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Interview mit der Börsen-Zeitung

Interview mit Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsgremiums der EZB, geführt von Kai Johannsen und veröffentlicht am 21. November 2020

21 November 2020

[Aktualisiert am 27. November 2020 um 11:30 CET.]

Herr Mersch, liegt es im Mandat der Europäischen Zentralbank, sich mit dem Kapitalmarktsegment von Green und Sustainable Finance zu befassen?

Laut den EU-Verträgen ist das vorrangige Ziel der EZB, Preisstabilität zu gewährleisten. Sollte ein grünes und nachhaltiges Finanzwesen erforderlich sein, um die Preise um Euroraum stabil zu halten, so würden es unter unser vorrangiges Ziel fallen. Derzeit sehe ich das nicht als gegeben an.

Darüber hinaus hat die EZB sogenannte nachrangige Ziele. Soweit wir damit keine Abstriche bei unserer Hauptaufgabe machen, die Preise stabil zu halten, unterstützen wir die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, die „zur Verwirklichung der Ziele der Union“ beiträgt. Eines dieser Ziele ist es, auf ein „hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ hinzuwirken. Das rechtfertigt, dass die EZB sich auch mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt.

Das bedeutet allerdings – anders als manch einer behaupten mag – nicht, dass die EZB die Initiative ergreifen und selbst entscheiden darf, wie ein „hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ zu erreichen ist. Das bleibt aus gutem Grund gewählten Politikern vorbehalten.

Vor welchen Risiken steht Green & Sustainable Finance in den nächsten Jahren?

Ein Risiko würde ich darin sehen, wenn Green Finance zu einem reinen Marketing-Instrument verkommt. Wenn Investoren die Welt grüner machen wollen, müssen sie wissen, wie ihre Investitionen zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Im Fachjargon ausgedrückt, sehe ich hier das Risiko eines informationsbezogenen Marktversagens wenn Informationen zur Nachhaltigkeit von Unternehmen und Finanzprodukten inkonsistent, weitgehend nicht vergleichbar und stellenweise unzuverlässig sind oder gar nicht vorliegen. Definitionen, was eine nachhaltige Anlage ausmacht, sind oft subjektiv und uneinheitlich. Die EU-Taxonomie ist hier eine vielversprechende, wenn auch noch unvollständige Initiative. Ihr praktischer Nutzen bleibt herausfordernd. Auch weitgehend anwendbare Industriestandards sind geplant.

Was gehört noch dazu?

Eine zentrale Rolle spielt auch eine bessere und stärker standardisierte nichtfinanzielle Berichterstattung. Nur so können Risiken korrekt eingepreist werden. Solide Berichterstattung ist der Grundstein für ein angemessenes Risikomanagement.

Schließlich müssen Finanzinstitute und damit auch die Banken dafür sorgen, dass sie Risiken, die sich aus den Folgen des Klimawandels und einem schnellen Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft ergeben, frühzeitig erkennen und managen können.

Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein nachhaltiges Finanzwesen erfolgreich sein und sich spürbar auf die Realwirtschaft auswirken. Andernfalls bleibt das Risiko von Greenwashing und einer nicht tragfähigen, von den Fundamentaldaten abgekoppelten Nachhaltigkeitsblase.

Die EU Taxonomie für Green und Sustainable Finance ist ein komplexes Klassifizierungssystem, das Investoren und Produktanbietern Sicherheit geben soll, was als grün und nachhaltig eingestuft werden kann. Ist der EU damit der große Wurf gelungen, der das Marktsegment voranbringen wird und womöglich auch als Vorlage für andere Länder bzw. Regionen gelten kann?

Die EU-Taxonomie-Verordnung ist wichtig. Ein solides Klassifikationssystem liefert Investoren wertvolle Informationen für ihre Anlageentscheidungen. Die Taxonomie wurde mit Blick auf grüne Anleihen erstellt. Sie auf andere Finanzprodukte anzuwenden ist unter Umständen nicht so einfach und möglicherweise muss das Gesamtkonzept angepasst werden.

Zudem ist das System tatsächlich sehr komplex.

Was leitet sich daraus für die Praxis in Sachen Risikoeinschätzung ab?

Ich sehe eine gewisse Diskrepanz zwischen Zielsetzung und praktischer Nutzbarkeit.

So nützlich die Taxonomie für grüne Investitionsentscheidungen sein mag, bei der Risikobewertung von wirtschaftlichen Aktivitäten,die Klimarisiken unterliegen, hilft sie nicht. Schließlich und grundsätzlicher betrachtet ist die Taxonomie nur ein Puzzlestück: in der Praxis sind granulare Daten auf Unternehmensebene erforderlich.

Wenn wir diese Schwachstellen beheben, kann die EU im Hinblick auf die zeitgleich in anderen Ländern stattfindenden Prozesse als Vorbild dienen. Wir verfügen über einen der fortschrittlichsten Rahmen für ein nachhaltiges Finanzwesen. Die EU-Taxonomie kann dazu beitragen, den regulatorischen Ansatzes der EU im Ausland populär zu machen, sowie ihre Rolle als globales Zentrum für ein nachhaltiges Finanzwesen zu stärken.

Wann rechnen Sie damit, dass die Finanzmärkte und die Marktteilnehmer vollständig grün und nachhaltig sein werden?

Ich glaube nicht, dass irgendwann der gesamte Finanzsektor grün sein wird. Es gibt viele Branchen, die weder sauber, noch schmutzig sind und auch die nehmen an den Märkten Geld auf.

Übrigens denke ich auch nicht, dass wir den Klimawandel stoppen, indem wir ganze Wirtschaftszweige abwürgen. Vielmehr können etwa fiskalpolitische Maßnahmen, wie CO2-Preise und andere regulatorische Instrumente, die richtigen Anreize schaffen.

Und schließlich kann der Finanzsektor zwar helfen, aber er wird den Planeten nicht alleine retten können.

Wir befinden uns derzeit in der Übergangsphase zu grünen und nachhaltigen Kapitalmärkten: Welche speziellen Übergangsrisiken sehen Sie hierbei?

Wenn der Kapitalmarkt grüner und nachhaltiger wird, kann das zu einer Neubewertung von Vermögenswerten führen. Wenn dieser Übergang abrupt passiert, wenn also etwa unerwartet oder in ungeordneter Weise Kapital umgelenkt wird, sprechen wir von Übergangsrisiken.

Die in der Übergangszeit möglicherweise anfallenden Verluste sind im Vergleich zu den möglichen wirtschaftlichen Verlusten infolge von Klimarisiken allerdings verschwindend gering. Einzelne Banken, könnten aber durchaus hart getroffen werden: der Großteil der Risikopositionen gegenüber den energieintensivsten Kreditnehmern fällt auf nur wenige Banken. Anders ausgedrückt, einige Banken haben sehr hohe Risikopositionen.

Findet bereits seitens der Banken eine ausreichende Offenlegung von speziellen nicht-grünen und nicht-nachhaltigen Risiken, also weitgehend braunen Assets, statt und berücksichtigen Sie diese bereits in der Aufsicht der EZB? Wie weit gehen die Banken bei dieser Offenlegung und ist das für die EZB ausreichend?

Da sehe ich in der Tat noch Handlungsbedarf. Zwar hat sich die Offenlegung von klimabezogenen Risiken verbessert, aber meist sind die Angaben schlicht nicht detailliert genug und nur selten mit quantitativen Daten unterlegt.

Wir veröffentlichen demnächst einen „Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken“. Dieser Leitfaden stellt dar, wie Institute unserer Ansicht nach Klima- und Umweltrisiken in ihren Geschäftsstrategien, ihrer Governance und ihren Risikomanagementsystemen berücksichtigen sollten und auch, wie diese offenzulegen sind. Wir haben uns die Offenlegung im vergangenen Jahr [für eine Stichprobe] der von uns beaufsichtigten Institute angeschaut – [mehr als die Hälfte fast alle] erfüll[ent] noch nicht einmal [die minimalen Anforderungen das Minimum, das, die] in dem Leitfaden dargestellt [sind ist]. Dazu veröffentlichen wir demnächst einen Bericht zur Offenlegung von Umweltrisiken der von uns beaufsichtigten Banken

Gibt es daraus erste Lehren für die EZB?

Ja, deshalb werden wir unseren Stresstest 2022 dem Thema Klimawandel widmen. Dieser Stresstest sollte nicht nur analytisch und top-down sein, sondern in der Hoffnung auf bessere Datenlage, Taxonomie und Standards auch einen sinnvollen Bottom-up Ansatz ermöglichen.

Haben Sie die Sorge, dass es zu einem größeren Fall von Greenwashing kommen könnte, der eine Kettenreaktion auslösen und zu einem kräftigen Rückschlag an den Finanzmärkten führen könnte? Sind die Märkte dafür ausreichend gewappnet bzw. stabil genug?

Greenwashing ist zweifelsohne ein Thema. Auch wenn Besserung in Sicht ist: Die Europäische Kommission wird demnächst einen Legislativvorschlag für einen EU-Standard speziell für grüne Anleihen vorlegen. Allerdings sagt eine grüne Anleihe, nicht unbedingt etwas darüber aus, wie grün ein Unternehmen als Ganzes ist. Die Klassifizierung bezieht sich vielmehr auf einzelne Vermögenswerte, für deren Finanzierung diese Anleihen vorgesehen sind. Diese Vermögenswerte sind nur ein Teil der Bilanz des Unternehmens, die durchaus auch konventionelle Vermögenswerte mit einem höheren CO2-Fußabdruck enthalten kann. Für eine grünere Realwirtschaft reichen grüne Anleihen alleine also nicht aus.

Was erscheint aus Ihrer Sicht hilfreich?

Eine willkommene Initiative der Kommission betrifft die Einführung einer EU-Ökokennzeichnung für Finanzprodukte und insbesondere für Investmentfonds. Diese Kennzeichnung dürfte Privatanlegern, die sich mit den Umweltauswirkungen ihrer Anlage befassen, eine vertrauenswürdige und verifizierte Möglichkeit bieten, fundierte Anlageentscheidungen zu treffen. Zugleich können so Anreize für die Finanzmärkte geschaffen werden, mehr Produkte mit geringeren oder positiven Umweltauswirkungen zu entwickeln.

Problematisch bleibt, dass die Märkte möglicherweise noch nicht imstande sind, die Fundamentaldaten grüner Finanzprodukte korrekt zu bewerten. Dies gilt beispielsweise für grüne Anleihen, bei denen der Umfang der Anleiheerlöse, die tatsächlich in grüne und nachhaltige Projekte investiert werden, stark schwankt.

Wie wichtig sind Sustainability Ratings? Setzen Sie diese Ratings in der Aufsicht bereits ein? Sind die Ratings aussagekräftig genug, um Risiken und Chancen angemessen abzuleiten?

Die derzeitigen ESG-Ratings von Banken spiegeln deren Kreditvergabe an Unternehmen mit hohen CO2-Emissionen nicht wider. Entsprechend sind sie auch keine geeignete Messgröße, wenn es um Kreditrisiko geht. Bei diesen Ratings geht es vielmehr um soziale Verantwortung.

Zahlen zu CO2-Emissionen können bessere Näherungswerte für die physischen Risiken und die Übergangsrisiken liefern, denen Unternehmen ausgesetzt sind.

Bei Sustainability Ratings sind die unterschiedlichen Metrics der jeweiligen Agentur immer wieder ein Diskussionspunkt: der gleiche Sachverhalt wird unterschiedlich stark beurteilt bzw. gewichtet. Sollten Anbieter deshalb nur ein oder mehrere Sustainability Ratings aufweisen?

Dass die Ratings von Anbieter zu Anbieter so stark variieren ist im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückzuführen: Erstens auf die zugrunde liegenden Rohdaten und Berechnungsmethoden, zweitens auf die zur Berechnung des Ratings verwendeten Methoden und drittens auf die qualitative Komponente, die jeder Beurteilung zugrunde liegt. Entsprechend sollten Anbieter Messgrößen und Ratings transparent darstellen, damit sie für Anleger nachvollziehbar sind.

Noch wichtiger ist, Datenlücken im Hinblick auf die zugrunde liegenden Daten zu schließen. Und damit sind wir wieder bei der bereits angesprochenen Offenlegung, für die wiederum der Taxonomie-Rahmen und eine verlässliche Kennzeichnungen nachhaltiger Finanzprodukte - einschließlich eines EU-Standards für grüne Anleihen - entscheidend sind.

Kommen bei der EZB bei der Verwaltung von Geldern – etwa bei Pensionsgeldern – grüne und nachhaltige Anlagen zum Einsatz? Wenn ja, nach welchen Kriterien wird angelegt bzw. was wird ausgeschlossen?

Die Pensionsfonds sind autonom verwaltet. Die Verwaltung hat sich verpflichtet, die Grundsätze für verantwortungsvolle Investitionen der Vereinten Nationen (UN Principles of Responsible Investing) einzuhalten und demnach Nachhaltigkeits-Standards einzubeziehen.

Darüber hinaus haben wir den Anteil grüner Anleihen bei unseren Eigenanlagen erhöht und werden das auch künftig tun. Wir richten uns nach dem Nachhaltigkeits-Leitfaden für das Portfoliomanagement von Zentralbanken des Network of Central Banks and Supervisors for Greening the Financial System, bei dem wir Mitglied sind.

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