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Interview mit Börsen-Zeitung

11. September 2014

„Wir sind ganz sicher nicht allmächtig“
Vítor Constâncio, Vizepräsident der EZB,
11. September 2014

Der EZB-Vizepräsident über die Macht und die Grenzen der Notenbank, die Risiken der Mini-Inflation und die heftige Kritik aus Deutschland

BZ: Herr Constâncio, viele Politiker und Beobachter halten die Macht und die Mittel der Europäischen Zentralbank (EZB) im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturflaute für schier unbegrenzt, andere sehen sie längst an ihre Grenzen gestoßen. Fühlen Sie sich allmächtig oder ohnmächtig?

Constâncio: Das ist in der Tat eine interessante Frage. Aber ich würde sagen, es ist weder das eine noch das andere: Wir sind ganz sicher nicht allmächtig, aber auch nicht machtlos. Was wir tun, hat einen Einfluss auf die Wirtschaft und ist deshalb enorm wichtig.

Aber die Vorstellung oder Hoffnung, dass die EZB das Ruder alleine herumreißt, ist überzogen, ja?

Wenn es um die Wachstumsperspektiven geht, ist es so, dass Geldpolitik es nicht alleine schaffen kann. Da sind die Regierungen gefragt, und vor allem Strukturreformen. Aber wenn es um Inflation geht, ist es anders: Das Erreichen des Inflationsziels liegt in der Verantwortung der Geldpolitik – das ist der zentrale Grundsatz der monetären Theorie und der Zentralbanken. Diese Verantwortung können wir nicht auf andere abwälzen, aber wenn andere helfen, umso besser.

EZB-Präsident Mario Draghi hat gesagt, dass es ohne fiskalische Impulse und vor allem Strukturreformen schwer wird, das Inflationsziel von knapp 2% zu erreichen. Sie würden aber sagen, dass wenn das Inflationsziel in Gefahr ist, die EZB handeln muss, ganz egal, was andere tun?

Richtig, so sehe ich die Dinge, was Inflation betrifft. . Allerdings hat Herr Draghi in seiner Rede auch über Wachstum gesprochen. Und, wie schon gesagt, das ist eine andere Geschichte. Klar, im Moment wäre es natürlich ungemein wichtig, dass auch die Politik liefert. Wenn sie für mehr Wachstum sorgen würden, wäre die Auslastung der Kapazitäten höher. Das würde gegen die sehr gefährliche Situation niedriger Inflation helfen.

Aber müssen Sie da nicht zunehmend frustriert sein, weil die EZB stets liefert, aber die Politik nicht?

Ja, absolut. Aber man muss auch daran erinnern, dass die Krisenländer viele wichtige Reformen vollzogen haben und nun wieder wachsen.

Die Sorgenkinder sind aktuell ja eher Frankreich oder Italien, die sich Reformen verweigern.

Es gibt ohne Frage Länder, in denen mehr Strukturreformen dringend nötig sind. Wenn man OECD-Berichte für das Jahr 2013 zur Umsetzung von Reformen liest, liegen die Krisenländer ganz vorne und andere Euro-Länder unter dem Euro-Durchschnitt: Frankreich, die Niederlande, auch Deutschland.

Zuletzt war viel die Rede von einem „Grand Bargain“, also einer Art Deal zwischen Fiskal-, Struktur- und Geldpolitik, um die Krise im Euroraum zu überwinden. Draghi hat gesagt, dass es das nicht gibt. Aber wäre es aktuell nötig – nach dem Vorbild Japans?

Wir brauchen alle drei Säulen. Zugleich aber sind wir in Europa viel besorgter über die Unabhängigkeit der Zentralbank. Eine solche Koordinierung wäre nicht angemessen. Deshalb haben wir entschieden, was für unseren Teil zu entscheiden war und Herr Draghi hat erwähnt, was die anderen tun sollten.

Nur drei Monate nach einem historischen Maßnahmenpaket hat der EZB-Rat die Geldpolitik erneut erheblich gelockert. Steht dahinter doch eine wachsende Sorge vor Stagnation oder gar Deflation?

Es gab zwei Dinge seit Juni, die die weiteren, ergänzenden Maßnahmen gerechtfertigt haben: Zum einen der Rückgang der Inflationserwartungen über das gesamte Zeitspektrum. Es wäre extrem gefährlich zuzulassen, dass sich die Erwartungen aus ihrer Verankerung lösen…

… das heißt, dass sie deutlich unter das Inflationsziel von 2% absacken…

… genau. Das dürfen wir unter keinen Umständen zulassen. Denn wenn das passiert, ist es extrem schwierig, die Kontrolle über die Inflationserwartungen zurückzugewinnen. Sie sind aber ein zentraler Faktor für die künftige Inflation. Zum anderen war es so, dass die Wirtschaftsdaten für das zweite Quartal sehr enttäuscht haben. Das würde die Auslastung unserer Wirtschaft nur noch weiter verringern und die Inflation weiter nach unten treiben.

Entscheidend sind vor allem die mittel- bis langfristigen Erwartungen. Sind die noch „verankert“?

Auf Sicht von bis zu vier Jahren gibt es erste Anzeichen, dass sie sich aus der Verankerung lösen könnten. In den vergangenen beiden Monaten sind diese Größen deutlich gesunken. Inzwischen erreicht das auch die erwartete Inflation in fünf Jahren für die folgenden fünf Jahre. Zudem hat sich gezeigt, dass der Einfluss der kurzfristigen Erwartungen auf die längerfristigen zunimmt. Das ist ein schlechtes Signal und erfüllt uns mit großer Sorge. Das Risiko, dass sich die längerfristigen Erwartungen entankern hat ohne Frage enorm zugenommen.

Und damit auch die Gefahr einer Deflation im Euroraum?

Wir sehen kein Risiko einer wirklichen Deflation im Sinne eines breit angelegten Preisrückgangs. Das große Risiko ist aktuell aber eine lange Phase mit geringem nominalen Wachstum, also niedriger Inflation und niedrigem Wachstum. Das führt zu Problemen bei der Schuldentragfähigkeit – für private Haushalte wie Staaten. Zudem haben höhere Realzinsen negative Konsequenzen für die wirtschaftliche Erholung.

Aber die neuen Projektionen der EZB für Wachstum und Inflation wurden nur marginal verändert. Warum hat sich der EZB-Rat dennoch zu doch weit reichenden Maßnahmen entschieden?

Das sind nicht die Projektionen des EZB-Rats – das ist wichtig. Es sind jene der EZB-Volkswirte und insofern nur ein Element bei der Entscheidung des Rats. Der EZB-Rat hat die Abwärtsrisiken für Wachstum und Inflation als wichtiger angesehen.

Es wäre also fair zu sagen, es ging um eine Art Versicherungspolitik gegen drohende Abwärtsrisiken?

Wenn wir mit Risikomanagement zu tun haben, geht es immer darum, so präventiv wie möglich zu handeln. Das gilt insbesondere bei Risiken für die Inflationserwartungen. Wir mussten jetzt einfach mehr tun.

Mit den jüngsten Maßnahmen zielt der EZB-Rat explizit auf eine deutliche Ausweitung der Notenbankbilanz. Das bedeutet aber einen großen Wandel in der EZB-Politik, mit der sie sich weiter anderen Zentralbanken annähert.

Mit der jüngsten Zinssenkung haben wir die Untergrenze der nominalen Zinssätze erreicht. Wenn wir der Ansicht sind, dass es eine noch expansivere Geldpolitik braucht, müssen wir nun andere Kanäle finden. Das geht etwa über die Bilanzausweitung. Sie beeinflusst zum einen die Inflationserwartungen für die Zukunft und zum anderen die Investitionsentscheidungen der Investoren. Das strahlt auf andere Vermögensmärkte aus und hat auch Einfluss auf den Wechselkurs.

Die Effekte wären nach Ansicht vieler Beobachter größer, wenn die EZB ein konkretes Volumen für die beiden Kaufprogramme von Kreditverbriefungen (Asset Backed Securities, ABS) und Covered Bonds nennen würde.

Ich verstehe das Argument. Aber von unserer Seite ist es schwierig und nicht angemessen, uns zu einer bestimmten Summe zu verpflichten. Wir haben uns dagegen entschieden.

Das heißt, es wird auch Anfang Oktober mit den Details kein konkretes Kaufvolumen geben?

Im Moment haben wir nicht vor, eine bestimmte Zahl zu nennen.

Draghi hat allerdings signalisiert, dass es – zusammen den neuen gezielten Langfristtendern, den TLTROs – um eine Bilanzausweitung um 750 Mrd. bis 1000 Mrd. Euro geht. Viele Beobachter zweifeln, ob das realistisch ist, zumal, wenn es schnell gehen soll.

Wir sind überzeugt, dass die drei Komponenten einen erheblichen Effekt auf die Bilanz haben werden – mit den beschriebenen Wirkungen. Den wichtigsten Effekt erwarten wir von den TLTROs. Auch deshalb haben wir die Zinsen noch einmal gesenkt. Es gab Gerüchte, dass sich Banken anfangs zurückhalten könnten, weil sie auf weitere Zinssenkungen spekulierten. Das ist jetzt vom Tisch.

Heißt das auch, je geringer die Nachfrage nach den TLTROs desto größer das Kaufvolumen?

Das muss nicht notwendigerweise so sein. Aber noch einmal: Wir denken, dass die neuen Tender sehr attraktiv sind. Die Banken sind auf jeden Fall sehr gut beraten, diese Möglichkeit nicht zu verpassen.

Und wenn alles nichts hilft, kauft die EZB doch Staatsanleihen? Die Möglichkeit eines solchen breit angelegten Quantitative Easing (QE) wurde bereits im EZB-Rat diskutiert. Die Tatsache, dass es dazu nicht jetzt schon gekommen ist – bedeutet das, dass es dafür keine „komfortable Mehrheit“ gibt wie für die nun beschlossenen Schritte?

Es gab bei dieser Sitzung keinen Vorschlag für QE. Es wurde darüber diskutiert, aber es lag keine Entscheidungsvorlage auf dem Tisch. Ich denke also nicht, dass Sie eine solche Schlussfolgerung ziehen können.

QE inklusive des Erwerbs von Staatstiteln wäre also der nächste logische Schritt für den EZB-Rat?

Wir sind der Überzeugung, dass wir Staatsanleihen am Sekundärmarkt kaufen dürfen, wenn das geldpolitisch gerechtfertigt ist. Wir wissen aber natürlich, was das bedeutet, und wir würden es vorziehen, wenn wir nicht gezwungen werden würden, zu diesem Instrument zu greifen. Wir hoffen, dass die bisherigen Maßnahmen ausreichen werden. Aber mit Blick auf unsere Verantwortung und unser Mandat ist der Kauf von Staatsanleihen ganz sicher etwas, das wir nicht ausschließen können.

Dann dürfte aber der Dissens im EZB-Rat noch größer werden. Schon jetzt fiel die Entscheidung nicht einhellig – obwohl es immer heißt, der EZB-Rat sei einmütig, im Notfall alles zu tun gegen Risiken zu niedriger Inflation.

Dieser Satz bedeutet nicht, dass jeder im EZB-Rat in einer bestimmten Situation einem bestimmten Paket zustimmen muss. Das wirklich Zentrale an dieser einstimmig beschlossenen Formulierung ist, dass kein unkonventionelles Instrument von vornherein ausgeschlossen ist. Trotzdem können die genaue Ausgestaltung und die Wahl des Zeitpunkts Grund zur Diskussion sein.

Aber heißt die jüngste Entscheidung, dass das Konsensprinzip im EZB-Rat endgültig Geschichte ist?

Seit 2010 haben wir mehrere nicht einstimmige Entscheidungen gehabt. In so schwierigen Zeiten gibt es unterschiedliche Ansichten. Das finde ich nicht per se überraschend oder schlimm. Wir werden uns auch künftig immer um Konsens bemühen. Aber manchmal müssen einfach Entscheidungen getroffen werden.

Sie haben die Folgen für den Euro angesprochen. Ihr Ratskollege Ewald Nowotny spricht gar unverblümt davon, ein schwächerer Euro sei beabsichtigt. Wird die EZB auch da immer mehr wie andere Notenbanken, die implizit auf Abwertung setzen? Fürchten sie keine Gegenreaktionen?

Ich muss Ihnen da widersprechen: Wir haben nicht eine einzelne Maßnahme ergriffen, die direkt auf den Wechselkurs gemünzt war. Das kann niemand behaupten. Mit unserer Geldpolitik zielen wir auf heimische Ziele. Dazu sind wir berechtigt aufgrund der schwierigen Situation, in der wir uns mit der niedrigen Inflation befinden. Natürlich weiß jeder, dass Geldpolitik unvermeidbar Folgen für den Wechselkurs hat. Die Abwertung des Euro ist eine Nebenwirkung unserer Politik. Entscheidend ist aber, was das heimische Ziel ist. Wir haben in dieser Hinsicht nicht unsere Politik gewechselt.

Das erinnert doch an Japan. Dort hieß es 2013 auch stets, es gehe bei der ultralockeren Geldpolitik um heimische Ziele und nicht um eine Yen-Schwächung. Das haben damals auch europäische Politiker und Notenbanker in Zweifel gezogen und kritisiert.

Wenn Sie sich die Statements des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der G20 anschauen, wurde die japanische Politik stets als akzeptabel bezeichnet, weil sie aufgrund inländischer Ziele geboten schien. Das Gleiche trifft nun für den Euroraum zu, wenn auch in anderer Dimension: Wir sind nicht in der Deflation und werden keine Deflation haben.

Die EZB wird in Deutschland heftig kritisiert. Mit dem beabsichtigten Anleihenkauf nimmt das noch zu. Die Sorge ist nicht zuletzt, dass die EZB Risiken auf ihre Bücher nimmt, die am Ende dem Steuerzahler auf die Füße fallen. Ist es nicht eine große Gefahr, dass der Rückhalt in Deutschland für die EZB völlig verloren geht?

Natürlich erfüllt uns das mit Sorge. Wir leben nicht im Elfenbeinturm. Aber wir haben ein Mandat und das Mandat gilt für die 18 Euro-Länder als Ganzes. Ich denke aber auch, dass es in Deutschland viele Missverständnisse und unbegründete Ängste gibt. Ein Beispiel: Als wir 2010 das erste Mal Staatsanleihen gekauft haben, gab es überall Warnungen vor Hyperinflation. Das ist nicht eingetreten und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das jetzt passieren wird. Und es gab auch da die Sorgen vor Verlustrisiken. Wenn überhaupt, dann hat das Eurosystem mit den Käufen sehr gute Profite gemacht.

Das Gefühl ist aber, dass die EZB immer mehr von der stabilitätsorientierten Geldpolitik der Bundesbank früherer Tage abkommt. Das wird befeuert, wenn Bundesbankchef Jens Weidmann EZB-Entscheidungen nicht mitträgt.

Ich finde es schwierig, wenn man sagt, die EZB habe eine stabilitätsorientierte Politik verlassen, wenn die Inflation bei 0,3% liegt. Das könnte man sagen bei 3% oder 4% Inflation. Unser primäres Mandat ist Preisstabilität und wir werden uns auf keine Politik einlassen, die in dieser Hinsicht die Gefahr kreiert, dass wir mit zu hoher Inflation enden.

Eine andere Angst ist die vor neuen Vermögenspreisblasen.

Unser Mandat sind stabile Preise bei Gütern und Dienstleistungen, nicht das Niveau von Vermögenspreisen. Das war und ist von der Politik in dem Vertrag so gewollt. Wenn es um Vermögenspreise geht, sind makroprudenzielle Instrumente gefragt, nicht der Einsatz der Leitzinsen. Einige Instrumente wurden uns mit der neuen Rolle als Bankenaufsicht übertragen – eine begrenzte Anzahl. Ich wünschte, wir hätten mehr Instrumente dieser Art.

Welche zum Beispiel?

In Großbritannien hat die englische Notenbank das Recht erhalten, verschiedene Instrumente wie Beleihungsverhältnisse, die loan-to-value-ratio, und Verschuldungsquoten, also die debt-to-income-ratio, zu nutzen, um vor allem Übertreibungen am Immobilienmarkt zu verhindern. In den USA kann die Fed auch Nicht-Banken als systemrelevant einstufen und damit unter ihre Aufsicht zwingen. Das sind sicher einige gute Ansätze.

Im Euroraum macht die Lage der Banken immer noch viele Sorgen. So gelten sie weiterhin als zu schwach kapitalisiert. Wie schätzen Sie die Lage ein, zumal nach der fast abgeschlossenen umfassenden EZB-Bilanzprüfung?

Zunächst einmal: Seit vergangenem Jahr haben die Banken in Erwartung der EZB-Bilanzprüfung viele nötige Maßnahmen vorgezogen. Sie haben neues Kapital aufgenommen und Rückstellungen erhöht. Seit Juni 2013 haben die Banken, die künftig unter die EZB-Aufsicht fallen, ihre Bilanzen so um insgesamt knapp 200Mrd. Euro gestärkt. In dem Sinne ist auch die Prüfung der EZB bereits jetzt ein Erfolg.

Die Sorgen sind also unberechtigt?

Hinter den Bedenken steckt ja meist die Vermutung, dass es in den Bilanzen zu positive Bewertungen gibt. Gerade da setzt unser Asset Quality Review an. Wir sind überzeugt, dass unsere intensive Prüfung diese Bedenken ein für alle Mal zerstreuen wird. Die Entwicklung der Aktienkurse zeigt ja auch, dass Investoren schon wieder Geld in europäische Banken stecken.

Eine Studie von Beratern des EU-Systemrisikorats ESRB hat das europäische Bankensystem unlängst als aufgebläht und höchst riskant bezeichnet. Teilen Sie die Sicht und gibt es da eine Rolle für die EZB als künftige Aufsicht?

, Ich würde grundsaetzlich nicht bestreiten, dass Europa teilweise „overbanked“ ist. Aber ich wuerde diese Aussage ein bisschen relativieren. Der Europaeische Bankensektor erscheint in Relation zum Bruttosozialprodukt viel größer als der US-amerikanische, aber die meisten amerikanischen Hypotheken sind nicht in den Bankbilanzen. Die Bankenunion wird da ein Umfeld bieten, in der wir eine Konzentration des Bankensystems sehen werden. Das sollte aber dem Markt überlassen werden und nicht durch gezielte Politik betrieben werden. Im Übrigen glaube ich, dass die Kapitalmarktfinanzierung auch in Europa immer mehr an Bedeutung gewinnt. Damit sollte auch die Rolle der Banken zurückgehen.

Noch einmal zurück zur Geldpolitik. Aktuell gibt es eine intensive Debatte, ob es eine „neue Normalität“ gibt, etwa in dem Sinne, dass unkonventionelle Instrumente zum Normalfall werden oder die Leitzinsen dauerhaft niedriger sein werden als früher. Sehen Sie auch ein „new normal“?

Ich denke, es gibt eine „neue Normalität.“ Das erste Element ist die Einführung der makroprudenziellen Politik. Die Finanzkrise hat gelehrt, dass Preisstabilität nicht automatisch Finanzstabilität bedeutet und dass Finanzcrashs die Preisstabilität gefährden. Deshalb brauchen Zentralbanken neue Instrumente. Denn es ist gefährlich und wenig effektiv zu versuchen, Blasen mittels Leitzinsen zu verhindern oder zum Platzen zu bringen. Das andere ist die Notwendigkeit unkonventioneller Maßnahmen. Tatsache ist, dass im aktuellen Umfeld der neutrale Realzins…

... also jener Zins, der zum Wachstumspotenzial einer Wirtschaft passt, ohne Preisdruck auszuüben…

… derzeit negativ ist und er einige Zeit sehr niedrig oder negativ bleiben wird. Denn dieser Satz hat sehr viel mit dem Potenzialwachstum einer Wirtschaft zu tun und das sinkt vielerorts seit einiger Zeit, durch demografische Entwicklungen, aber auch durch andere Faktoren. Hinzu kommt, dass die Ersparnisse die Investitionsmöglichkeiten strukturell übersteigen. Insofern bin ich überzeugt, dass unkonventionelle Geldpolitik auf absehbare Zeit Normalität bleiben wird.

Heißt das auch, Sie fürchten eine sehr lange Phase ohne Wachstum?

Ich bin mir nicht sicher und ich denke, keiner kann sich sicher sein. Sicher gibt es in den Industrieländern über Jahrzehnte den Trend zu einem Fall der Realzinsen . Entscheidend ist in diesem Zusammenhang deshalb, das Potenzialwachstum zu erhöhen. Dafür braucht es Anstrengungen in vielen Politikbereichen. Wir müssen hoffen, dass diese Phase nicht zu lange dauert und wir es schaffen, das Potenzialwachstum wieder anzukurbeln.

Das Interview führte Mark Schrörs.

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