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Interview mit „Die Welt“

13. Januar 2015

Interview mit Benoît Cœuré, Mitglied des Direktoriums der EZB
veröffentlicht am 13. Januar 2015

Die Welt: Wie groß ist Ihre Sorge darüber, dass wir im Zuge der Parlamentswahlen in Athen eine Neuauflage der Euro-Krise erleben werden?

Griechenland steht vor einer entscheidenden Wahl, und natürlich kann das große Veränderungen bedeuten. Das ist normal in einer Demokratie. Der Wille des Wählers entscheidet, und wir als EZB mischen uns da nicht ein. Anders als noch vor zwei, drei Jahren ist das Euro-System aber viel robuster. Die Ansteckungsgefahren, die etwa vom griechischen Finanzmarkt ausgehen könnten, sind deutlich geringer.

Das klingt so gelassen. Dabei wird längst wieder über einen Schuldenschnitt für Griechenland diskutiert.

Unsere Haltung dazu ist eindeutig: wir können einem Schuldenschnitt der von der EZB gehaltenen griechischen Staatsanleihen nicht zustimmen. Selbst eine Verlängerung der Laufzeiten ist mit uns nicht zu machen, weil wir es schlicht nicht dürfen. So ist es in den EU-Verträgen festgelegt, und von diesem Verbot der Staatsfinanzierung werden wir nicht abrücken. In dieser Frage gibt es keinerlei Spielraum für Zugeständnisse und Interpretationen.

Dass Sie dem nicht freiwillig zustimmen würden, ist klar. Aber was, wenn die neue griechische Regierung sich entscheiden sollte, keine Rückzahlungen mehr zu leisten oder die Währungsunion zu verlassen?

Solche spekulativen Szenarien kommentiere ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass es im Interesse Griechenlands ist, diesen Weg einzuschlagen. Im Gegenteil: Griechenland hat ein großes Interesse daran, Mitglied im Euro zu bleiben und die Reformen weiter voranzutreiben.

Für Vertreter der griechischen Wirtschaft mag das gelten, aber viele Bürger sind doch hochgradig frustriert, weil es ihnen trotz der vielen finanziellen Opfer immer noch nicht besser geht. Gleichzeitig wird in Deutschland längst wieder diskutiert, ob ein Austritt Griechenlands nicht doch die bessere Lösung wäre.

Das halte ich für Unsinn. Niemand diskutiert ernsthaft darüber, dass Griechenland den Euro verlassen sollte, oder bereitet diese Option gar ernsthaft vor. Griechenland braucht den Euro, und der Euro braucht Griechenland.

Wie sehr beeinflusst die Parlamentswahl in Athen die geldpolitische Entscheidung, die der EZB-Rat kurz vorher am 22. Januar treffen muss?

Das beeinflusst uns überhaupt nicht. Eine Wahl dort ändert nichts am Lauf der Geldpolitik.

Wäre es nicht klüger, Sie warteten bis nach den Wahlen ab – auch um zu vermeiden, dass ein Kaufprogramm für Staatsanleihen als eine Art Finanzhilfe interpretiert wird?

Keineswegs. Wir sind unabhängig, und das bedeutet auch, dass wir unsere Entscheidungen nicht daran knüpfen, ob irgendwo Wahlen stattfinden oder nicht. Wir tun, was wir tun müssen, und zwar genau dann, wenn wir es für notwendig erachten.

Sie betonen, dass die EZB keine politische Institution ist. Aber wie glaubwürdig ist das, nachdem sich die EZB längst zur Krisenmanagerin der Euro-Zone aufgeschwungen hat?

Die Gefahr besteht zweifellos: Gerade wenn andere Akteure wie die EU-Kommission oder die nationalen Regierungen nicht oder nur zögerlich handeln, erhöht das den Druck auf die Geldpolitik. Die vorherrschende Meinung im Rat ist allerdings, dass wir die Grenzen unseres Mandats mit unseren neuen Instrumenten nicht überschritten haben. Aber je länger es dauert, bis die Regierungen ihre Hausaufgaben gemacht haben, und je länger die wirtschaftliche Krise in Europa anhält, desto größer ist die Gefahr, dass der Druck auf die EZB zunimmt.

Aber gerade weil die EZB einspringt, reduziert sie doch den Handlungsdruck auf die Regierungen.

Das sehe ich anders. Unsere Politik ändert nichts daran, dass Strukturreformen bitter nötig sind. Der beste Ansporn dafür sollte die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit sein, auf die die Geldpolitik wenig Einfluss hat. In einigen Euro-Ländern liegt die Arbeitslosenrate bei 20 bis 25 Prozent. Wenn das kein Anreiz ist, dagegen vorzugehen – ja, was denn dann? Eine andere Frage ist der Einfluss der Geldpolitik auf die fiskalische Konsolidierung, Natürlich macht es das Leben der Regierungen leichter, wenn sie sich zu einem geringeren Zinssatz neu verschulden können. Daher treten wir für eine strikte Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ein. Aber wir müssen unabhängig davon unserer Aufgabe gerecht werden, für stabile Preise zu sorgen.

Wie abhängig ist die EZB dann umgekehrt vom Reformerfolg der Regierungen? Wenn es nicht gelingt, einen Weg aus Arbeitslosigkeit und Verschuldung zu finden – wie will die EZB dann je wieder zu einer normalen Geldpolitik zurückfinden?

Natürlich können unsere Maßnahmen nur dann volle Wirkung entfalten, wenn die Wirtschaft und die Finanzmärkte gut funktionieren. Das ändert nichts an unserem Mandat, aber es erklärt, warum wir uns manchmal mit Ratschlägen an die Politik wenden. Zum Beispiel, dass der Stabilitätspakt eingehalten werden sollte. Leider werden wir zu selten gehört.

Die EU-Kommission sollte Italien, Frankreich und Belgien also nicht mehr Zeit geben, um ihre hohen Haushaltsdefizite abzubauen?

Es ist Sache der EU-Kommission, darüber zu entscheiden. Allerdings ist die jetzige Situation nicht gerade optimal. Die EU-Kommission hat Länder wie Italien, Frankreich und Belgien zu Recht gerügt, weil sie ihre Defizitziele nicht eingehalten haben. Sie hat aber keine weiteren Maßnahmen ergriffen. Das erhöht die Unsicherheit, weil niemand weiß, ob das Regelwerk nun vollständig angewendet wird oder nicht. Die EU-Kommission sollte daher möglichst schnell zu einer eindeutigen Entscheidung kommen, die die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspaktes sichert. Das ist nicht das Mandat der EZB. Unsere Aufgabe ist es für stabile Preise zu sorgen.

Genau dieses Ziel sehen Ökonomen nun in Gefahr, im Dezember ist das Preisniveau sogar gesunken. Ist das bereits eine Deflation? Die Definition der EZB erscheint da bislang diffus

Ich würde von Deflation sprechen, wenn sowohl die Preise als auch die Wirtschaftsleistung sinken und sich das Problem immer weiter verstärkt – weil die Menschen nicht investieren oder konsumieren, wenn sie auf weiter fallende Preise warten. Bisher ist das nicht der Fall. Allerdings sind die Teuerungsraten europaweit extrem niedrig und weit weg von unserer Definition von 2 Prozent, der in Zentralbankkreisen vorherrschenden Definition von Preisstabilität. Das können wir nicht ignorieren.

Die Preise sind zuletzt aber nur gefallen, weil Erdöl so viel billiger wurde. Warum lässt sich die EZB davon unter Handlungsdruck setzen? Kurzfristige Schwankungen des Ölpreises können Sie doch ohnehin nicht beeinflussen.

Ein fallender Ölpreis ist grundsätzlich ein einmaliger Schock, aber erstens fällt er diesmal ungewöhnlich groß aus. Und zweitens war die Inflation bereits zuvor sehr niedrig, und die Inflationserwartungen entfernen sich immer weiter von dem Wert von zwei Prozent, den wir mittelfristig mit unserer Geldpolitik anstreben.

Sie würden den Verfall des Ölpreises also gerne ignorieren, wie Sie es früher getan haben – aber Sie können es sich momentan nicht erlauben?

Wir möchten kurzfristige Effekte in der Tat gerne ausblenden, aber es wird immer schwieriger, das durchzuhalten. Der kontinuierlich fallende Ölpreis verstärkt im aktuellen Umfeld die Gefahr, dass die Menschen das Vertrauen in unser Inflationsziel verlieren.

Aber wird die EZB überhaupt viel bewirken können? Selbst ein 1000 Milliarden Euro schweres Staatsanleiheprogramm wird Prognosen zufolge nur für 0,1 bis 0,5 Prozentpunkte mehr Inflation sorgen.

Voraussagen dazu sind schwierig. In Amerika waren Staatsanleihekäufe zweifellos erfolgreich. Die Frage ist, wie sich das auf eine Währungsunion wie unsere übertragen lässt. Genau das diskutieren wir.

Wie wollen Sie denn den Erfolg in Europa sicherstellen, wenn es nicht gemeinsame Staatsanleihen für den Euro-Raum gibt, die Sie kaufen könnten?

Das ist nicht trivial, aber es gibt durchaus Lösungen dafür. Die EZB hat nun einmal den Auftrag, Geldpolitik für eine Währungsunion mit 19 verschiedenen Ländern zu machen. Das macht manche Dinge komplizierter, aber es ist keine Rechtfertigung dafür, einfach nichts zu tun.

Wäre es wirklich vorstellbar, dass die EZB nicht die Anleihen von allen 19 Ländern kauft, sondern nur von denen mit den besten Ratingnoten?

Wir müssen das abwägen. Einerseits muss die EZB die Risiken begrenzen, die sie auf ihre Bilanz nimmt. Andererseits müssen die Anleihekäufe auch breit genug angelegt sein, um wirklich einen Effekt auf die Preise und die Wirtschaftsentwicklung zu haben.

Aus Sicht der Finanzmärkte hat sich die EZB längst auf Staatsanleihekäufe festgelegt, als sie im Dezember ihre Absicht erklärte, die Bilanzsumme bis auf drei Billionen Euro zu erhöhen. War das klug?

Wir hatten zuvor schon gesagt, dass wir eine solche Entwicklung erwarten, und ich sehe keinen großen Unterschied zwischen einer Erwartung und einer Absicht.

Warum haben Sie dann dagegen gestimmt?

Der Rat hat sich dazu entschieden, keine Details zu den Abstimmungen öffentlich zu machen, daran halte ich mich. Aber es gab in der Sache keinen fundamentalen Dissens, allenfalls unterschiedliche Ansichten zu einzelnen Formulierungen.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Diskussion bis zum 22. Januar abgeschlossen sein wird?

Die Diskussion ist weit vorangeschritten. Wir haben vergangene Woche viele technische Details diskutiert. Wir sind auf jeden Fall in der Lage, am 22. Januar eine Entscheidung zu treffen. Was nicht bedeuten muss, dass wir tatsächlich schon entscheiden.

Um die Staatsanleihekäufe wird seit Monaten gerungen. Ist dieser Streit ein Problem für die Glaubwürdigkeit des EZB-Rats?

Ganz und gar nicht. Es ist normal, dass es in einem Rat mit 25 Mitgliedern unterschiedliche Meinungen gibt – sonst bräuchten wir das Gremium ja nicht, wir könnten alles im sechsköpfigen Direktorium entscheiden.

Selbst im Direktorium gehen die Meinungen zu Anleihekäufen doch weit auseinander.

Wenn man das vermeiden wollte, könnte einer alles allein entscheiden. Aber das ist aus gutem Grund nicht unser System. Die Diskussion im Rat und im Direktorium hilft uns dabei, die Vor- und Nachteile einer Entscheidung sorgfältig abzuwägen – gerade wenn es um etwas so wichtiges geht wie umfangreiche Anleihekäufe.

Mario Draghi hat bereits deutlich gemacht, dass ein Anleiheprogramm nicht einstimmig beschlossen werden muss. Aber wäre es wirklich akzeptabel, wenn ein so grundlegender Schritt mit knapper Mehrheit beschlossen würde?

Es wäre möglich und erlaubt, aber nicht empfehlenswert. Je mehr Ratsmitglieder zustimmen, desto sicherer bin ich mir, dass wir alle Argumente für und gegen ein Anleiheprogramm ausreichend abgewogen haben und die Risiken minimiert wurden.

Noch steht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum früheren Staatsanleihen-Programm OMT aus, diese Woche gibt der Generalanwalt seine Empfehlungen ab. Befürchten Sie keine juristischen Einschränkungen für die breiter angelegten Anleihekäufe, die aktuell erwogen werden?

Noch wissen wir nicht, wie der Gerichtshof entscheiden wird. Diese Woche werden wir aber durch den Schlussantrag des Generalanwalts eine gewisse Indikation bekommen.

Möglicherweise wird am Ende bestätigt werden, dass Staatsanleihekäufe am Sekundärmarkt legal sind. Aber wirtschaftlich wirken sie in mancherlei Hinsicht ähnlich wie eine verbotene direkte Staatsfinanzierung mit der Notenpresse. Wenn das unproblematisch sein soll – finden Sie dann das ganze Verbot überflüssig?

Vielleicht wäre dieses Verbot weniger wichtig – wenn wir eine Fiskalunion hätten mit einer gemeinsamen Finanzpolitik. Aber solange das nicht der Fall ist, muss man die EZB davor bewahren, von den Finanzministern dominiert zu werden. Deshalb brauchen wir diesen Vertragsartikel, als Schutz für die Unabhängigkeit der Zentralbank.

Läuft es früher oder später zwingend auf diese Fiskalunion hinaus?

Natürlich würde eine Fiskalunion uns als Zentralbank das Leben einfacher machen. Aber eine Fiskalunion muss demokratisch legitimiert sein und bedarf einer adäquaten parlamentarischen Kontrolle.

Im Moment zeichnet sich das nicht unbedingt ab. Könnte der Euro auch auf Dauer als „Währung ohne Staat“ bestehen?

Der Euro kann sicher bestehen. Aber das System würde immer fragil bleiben. Wir müssten uns darauf einstellen, dass es immer wieder Krisen geben kann, die in einem Land entstehen und andere anstecken. Wenn wir Fortschritte machen wollen, brauchen wir eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, einschließlich im Bereich der Strukturreformen.

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