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Interview mit dem Spiegel

Interview mit Fabio Panetta, Mitglied des EZB-Direktoriums, geführt von Tim Bartz

9. Februar 2021

Herr Panetta, EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat angekündigt, dass die Notenbank spätestens in fünf Jahren den digitalen Euro einführen könnte. Was ist das, wofür braucht es das?

Die Menschen zahlen immer weniger mit Bargeld und immer häufiger digital, an der Supermarktkasse oder im Internet. Jeder zweite Europäer würde am liebsten digital bezahlen, die Pandemie hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Die Leute wollen als Ergänzung zum Bargeld ein effizientes digitales Zahlungsmittel, das ihre Daten schützt und in der gesamten Eurozone akzeptiert wird. Wir wollen schnell auf diesen Bedarf reagieren können, denn der Trend wird sich verstärken.

Wie soll der digitale Euro funktionieren?

Die Details stehen noch nicht fest, wir haben gerade erst die Konsultationsphase abgeschlossen. Ziel eines digitalen Euros wäre es, eine Alternative zu anderen digitalen Zahlungsmitteln zur Verfügung zu stellen, die einfach ist, allgemein akzeptiert wird sowie sicher und verlässlich ist. Bargeld würden wir weiter anbieten.

Bis zu welchem Betrag könnte man digital bezahlen?

Ob es eine Obergrenze für Zahlungen geben würde, ist noch unklar. Im Idealfall gäbe es keine. Begrenzt werden könnte aber, wieviel digitale Euro gehalten werden dürfen.

Und die liegen dann auf einem speziellen Konto bei der EZB?

So wie Bargeld und anders als andere Zahlungsmittel wäre ein digitaler Euro eine Forderung gegenüber der Zentralbank und keine Forderung gegenüber privaten Finanzdienstleistern. Trotzdem würden die Banken eine wichtige Rolle bei der Verteilung des digitalen Euros spielen. Sie können das mit dem Bargeld vergleichen, das sich die Leute meistens am Geldautomaten ihrer Bank holen.

Sie machen also den Geschäftsbanken künftig direkt Konkurrenz?

Nein, wir haben ausdrücklich und wiederholt darauf hingewiesen, dass wir die Banken als Partner und nicht als Konkurrenten wollen! Wir werden sicheres Geld anbieten, keine Finanzdienstleistungen. Finanzdienstleistungen anzubieten, ist Aufgabe der Geschäftsbanken. Es wäre ja verrückt, wenn wir das täten. Die Leute entscheiden sich doch auch heute schon, ob sie bar, mit unterschiedlichen Karten oder online zahlen. Künftig hätten sie eine digitale Möglichkeit mehr, wenn sie wollen.

Aber die Leute könnten ihr gesamtes Bargeld auf das EZB-Konto transferieren in der Hoffnung, dass es dort sicherer ist. Die nächste Finanzkrise kommt bestimmt.

Das wird nicht passieren. Wir könnten Bestände an digitalem Euro nur bis zu einem gewissen Grenzbetrag erlauben, oder durch Verzinsung ab diesem Betrag unattraktiv machen. Die Grenze könnte bei etwa 3 000 Euro liegen. Das wäre weit mehr als der heutige Bargeldbedarf der meisten Menschen. Die Diskussionen darüber laufen aber noch.

Nochmal: Die Menschen nutzen bereits digitale Zahlungsmittel wie Apple Pay, Google Pay oder PayPal. Wofür braucht es noch einen digitalen Euro?

Wir haben während der Konsultationsphase 8 000 Antworten erhalten. Am stärksten treibt die Leute das Thema Datensicherheit um. Es ist ihnen wichtig, dass ihre Daten nicht missbräuchlich verwendet werden, was eine Zentralbank garantieren kann. Außerdem garantiert die Verfügbarkeit von Zentralbankgeld für Zahlungen, dass der Bürger nicht auf wenige, den Markt dominierende Anbieter angewiesen ist. Diese könnten nämlich ihre Marktmacht ausnutzen und überhöhte Gebühren verlangen.

Gleichwohl posten die Menschen alles Mögliche in sozialen Netzwerken, der Datenschutz ist ihnen dabei offensichtlich egal.

Die Leute posten auch Fotos, aber sicherlich nicht ihre Kontodaten. Das macht niemand. Und sie können sich darauf verlassen, dass die EZB ihre Privatsphäre schützt, da sie kein kommerzielles Interesse an persönlichen Daten hat. Wir wollen auch am digitalen Euro kein Geld verdienen, das ist ein weiterer Vorteil.

Private Anbieter verlangen aber doch auch kein Geld von den Nutzern.

Sie holen sich ihre Marge aber bei den Verkäufern, den Kreditkartenfirmen oder Banken und damit indirekt bei den Verbrauchern, da diese Kosten mit den Preisen, die sie verlangen, weitergegeben werden.

Zweifelhaft, ob das jemand im Kopf hat, wenn er an der Supermarktkasse steht.

Wir werden niemanden zwingen, mit digitalen Euro zu zahlen. Aber die Möglichkeit wollen wir den Menschen schon geben: ein einheitliches, sicheres und kostenfreies Zahlungsmittel, das in der gesamten Eurozone akzeptiert wird. Genau wie der Euro in bar, bloß digital.

Wie groß ist denn das Interesse am digitalen Euro?

Die öffentliche Konsultation zum digitalen Euro war bis dato die erfolgreichste. Sie hat ergeben, dass Datenschutz für die Teilnehmenden an oberster Stelle steht. Dafür wäre der digitale Euro ideal. Das Projekt digitaler Euro würde mit einer Untersuchungsphase beginnen, die es uns ermöglichen würde, die Reaktionen und Erwartungen der Bevölkerung weiter zu testen.

Das Problem der EZB sind doch nicht so sehr Apple Pay oder Google Pay. Wollen Sie mit dem digitalen Euro nicht in erster Linie Facebooks geplanter Digitalwährung Libra, dem Bitcoin oder sogar dem digitalen Yuan, an dem Chinas Zentralbank arbeitet, entgegentreten? Sie fürchten, die Hoheit über Ihre eigene Währung zu verlieren. Wenn sich Libra oder Yuan erst einmal durchsetzen, kann die EZB nicht mehr richtig Geldpolitik machen.

Natürlich ist die Digitalisierung des Finanzsektors unser wichtigster Antrieb. Wir brauchen eine europäische Alternative, und wir wollen nicht, dass eine kleine Zahl Unternehmen das Geschäft dominiert und womöglich die Gebühren erhöht. Sollte ein so riesiger Wirtschaftsraum wie die Eurozone außen vor bleiben, wenn Big Tech und andere Zentralbanken die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs vehement vorantreiben? Ich denke: nein. Wir müssen dabei sein.

Die EZB ist auch die Bankenaufsicht der Eurozone. Wenn Sie den Geschäftsbanken Einlagengelder abluchsen, fehlt denen Geld, um sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Sie müssten womöglich bei der EZB anklopfen, um sich dort Liquidität abzuholen. Damit würde die Abhängigkeit der Geschäftsbanken von der EZB weiter zunehmen. Schießen Sie sich nicht ein Eigentor?

Nein, der digitale Euro wird das Finanzsystem und die Banken nicht destabilisieren. Wenn die Menschen einen Teil ihres Bargelds in digitalen Euro umwandeln, verlieren die Banken dadurch keine Einlagen. Und wie bereits gesagt, werden wir hohen Beständen in digitalem Euro entgegenwirken. Wenn den Banken doch Einlagen verloren gehen, dann können wir den Banken mehr Liquidität zur Verfügung stellen.

Also doch.

Aber das wäre ja im Rahmen normaler Offenmarktgeschäfte, die wir jetzt schon machen, etwa indem wir Banken Geld leihen oder Anleihen kaufen. Und die Banken haben ja momentan sehr viele Überschussreserven. Sicher mehr als in einen digitalen Euro jemals abfließen werden.

Die Offenmarktgeschäfte sind ja hoch umstritten, vor allem in Deutschland.

Unsere Maßnahmen sind nötig, um unser Mandat zu erfüllen. Ich sehe da kein Problem, die EZB genießt große Glaubwürdigkeit in der Eurozone.

Was, wenn dennoch niemand Ihren digitalen Euro will?

Dann haben wir unseren Job nicht richtig gemacht und müssen die Qualität des Angebots verbessern. Aber ich sehe nicht, weshalb die Leute das Angebot ablehnen sollten. Die nie dagewesene Zahl der Antworten auf unsere Konsultation ist ein positives Zeichen.

Sie sind spät dran, wenn Sie erst in fünf Jahren mit dem Digital-Euro kommen wollen.

Wir sind nicht spät dran, wir gehen so vor wie andere Zentralbanken auch. Der Markt entwickelt sich schnell. Aber wir brauchen 100-prozentige Sicherheit und ein vernünftiges Konzept, das braucht Zeit.

Was sind die nächsten Schritte?

Im Frühsommer werden wir dem EZB-Rat unsere vorläufige Analyse präsentieren. Er muss dann eine Grundsatzentscheidung treffen, ob es weitergeht. Wenn ja, beginnt die richtige Arbeit, welchen Funktionsumfang und technische Lösung der digitale Euro haben sollte. Das dauert wohl mindestens 18 Monate. Anschließend müsste erneut der EZB-Rat entscheiden, dann könnte die Lösung implementiert werden. Eine Dauer von vier oder fünf Jahren ist realistisch. Und wir müssen uns mit der Politik absprechen. Die EZB hat eine Arbeitsgruppe mit der Europäischen Kommission gebildet.

Erwägen Sie eine Probephase? Die Chinesen testen bereits in einem Stadtviertel der Millionenmetropole Shenzen digitale Yuan.

Das wäre eine Möglichkeit. Den digitalen Euro in verschiedenen Städten auszuprobieren, wäre vermutlich ein kluger Schritt.

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