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Europäische Integration: die Vorteile des gemeinsamen Handelns

Rede von Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB,
anlässlich der Verleihung des Feri Stiftungspreises im Kaisersaal,
Frankfurt am Main, 9. Juni 2010

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

sehr geehrter Herr Stammler,

sehr geehrter Herr Sloterdijk,

sehr geehrter Herr Görlitz,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude, heute hier bei Ihnen zu sein und den diesjährigen Preisträgern des Feri Stiftungspreises meine Anerkennung auszusprechen. Da wir in dieser Woche eine Sitzung im EZB-Rat haben, sollten meine Bemerkungen heute nicht in Bezug auf die aktuelle Geldpolitik interpretiert werden.

Die gemeinnützige Arbeit der verschiedenen Stiftungen, die heute und in der Vergangenheit mit diesem Preis geehrt wurden, beeindruckt und berührt mich sehr.

So unterschiedlich diese Stiftungen auch sein mögen, haben sie doch eines gemeinsam, nämlich den Wunsch, in unserer Gesellschaft etwas zu bewirken. Sie erreichen dies durch gezielte Bemühungen und handeln dabei anders, als öffentliche Einrichtungen dies tun. In ihrer Arbeit zeigt sich eine ermutigende Solidarität mit ihren Mitmenschen, für die sie die Anerkennung der gesamten Gesellschaft verdienen.

Vor uns liegende Herausforderungen

Solidarität wird auch das zentrale Thema meiner heutigen Rede sein. Allerdings werde ich es aus einem etwas anderen, nämlich europäischen Blickwinkel beleuchten, wie es sich für eine europäische Institution wie die EZB gehört. Die Kernbotschaft meiner heutigen Ausführungen lautet, dass in der aktuellen Situation die bloße Existenz von Solidarität Zuversicht erzeugen kann.

Die Finanzkrise, die nun schon seit einiger Zeit andauert, hat die Wirtschaft und die Gesellschaft erheblich belastet. Entscheidungsträger mussten mutige und weitreichende Entscheidungen treffen, um die dringlichsten Herausforderungen zu bewältigen. Dies taten sie, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren.

Wir haben auch damit begonnen, die tiefer greifenden Reformen zu erarbeiten, die umgesetzt werden müssen, wenn wir die in unseren Finanzsystemen zutage getretenen grundlegenden Mängel beseitigen wollen. Wir müssen die Widerstandsfähigkeit unserer Finanzinstitute stärken und Werte wieder neu entdecken und verankern, insbesondere ein Gefühl der Verantwortung gegenüber der Realwirtschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Gesetzgeber und Aufsichtsinstanzen unter Umständen neue Anreize für die Akteure im Finanzsektor schaffen.

Dies ist eine der Lehren, die wir aus der Finanzkrise gezogen haben. Weitere Erkenntnisse haben wir in Bezug auf den Aufbau Europas gewonnen, wo wir einen Quantensprung machen müssen, um die Steuerung der Wirtschaftspolitik und die Aufsicht zu stärken. Wenn wir das tun, werden wir meines Erachtens mit einem politischen Handlungsrahmen aus der Krise hervorgehen, der besser und stärker sein wird, als es der Handlungsrahmen zu Beginn der Krise war.

Einige Beobachter haben sich dahingehend geäußert, dass unsere derzeitigen Schwierigkeiten durch eine stärkere ( und nicht durch eine geringere ( europäische Integration behoben werden könnten. Dem stimme ich im Wesentlichen zu, und zwar aus folgenden Gründen:

Das gemeinsame Handeln zur Bewältigung der Herausforderungen ist nicht nur ein Akt der Solidarität; vielmehr liegt diese Vorgehensweise im ureigensten Interesse aller beteiligten Länder sowie deren Bürgerinnen und Bürger. Bei der Währungsunion geht es nicht um Annehmlichkeiten; sie bietet uns vielmehr Schutz und verbessert die Widerstandsfähigkeit, sofern wir uns die ihr zugrunde liegenden Gedanken und Grundsätze zu eigen machen. So wie das Staatswesen auf dem Gedanken beruht, dass Bürger aus ihrem gemeinsamen Handeln Nutzen ziehen, verkörpert die Europäische Union die Idee, dass auch Länder durch ihr gemeinsames Handeln Vorteile haben.

Die Einführung des Euro ist ein Beispiel dafür. Ohne den Euro hätte die Finanzkrise mit Sicherheit zusätzliche Turbulenzen auf den Devisenmärkten ausgelöst und der Wirtschaft im Euroraum und dadurch allen Ländern in Europa weiteren Schaden zugefügt. Eine fragmentierte geldpolitische Struktur ist das Letzte, was wir in Europa in Krisenzeiten brauchen.

Wenn Menschen mit einer akuten Gefahr konfrontiert sind, besteht das Risiko, dass sie die Gesamtsituation aus den Augen verlieren, kurzsichtige Entscheidungen treffen und nicht mehr an langfristige Ziele denken. Wir sollten uns in der aktuellen Situation ins Gedächtnis rufen, dass die europäische Integration ein langfristiger Prozess ist, der nach dem Zweiten Weltkrieg begann und unserem Kontinent Stabilität und Frieden brachte.

Die Krise gibt uns nun Anlass, darüber nachzudenken, in welche Richtung uns unsere nächsten Schritte führen sollten. Diese Frage muss nicht aufgrund unseres Versagens, sondern aufgrund unseres Erfolgs erörtert werden. Europa hat praktisch alles erfolgreich umgesetzt, was es sich vorgenommen hatte.

Meiner Meinung nach spielen wir diese Leistung oft herunter. Oftmals kritisieren wir auch vorschnell unsere Institutionen und Prozesse, die jedoch im Allgemeinen, selbst in den schwierigsten Zeiten, gut funktioniert haben.

Die Verantwortung der EZB

Die Verantwortung der EZB besteht darin, mittelfristig Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Die Bürgerinnen und Bürger Europas können sich darauf verlassen, dass wir uns stets auf dieses Ziel konzentrieren.

Wir verfügen über die erforderlichen Instrumente, um Preisstabilität auf mittlere Sicht zu wahren. Die Tatsache, dass die EZB satzungsgemäß vollkommen unabhängig ist, verleiht uns Glaubwürdigkeit in unserem Streben nach Preisstabilität.

Die Aufgabe und die Unabhängigkeit des Eurosystems sind im Vertrag verankert. Damit wurde die Geldpolitik aus dem Zuständigkeitsbereich der nationalen Politik herausgenommen. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und den anderen Ländern des Euroraums können sich darauf verlassen, dass wir auch in den nächsten Jahren weiterhin Preisstabilität gewährleisten werden, so wie sie sich schon in den ersten elfeinhalb Jahren der Währungsunion auf uns verlassen konnten. In diesem Zeitraum war ein durchschnittlicher jährlicher Anstieg des allgemeinen Preisniveaus von unter, aber nahe zwei Prozent zu verzeichnen, was genau unserer Definition von Preisstabilität entspricht. Ein solches Ergebnis hat keine der Vorgängerwährungen des Euro je erreicht.

Schlussfolgerung

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

öffentliche Entscheidungsträger treffen Entscheidungen für die Belange der Bürgerinnen und Bürger. In der Wirtschafts- und Währungsunion ist eine unabhängige Zentralbank, die EZB, mit geldpolitischen Entscheidungen betraut. Diese Regelung ist sachdienlich und hat zu dem Ergebnis geführt, das der Vertrag verlangt und das die 330 Millionen Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten, nämlich zu mittelfristiger Preisstabilität.

Der Handlungsrahmen für Entscheidungen im Bereich der Finanzpolitik muss ebenso vertrauenerweckend sein wie der geldpolitische Handlungsrahmen. Die Krise hat gezeigt, dass dies Reformen erfordert, die zu einer Verbesserung der Steuerung und Überwachung der Fiskalpolitik führen.

Diese Reformen sind notwendig und wurden bereits in die Wege geleitet. Rückblickend ist es bedauerlich, dass es einer Krise bedurfte, damit alle zu dieser Erkenntnis gelangten. Mit Blick auf die Zukunft denke ich, dass nun alle verstehen, dass wir in der Wirtschafts- und Währungsunion ein gemeinsames Schicksal teilen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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Europäische Zentralbank

Generaldirektion Kommunikation

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