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Interview mit Frankfurter Allgemeine Zeitung

14. Oktober 2013

Interview mit Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
14. Oktober 2013

Herr Mersch, Sie sind für den Aufbau der Bankenaufsicht in der EZB zuständig, was eine gewaltige Aufgabe ist. Freuen Sie sich darauf, oder sind sie auch manchmal besorgt, ob das alles klappt.

Ich habe in meinem Leben schon öfter an solchen Aufbauarbeiten mitgewirkt. Es freut mich, wenn man nachher darauf zurückschauen kann, dass es gelungen ist. Aktuell schaut man natürlich auch manchmal etwas besorgt in die Zukunft.

Sie haben nur wenig Zeit. Mit dem Aufbau kommt schon die erste große Bewährungsprobe, die Bankenbilanzprüfung. Leidet unter der Schnelligkeit die Gründlichkeit?

Als wir die Währungsunion gegründet haben, hatten wir mehr Anlaufzeit. Als ich die luxemburgische Zentralbank 1998 aufbaute, war die Anlaufzeit noch kürzer, aber jetzt ist die Aufgabe viel größer. Wir haben aber den Vorteil einer sehr guten Zusammenarbeit mit den nationalen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden. Und wir können uns auch auf die Erfahrungen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) stützen….

..die aber nicht uneingeschränkt positiv waren..

Ich will das nicht bewerten, aber wir haben davon gelernt. Vor allem wird die Kommunikation sehr wichtig werden. Vergangene Woche haben wir uns in einer Sitzung mit den Chefs der nationalen Aufsichtsinstanzen über zentrale Eckpunkte geeinigt, darunter Kernelemente der umfassenden Bilanzanalyse.

Und wie wird es laufen?

Der EZB-Rat muss diesem Plan erst noch zustimmen. Am 23. Oktober werden Sie in alle Einzelheiten eingeweiht, wie die Bilanzanalyse aussehen wird, wie das verzahnt ist mit der Portfolioauswahl, die wir genauer unter die Lupe nehmen werden und wie wiederum die Bilanzanalyse verzahnt ist mit den nachfolgenden Stresstests. Das Ganze soll in ein einziges Resultat münden, das im Oktober nächsten Jahres öffentlich gemacht wird.

Um welche Kernzahl geht es bei diesem einen Resultat?

Wir arbeiten nicht primär darauf hin, eine Kapitallücke zu beziffern. Die Bilanzen zu durchforsten dient vor allem dazu, auf den internationalen Märkten wieder Vertrauen in die Bilanzen der Banken herzustellen. Die Bilanzprüfung wird daher nach einheitlichen Vorgaben durchgeführt. Alle werden nach den gleichen Methoden geprüft. Deshalb haben wir auch externe Berater mit ins Boot. Außerdem werden die Aufsichtsteam in den Ländern untereinander vernetzt sein.

Die Kennziffer wird nicht eine Kapitallücke, der Kapitalbedarf sein? Was sonst?

Wir werden eine Kennziffer für die Bilanzierungsüberprüfung haben. Diese wird sich aus europäischer Gesetzgebung ableiten, der sogenannten CRR/CRD IV.

Das sind technische Namen. Worum geht es da?

Es geht um die Definition des Eigenkapitals, das eine Bank hinterlegen muss. Die ist in der Eigenkapitalrichtlinie CRD IV festgelegt worden. .

.. die sich an den Basel-III-Richtlinien orientiert.

Da steht eine Mindestrate an Kernkapital drin, die Banken unter Basel III im Verhältnis zu ihren risiko-gewichteten Aktiva vorhalten müssen. Da steht zweitens drin, dass ein Polster zum Kapitalerhalt als weiteren Risikopuffer hinzukommen muss. Und da wir ja im Bereich der wichtigsten Banken in allen Mitgliedsstaaten agieren, bräuchten die "bedeutenden Kreditinstitute " noch einen Aufschlag, der diese herausragende Bedeutung im europäischen Kontext widerspiegelt. Wenn man das zusammenrechnet, erhält man die Kennziffer, an der wir uns orientieren werden.

Letztlich interessiert doch die Lücke zwischen dem Eigenkapital, das eine Bank braucht, und dem, was sie hat.

Wir müssen einheitliche Regeln in Europa anwenden. Dann kann herauskommen, dass eine Bank nicht genug Rückstellungen oder Vorsorge getroffen hat. Das muss dann unter Umständen mit Kapital gefüllt werden, kann aber auch dadurch erreicht werden, dass die Bilanz geschrumpft wird.

Und wie?

Indem wir Vertrauen herstellen, verbessert sich die Situation: Eine Bank, über deren Bilanz wieder Transparenz und Sicherheit herrscht, wird eher am Markt Mittel aufnehmen können.

Wenn plötzlich viele Banken auf den Markt gehen, wird es schwierig.

Die meisten Banker sind vorausschauend und suchen schon jetzt nach Kapital. Wenn privates Kapital nicht genügt, dann muss nach den europäischen Vorgaben die Lücke durch einen Bail-in gestopft werden indem Eigentümer und Gläubiger herangezogen geben. Der Staat darf kein Geld geben, ohne vorhergehenden Bail-in. Bevor staatliches Geld fließt, muss aber auch noch die Entscheidung getroffen werden, ob eine Bank überhaupt lebensfähig ist oder nicht. Eine Bank, die nur mit dauerhafter öffentlicher Unterstützung lebensfähig ist, passt eigentlich nicht in unsere Vorstellung einer Marktwirtschaft. Wenn es Chancen auf ein Überleben gibt, vielleicht auch nur eines Teiles, können dann als dritte Verteidigungslinie auch öffentliche Gelder eingesetzt werden zuerst national und als ultimative Verteidigungslinie international. Wenn ein Land überfordert ist, kommt als letzte Möglichkeit ein europäisches Sicherheitsnetz. Wir haben also eine Kaskade von Sicherheiten.

Viele Steuerzahler in Deutschland fürchten schon, dass letztlich über ein europäisches Sicherheitsnetz auch ihr Geld für die Bankenrettung eingesetzt wird.

Die europäische Sicherung kommt ja erst ganz zuletzt. Wenn ein Land das Geld nicht aufbringt, dann muss es in ein Hilfsprogramm einsteigen. Die europäische Absicherung, der letzte “Backstop“, wird nicht so schnell aktiv werden müssen.

Aber sie verstehen, dass viele Steuerzahler beunruhigt sind.

Es gibt Länder, in denen die Leute beängstigter als in anderen sind. In den “Gläubigerländern“ herrscht mitunter das Gefühl, dass die Leute dort zur Kasse gebeten werden. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen Man darf aber auch nicht verkennen, dass in diesen Ländern die Zinsen durch die Krise und den Kapitalzufluss aus der Peripherie gesenkt wurden. Das erleichtert Investitionen.

Für die Sparer in Deutschland sind die niedrigen Zinsen nicht angenehm.

Nein, für die Sparer sind sie nicht angenehm.

Die Sparer hätten zumindest gerne real einen positiven Zins.

Die realen Zinsen kommen von der realen Wirtschaft. Die langfristigen Realzinsen werden dann wieder steigen, wenn die europäische Wirtschaft nachhaltig Dynamik aufgenommen haben wird.

Zurück zur Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB. Das muss doch zu Dilemmata und Interessenkonflikten führen. Beispielsweise wenn die Aufseher feststellen, wie viele Staatsanleihen angeschlagene Banken halten. Eine Zinserhöhung könnten die Kurse dieser Papiere und damit die Banken unter Druck bringen. Die EZB wäre also in einem Zwiespalt und könnte eine geldpolitisch notwendige Zinserhöhung verschieben.

Es wäre naiv zu leugnen, dass in einigen Fällen ein Konflikt entstehen könnte. Aber in 90 Prozent der Fälle sind Finanzstabilität und Preisstabilität gleichgerichtet. Um es deutlich zu sagen: In den 10 Prozent oder 5 Prozent oder 1 Prozent der Fälle, in denen es einen Konflikt geben wird, hat vertragsgemäß unser Ziel der Preisstabilität Vorrang.

Die Testergebnisse der Bankbilanzprüfung sollen nächsten Oktober veröffentlicht werden. Die Gefahr ist doch, dass schon vorher vorläufige Resultate über Kapitallücken durchsickern und den Markt verunsichern.

Das ist richtig, deshalb wollen wir den Prozess permanent durch effektive Kommunikation begleiten. Wir wollen verhindern, dass Teile oder falsche Ergebnisse zu falschen Schlüssen führen. Das Endergebnis zu veröffentlichen ist das einzige, was Sinn ergibt. Andauernde Wasserstandsmeldungen sind wenig hilfreich. Aber auch dem Geschäftsmodel einer Bank kommt eine große Bedeutung zu in einem dynamischen Stresstest, der einer eher statischen Bilanzanalyse folgt.

Das große Versprechen der Euro-Politiker ist, dass in Zukunft die Steuerzahler nicht mehr für marode Banken zahlen sollen

Einige Politiker sagen, dass überhaupt kein Steuergeld mehr fließen soll. Das erscheint mir sehr optimistisch. Aber ich bin kein Politiker. Unsere Aufgabe wird sein, die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass Banken überhaupt marode werden.

Das Argument der Politik ist, dass es künftig keinen Bail-out, sondern einen Bail-in geben soll. Aber diese Regeln gelten erst 2018. Was ist in der Zwischenzeit?

Für die Zwischenzeit hat die Kommission Regeln für nationale Staatsbeihilfen entworfen, die sich ebenfalls an der Bail-in-Idee orientieren. Außerdem setzt sich das Europaparlament dafür ein, dass die Abwicklungsregeln für den Bail-in vorgezogen werden sollen. Hinzukommt, dass einzelne Länder diese eigenständig vorzieheen können.

Auch der Bankenabwicklungsfonds soll für die Kosten von Abwicklungen aufkommen. Aber dieser Fonds, der mit Beiträgen der Banken gefüllt werden soll, existiert bislang nur auf dem Papier. Aus der EZB und der EU-Kommission kam der Vorschlag, dass der Krisenfonds ESM dem Abwicklungsfonds ein Darlehen geben kann. Also doch wieder Steuergeld für Bankenkrisen?

Eine Kreditlinie wäre vorstellbar. Sie gäbe Sicherheit. Es kann aber keinesfalls ein permanenter Kredit sein, sondern es dürfte nur eine Zwischenfinanzierung werden, die den Steuerzahler über die Zeit nichts kosten soll. Der Kredit sollte zu marktgerechten Konditionen gegeben werden, das könnte für den Steuerzahler sogar ein gutes Geschäft werden.

Wenn es ein so gutes Geschäft ist, warum finden sich nicht andere Finanzquellen am Markt?

Das ist auch eine Möglichkeit, die in der Kommissionsvorlage vorgesehen ist. Falls der ESM eine Kreditlinie gibt, müssten die ESM-Regeln geändert werden. Das müsste in Deutschland das Parlament billigen, in anderen Ländern ist das nicht unbedingt erforderlich.

Eine letzte Frage zur internationalen Geldpolitik. Die amerikanische Fed bekommt mit Janet Yellen eine Vorsitzende, die als “Taube“ bekannt ist und die amerikanische Geldpolitik wohl noch sehr lange locker lassen wird. Freuen Sie sich, dass sie damit von der anderen Seite des Atlantiks nicht so bald unter Straffungsdruck geraten?

Ich bezweifle, dass Frau Yellen in alle diese Schubladen passt, in die sie hineingesteckt wird. Auch in der Fed werden Entscheidungen von einem Komitee getroffen. Frau Yellen ist sehr erfahren und hat einen hervorragenden beruflichen und akademischen Hintergrund. Die gute Zusammenarbeit der EZB mit der Fed wird fortgesetzt. Wir als EZB werden unser Mandat entlang unserer etablierten Strategie für den Euroraum, umsetzen.

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