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Interview mit Der Spiegel

Interview mit Peter Praet, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Stefan Kaiser am 19. Juni 2017 und veröffentlicht am 22. Juni 2017

Herr Praet, Sie sind als Belgier in Deutschland geboren und haben hier die ersten Jahre ihrer Kindheit verbracht. Können Sie verstehen, warum so viele Menschen hierzulande die Europäische Zentralbank als größte Bedrohung für ihren persönlichen Wohlstand sehen?

Praet: Ich glaube, die deutsche Öffentlichkeit ist da viel ausgewogener. Die meisten Menschen verstehen die Position, in der wir uns befinden: Wir müssen die richtige Geldpolitik für eine Währungsunion mit sehr unterschiedlichen Ländern finden. In den Zeitungen wird das oft kritisiert, aber die persönlichen Diskussionen erlebe ich hierzulande als viel höflicher und entspannter. Auch die Debatten im EZB-Rat sind sehr gut, gerade wenn es kritische Stimmen gibt.

Die Deutschen beschweren sich aber schon am meisten über die EZB-Politik, oder?

Natürlich sind die Stimmen in Deutschland etwas kritischer als in anderen Ländern. Das hängt auch mit Deutschlands Rolle in der Finanz- und Eurokrise zusammen. Zum einen, weil es schon vorher wichtige Reformen durchgeführt hat und solider dastand. Zum anderen, weil die Menschen in Deutschland sich traditionell nicht so hoch verschulden. Das ist eine kulturelle Sache – und ich teile das sehr. Aber es ist auch ein Aspekt, der bei der Entstehung der Krise eine Rolle gespielt hat.

Inwiefern?

Es geht um das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis: Vor der Krise war Deutschland ein großer Gläubiger anderer Länder. Die Deutschen Sparer haben meist über ihre Banken viel Geld im Ausland angelegt – in jenen Ländern, in denen sich private Haushalte und Unternehmen stärker verschuldet haben, also zum Beispiel Spanien. Und dann kam die Krise und das Geld ist wieder zurückgeflossen – alleine aus Spanien kamen damals 400 Milliarden Euro zurück und ein großer Teil davon stammte aus deutschen Ersparnissen. Die EZB stellte den Banken damals Liquidität gegen Sicherheiten zur Verfügung. Das hat eine Kernschmelze des Finanzsystems verhindert, die sonst zu starkem deflationärem Druck im gesamten Euroraum geführt hätte.

Auch Deutschland wurde also von der EZB gerettet?

In Deutschland würde man vielleicht sagen, das ist doch klar, dass ein Schuldner sein Geld zurückzahlen muss. Aber es gibt auch eine Verantwortung desjenigen, der das Geld verleiht. Auch er sollte vorsichtig sein. Die Deutschen beschweren sich, weil die Zinsen so niedrig sind. Wir verstehen das. Aber sie müssen auch berücksichtigen, dass die Gläubiger in und nach der Krise sehr gut geschützt wurden – und dass kein großes Nachbarland Deutschlands in die Depression gerutscht ist. Auch das hätte die Wirtschaft nämlich hart getroffen, nicht zuletzt in Deutschland.

Was sagen Sie den Menschen, die Monat für Monat Geld sparen, um sich im Alter ein bisschen was leisten zu können – und deren Rechnung jetzt wegen der Nullzinsen nicht mehr aufgeht?

Wir haben untersucht, wie sich die Niedrigzinsen auf die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte auch in Deutschland ausgewirkt haben. Die Menschen bekommen nämlich nicht nur Zinsen auf ihr Erspartes, sie leihen sich auch selbst Geld – zum Beispiel, wenn sie ein Haus kaufen. Und die Ergebnisse zeigen: Die Vorteile auf der einen Seite wiegen die Nachteile auf der anderen auf.

Es gibt also keinen Grund, sich zu beschweren?

Doch, denn natürlich profitieren nicht alle. Bei allen geldpolitischen Entscheidungen gibt es auch unerwünschte Verteilungseffekte. Schauen Sie etwa auf die Aktienmärkte, wo die Kurse kräftig gestiegen sind. Diejenigen, die in Deutschland am stärksten unter den Niedrigzinsen leiden, sind Leute mittleren Alters, die ein kleines Vermögen besitzen und dieses vor allem auf Sparkonten und in Zinspapieren angelegt haben – also nicht besonders breit gestreut.

Sie raten den Deutschen, ihr Geld besser in Aktien anzulegen?

Ich gebe natürlich keine Anlagetipps, ich bin Zentralbanker. Und ehrlich gesagt: Ich persönlich lege mein Geld ähnlich an wie die meisten Deutschen.

In Deutschland warnen einige Ökonomen bereits davor, dass die Wirtschaft überhitzt – und auch in vielen anderen Ländern der Eurozone ist der Aufschwung mittlerweile angekommen. Wäre das nicht der richtige Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik des extrem billigen Geldes?

Wir als Zentralbank machen eine Geldpolitik für die gesamte Eurozone - und diese Politik hat gewirkt. Es gibt eine breite Erholung, die sich wahrscheinlich fortsetzen wird. Deutschland ist da schon ein Stück weiter als andere. Die Produktionslücke schließt sich gerade, das heißt: Die deutsche Wirtschaft schöpft ihr Potenzial nahezu aus. Die Preise steigen erstaunlicherweise immer noch langsam. Aber das wird sich über kurz oder lang ändern. Und das wird mit dazu beitragen, eine Wende der Geldpolitik einzuleiten. Es gibt also Licht am Ende des Tunnels.

Bevor Sie die Leitzinsen erhöhen, wollen Sie die Staatsanleihekäufe von derzeit 60 Milliarden Euro pro Monat auf null zurückfahren. Aber geht das überhaupt so einfach? Die Zinsaufschläge für Anleihen aus Ländern wie Italien würden womöglich wieder steil nach oben schießen – wie in Zeiten der Euro-Krise.

Wenn die Risikoaufschläge für ein bestimmtes Land steigen, ist das kein Problem der Geldpolitik. Wir zielen nicht auf bestimmte Länder ab und wir sind auch nicht dazu da, Regierungen günstige Finanzierungsbedingungen zu sichern. Wenn der Tag kommt, werden wir auf die Inflation schauen und entsprechend handeln – egal, ob sich Regierungen deswegen beschweren. Wir haben sie ja vorgewarnt und sie haben das auch verstanden. Ich habe gerade einen Kommentar des italienischen Finanzministers Pier Carlo Padoan gelesen. „Wenn die Anleihekäufe enden, sind wir auf uns allein gestellt“, schreibt er. Und er hat Recht.

Italien ist derzeit ohnehin das Sorgenkind der Eurozone. Nirgendwo wächst die Wirtschaft so langsam, nirgendwo sitzen die Banken auf so vielen faulen Krediten. Wie ernst ist die Lage?

Die italienische Wirtschaft wächst tatsächlich schon seit 20 Jahren nicht mehr. Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – also unter Berücksichtigung der Inflation – stagniert seitdem. Italien hat also ein grundlegendes Problem. Die Regierung geht das an, aber sie muss die Bürger auch davon überzeugen, die Reformen mitzutragen. Die Wirtschaft dort hat eigentlich ein großartiges Potential mit sehr vielen kreativen Firmen.

Bisher war Griechenland immer der größte Wackelkandidat der Eurozone. Gerade hat sich das Land aber mit seinen internationalen Gläubigern auf neue Kredite und weitere Schuldenerleichterungen geeinigt. Beobachter erwarten, dass nun auch die EZB griechische Staatsanleihen in ihr Kaufprogramm aufnehmen wird. Schließlich waren sie bisher wegen Zweifeln an der Schuldentragfähigkeit des Landes ausgeschlossen.

Bevor wir irgendetwas am Anleihekaufprogramm verändern, müssen wir unsere eigene Analyse zur Schuldentragfähigkeit durchführen. Wir werden uns da nicht auf andere verlassen. Ob der [Euro-Rettungsschirm] ESM oder die EU-Kommission: Jeder hat da seine eigene Perspektive. Wenn es jedoch darum geht, dass wir Anleihen kaufen, müssen wir uns selbst ein Bild machen.

Das heißt, die Antwort ist „Nein“?

Das heißt, dass wir uns ein eigenes Bild machen müssen.

In dieser Woche haben die Brexit-Verhandlungen begonnen. Wie wichtig ist es aus Sicht eines Ökonomen, dass sich EU und Großbritannien einigen?

Enorm wichtig. Wenn wir sagen, dass die Wirtschaftsaussichten für die Eurozone gut und die Risiken weitgehend ausgewogen sind, dann heißt das nicht, dass es keine Risiken gibt. Es herrscht derzeit sehr große Unsicherheit darüber, wie die Wirtschaftspolitik der USA in den kommenden Monaten aussehen wird. In China können wir die Richtung mittlerweile gut einschätzen, in den USA nicht. Und ganz ähnlich verhält es sich mit Großbritannien. Das zeigt, wie ein Land sich selbst in eine sehr schwierige Situation bringen kann. Europa bietet einen robusten institutionellen Rahmen, auch was den Handel betrifft. Der Binnenmarkt funktioniert und ist sehr wichtig. Und nun verabschiedet sich dieses Land davon und begibt sich in große Unsicherheit.

Was können die Verhandlungen noch bringen?

Meiner Ansicht nach haben die Briten einen großen Fehler begangen. Populistische Kräfte haben die Ängste der Menschen geschürt, und Angst ist kein guter Ratgeber. Der Schaden ist da, das britische Wirtschaftswachstum verlangsamt sich bereits. Jetzt geht es darum, die negativen Auswirkungen zu minimieren. Ich hoffe, dass es noch eine einigermaßen vernünftige Lösung gibt.

Macht Ihnen die US-Politik ähnlich große Sorgen?

Dort wurden ja – anders als in Großbritannien – noch nicht viele wesentliche wirtschaftspolitischen Entscheidungen getroffen. Und ich hoffe, dass am Ende die Vernunft siegt. Wir dürfen uns generell nicht auf eine Machtpolitik einlassen, bei der jeder nur seinen Vorteil sucht. Am Ende droht, dass große Länder den anderen die Deals diktieren. Das wäre katastrophal. Wir brauchen starke internationale Institutionen. Und wir brauchen wieder ein geeintes Europa. Denn je schwächer Europa ist, desto gefährlicher wird es für uns.

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