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Aktuelle Herausforderungen für die Währungsunion

Rede von Jörg Asmussen, Mitglied des Direktoriums der EZB,anlässlich des 60sten Geburtstags der Österreichischen Bankwissenschaftlichen Gesellschaft, Wien, 1. Oktober 2012

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Ewald,

sehr geehrter Professor Lucius [Geschäftsführer BWG],

sehr geehrte Mitglieder,

meine sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben mich heute eingeladen, anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Österreichischen Bankwissenschaftlichen Gesellschaft über Herausforderungen für die Währungsunion zu sprechen. Dieser Einladung komme ich sehr gerne nach.

Wir sehen uns derzeit mit zahlreichen Herausforderungen für die Geldpolitik in der Währungsunion konfrontiert. Dazu werde ich heute aber nicht sprechen, was die anwesenden Journalisten vermutlich enttäuschen wird. Zur Erläuterung für die Nicht-Journalisten: Übermorgen beginnt die auswärtige Sitzung des EZB-Rates in Slowenien, wir sind also mitten in der einwöchigen Phase vor der EZB-Ratssitzung, , in der sich die EZB-Ratsmitglieder ein Schweigegelübde auferlegen und sich nicht zu geldpolitischen Fragen äußern sollen.

Statt der Geldpolitik möchte ich mich heute einer anderen Herausforderung widmen: 5 Jahre nach Beginn der globalen Finanzkrise ist und bleibt der Bankensektor eine der dringendsten Baustellen in der Architektur der Europäische Wirtschafts- und Währungsunion.

Die Zielsetzung der Bankwissenschaftlichen Gesellschaft, sich „mit langfristigen Entwicklungen im Bank- und Finanzwesen sowie der Analyse der notwendigen Konsequenzen“ auseinanderzusetzen ist daher wichtiger denn je. Leider ist in der gegenwärtigen Krisensituation oftmals kaum Zeit für langfristige Diskurse, denn die „notwendigen Konsequenzen“ aus der Krise müssen schnell und entschieden gezogen werden.

Eine dieser Konsequenzen – und zentrale Lehre aus der Krise – ist der seit 2008 im G20-Kreis geltende Konsens, dass alle systemisch relevanten Institute, Märkte und Instrumente angemessen reguliert und beaufsichtigt werden sollten. Für uns Europäer bedeutete das ein verstärktes Bemühen um ein einheitliches Regelwerk durch eine Vielzahl von Verordnungen und Richtlinien. Dass deren Namen meist veritable Buchstabensuppen sind – CRD IV, MiFID, EMIR, usw. ist ein Indiz, dass die Materie hochkomplex ist.

Insgesamt jedoch ist der Fortschritt zur gemeinsamen Regulierung eher schleppend. Wenn man sich im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren auf einheitliche Regelungen geeinigt hat, werden diese auf nationaler Ebene manchmal verspätet oder uneinheitlich umgesetzt.

Der Kabarettist Werner Schneyder beschrieb das einmal so: „Europa besteht aus Staaten, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, was sie selbst beschlossen haben.“ [1]

Auch die bisherige Herangehensweise an gemeinschaftliche Aufsicht durch unverbindliche Koordination und beschränkten Informationsaustausch in Ausschüssen und Agenturen hat uns nicht entscheidend voran gebracht. Die Gründe dafür sind bekannt: falsche Anreize und fehlende Kapazitäten in den neuen Institutionen.

Zum einen führt die Zersplitterung von Aufsicht, Einlagensicherung und den Regelungsregimen zur Abwicklung von nicht lebensfähigen Banken unweigerlich zu Regulierungswettbewerb. In Einzelfällen wurde versucht, Ermessensspielräume zu nutzen, um den heimischen Bankensektor zu schützen. Manchmal haben nationale Behörden gezögert, wichtige Informationen über ihre eigenen Banken mit den europäischen Kollegen zu teilen. Schließlich können Sparer versucht sein, ihre Guthaben in die Mitgliedsstaaten mit der komfortabelsten Einlagensicherung zu überweisen.

Zum anderen sind viele grenzüberschreitend tätige Banken regelmäßig mit unklaren Zuständigkeiten und widersprüchlichen Anweisungen verschiedener nationaler Aufsichtsbehörden konfrontiert.

Gleiche Wettbewerbsbedingungen sehen anders aus. In einem wirklichen gemeinsamen Finanzmarkt sollte Banken eine europaweite Geschäftstätigkeit erleichtert werden.

Wir beobachten derzeit das Gegenteil von Finanzmarktintegration, nämlich einen Prozess der Fragmentierung des gemeinsamen Finanzmarktes. Beispielsweise ist der Anteil der grenzüberschreitenden Kredite auf den Geldmärkten zwischen Mitte 2011 und heute von 60 Prozent auf 40 Prozent gefallen. In mehreren Ländern haben die ausländischen Bankeinlagen das niedrigste Niveau seit Anfang 2008 erreicht. Banken leihen sich bei der EZB zunehmend gegen inländische Sicherheiten Geld.

Diese Renationalisierung der Finanzmärkte ist eine Reaktion auf die starke Verflechtung zwischen Banken und ihren Heimatstaaten einerseits und andererseits zwischen den Banken untereinander in der Währungsunion und der EU. Hier in Österreich weiß man sehr gut, das Stabilitätsprobleme der einen über vielfältige Ansteckungskanäle im Umfeld eines voll integrierten Kapitalmarktes und der gemeinsamen Währung schnell zu Stabilitätsproblemen der anderen Akteure werden können. Deshalb erleben wir derzeit, dass wieder Schlagbäume entlang nationaler Grenzen im europäischen Finanzmarkt errichtet werden, um sich vor diesen Ansteckungsgefahren, die anders derzeit nicht in den Griff zu bekommen sind, zu schützen.

Mit anderen Worten, denen der Wirtschaftswissenschaft: wir haben es mit einer klassischen Externalität zu tun – und damit einem klassischen Fall für eine ordnungspolitische Intervention.

Mittlerweile haben wir auch eine klarere Vorstellung, wie diese Intervention aussehen soll: wir brauchen eine echte Finanzmarktunion mit drei Elementen, erstens einer gemeinsamen Aufsicht, zweitens, einer zentralen Abwicklungseinrichtung mit einem Fonds, der durch eine Bankenabgabe gespeist wird und drittens bedarf es einer mindestens harmonisierten Einlagensicherung.

In einer solchen Finanzmarktunion wäre es möglich, gemeinsame Regeln einheitlich umsetzen, und die Einheit des gemeinsamen Finanzmarktes zu gewährleisten.

Um es noch einmal ganz klar zu machen: eine Finanzmarktunion besteht aus mehr Elementen als nur aus einer gemeinsame Bankenaufsicht. Genau genommen ist das gesamte Regelwerk für den Bankensektor unvollständig, wenn es nicht auch die Möglichkeit der Abwicklung von Banken auf Gemeinschaftsebene beinhaltet und eine weitergehende Harmonisierung der Einlagensicherung vorsieht. Alle drei Elemente – Aufsicht, Abwicklung und Einlagensicherung – bedingen einander.

Es ist wie mit einem Hocker mit drei Beinen: Sägt man ein Bein ab, dann fällt der Hocker um. Die Bankenaufsicht kann nur effektiv und sinnvoll agieren, wenn sie auch über vollständige Informationen, z. B. zur Einlagensicherung verfügt und sie kann auch nur dann effektiv handeln, wenn sie beispielsweise die Abwicklung eines Instituts anordnen kann. Was nützt ein Brandmelder, wenn im Ernstfall keine Feuerwehr ausrücken kann, oder die Feuerwehr nicht weiß, was eigentlich brennt?

I. Ausgestaltung der europäischen Bankenaufsicht

Die Europäische Kommission hat am 12. September einen Gesetzgebungsvorschlag zu einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht vorgestellt. Diese gemeinsame Aufsicht ist der erste Schritt hin zu einer weitergehenden Finanzmarktunion. Der EZB kommt darin eine zentrale Rolle zu.

Der Gesetzgebungsprozess hat gerade erst begonnen. Und die konkrete Ausgestaltung der gemeinsamen Bankenaufsicht wird lebhaft diskutiert. Teilweise müssen widerstrebende Interessen zusammengeführt werden. So wünschen sich einige, die EZB hätte am besten schon gestern damit begonnen, alle europäischen Institute zu beaufsichtigen. Andere sehen in übermäßiger Eile ein sicheres Rezept für ein Scheitern der Finanzmarktunion.

Manchmal habe ich das Gefühl, Europa steht in dieser Diskussion auf Gaspedal und Bremse zugleich. Für den Motor heißt das nichts Gutes. Was wir brauchen ist eine gemeinsame Lösung, damit die neue einheitliche Aufsicht effektiv arbeiten kann.

Lassen Sie mich die aktuelle Diskussion anhand von drei Fragen betrachten:

Erstens, kann und sollte die Bankenaufsicht bei der Zentralbank liegen?

Zweitens, wie verhält sich die Unabhängigkeit der Zentralbank zur Aufgabe der Bankenaufsicht? Wie sieht es mit der Rechenschaftspflicht aus?

Drittens, wie muss eine Bankenaufsicht gestaltet sein, damit sie effektiv und effizient – das heißt im Krisenfall vor allem schnell – handeln kann?

1. Sollte die Bankenaufsicht bei der Zentralbank liegen?

Zur ersten Frage: ist die gemeinsame Bankenaufsicht gut bei der EZB angesiedelt?

Dazu eines vorab: auch in der Krise, und auch in einer zukünftigen Finanzmarktunion besteht die Kernaufgabe der EZB darin, Preisstabilität in der Eurozone zu gewährleisten. Daran hat sich nichts geändert und daran wird sich auch nichts ändern.

Klar ist aber auch, Geldpolitik kann nur in einem stabilen und funktionierenden Bankensystem richtig wirken. Wenn die Bankenaufsicht nicht für Stabilität sorgt, erschwert dies die Arbeit der Zentralbank, für Preisstabilität zu sorgen.

Allerdings kann bei Geldpolitik und Bankenaufsicht unter einem Dach auch ein Interessenskonflikt entstehen. Die Bankenaufsicht könnte vor der schwierigen Aufgabe zurückschrecken, die Umstrukturierung einer Bank oder ihre Abwicklung anzuordnen, wenn durch Liquiditätshilfen der Zentralbank derartige kontroverse Entscheidungen erst einmal verschoben werden können. Kritische Stimmen denken insbesondere auch an den Fall, in dem ein Geschäftspartner geldpolitischer Operationen und damit letztlich die EZB Bilanz von einer solchen Entscheidung der Aufsicht betroffen wäre.

Um das zu vermeiden gibt es zwei Ansätze. Entweder die strenge institutionelle Trennung von Geldpolitik und Bankenaufsicht, oder strikte Bedingungen und klare Regeln, wie Geldpolitik und Bankenaufsicht in einer Institution vereinigt werden können, um potentielle Interessenskonflikte zu vermeiden.

In Österreich sind Geldpolitik und Bankenaufsicht institutionell getrennt. Im britischen Fall dagegen lag sowohl die geldpolitische Hoheit als auch die Bankenaufsicht bei der Bank of England. 1997 wurde jedoch – gemeinsam mit der Erteilung der Unabhängigkeit an die Bank of England – die Bankenaufsicht an die unabhängige Financial Services Authority ausgelagert. Aktuell gibt es in Großbritannien allerdings wieder Pläne, die Bankenaufsicht unter dem Dach der BoE anzusiedeln. Ein weiteres Beispiel für das Modell, bei dem die Aufsicht unter dem Dach der Zentralbank organisiert ist, ist Italien.

Beide Systeme können gut funktionieren. Zentralbanken haben ein Interesse an stabilen Finanzmärkten, nicht zuletzt, damit ihre Geldpolitik richtig funktioniert. Deshalb kann es sinnvoll sein, neben der Geldpolitik auch die Bankenaufsicht bei der Zentralbank einzugliedern. [2]

Gerade in der aktuellen Situation kann eine Bankenaufsicht auf supranationaler Ebene – frei von nationalen Partikularinteressen und angesiedelt bei einer Zentralbank mit sehr guter Reputation – helfen, das nötige Vertrauen an den Finanzmärkten wiederzugewinnen und zu stärken.

Der Vorschlag der europäischen Kommission berücksichtigt die Besorgnis um einen möglichen Interessenkonflikt sehr genau. Zum einen soll ein separates Aufsichtsgremium in der EZB geschaffen werden. Dieses Gremium soll – auf Delegation des EZB-Rats – die meisten Aufsichtsentscheidungen treffen. Die EZB wird beauftragt, die dafür nötigen internen Verfahren und Arbeitsabläufe zu trennen oder neu zu definieren.

Eine strikte Trennung von Aufsichtsfunktion und geldpolitischen Aufgaben ist auch deshalb wichtig, um die Reputation der EZB nicht zu gefährden.

Die EZB genießt bei der Ausgestaltung ihrer Geldpolitik einen hohen Grad an Unabhängigkeit. So kann sie ihre Glaubwürdigkeit sichern. Das führt zur Frage, ob das Gleiche aus demokratietheoretischer rechtsstaatlicher Perspektive auch für die Bankenaufsicht wünschenswert ist.

2. Wie verhält sich die Unabhängigkeit der Zentralbank zur Aufgabe der Bankenaufsicht?

Traditionell ist die Bankenaufsicht Teil der nationalen Exekutive und damit in erster Linie gegenüber einem nationalen Parlament und letztlich gegenüber dem nationalen Steuerzahler verantwortlich. Für alle hoheitlichen Aufgaben, die mit Eingriffen in die Grundrechte verbunden sein können, gibt es verwaltungsverfahrensrechtliche und gerichtliche Kontrolle. Das gebietet das Rechtsstaatsprinzip.

Was auf nationalstaatlicher Ebene als kohärentes System funktioniert, kann allerdings in den bestehenden Strukturen nicht so einfach auf die europäische Ebene übertragen werden. Wir haben beispielsweise kein Europäisches Finanzministerium, das die Rolle nationaler Finanzministerien übernehmen könnte. Außerdem hat das Europäische Parlament bislang nicht die Legitimation, um über eventuelle fiskalische Belastungen entscheiden zu können. Schließlich stellt sich die Frage nach dem Verwaltungsverfahren und dem Rechtsweg gegen Maßnahmen der europäischen Aufsicht.

Für die europäische Geldpolitik ist die Unabhängigkeit der Zentralbank und ihre Rechenschaftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament vertraglich geregelt. Dieses Prozedere ist eingespielt und funktioniert seit Jahren sehr gut.

Für ihre neue Funktion als Bankenaufsicht sollte der EZB operative Unabhängigkeit gewährt werden. Das heißt, die EZB muss ihre neuen Aufsichtsaufgaben im Tagesgeschäft ex-ante unabhängig ausüben können und gleichzeitig in vollem Umfang für ihre Maßnahmen ex-post rechenschaftspflichtig sein. Dies entspricht den Kernprinzipien für effektive Bankenaufsicht des Baseler Ausschusses. Diese sehen neben operationaler Unabhängigkeit auch transparente Verfahren und gute Steuerung, sowie Rechenschaftspflichten vor. Der Kommissionsvorschlag enthält Rechenschaftspflichten gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass künftig die parlamentarische Kontrolle der EZB im Bereich der Bankenaufsicht sehr viel engmaschiger ausfallen wird und enger ausfallen muss als das, was wir an Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament im Bereich der Geldpolitik bislang kennen. Denn nur durch parlamentarische Kontrolle ex-post wird die Bankenaufsicht durch die EZB demokratisch legitimiert und deshalb begrüßen wir den Kommissionsvorschlag ausdrücklich.

Wir sollten uns darüber hinaus überlegen, wie das Zusammenspiel von Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten bei der Aufsicht über die Aufsicht ausgestaltet werden kann. Die Entscheidungsgewalt der europäischen Bankenaufsicht wird zwar in Frankfurt zentralisiert sein, nicht aber die Ausführung. Das heißt, den nationalen Aufsichtsbehörden wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen. Dies bringt mich zu meinem letzten Punkt: der effektiven und effizienten Ausgestaltung der Bankenaufsicht.

3. Effektive und effiziente Bankenaufsicht

Aus ordnungspolitischer Perspektive stellt sich eine fundamentale Frage: wie kann sichergestellt werden, dass die Finanzmarktunion auch die gewünschten Ergebnisse liefert? Folgende Punkte gilt es hier zu klären:

  • Welche konkreten Aufgaben sollen EZB beziehungsweise nationale Behörden übernehmen?

  • Welche Länder sollten Teil des gemeinsamen Systems werden?

  • Welche Institute werden beaufsichtigt?

  • Wie wird die Aufgabenteilung zwischen der EZB und anderen europäischen Aufsichtsbehörden – insbesondere der Europäischen Bankenbehörde (EBA)- aussehen?

Zum ersten Punkt: Welche Aufgaben soll die EZB übernehmen? Der Kommissionsvorschlag sieht für die EZB ein weites Aufgabenfeld und eine Vielzahl von Instrumenten vor. Die EZB soll berechtigt sein, die Kapitaldeckung, Risikokontrolle oder andere interne Kontrollmaßnahmen der Banken zu überprüfen, also auch Stresstests durchzuführen. Dies schließt ein, dass sie die dazu notwendigen Informationen einfordern darf. Es sollen der EZB aber auch weitreichende Eingriffsrechte eingeräumt werden, etwa die Beteiligung an oder die Übernahme von Banken.

Bei der Ausübung dieser neuen Aufgaben wird der EZB der große Erfahrungsschatz nationaler Aufsichtsbehörden zugute kommen. Zentrale Entscheidungsfindung und lokale Umsetzung ist auch die Erfolgsformel der EZB-Geldpolitik: Der EZB-Rat in Frankfurt entscheidet, die praktische Umsetzung über geldpolitischen Operationen erfolgt in den nationalen Zentralbanken des Eurosystems.

Welche Länder unter die neue europäische Bankenaufsicht fallen ist nicht endgültig geklärt. Die Bankenaufsicht ist zunächst für die Mitgliedsstaaten der europäischen Währungsunion gedacht. Es ist aber explizit die Möglichkeit vorgesehen, dass EU-Länder, die nicht Mitglied der Währungsunion sind, sich freiwillig dem neuen Aufsichtsregime unterwerfen, indem sie von der Möglichkeit des Opt-in Gebrauch machen. Selbstverständlich muss den Opt-in-Ländern dann auch in geeigneter Form ein Mitspracherecht eingeräumt werden.

Manch einer kritisiert, dass damit den Nicht-Euro-Staaten, die sich gegen das Opt-in entscheiden, eine europäische Bankenunion über die Hintertür aufoktroyiert wird. Oder dass eine einheitliche Aufsicht der Euro-Länder bei der EZB das Mitspracherecht der anderen EU-Länder aushebelt.

Ich bin nicht der Meinung, dass so eine „Euro-Lösung“ den Finanzmarkt der EU unterwandert. Im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass gerade der stärkere Zusammenhalt der Euro-Länder einen positiven Effekt über den Rand der Eurozone hinaus haben wird. Das ist wichtig, denn mögliche Ansteckungseffekte sind ja nicht auf Euro-Länder begrenzt. Außerdem können sich Euro-Länder und Nicht-Euro-Länder nach wie vor in den Gremien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) abstimmen.

Welche Institute beaufsichtigt werden sollen ist klar: Anfangs kann die europäische Aufsicht sich auf systemisch relevante Institute beschränken. Letztendlich soll die gemeinsame Bankenaufsicht aber alle etwa 6000 europäischen Banken beaufsichtigen.

Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass sich die EZB sich mit den nationalen Behörden so organisiert, dass das Fachwissen dort am besten genutzt ist, wo es vorhanden ist. Die großen, systemisch relevanten Banken sollen künftig direkt der Aufsicht in Frankfurt unterstehen. Je kleiner eine Bank und je regionaler ihr Einfluss, desto mehr werden auch die nationalen Behörden Aufsichtsaufgaben übernehmen.

Schließlich zur Aufgabenteilung zwischen EZB und EBA. Sie wird ähnlich aussehen, wie derzeit zwischen EBA und den nationalen Aufsichtsbehörden. Das heißt, die EBA bleibt weiterhin dafür zuständig, ein einheitliches Regelwerk für den Binnenmarkt der EU 27 weiterzuentwickeln. Außerdem führt sie EU-weite Stresstests durch und trägt zur generellen Einschätzungen der Risiken im Finanzsystem bei.

4. Zu Prozedur und Personal

Nachdem die Staats- und Regierungschefs die europäische Bankenaufsicht beim Europäischen Rat Ende Juni ganz oben auf die Agenda gesetzt hatten, hat die Kommission in beeindruckendem Tempo über die Sommermonate ihre Gesetzgebungsvorschläge erarbeitet. Die Arbeiten laufen auch seitdem auf allen Ebenen und bei allen beteiligten Akteuren auf Hochtouren weiter. Es ist richtig, den Druck auf dem Kessel zu halten und zu versuchen, bei der Bankenaufsicht möglichst zügig zu einem Ergebnis zu kommen, denn hier kann Europa Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und zeigen, dass es in der Lage ist, die richtigen Schlüsse aus der Krise zu ziehen und umzusetzen.

Noch wichtiger als Schnelligkeit ist es aber, die neue Bankenaufsicht in Europa auf ein stabiles und tragfähiges Fundament zu stellen. Die neue Struktur muss funktionieren können, denn sonst ist nichts gewonnen und obendrein steht für die EZB ihre gute Reputation auf dem Spiel. Es reicht nicht wenn wir an den Eurotower in Frankfurt ein neues Schild mit der Aufschrift „Europäische Zentralbank und Europäische Bankenaufsicht“ nageln können, sich in der Sache aber noch nichts Substantielles geändert hat. Deshalb ist es zweifelhaft, ob wir das Zieldatum 1. Januar 2013 halten können.

All jenen, die auf die baldige Möglichkeit einer direkten Bankenrekapitalisierung durch den ESM schielen, und es dafür in Kauf nehmen würden, mit einem Schnellschuss und einer halbgaren Lösung bei der Bankenaufsicht zu starten, möchte ich deshalb klar sagen: nicht mit uns, dafür riskieren wir nicht die Reputation der EZB!

Lassen Sie mich einen letzten Punkt zur europäischen Bankenaufsicht machen, bevor ich in die Schlusskurve komme: Natürlich stellt sich auch die Personalfrage. Wer soll diese europäische Bankenaufsicht führen? Das Europäische Parlament hat jüngst zu Recht kritisch darauf hingewiesen, dass die 23 Mitglieder des EZB-Rates allesamt Männer sind. Das ist schlicht nicht mehr zeitgemäß und es ist sicher richtig, dass mehr „gender diversity“, also Geschlechtergerechtigkeit der EZB-Spitze und auch den Hierarchiestufen in der EZB darunter sehr gut täte. Nicht zuletzt hier in Österreich weiß man, dass es sehr gute Notenbankerinnen gibt. Aber man sollte diese richtige Debatte nicht auf dem Rücken von Yves Mersch austragen. Es wäre für das EZB-Direktorium in der jetzigen, schwierigen Lage gut, wenn wir rasch wieder vollständig wären, und jemand mit einer klaren Stabilitätsorientierung wie Yves Mersch würde uns mit seinem Sachverstand und seiner Erfahrung sehr helfen.

Aber es gibt zahlreiche fachlich sehr gute Bankenaufseher innen in Europa. Die neu zu schaffende europäische Bankenaufsicht bietet eine gute Gelegenheit für mehr Frauen in europäischen Spitzenämtern.

II. Schlussbemerkungen: Weitere Elemente auf dem Weg in eine stabilere Wirtschafts- und Währungsunion

Meine Damen und Herren,

Ich möchte abschließend daran erinnern, dass eine Finanzmarkunion alleine die Krise nicht lösen kann. Selbst eine optimal aufgestellte Finanzmarktunion könnte nicht dafür sorgen, dass der griechische Haushalt ins Gleichgewicht kommt oder sich die Wettbewerbsfähigkeit Portugals erhöht. Denn Gründe für die Krise sind auch in den Bereichen der gemeinsamen Haushaltspolitik und Wirtschaftspolitik zu suchen. Europa muss sich jetzt entscheiden. Entweder wir vollenden die Integration des Euroraums, indem wir bei Finanzmarktpolitik, Haushaltspolitik, Wirtschaftspolitik und demokratischer Teilhabe Souveränität mit Europa teilen. Oder wir entscheiden uns für den anderen Weg, ein dezentralisiertes Europa. Das bedeutet dann aber auch, dass wir die großen wirtschaftlichen Gewinne, die uns Währungsunion und Binnenmarkt gebracht haben, aufs Spiel setzen. Um das zu vermeiden, sollten wir die Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion vollenden. Dazu sind neben der Finanzmarktunion noch drei weitere Bausteine unverzichtbar:Eine Fiskalunion

  • Eine echte Wirtschaftsunion

  • Eine demokratisch legitimierte politische Union

Diese vier Bausteine gehören zusammen und bedingen einander. Fortschritte in nur einem der vier Bereiche werden nicht ausreichen, alle vier Aspekte sind für ein Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion, sind für die Zukunft eines stabilen Euros unverzichtbar.

Für die nun als ersten Schritt anstehende Finanzmarktunion ist es unabdingbar, dass alle Akteure im Gespräch bleiben um gemeinsam bei diesem Projekt voranzukommen. Hier in Österreich bilden die vielfältigen Aktivitäten der Bankwissenschaftlichen Gesellschaft eine gute Plattform für diesen Austausch.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  1. [1]Quelle: Aschermittwoch der Kabarettisten (SWR/RP)

  2. [2]Goodhart, C. und D. Schoenmaker, 1995: “Should the Functions of Monetary Policy and Banking Supervision Be Separated?”, Oxford Economic Papers, Vol. 47 (4), 539-560.

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