die Inflation unterschätzt, wie andere Institutionen und Ökonomen auch. Prognosen sind in Zeiten großer Unsicherheit besonders schwierig. Bei den Modellen spielen Trends der Vergangenheit eine wichtige Rolle. Modelle haben die Tendenz, dass die prognostizierten Inflationswerte zum historischen Mittelwert zurückkehren.

Aber was wird die EZB tun, wenn sie die Inflation weiter unterschätzt?

Unsere Entscheidungen richten sich nach den Daten. Wenn wir die Inflation weiter unterschätzen, dann werden wir reagieren. Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Die entscheidenden Faktoren sind Zweitrundeneffekte und eine mögliche Entankerung der mittelfristigen Inflationserwartungen. Wenn wir die sehen, dann werden wir handeln.

In Deutschland ist die Sorge groß, dass die EZB wegen der hohen Verschuldung von Ländern wie Italien und Spanien gar keinen harten Kurs gegen die Inflation fahren kann.

Unsere Geldpolitik wird ganz von unserem Mandat der Preisstabilität bestimmt. Unsere geldpolitischen Entscheidungen und verfügbaren Instrumente richten sich nach unserem Inflationsziel.

Eine Fragmentierung im Euroraum etwa durch stark auseinanderlaufende Zinsniveaus auf den Anleihemärkten könnte die Wirkung der Geldpolitik gefährden. Jedoch sind die Risikoaufschläge bei den Staatsanleihen aus diesen Ländern derzeit etwa so hoch wie vor der Pandemie. Sie liegen weiter deutlich unter den Höhepunkten etwa in den Jahren 2011 und 2014. Außerdem sind die nominalen Renditen insgesamt noch sehr niedrig.

Aber in der Vergangenheit haben sich immer wieder Schwachstellen in der Konstruktion der Eurozone gezeigt. Reichen die Instrumente der EZB, um die Risikoaufschläge, wenn sie sich ausweiten, im Rahmen zu halten?

Wir haben die Möglichkeit, dem gezielt durch die flexible Wiederanlage der auslaufenden Anleihen unter dem Notfallprogramm PEPP entgegen zu wirken. Aber diese Flexibilität müssen wir deutlich von dem allgemeinen geldpolitischen Ziel trennen. Unsere Aufgabe ist die Preisstabilität.

Wäre es nicht die Aufgabe der Finanzpolitik, die Eurozone zusammenzuhalten?

Die Finanzpolitik hat zweifellos eine wichtige Aufgabe. Sie muss Härten, die sich aus der heutigen Krise ergeben, gezielt ausgleichen. Gezielt und temporär auch deswegen, damit diese Hilfen vom Volumen her nicht die Staatsverschuldung noch wesentlich höher treiben.

Wo soll das geschehen, auf nationaler oder auf europäischer Ebene?

Zunächst auf nationaler Ebene, aber es sollte ein Koordinierungsrahmen auf europäischer Ebene vereinbart werden.

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