- INTERVIEW
- 21 März 2020
Interview mit Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Interview mit Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Patrick Bernau und Dennis Kremer
Frau Schnabel, noch nie hat die EZB in so kurzer Zeit so viel Geld für Anleihekäufe zur Verfügung gestellt wie jetzt. Ist diese Krise so schlimm wie keine andere?
Es ist eine ganz außergewöhnliche Krise. Nicht nur Europa ist betroffen, sondern die ganze Welt. Und wir haben nicht nur das Gesundheitsproblem und das menschliche Leid, sondern einen schweren wirtschaftlichen Schock, der durch die Schutzmaßnahmen noch verstärkt wird. Unser neues Anleihekaufprogramm, das speziell für den Notfall dieser Pandemie aufgelegt wurde, soll der Besonderheit dieser Situation Rechnung tragen.
Wo sehen Sie die größten Probleme?
Die Krise betrifft Angebot und Nachfrage gleichzeitig. Ursprünglich hat man vor allem die Unterbrechung der Lieferketten betont. Jetzt schränken die Schutzmaßnahmen auch die Produktion in vielen Betrieben ein. Hinzu kommt die sinkende Nachfrage: Wenn die Leute nicht wissen, wie es weitergeht, halten sie ihr Geld zusammen, zumal viele Aktivitäten eingeschränkt sind. Die Unternehmen investieren weniger. Das alles ist bereits ein massiver Schock, nun muss man verhindern, dass er noch verstärkt wird.
Wenn die EZB Staatsanleihen kauft, können sich die Staaten leichter Geld leihen und dies Unternehmen zur Verfügung stellen. Entspricht dies noch Ihrem Mandat?
Wir orientieren uns immer an unserem Mandat der Preisstabilität. Dazu brauchen wir einen funktionierenden Mechanismus zur Übertragung der Geldpolitik in die Realwirtschaft. Dieser war zuletzt gestört, was sich an den plötzlich steigenden Renditen von Staatsanleihen aus dem Euro-Raum zeigte. Das hat alle Mitgliedstaaten betroffen, sogar Deutschland. Da ist die Geldpolitik gefordert, dem entgegenzutreten.
Das ist also kein Rettungsprogramm für Italien?
Selbstverständlich nicht. Italien hat ja den Marktzugang nicht verloren. Es war eher die Sorge, dass es zu selbstverstärkenden Preisspiralen kommt …
… also dass Investoren verkaufen, die Staatsanleihen an Wert verlieren und deshalb noch mehr Investoren verkaufen müssen …
… das kann in Krisenzeiten immer passieren, vor allem dann, wenn Kapital sichere Häfen sucht. Solchen Effekten muss die Zentralbank entgegentreten, wenn die Übertragung der Geldpolitik in die Realwirtschaft gefährdet ist.
Am Donnerstag vor einer Woche hat EZB-Präsidentin Lagarde noch gesagt, die EZB sei für Risikoaufschläge von Staatsanleihen nicht zuständig. Hat das für zusätzliche Verunsicherung gesorgt?
Die Märkte haben daran gezweifelt, dass die EZB weiterhin bereitsteht, alles Erforderliche zu tun, um die Situation zu stabilisieren. Dabei stand das nie in Frage. Die Situation an den Märkten hat sich dann aber in sehr kurzer Zeit deutlich verschärft, sodass wir erneut handeln mussten.
Gelten jetzt überhaupt noch Regeln für solche Anleihekäufe oder tut und lässt die EZB, was sie will?
Unsere Kaufprogramme sind regelgebunden. Wir kaufen Anleihen grundsätzlich nach wie vor gemäß den Kapitalanteilen der einzelnen Länder. Allerdings benötigen wir jetzt eine größere Flexibilität, sowohl über die Zeit als auch über verschiedene Mitgliedstaaten und Wertpapierklassen hinweg, um der Situation gerecht zu werden.
Wären Sie froh gewesen, wenn Sie mit einem höheren Zins in diese Krise gegangen wären – und jetzt die Zinsen senken könnten?
Auch in den vergangenen Jahren war die Zinspolitik angemessen. Ein höherer Zins war keine Option – wir hätten ansonsten unser Mandat der Preisstabilität nicht erfüllen können und der Wirtschaft geschadet. Ich kenne sehr wenige Ökonomen, die das anders sehen.
Es gibt Leute, die jetzt schon für die Zeit nach der Krise einen Pfad hin zu höheren Zinsen fordern.
Sie hatten ja vergangene Woche einen Gastbeitrag dazu in Ihrer Zeitung. Der Artikel wirkt angesichts der aktuellen Situation ein bisschen aus der Zeit gefallen. Wir stehen möglicherweise vor einer der schwersten Wirtschaftskrisen überhaupt. Dass man da von Zinserhöhungen spricht, erscheint mir der Situation nicht angemessen.
Es ging den Autoren um die Zeit nach der Krise.
Was nach der Krise passiert, sollte man später diskutieren. Jetzt muss es darum gehen, die Auswirkungen dieser Krise abzumildern.
Naja, man hat schon das Gefühl, in jeder Krise werden neue Maßnahmen beschlossen, aus denen man hinterher nicht richtig rauskommt, und in der nächsten Krise müssen sich die Notenbanker wieder neues und größeres einfallen lassen. Ist das der richtige Weg?
Das neue Paket ist der Situation angemessen. Es läuft nur so lange, bis wir diese Krise überwunden haben. Sie scheinen in Ihrer Frage zudem zu unterstellen, dass man zur alten Art der Geldpolitik zurückkommen muss, als die EZB noch keine Anleihen kaufte. Das muss aber nicht zwangsläufig so sein. Es gibt langfristige Trends, die zu sehr niedrigen realen Zinsen geführt haben. Diese hängen unter anderem mit der Alterung der Gesellschaft und rückläufigen Produktivitätszuwächsen zusammen. Dem kann sich eine Zentralbank nicht entgegenstellen.
Auch die Banken bereiten uns Sorgen. Haben sie genug Eigenkapital, um diese Krise durchzustehen?
Es muss unbedingt vermieden werden, dass die Krise auf den Bankensektor übergreift. Deswegen sind Maßnahmen, die an den Liquiditätsengpässen der Unternehmen ansetzen, besonders wirksam. Denn sie verhindern, dass es bei den Banken zu hohen Kreditausfällen kommt. Wir können von Glück sagen, dass man in den vergangenen Jahren die Eigenkapitalanforderungen von Banken deutlich erhöht hat. Insgesamt sind die Banken heute für eine Krise deutlich besser gerüstet als vor der Finanzkrise von 2008.
Reicht das angesichts des jetzigen Schocks aus?
Wir erleben in der Tat ein Szenario, das sich niemand vorstellen konnte. Darum ist dies nie in einem Stresstest untersucht worden, den erleben wir jetzt leider live. Wenn es zu flächendeckenden Insolvenzen von Kreditnehmern kommt, trifft dies auch den Bankensektor. In vielen Fällen handelt es sich aber zunächst um Liquiditätsengpässe. Da kann die Politik helfen. Entscheidend ist, wie lange die Krise andauert.
Wie lange kann die Wirtschaft einen solchen Zustand aushalten?
Das hängt davon ab, wie stark die Einschränkungen sind und wie gut die Unternehmen in der Lage sind, sich darauf einzustellen. In einigen Branchen ist das relativ unproblematisch. In anderen geht das nicht, zum Beispiel im Gastronomiegewerbe. Irgendwann ist dieser Zustand vermutlich nicht mehr durchzuhalten. Dann stellt sich die Frage, welche Rolle der Staat spielen will, um Unternehmen zu unterstützen.
Könnte die EZB denn dann noch mehr tun? Oder ist ihr Handlungsspielraum endgültig aufgebraucht?
Die EZB ist in der komfortablen Situation, dass sie über eine ganze Reihe von Instrumenten verfügt, die alle noch nicht ausgeschöpft sind. Wenn dies zur Erfüllung unseres Mandats erforderlich ist, stehen wir bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Darin ist sich der EZB-Rat einig.
Sie wollen also wirklich noch mehr Anleihen kaufen? Was soll das denn noch bewirken?
Wir haben ganz verschiedene Instrumente: Wir haben die Leitzinsen, wir haben Instrumente, mit denen wir den Banken Liquidität zur Verfügung stellen, und wir haben die Ankaufprogramme für Anleihen. Mit all diesen Instrumenten kann man die Finanzierungsbedingungen verbessern. Das ist in einer solchen Krise von großer Bedeutung. Die Behauptung, die Zentralbank habe keine Instrumente mehr, entspricht einfach nicht den Tatsachen.
Es könnte sein, dass Ihnen das Bundesverfassungsgericht einen Strich durch die Rechnung macht, wenn es im Mai über die Richtigkeit von Anleihekäufen entscheidet.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass unsere Maßnahmen verhältnismäßig sind. Angesichts der schweren Krise und des erheblichen drohenden wirtschaftlichen Schadens halte ich unsere geldpolitischen Entscheidungen für angemessen. Das Urteil bezieht sich übrigens auf das bereits bestehende Anleihekaufprogramm, an dem wir nichts Grundsätzliches geändert haben.
Würde es helfen, wenn es jetzt gemeinsame Krisen-Anleihen der Euro-Staaten gäbe?
Das könnte helfen. Der Erfolg unserer Maßnahmen hängt wesentlich davon ab, was auf der fiskalpolitischen Seite passiert. Wir können das nicht alleine richten. Auf der nationalen Ebene ist ja bereits einiges passiert, auch in Deutschland. Aber am Ende handelt es sich um ein europäisches Problem. Es kann einem Land nicht egal sein, was in einem anderen europäischen Land passiert – nicht nur aus Solidarität, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Ich hoffe, dass dies von den politischen Entscheidungsträgern verstanden wird.
Was sollen sie tun?
Es gibt Vorschläge, den europäischen Stabilitätsmechanismus ESM oder die Europäische Investitionsbank zu nutzen. Auch die Ausgabe einmaliger Corona-Anleihen wäre denkbar. Die Entscheidung obliegt der Politik.
Wie viele Leute sind eigentlich noch im EZB-Turm?
Inzwischen sind nur noch wenige Personen vor Ort. Fast alles findet virtuell statt, selbst die Sitzungen des Direktoriums. Ich bin auch nicht mehr oft im EZB-Gebäude, sondern arbeite von zuhause.
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