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Interview mit Börsen-Zeitung

Interview mit Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Mark Schrörs und Detlef Fechtner am 18. Dezember 2017 und veröffentlicht am 29. Dezember 2017

Herr Mersch, die Wirtschaft im Euroraum brummt, die Inflation zieht an. Wird 2018 das Jahr der geldpolitischen Wende seitens der EZB, weg von der ultralockeren Geldpolitik der Krisenjahre?

Die Wende wurde doch eigentlich schon vor einem Jahr eingeläutet. Wir haben unsere Anleihekäufe erst von 80 Mrd. Euro auf 60 Mrd. Euro pro Monat reduziert und gehen jetzt ab Januar sogar auf 30 Mrd. Euro. Wir lassen auch unsere langfristigen Refinanzierungsgeschäfte, die TLTROs, auslaufen. Man kann also wahrlich nicht behaupten, dass wir den besseren Daten nicht schon Rechnung getragen hätten. Unsere Geldpolitik ist datenabhängig, und wir reagieren immer auf die neuesten Entwicklungen. Davon wird auch das Jahr 2018 geprägt sein.

Aber die EZB hat die Bedeutung all dieser Entscheidungen immer heruntergespielt. Haben Sie das Gefühl, dass die Marktteilnehmer verstanden haben, dass sich die Wende bereits vollzieht, wie Sie sagen?

Manchmal reagieren die Märkte schneller als erwartet, und manchmal dauert es etwas länger. Und manchmal kommt es zu Überreaktionen an den Märkten. Deswegen müssen wir auch sehr vorsichtig sein. Wir wollen nicht für Unruhe sorgen. Es ist aber in der Tat erstaunlich, dass die langfristigen Zinsen aktuell niedriger liegen als im Sommer, obwohl das Wachstum sehr positiv überrascht hat und die Wachstums- und Inflationsprognosen nach oben revidiert wurden. Das passt nicht wirklich zusammen.

2018 steht vor allem die Entscheidung über das Quantitative Easing (QE) an, also die breiten Anleihekäufe, die aktuell bis September 2018 festgezurrt sind. Wenn sich Wachstum und Inflation so entwickeln wie aktuell prognostiziert - ist dann Schluss mit QE?

Diese Entscheidung werden wir dann treffen, wenn die Zeit gekommen ist. Es war richtig, dass der EZB-Rat das Enddatum jetzt offen gehalten hat. Jetzt geht es erst einmal darum, die beschlossene Halbierung auf 30 Mrd. Euro umzusetzen. EZB-Präsident Mario Draghi hat aber zuletzt klar gemacht, dass unsere Zuversicht, dass sich die Inflation auf einem nachhaltigen Pfad in Richtung unseres mittelfristigen Ziels von unter, aber nahe 2% befindet, gestiegen ist. Je größer aber die Zuversicht in das Erreichen unseres Ziels wird, desto mehr tendiert die Wahrscheinlichkeit einer zusätzlichen Ausweitung des Kaufprogramms Richtung null.

Bislang steht aber das einseitige Versprechen, QE „im Hinblick auf Umfang und/oder Dauer auszuweiten“, falls sich der Inflationsausblick verschlechtert oder sich die Finanzierungsbedingungen über Gebühr verschärfen – der sogenannte "Easing Bias".

Man kann sicher hinterfragen, ob man ein Versprechen, dass eine Wahrscheinlichkeit nahe null hat, überhaupt noch weiter abgeben sollte. Kurzfristig gibt es sogar eher Aufwärtsrisiken für Wachstum und Inflation, also das beides höher ausfällt als aktuell prognostiziert. Es ergibt daher immer weniger Sinn, nur ein einseitiges Signal abzugeben für den Fall, dass sich die Lage überraschend verschlechtert. Der Easing bias ist daher sicherlich ein Kandidat für kommunikative Anpassungen bei nächster Gelegenheit. In gewisser Weise ist das auch bereits vorbereitet mit der Aussage zu unserer größeren Zuversicht in den Verlauf des Inflationspfads. Fakt ist zudem, dass die Nettokäufe eine immer geringere Bedeutung haben, verglichen mit dem Bestand in der Notenbankbilanz und den Reinvestitionen sowie der Forward Guidance. Das wird sich sicher auch in der Kommunikation widerspiegeln.

Falls QE Ende 2018 endet - würde es reichen, das im Sommer kommunikativ vorzubereiten oder müsste das früher geschehen?

Man sollte nicht bis zum allerletzten Zeitpunkt abwarten, sondern die Märkte vorausschauend und kontinuierlich vorbereiten. Das ist wichtig, um keine falschen Erwartungen zu wecken und kurzfristige Marktverwerfungen zu vermeiden. Es wäre sicher angebracht, zu diesem Punkt früher als im Sommer 2018 Stellung zu beziehen.

Braucht es bei 30 Mrd. Euro noch ein langsames Auslaufen, ein "Tapering", oder könnte die EZB in einem Schritt auf null gehen?

Die einzelnen Möglichkeiten haben wir im EZB-Rat noch nicht durchgespielt. Das muss auch in den Fachgremien vorbereitet werden. Unser Ziel ist es, die Märkte nicht unnötig aufzuwirbeln. An dieser Linie werden wir festhalten.

Die Märkte hatten sich zuletzt mehr Informationen erhofft, wie sich die Halbierung auf 30 Mrd. Euro auf die einzelnen Kaufprogramme aufteilt. Braucht es da nicht mehr Guidance vom EZB-Rat?

Wir werden weiter vornehmlich öffentliche Titel kaufen. Den Rest investieren wir in private Papiere. Es wird vermutlich eine leichte Übergewichtung der Unternehmensanleihekäufe geben, da wir diese nicht unbedingt proportional zurückfahren. Wie sich die 30 Mrd. Euro genau zusammensetzen werden, hängt aber von der Marktsituation ab. Wir brauchen eine gewisse Flexibilität, da sich die Marktbedingungen schnell verändern können.

Hat die EZB denn die Regie noch selbst in der Hand - zumal selbst gesetzte Kaufbeschränkungen zunehmend schlagend werden?

Wir sind imstande, unsere Kaufprogramme umzusetzen. Wichtig dabei ist: Wir wollen marktneutral bleiben. Man sollte die Diskussion über die Zusammensetzung der 30 Mrd. Euro auch nicht übertreiben. Wir werden inklusive der Reinvestitionen 2018 in manchen Monaten immer noch für mehr als 50 Mrd. Euro Wertpapiere kaufen. Die Frage, ob wir etwa 1 Mrd. Euro mehr oder weniger in Unternehmensanleihen investieren, ist da nicht entscheidend.

Inwiefern hat die Causa Steinhoff die Diskussion im EZB-Rat beeinflusst, also Verluste aus dem Kauf von Anleihen des in Turbulenzen geratenen Möbelkonzerns - zumal es im Rat sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Unternehmensanleihekäufe gibt?

Im EZB-Rat hat der Fall Steinhoff keine Diskussion ausgelöst, das Kaufprogramm zu verändern. Wir haben gewisse Regeln für die Eignung einzelner Papiere. Wir kaufen nicht blind 100% einer Anleihe, sondern beobachten die Märkte permanent. Für mich ist wichtig, dass wir keine übermäßigen Risiken eingehen. Im Übrigen überprüfen wir unseren Risk-Management-Rahmen kontinuierlich und passen ihn an, wenn wir Handlungsbedarf sehen.

Der EZB-Rat will erst "weit" nach dem Ende der QE-Nettokäufe Zinserhöhungen in Erwägung ziehen - das so genannte "Sequencing". Das folgt dem Vorbild der US-Notenbank Fed. Die Fed hatte aber nie einen Negativzins. Besteht nicht eine Notwendigkeit, zumindest den negativen Einlagenzins schneller loszuwerden?

Die leicht negativen Zinsen unterstützen unsere Kaufprogramme. Wenn wir sie nicht gehabt hätten, hätten wir eventuell höhere Volumina kaufen müssen, um die gleichen Effekte zu erzielen. Die Nettokäufe verlieren aber zunehmend an Bedeutung. Zugleich ist das Sequencing etwas, was die Märkte sehr gut verstanden haben. Wir müssen daher schrittweise zu einer Normalisierung unserer Geldpolitik kommen - nicht überhastet.

Aber ist der Negativzins nicht ein Sonderfall?

Zum Negativzins gibt es sehr verschiedene Sichtweisen. Bislang haben wir keine übermäßigen Verwerfungen erlebt, der Nutzen überwiegt. Ich würde daraus aber nicht den Schluss ziehen, dass wir noch sehr lange an Negativzinsen festhalten sollten. Können Sie sich vorstellen, dass eine ganze Generation heranwächst, ohne zu wissen, was Zinsen auf Geld bedeutet? Die Kultur des Sparens droht untergraben zu werden. Das müssen wir genau im Blick behalten. Grundsätzlich gilt: Wir müssen die Normalisierung unserer Geldpolitik vorsichtig angehen und graduell gestalten. Wir müssen aber auch sehr genau aufpassen, nicht zu zaghaft und zu spät zu agieren und „hinter die Kurve“ zu fallen.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass die EZB bei einem künftigen Abschwung kaum noch Munition zum Gegensteuern hätte?

Wir fordern immer, dass die Fiskalpolitik in guten Zeiten Puffer aufbauen soll. Das gilt aber auch für die Geldpolitik. Wenn eine Zentralbank keine Möglichkeiten mehr hätte, auf eine Rezession zu reagieren, wäre das bedenklich. Auch das zeigt: Das aktuelle Zinsniveau ist ganz sicher kein Normalzustand.

In den USA hat es nach dem Ende von QE 14 Monate bis zur ersten Zinserhöhung gedauert. Übersetzt auf die EZB hieße das bei einem QE-Ende im September 2018 eine erste Anhebung im November 2019. Mancher Marktteilnehmer setzt gar auf 2020. Fühlen Sie sich mit solchen Erwartungen wohl?

Wir haben keine Vorbilder. Wir richten uns ausschließlich nach den Erfordernissen des Euroraums. 2019 oder 2020 liegen sehr weit in der Zukunft, niemand kann soweit in die Zukunft verlässliche Voraussagen machen. Ich kann nur abraten, sich heute schon auf eine so lange Zeit festzulegen. Das kann der Glaubwürdigkeit Schaden zufügen.

Aber die Forward Guidance zu den Zinsen geht in diese Richtung.

Die Forward Guidance hat irgendwann ihre Grenzen. Das muss man anerkennen. In einem bestimmten Umfeld war sie als Zusatzinstrument hilfreich. Wenn wir aber wieder in Richtung Normalität gehen, sollte auch die Forward Guidance nicht ausgebaut, sondern zurückgefahren werden. Wir sollten uns nicht dauerhaft die Hände zu stark binden.

Sind Banken, Unternehmen und Staaten ausreichend vorbereitet auf eine künftige Zinswende?

Es gab schon immer Leute, die noch an den Weihnachtsmann glauben, die denken, alles geht immer so weiter. Wer sich nicht für wieder steigende Zinsen wappnet, wird am Ende gekniffen sein. Schon Änderungen bei den Kaufprogrammen werden Auswirkungen auf die Zinsstrukturkurve haben. Es ist aber nicht Aufgabe der EZB, eine Garantie dafür abzugeben, dass die Zinskurve immer so flach bleibt. Überhaupt sollten wir als EZB schauen, dass wir uns mit der geldpolitischen Normalisierung wieder aus dem langfristigen Zinsbereich zurückziehen und aufs kurze Ende konzentrieren. Je mehr und länger sich eine Zentralbank in den langfristigen Bereich begibt, desto näher ist sie an Umverteilungsmechanismen - das ist ordnungspolitisch bedenklich.

Wo sehen Sie denn den größten Nachholbedarf - bei Banken, Unternehmen oder Staaten?

Einige Länder müssen sehr viel mehr tun, um das Problem notleidender Kredite, der NPLs, zu lösen. Bei anderen Ländern ist die Neuverschuldung immer noch zu hoch, und wieder andere haben überhaupt keine fiskalischen Puffer aufgebaut. Jedem muss klar sein: Wir machen keine Geldpolitik für einzelne Wirtschaftsakteure, sondern für die Gesamtwirtschaft im Euroraum.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann befürchtet zunehmenden politischen Druck auf die EZB.

Selbstverständlich gibt es Länder, die sind reformresistenter als andere. Man hat aber auch gesehen, dass Länder, die sehr lange keine Reformen hinbekommen haben, am Ende doch im Stande waren, das Notwendige zu tun. Schauen Sie sich die Reformen in Frankreich unter Präsident Emmanuel Macron an. Solche Reformen sind für die Märkte in jedem Fall überzeugender, als nur Vorschläge zu machen für den Weg in eine europäische Schuldenunion.

Bei den NPLs will die EZB-Bankenaufsicht die Zügel anziehen, aber kriegt aus der EU-Politik mächtig Gegenwind. Sind die Euro-Länder doch nicht willens, die Probleme ihrer Banken beherzt anzugehen?

Es ist ohne Frage notwendig, das NPL-Problem zu lösen. Man muss aber unterscheiden zwischen Substanz und Form. Wir haben die Aufsicht über die Banken, sind aber nicht der Regulator. Innerhalb ihrer Kompetenzen müssen die entsprechenden Institutionen die Probleme zeitnah und entschlossen angehen. Bei aller Kritik an der Form des Vorgehens sollte sich dabei niemand dahinter verstecken und das Problem aussitzen wollen.

Können Sie sich noch vorstellen, dass die Bankenaufsicht - so wie vor allem in Deutschland gefordert - irgendwann wieder aus der EZB herausgenommen wird?

Ich kann mir viel vorstellen. Aber ich bin nicht überzeugt, dass das frühere deutsche Modell besser ist. Ich persönlich bin sehr stark davon überzeugt, dass die Geldpolitik den Zugang und die Nähe zur Aufsicht braucht, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Wie diese Nähe genau aussehen soll, dafür gibt es kein ideales Modell. Zu glauben, die Aufsicht würde außerhalb der EZB besser funktionieren, finde ich nicht überzeugend.

Kritik gibt es auch daran, dass die EZB auf eine Änderung ihres Statuts gedrungen hat, um effektivere Kontrolle über Clearingstellen zu erhalten. War das ein Fehler?

Nein. Die gewichtigere Rolle der EZB bei der Beaufsichtigung von Zentralen Gegenparteien ist ganz klar geldpolitische Verantwortung. Ich habe kein Verständnis, wenn uns da unterstellt wird, wir würden unser Mandat ausdehnen. Die Geldpolitik muss sich mit den Stellen befassen, an denen Liquidität gesammelt und konzentriert wird. Würden wir uns nicht darum kümmern, wäre das eine sträfliche Vernachlässigung unseres Mandats.

Wie sehr besorgt sie die Kursrally bei den Bitcoins - birgt das Risiken für die Finanzstabilität?

Zunächst einmal: Der Bitcoin-Umsatz beträgt 250 bis 350 Mrd. Euro. Das Volumen ist also vergleichsweise gering. Deswegen ist der Bitcoin-Handel aktuell kein Thema für die Geldpolitik. Was nun den Kursanstieg betrifft: Wir erleben da einen, spekulativen Hype, der einem Sorge machen kann. Was den einzelnen Investor betrifft, steht es aber jedem frei zu zocken. Dann soll er aber bitte, wenn etwas schief gelaufen ist, auch nicht zu uns kommen und sagen, wir hätten das verbieten und ihn vor sich selbst schützen müssen. Zweitens gibt es jetzt auch Banken, die Positionen in Bitcoin halten. Das ist eine Frage für die Aufsicht, wie groß eingegangene Risiken sind. Was mich aber am meisten besorgt ist drittens, wenn Finanzmarktinfrastrukturen wie Börsen in dieses Geschäft einsteigen. Das birgt große Gefahren für die Finanzstabilität.

Sie halten also nichts von Bitcoin-Futures und anderem, was wir zuletzt gesehen haben?

Wenn diese Geschäfte abgetrennt sind von anderen, ist zweitrangig, wer da verliert oder gewinnt. Wenn es aber eine gemeinsame Haftung aller Teilnehmer dieser Finanzplätze gibt, dann kann das zum Beispiel Banken oder das ganze System in Schwierigkeiten bringen. Und wenn das Banksystem in Schwierigkeiten gerät, wird es wieder Forderungen geben nach einer Unterstützung durch die EZB. Da möchte ich von Vorneherein sagen: Das sollten wir nicht tun.

Halten Sie es für möglich, dass private Kryptowährungen zu einer echten Alternative zum Zentralbankgeld werden können?

Geld braucht Vertrauen. Bei öffentlichen Währungen wie dem Euro steht eine öffentliche Institution wie die EZB dahinter. Bei vielen dieser Währungen ist da nichts. Etwas anderes ist die dahinter stehende Technologie, die Blockchain. Sie ist eine Herausforderung, der sich alle stellen müssen, vor allem die Banken. Jede Institution muss wissen, dass in Zukunft eine Funktion als Finanzintermediär nicht mehr Gott gegeben ist, sondern erkämpft werden muss.

Bundesbankvorstand Carl-Ludwig Thiele hat Hoffnungen auf ein Comeback der 500-Euro-Banknote geweckt. Die Entscheidung des EZB-Rates, den 500er nicht mehr auszugeben, beziehe sich nur auf die zweite Banknotenserie und im Laufe des nächsten Jahrzehnts komme wahrscheinlich eine neue Banknotenserie. Stimmt das?

Streng genommen bezieht sich der Entscheid zur Suspendierung der 500-Euro-Banknote nur auf die zweite Serie - das stimmt. Aber es besteht wenig Hoffnung, dass wir die Produktion wieder aufnehmen. Man sollte nicht versuchen, die Geschichte zurückzudrehen. Theoretisch ist der EZB-Rat frei, morgen eine andere Entscheidung zu treffen. Aber ich schätze diese Chance ähnlich hoch ein wie jene für zusätzliche Nettokäufe im Rahmen von QE.

Lassen Sie uns noch einmal grundsätzlicher zur Geldpolitik kommen: Glauben Sie, dass es eine Rückkehr zur Normalität wie vor der Weltfinanzkrise geben wird - oder gibt es eine "neue Normalität", in der etwa die Inflation dauerhaft niedriger liegt und Instrumente wie Anleihekäufe zur Dauereinrichtung werden?

Ich sehe nicht, dass wir bereits in einer "neuen Normalität" leben. Man sollte sich der Diskussion nicht entziehen, aber Vorsicht walten lassen. Es gibt sicher Faktoren, die auf Dauer Druck auf die Preise ausüben – die Alterung, neue Technologien, die Globalisierung. Viele der Faktoren, die die Inflation unter Ziel halten, sind aber auch temporär. Ich bin und wir im EZB-Rat sind überzeugt, dass wir absolut in der Lage sind, unser Ziel von unter, aber nahe 2% zu erreichen. Wir sehen auch bereits, dass sich reflationäre Kräfte aufbauen. Wir können in der Zukunft gerne eine Diskussion über unser Ziel führen - so wie zuletzt Anfang der 2000er Jahre. Wir sollten diese Diskussion aber nicht führen, wenn wir unser Ziel gerade verfehlen. Das würde nur Vertrauen zerstören.

Jenseits der 2% - ist die Inflationssteuerung, das "Inflation Targeting", generell überholt?

Das Inflation Targeting ist eine Modeerscheinung. Aber das lässt schon nach. In einem so heterogenen Raum wie dem Euroraum waren wir gut beraten, uns nicht auf einem strikten Inflation Targeting Regime zu unterwerfen, sondern flexibler zu sein. Wir haben uns begnügt mit einer Definition von Preisstabilität von mittelfristig unter, aber nahe 2%. Ich finde, das ist uns sehr gut bekommen.

Und wie groß ist Ihre Sorge, dass die Ära der Unabhängigkeit der Notenbank enden könnte?

Diese Diskussionen verfolge ich mit großer Sorge. Wir haben da aber als Zentralbanker auch eine eigene Verantwortung: Je breiter wir uns aufstellen, desto mehr müssen wir uns fragen lassen, ob das noch mit unserer Unabhängigkeit vereinbar ist. Wir brauchen ein eng definiertes Mandat. Je näher wir uns an die Politik begeben, desto mehr riskieren wir, uns zu verbrennen.

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