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Gespräch mit dem International Bankers Forum

Interview mit Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
geführt von Inken Schönauer und Andreas Scholz,
und veröffentlicht am 29 Dezember 2015

Herr Mersch, wie viel Spaß macht es derzeit im EZB-Direktorium zu sitzen?

Die Arbeit erfüllt mich seit jeher.

In der jüngsten Zeit sind Erwartungen im Markt geschürt wurden, die dann enttäuscht wurden. Ist das eine sinnvolle Taktik für eine Notenbank?

Ich finde immer schon, dass Entscheidungen zu der Zeit und an dem Ort getroffen werden, wann und wo sie zu treffen sind. Das ist nicht in der Öffentlichkeit, sondern im kollektiven Entscheidungsgremium, nämlich im EZB-Rat. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, sich im Vorhinein dazu zu äußern, wie man sich in einer Abstimmung verhalten wird. Dadurch verliert man an Einfluss bei solchen Entscheidungen.

Gibt es eine gewisse Opposition der verbliebenen Falken im Rat?

Ich habe keinen Track-Record, dass ich ausplaudere, was laut EU-Vertrag rechtlich verbindlich vertraulich ist, nämlich die Aussprachen im Rat.

Aber nochmal die Märkte waren von den Ergebnissen der letzten EZB-Sitzung des Jahres doch enttäuscht. Die Aktienkurse gaben nach.

Das hat sich auch schnell wieder beruhigt. Es ist doch nicht so, als ob wir nichts gemacht hätten. Wir haben die bestehenden Maßnahmen verstärkt. Aber in der Tat macht es mir manchmal schon Sorge, wie sich die Markterwartungen hochschaukeln. Das passiert manchmal auch durch die öffentliche Debatte über interne Papiere, die es dann aber überhaupt nicht in den Rat geschafft haben.

Sind die - 0,3 Prozent beim Strafzins denn jetzt die erreichte Unterkante?

Das hat der EZB-Präsident Mario Draghi so nicht bestätigt. Aber wir sind uns der möglichen negativen Konsequenzen unserer Entscheidungen durchaus bewusst. Jedes Mal, wenn der Rat zusammentritt, überprüfen wir, ob die Kosten-Nutzen-Analyse noch immer stimmt. Theoretisch müssen die jetzt erreichten -0,3 Prozent nicht die Untergrenze sein.

Der EZB-Präsident selbst hat doch die Untergrenze von -0,2 % einmal ausgegeben. Daran hat er sich nun selbst nicht mehr gehalten. Warum ist man denn überhaupt nochmal tiefer gegangen?

Die Situation hat sich geändert. Wir haben die Effektivität im Blick, und die Analyse hat ergeben, dass es nicht sinnvoll wäre, auf ein Instrument zu verzichten, das sehr wirksam sein könnte.

Was bringt denn so ein weiter kleiner Schritt?

Schon die - 0,2 Prozent haben einen Effekt gehabt. Dies wird nun verstärkt.

In der Schweiz ist man schon bei -0,75 Prozent angekommen.

Das lässt sich gar nicht vergleichen. Der Euroraum hat einen viel größeren Binnenmarkt. Das Thema Wechselkurs ist für die Schweiz ein ganz anderes. Wir arbeiten für den Euro-Raum.

Derzeit scheint es doch aber so, als sei die EZB mit ihrem Maßnahmen am Ende angekommen ist.

Wir haben keineswegs unser ganzes Pulver verschossen. Theoretisch ist noch immer vieles möglich. Wir können jederzeit nachlegen, sollte dies notwendig sein. Wir haben noch Munition und Feuer.

Was wäre das?

Unsere bestehenden Instrumente können wir auf eine optimale Effektivität hin kalibrieren . Was andere Maßnahmen angeht, will ich keine Erwartungen schüren.

Herr Draghi hat aber bereits angekündigt, dass man weiter nachlegen könnte.

Und hat „wenn es notwendig ist“ hinzugefügt. Das QE-Programm war bis September 2016 angelegt. Wir wären dann aber vielleicht noch nicht an dem Ziel angelangt, wo wir sein wollten. Deswegen haben wir das Ende nach hinten geschoben. Das ist doch eine einfache und nachvollziehbare Logik.

Man hätte doch überhaupt keinen Endpunkt nennen müssen.

Das Programm läuft so lange es notwendig ist, um unser Ziel nachhaltig zu erreichen. Es wäre allerdings auch hilfreich, wenn unsere Maßnahmen von anderen Politikbereichen unterstützt würden.

Haben Sie denn das Gefühl, Sie werden von den politischen Akteuren unterstützt?

Nein.

Das ist eine deutliche Antwort. Woran hapert es denn?

Die Strukturreformen werden nicht schnell genug umgesetzt, mitunter wird vorhandener fiskalischer Spielraum nicht genutzt. Das gilt auch für die größten Volkswirtschaften Europas.

Damit meinen Sie auch Deutschland?

Unter anderem.

Was ist Ihre größte Kritik?

Das Niedrigzinsumfeld hat ein Fenster geöffnet. Aber es wird von vielen europäischen Ländern nicht genutzt, um beispielsweise Schulden abzubauen. Das wäre vertrauensbildend.

Dann muss es doch eine Institution oder einen Mechanismus geben, die über genau so etwas wacht.

Institutionell haben wir die Europäische Kommission, die die Hüterin der Verträge sein sollte. Wenn die bestehenden Regeln nicht eingehalten werden und sich keiner zuständig fühlt, dann gibt es ein Governance-Problem.

Und nun?

Ich sehe natürlich, dass die Kommission bemüht ist, eine stärkere politische Rolle zu spielen. Das ist vielleicht legitim. Aber das darf nicht auf Kosten ihrer Rolle als Hüterin der Verträge gehen.

Nochmal die Nachfrage: Was passiert, wenn Europa erneut in eine Rezession abrutscht, das Zinsniveau aber noch nicht wieder so weitgestiegen ist, dass die Zinsen wieder absenkbar sind. Was kann die EZB dann tun?

Theoretisch wäre dann die Fiskalpolitik am Zug. Diese Frage reiche ich damit an die nationalen Regierungen weiter. Budgetpolitik muss daher jetzt ganz oben auf der Agenda stehen. Sie muss im nächsten zyklischen Abschwung eingesetzt werden können. Die verschiedenen wirtschaftspolitischen Akteure müssen ihrer jeweiligen Verantwortung gerecht werden und dürfen sich nicht nur auf die Geldpolitik verlassen.

Sie gehörten nicht immer zu den Befürwortern der derzeitigen EZB-Politik, insbesondere des QE-Programms. Warum hat sich die Einstellung gewandelt?

In zwei Punkten durchaus. Ich muss ehrlich sagen, dass mich die Effektivität des Programms überrascht hat. Wenn wir das QE-Programm nicht gestartet hätten, wäre das Wachstum inzwischen womöglich wieder negativ. Wir wären in einer rezessiven Deflation in weiten Teilen der Eurozone. Das wäre verheerend für die Demokratien des Euro-Raumes gewesen. Zugleich habe ich vor den Risiken gewarnt, die das Programm mit sich bringen könnte, die sich aber bislang nicht materialisiert haben. Was wir bei den Immobilienpreisen beispielsweise sehen, ist nicht besorgniserregend. Das hat auch BIZ kürzlich erst festgestellt.

Die BIZ sprach von einer angespannten Ruhe.

Deswegen sage ich ja auch, dass wir das weiter beobachten und verfolgen müssen. Aber es gibt keine breit angelegte Blasenbildung an den Immobilien – und Vermögensmärkten.

Und wenn doch?

Dann müssen wir zu den Maßnahmen und Instrumenten greifen, die dann geboten sind. Das aber eine nationale Kompetenz. Für Finanzmarktstabilität sind die Mitgliedsaaten zuständig. Wir haben allerdings auf der europäischen Ebene eine koordinierende Funktion, um sogenannte „spill-over-Effekte“ zu verhindern und externe Schocks abzumildern.

Was ist zu tun wenn sich eben doch Blasen bilden, was ja leider nicht immer vorher zu sehen ist.

Die Geldpolitik gilt für den gesamten Euroraum und zielt auf den Erhalt von Preisstabilität. Das gilt auch für unsere flexiblen Instrumente der Liquiditätsvergabe.

Aber wenn die Blase geplatzt ist, klappt das nicht mehr, dann braucht es ja wieder zusätzliche Liquidität.

Wir haben konventionelle und unkonventionelle Instrumente, beide sind einsetzbar. Ich sage aber auch gerne noch einmal: die Finanzstabilität ist eine Angelegenheit der nationalen Autoritäten. Schließlich treten Blasen auch zunächst regional und national auf. Die Lösung der Probleme ist auf diesem Niveau auch viel effizienter. Geldpolitik ist im Vergleich zu nationaler Finanzmarktstabilität eine eher stumpfe Waffe.

Jetzt machen sie die Geldpolitik der EZB aber kleiner als sie ist.

Nein, sie kommt natürlich in alle Ritzen, aber leider kommt es ja trotz der reichlichen Zentralbankliquidität dazu, dass in Ländern Kredite nicht vergeben werden, die eigentlich vergeben werden sollten.

Es gab ja mal das Bild des Marathons, mit dem die Wirkungsweise von QE verglichen worden ist. An welchem Kilometerstand sind wir denn da?

Wir sind wesentlich weiter als noch im Sommer des Jahres 2015. Auch wenn wir den Zeitpunkt des QE-Programms nach hinten verschoben haben, so haben wir doch schon eine erhebliche Strecke zurückgelegt. Wir sehen etwa die Effekte in der Kreditvergabe. Da hat sich das Vorzeichen vom Negativen ins Positive gedreht.

Aber es ist noch zu wenig.

Gerade kleine und mittlere Betriebe haben nicht mehr als erstes das Problem der Finanzierung, das ist sehr positiv. Die Probleme sind dann eher im politischen Bereich, für den wir aber nicht zuständig sind. Deswegen drängen wir ja so auf die Strukturreformen.

Die EZB hat die Zielsetzung der Preisstabilität von „von unter, aber nahe 2 Prozent“. Ist dieses Ziel in diesen Zeiten eigentlich noch angemessen?

Die Antwort zu dieser Frage hat zwei Teile. Ist es sinnvoll sich in Zeiten der Krisenbewältigung strategisch neu aufzustellen? Ich glaube nicht, dass das vertrauensfördernd wäre. Aber es ist tatsächlich so, dass es heute schwieriger ist Inflation zu messen als noch vor 15 oder 30 Jahren. Es gibt Elemente, die wir in Sachen Inflation über- und unterschätzen.

Warum?

Es ist nicht ganz einfach, Qualitätssteigerungen von Preissteigerungen zu unterscheiden. Das gilt im besonderen Maße im digitalen Zeitalter. Es war wahrscheinlich noch nie so schwer wie heute festzustellen, wie Verhaltensänderungen der Verbraucher auf die Produktivität und Preise wirken. Zu all diesen Themen brauchen wir vertiefende Studien. Wenn man vorschnell Schlüsse zieht, kommt man zu einem Zickzack-Kurs, der Vertrauen zerstört. Vertrauensbildung ist aber die wichtigste Voraussetzung dafür, dass wir wieder auf einen stabilen Wachstumspfad kommen.

Warum sind denn die „nahe 2 Prozent“ so wichtig? Ein Inflationsziel von 1,5 Prozent würde doch auch reichen. Es gibt doch stabile Preise, warum setzt sich die EZB so unter Druck? Von einer Deflation etwa wie in Japan sind wir doch weit entfernt.

Es gab Deflationsrisiken. Wenn die dann mit einer Rezession einhergehen, wird es schwierig. Dann fährt man permanent am Abgrund und die Gefahr eines Unfalls erhöht sich. Deswegen muss das Potenzialwachstum nach oben getrieben werden. Aber das ist nicht unsere Aufgabe, sondern geht mit den bereits erwähnten Strukturreformen einher.

Dann lassen Sie doch das „nahe“ weg. Dann sind 1,5 Prozent auch ok.

Das ist die genau die Strategiediskussion, die ich meine. Die führt man sicher nicht während einer Krise, sondern danach. Die Definition von Preisniveaustabilität darf nicht als ein „moving target“ angesehen werden. Es ist wichtig, eine Institution zu haben, die Ziele ausgibt, die von einer breiten Öffentlichkeit verstanden und nachvollzogen werden können.

Die Bevölkerung sorgt sich nicht um die Preisstabilität, sondern um die nicht mehr vorhandenen Zinsen. Das treibt die Menschen doch um.

Es gibt genug Länder, die in dem Anpassungsprozess stecken und in der Deflation stecken. Das muss auch beachtet werden.

An welche Länder denken Sie?

Es gibt seit fünf Jahren eine deflationäre Rezession in Griechenland.

Macht die EZB nicht aber die Geldpolitik für die gesamte Eurozone?

Das ist richtig, aber auch in Spanien gab es über längere Zeit dieses Problem. Und die Eurozone als Ganzes war von diesem Szenario einer Deflation bedroht.

Lassen Sie nochmal kurz über das Mandat der EZB sprechen. Mit dem Niedrigzins oder auch der Regulierung werden die Geschäftsentwicklungen, die Strategien einer Bank oder auch einer Versicherung ganz maßgeblich beeinflusst. Darf die EZB das?

Gerade was das Thema Regulierung angeht, so werden die Regeln ja nicht von der EZB gemacht, sondern umgesetzt. Entworfen wurden sie im G20. Was uns bei diesem Thema umtreibt, ist die Notwendigkeit eines Level-Playing Field. Wir haben in Europa einen Bank-Protektionismus aufgebaut, der nicht hinnehmbar ist und Europa fragmentiert. Wir brauchen aber ein ebenes Spielfeld, um die notwendigen Anpassungen hinzubekommen. Europa ist noch immer over-banked. Es gibt weiterhin Konsolidierungsbedarf.

Kommen wir zum Euro. Betreibt die EZB nicht auch Wechselkurspolitik? Der Euro ist schwach und eine Reihe von Vertretern der EZB machen doch schon lange keinen Hehl mehr daraus, dass Sie das auch begrüßen.

Es gibt einige Länder, in denen Wechselkurspolitik betrieben worden ist, als es den Euro noch nicht gab. Die EZB hat kein Wechselkursziel. Allerdings hat der Wechselkurs erhebliche Auswirkungen auf Inflation und Wachstum.

Sehen Sie nicht die Gefahr eines globalen Abwertungswettlaufs?

Der indische Notenbankpräsident sagte kürzlich sogar, dass man sich abstimmen sollte. Wir haben eine rechtlich bindende Vorgabe, die im EU-Vertrag steht. Konkret steht dort, dass wir Geldpolitik für die Eurozone machen.

Ein großes Thema 2016 wird das Auseinanderlaufen der Geldpolitik in Europa und den USA sein. Wie bewerten Sie diese Divergenz, wie langsam sie sich auch immer vollziehen mag?

Wir stimmen uns nicht ab, aber das heißt nicht, dass wir nicht miteinander reden. Vielleicht wird in einem solchen Umfeld das eine oder andere Telefonat mehr geführt. Ohnehin ist es aber so, dass es auch in den USA weiterhin eine sehr expansive Geldpolitik betrieben wird, die sich den Gegebenheiten anpasst. Von restriktiver Geldpolitik kann auch dort nicht die Rede sein. Die Divergenz Spiegelt aber die unterschiedlichen Zyklen wider.

Welche Risiken gehen denn Ihrer Meinung nach von China aus?

Ich habe großes Vertrauen, dass sich China seiner weltpolitischen Verantwortung sehr bewusst ist. Die chinesische Wirtschaft ist auf einem kontrollierbaren Pfad, auf dem ein Absturz so nichtvorhersehbar ist.

Hat Sie die Institution EZB verändert? Sie waren als Falke bekannt, so wirken Sie heute gar nicht mehr.

Ich habe nie gesagt, dass ich ein Falke bin. Ich war immer stabilitätsorientiert, und bin es bis heute. Es ist doch immer auch eine Frage, wie Sie am meisten Einfluss ausüben können: In der Schmollecke oder in der aktiven Gestaltung. Außerdem geht es um die Loyalität und die Verpflichtung gegenüber einer Institution.

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