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Von der D-Mark zum Euro

Otmar Issing, Vortrag am 4. Juli 1998 in Konstanz aus Anlaß der Verleihung der Würde des Ehrendoktors durch die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Statistik

Zuallererst meinen Dank für die Ehrung, die Sie mir erwiesen haben. Die Konstanzer Fakultät genießt einen Ruf, der weit über die Grenzen Deutschlands hinausreicht. Mit der Würde des Ehrendoktors lassen Sie mich am Glanz dieses Rufes teilhaben, dafür schulde ich Ihnen tiefen Dank. Als ich mich 1990 entschloß, meinen Lehrstuhl, die Zugehörigkeit zum Sachverständigenrat und manche andere akademische Bindung aufzugeben und zur Bundesbank zu wechseln, geschah dies mit großem innerlichen Vorbehalt, verließ ich doch die Welt, der ich mich zugehörig fühlte, in der ich mich zu Hause wußte und aus der mich nichts, aber auch gar nichts anderes hätte fortlocken können. Von daher mögen Sie verstehen, was es mir bedeutet, von der Wissenschaft nicht vergessen zu sein. Schließlich sehe ich selbst meine wichtigste Aufgabe darin, einen Beitrag zu leisten, die praktische Geldpolitik wissenschaftlich zu fundieren. Hier die Wissenschaft, deren unersättliche Neugier immer neue Fragen aufwirft, ewig nach den richtigen Antworten suchend - dort der Zwang der Politik, täglich neu zu entscheiden, noch bevor die letzte Sicherheit gefunden ist. Über diese Kluft eine Brücke zu schlagen, die gleicherweise den Stürmen der Realität standhält und theoretischen Ansprüchen genügt, ist und bleibt für mich ständige Herausforderung. Statt: Von der D-Mark zum Euro, hätte ich auch den Titel wählen können: Von der Bundesbank zur Europäischen Zentralbank - oder vielleicht gar: Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen? Furcht ist es nicht gerade, aber doch gehöriger Respekt vor dem neuen Amt. An der Gestaltung einer Währung mitzuwirken, die es beim Amtsantritt noch gar nicht gibt, ist wohl die faszinierendste Aufgabe, die einem Ökonomen gestellt werden kann. Mit reiner Phantasie wäre man wohl kaum darauf verfallen; die Realität erweist sich wieder einmal als stärker.

50 Jahre D-Mark

Wie nahe manchmal historische Ereignisse zeitlich beieinander liegen. Am 20. Juni dieses Jahres haben wir in der Paulskirche den 50. Geburtstag der D-Mark gefeiert. Zehn Tage später und einige Häuserblocks weiter fand die Feier zur Inauguration der Europäischen Zentralbank statt, die das Ende der D-Mark ankündigt. Mit dem 1. Januar 1999 verliert die D-Mark den Status als eigenständige Währung, sie wird von diesem Zeitpunkt an nur noch Repräsentant der neuen Währung Euro sein. Ab dem Jahr 2002 wird sie schließlich ganz aus dem Verkehr verschwunden sein. Dieser Vorgang wird in Deutschland als tiefer Einschnitt empfunden. Offenbar fällt den Deutschen der Abschied von ihrer Währung sehr schwer. Das war bei ihren Vorgängerinnen, die beide ein schmähliches Ende erfuhren, gewiß nicht der Fall. Die Mark - erste einheitliche Währung auf deutschem Boden seit den Zeiten des römischen Denars - ging in der Hyperinflation des Jahres 1923 unter. Ihrer Nachfolgerin, der Reichsmark, war gerade einmal die halbe Lebenszeit beschieden. 50 - 25 - 50 Jahre - eine merkwürdige Sequenz in der Geschichte der deutschen Währungen. Zweimal in einer Generation hatten die Deutschen also den Untergang ihrer Währung und die Zerstörung des Geldvermögens erfahren. Den Wunsch nach stabilen Geld aus der Erfahrung mit dem vom Staat inszenierten inflationären Betrug mag man den Worten Stefan Zweigs in seinem Werk "Die Welt von Gestern" entnehmen, aus dem Kontrast der Verhältnisse im vorangegangenen "goldenen Zeitalter der Sicherheit" und dem Chaos der Inflation. "Es lohnte sich" - schreibt er über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg - "Geld Jahr für Jahr in sicheren Anlagen zu investieren. Noch wurde nicht wie in Zeiten der Inflation der Sparsame bestohlen, der Solide geprellt, und gerade die Geduldigsten, die Nichtspekulanten hatten den besten Gewinn. " Und im Kontrast dazu: "Nichts hat das deutsche Volk - dies muß immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden - so erbittert, so haßwütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation." Nach diesen Erfahrungen, und der Wiederholung unter anderen Vorzeichen 1948, ist die im Ausland oft bespöttelte, beinahe emotionale Bindung der Deutschen an ihre Währung kaum mehr verwunderlich. Die D-Mark wurde zum Symbol für wirtschaftlichen Aufstieg und internationale Anerkennung. Die Deutschen haben dies bei ihren Reisen ins Ausland sehr bald persönlich erfahren - ihre Währung, die D-Mark, jedenfalls war überall geschätzt. Zumindest instinktiv dürfte dabei auch der Zusammenhang zwischen Geld und einer wichtigen Form der Freiheit ins Bewußtsein gedrungen sein: Konvertibilität der Währung bildet die materielle Grundlage für die Reisefreiheit über die Landesgrenzen hinweg. Nicht von ungefähr haben Diktaturen zu allen Zeiten das Mittel der Devisenbeschaffung nicht nur zum Schutz des Außenwertes ihrer Währung eingesetzt. Drakonische Strafen für "Devisenschiebereien" können als beredter Ausdruck des totalitären Anspruchs des Regimes auf Leib und Leben seiner Bürger dienen. Auch aus dieser Erfahrung erklärt sich das 1989 in den Straßen Leipzigs dokumentierte Verlangen nach der D-Mark.

Der Euro und die EZB

Und jetzt der Euro - der nach allen Umfragen in Deutschland hartnäckig auf Ablehnung stößt. Eine Einschätzung vorweg: Innere Reserven gegenüber der neuen Währung könnten noch eine Weile anhalten, die Deutschen werden sich jedoch in ihrer großen Mehrheit rasch mit der unwiderruflichen Tatsache Euro abfinden, aber sehr kritisch den weiteren Fortgang beobachten. Mit seiner Stabilität wird dann aber auch der Euro das Vertrauen der Bürger gewinnen. Die Vorgänge am ersten Maiwochenende haben ­ um es sehr milde auszudrücken ­ dazu gewiß nicht beigetragen. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, daß diese Vorgänge die Position des Direktoriums der Europäischen Zentralbank eher gestärkt denn geschwächt haben. Das Echo auf dieses Gezerre, beinahe unisono quer durch Europa, zeigt den allgemeinen Überdruß an politischen Händeln dieser Art und war gleichzeitig beredter Ausdruck des Wunsches nach einer von politischen Einflüssen unabhängigen Notenbank. In der Anhörung vor dem Europäischen Parlament haben im übrigen alle vom Europäischen Rat benannten Personen nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen, daß sie ihr Mandat im Sinne des Vertrages unabhängig ausüben werden. Das Statut der EZB enthält alle institutionellen Voraussetzungen für eine auf gutes Geld gerichtete Politik. Der Souverän hat mit dem Vorrang für Preisstabilität das Ziel vorgegeben, jetzt ist es an den Verantwortlichen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um dieser Vorgabe gerecht zu werden. Die Unabhängigkeit ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel, um das von der Legislative gesetzte Ziel zu erreichen. Das Statut verleiht mit der Unabhängigkeit - und der Klausel, daß eine Wiederernennung ausgeschlossen ist, - den notwendigen Rückhalt. Im Januar 1999 erleben wir eine Premiere. Noch niemals in der Geschichte der Menschheit haben unabhängige Staaten ihre Währungen abgeschafft, ihre geldpolitische Souveränität aufgegeben und auf eine gemeinsame, supranationale Institution übertragen. Dieser Vorgang ist um so bemerkenswerter, als nicht Wertverlust zum Untergang der nationalen Währungen führt, sondern ganz im Gegenteil der Nachweis der Stabilität quasi als Eintrittsbillet in die Währungsunion verlangt wird. Wer hätte es noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten, daß die durchschnittliche Inflationsrate der Mitgliedstaaten der Währungsunion kurz vor Beginn in der Nähe von 11/2 % liegen könnte und Deutschland mit seiner Preissteigerungsrate gerade einmal im Mittelfeld zu finden ist? Auch von daher scheint das Feld für den Start wohl bestellt. Als neue Institution kann die Europäische Zentralbank sich jedoch nicht auf die Reputation verlassen, die in der Vergangenheit im steten Ringen um Stabilität und insbesondere in schwierigen Situationen, nicht zuletzt auch Konflikten mit der Politik gewonnen wurde, die, durchaus verständlich, unter drohenden Wahlterminen bereit ist und darauf drängt, es vorübergehend - und das ganze Leben gleicht einer Kette vorübergehender Episoden - mit der Geldwertstabilität nicht gar zu ernst zu nehmen. Gleichwohl beginnt die Bewährungsprobe mit der ersten Stunde. Die Öffentlichkeit wird die Europäische Zentralbank von Anfang an kritisch beobachten. Vor allem die internationalen Finanzmärkte werden jede ihrer Entscheidungen mit Argusaugen verfolgen. Es gilt daher, schon im Vorfeld alles zu unternehmen, um der Währungsunion zu einem erfolgreichen Start zu verhelfen. In den wenigen verbleibenden Monaten dieses Jahres steht eine Fülle wichtiger Entscheidungen an. So gilt es, die Strategie zu bestimmen, mit der wir unsere Aufgabe angehen. Die Diskussion im Rahmen des Europäischen Währungsinstituts hat die wirkliche Option auf die Alternativen Geldmengenziel und direktes Inflationsziel oder Kombinationen aus deren Elementen reduziert. Sowohl im Interesse der von vielen Seiten angemahnten Rechenschaftspflicht als auch im Sinne einer Selbstverpflichtung muß die Europäische Zentralbank ihre Strategie festlegen und der Öffentlichkeit gegenüber überzeugend erklären. Der tatsächliche Erfolg der EZB im Hinblick auf das Endziel Preisstabilität wird sich frühestens nach ein bis zwei Jahren, eigentlich jedoch erst über mehrere Konjukturzyklen hinweg, überprüfen lassen. In dieser Situation könnte die Vorgabe eines Zwischenziels entscheidend dazu beitragen, die Inflationserwartungen des privaten Sektors auf dem angestrebten niedrigen Niveau zu verankern. Andererseits wird gerade in der Anfangsphase der Währungsunion die Unsicherheit über die Wirkungsbeziehungen zwischen den geldpolitischen Instrumenten, dem gewählten (gleich welchem) Zwischenziel und dem Endziel Preisstabilität besonders hoch sein. Aus meiner Sicht empfiehlt es sich deshalb, die Geldmengensteuerung um eine umfassende Analyse der künftigen Preisentwicklung zu ergänzen. Das Spektrum der anstehenden Entscheidungen vor Beginn der Währungsunion ist in der Fülle der technischen Details kaum noch zu überblicken, es reicht von der statistischen Erfassung der Geldmenge bis zum Druck der Banknoten. Vor allem gilt es endgültig festzulegen, mit welchem Instrumentarium die EZB ihre Geldpolitik durchführen wird. Auch wenn hier noch ein horrendes Ausmaß an Arbeit wartet und die eine oder andere Panne nicht auszuschließen ist, bin ich doch zuversichtlich, daß wir die Vorbereitungen rechtzeitig abschließen werden. Die neue Institution EZB steht auf dem Fundament eines stabilitätsorientierten Statuts, die Geldpolitik wird zum Start wohl gerüstet sein. Sind also alle bisher geäußerten Sorgen grundlos, wird die Währungsunion gleichsam zum Selbstläufer? Die Politik selbst schlägt inzwischen vorsichtigere Töne an. Der französische Staatspräsident hat vor kurzem von einem "großen kollektiven Abenteuer" gesprochen. Nun, diesen Ausdruck würde ich nicht verwenden, Notenbanker neigen nun einmal nicht zu Abenteuern. Als Experiment ohne historisches Vorbild bleibt die Währungsunion jedoch allemal ein Unternehmen mit Chancen und Risiken. Vor dem Euro muß niemandem bange sein, die Chancen stehen mehr als gut, daß er sich zu einer im Innern stabilen und von außen anerkannten Währung entwickeln wird. Allerdings sollten auch die Risiken nicht verschwiegen werden. Diese sind vorwiegend außerhalb der rein monetären Sphäre auszumachen. Mit der erschreckend hohen Zahl von rund 15 Millionen Arbeitslosen bringen die 11 Mitgliedstaaten eine bedrückende Hypothek in die Währungsunion ein. Die daraus drohenden Gefährdungen für die Geldpolitik liegen auf der Hand. Grundlegende Reformen des Arbeitsmarktes werden nicht zuletzt von internationalen Organisationen wie dem IMF und der OECD seit langem angemahnt, mit dem Beginn der Währungsunion werden sie geradezu lebensnotwendig für die Zukunft der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten. Bahnbrechende Deregulierungen der Gütermärkte sowie vor allem durch Einsparungen bei den konsumptiven Staatsausgaben finanzierte Steuer- und Abgabensenkungen sind die unentbehrliche komplementäre Ergänzung. Mit der Finanzpolitik ist ein weiterer Gefahrenherd für das reibungslose Funktionieren der Währungsunion auszumachen. Zu recht hat der Bundesfinanzminister mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt einen weiteren Pfeiler der Stabilität gefordert und durchgesetzt. Unmittelbar nach der Entscheidung über die Teilnehmerländer sind freilich schon die ersten Aufweichungserscheinungen auszumachen. Am 1. Mai dieses Jahres hat der ECOFIN Rat noch erklärt, daß die Mitgliedsländer ihre budgetären Konsolidierungsanstrengungen verstärken werden, wenn die Wirtschaftsentwicklung besser als bis dahin angenommen verlaufen sollte. Inzwischen zeichnet sich ab, daß sich trotz günstiger Wirtschaftsdaten das tatsächliche Defizit kaum verringern wird, der Wert für das konjunkturbereinigte Defizit also steigt. Es verheißt nichts gutes, wenn die EU-Kommission für ihre berechtigte Warnung heftig kritisiert wurde.

Währungsunion ­ Politische Union?

Mit den beiden Feldern Arbeitsmarkt und Finanzpolitik sind die größten Risikopotentiale für den Erfolg der Währungsunion benannt. In diesen wie in anderen Bereichen spiegelt sich die im Maastricht-Vertrag angelegte Asymmetrie wieder. Anders als im "Normalfall" haben sich die Signatarstaaten bekanntlich nicht für das Prinzip "Eine Währung ­ ein Staat" entschieden, sondern für das Motto "Ein Markt ­ eine Währung - 15 (bzw. für den Start 11) Staaten". Seit jeher wird dem gemeinsamen Geld eine wichtige Rolle im politischen Integrationsprozeß zugemessen. Jaques Rueff hat schon 1950 die Botschaft geprägt: "L'Europe se fera par la monnaie ou ne se fera pas". Nun, da der Beginn der Währungsunion feststeht, gibt es Grund, auf die Schrittmacherrolle des Euro auf dem Weg zur Politischen Union zu vertrauen? Sicherlich wird die einheitliche Währung in vielen Bereichen vereinigende Wirkung entfalten. Gegen etwaigen politischen Widerstand wird sie sich aber in dieser Hinsicht nicht durchsetzen können. Mit dem Beginn der Währungsunion wird ein Prozeß der Suche nach dem richtigen, der Ökonom ist versucht zu sagen, optimalen Verhältnis von einheitlichem Geld und politischer Staatlichkeit eingeläutet. Die Besonderheiten der europäischen Integration verweisen jedoch jede Antwort zum jetzigen Zeitpunkt in das Reich der Spekulation. Gegenwärtig kann man beobachten, wie sich allenthalben eher die zentrifugalen Kräfte verstärken. Das muß den Erfolg der Währungsunion nicht zwangsläufig gefährden. Dies wäre freilich dann der Fall, wenn das Pochen auf nationale Kompetenz zu erheblichen Konflikten mit der auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik führte. Solide Finanzpolitik in nationaler Verantwortung und bahnbrechende Reformen, die der eigenen Volkswirtschaft auf allen Feldern hohe Flexibilität und damit neuen Schwung verleihen, würden dagegen die Aufgabe der Europäischen Zentralbank wesentlich erleichtern. Die Europäische Währungsunion ist und bleibt ein historisch singuläres Experiment mit großen Chancen. Wer jedoch die Risiken verkennt oder verschweigt, erweist diesem für die Zukunft Europas so entscheidenden Projekt keinen guten Dienst. Aufgabe der Europäischen Zentralbank wird es daher nicht nur sein, gutes, stabiles Geld zu schaffen, sondern auch vor Entwicklungen in anderen Bereichen zu warnen, die den Erfolg der Währungsunion gefährden könnten.

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