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Interview mit der Rheinischen Post

Interview mit Benoît Cœuré, Mitglied des Direktoriums der EZB,
geführt von Birgit Marschall und Georg Winters und veröffentlicht am 13. Februar 2016

Wir erleben an den Börsen weltweit einen starken Aktienkursrutsch. Was sind die Gründe dafür?

Es sind unterschiedliche sich gegenseitig verstärkende Faktoren, aber jeder erfordert andere Antworten. Erstens ist es eine globale Entwicklung. Die Anleger haben generell Angst vor einer Abschwächung des Wachstums der Weltwirtschaft, insbesondere in den Schwellenländern, vor allem in China. Zweitens gibt es eine große Unsicherheit über die weltweiten Auswirkungen des niedrigen Ölpreises. Ursprünglich wurde angenommen, der geringe Ölpreis sei gut für das globale Wachstum, aber jetzt werden einige negative Auswirkungen vor allem in Schwellenländern sichtbar. Drittens fragen die Marktteilnehmer, wie profitabel die Banken sind und ob sie erfolgreiche Geschäftsmodelle für die Zukunft haben.

Wie angeschlagen sind die europäischen Banken?

Europas Banken sind heute viel besser aufgestellt als auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise 2011/2012. Sie sind durch die Bankenunion heute widerstandsfähiger geworden. Sie haben ihr Eigenkapital und ihre Liquidität sehr deutlich aufgestockt. Eine Herausforderung, vor der die Banken stehen, ist ihre geringe Profitabilität, was auch zu tun hat mit dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Wachstumsniveau. Außerdem haben einige Banken ein hohes Maß notleidender Kredite in ihren Büchern, ein Erbe der Krise. Keine dieser Herausforderungen ist neu: Sie sind bekannt, sie erfordern entschlossenes Handeln, und sie werden mit der Zeit bewältigt werden.

Wie sieht es mit den deutschen Banken aus? Deutsche Bank und Commerzbank haben massiv Vertrauen verloren.

Ich kann zu einzelnen Banken nichts sagen. Allgemein gilt: Europäische Banken sind in einer Übergangsphase und überdenken ihre Geschäftsmodelle, auch was die technologische Entwicklung betrifft. Sie müssen sich einem neuen regulatorischen Umfeld stellen. Wir haben erst seit Anfang Januar einen neuen Rahmen für die Abwicklung von Banken. Zusammen mit der einheitlichen Aufsicht wird dieses System sie stärker machen und die Steuerzahler besser schützen, aber Banken und Investoren müssen sich noch daran gewöhnen.

Ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass wir es mit einer neuen Finanzkrise zu tun haben?

Nein. Wir haben heute in der Euro-Zone ein Wirtschaftswachstum von ein bis 1,5 Prozent, das sich verstärkt. Vor wenigen Jahren war es noch negativ. Das Wachstum hilft dem Bankensektor zu gesunden. Solange wir auf diesem Pfad bleiben, bin ich optimistisch, dass die Krise nicht zurückkehrt.

Niedrige Zinsen und steigende Aktienkurse gehören normalerweise zusammen. Warum ist dieser Mechanismus gerade außer Kraft gesetzt?

Wie vorhin erläutert haben die aktuellen Entwicklungen an den Märkten andere Ursachen. Schaut man längere Zeit zurück, haben die Niedrigzinsen allerdings durch ihre positiven Wachstumsimpulse die Aktienmärkte beflügelt.

Wie lange wird die Niedrigzinsphase noch anhalten?

So lange wie nötig. Die Zinsen werden so lange niedrig bleiben müssen, bis wir sehen, dass sich die Inflationsrate in der Euro-Zone wieder auf unseren Zielwert von knapp unter zwei Prozent zubewegt. Wir in der EZB wollen auch nicht, dass diese Niedrigzinsphase zu einer Normalität wird. Aber wir brauchen die Niedrigzinsen weiterhin dringend, um die Inflationsrate wieder stabil auf zwei Prozent zu bringen und die Erholung der Euro-Zone abzusichern.

Wegen des niedrigen Ölpreises sind wir von zwei Prozent Inflation aber meilenweit entfernt. Die EZB wird ihre Inflationsprognose senken müssen.

Die nächste Inflationsprognose des EZB-Stabes kommt im März. Schon im Januar haben wir gesagt, dass die Inflation nur sehr langsam wieder in Richtung zwei Prozent steigen wird. Im Vergleich zum Dezember sehen wir neue Abwärtsrisiken. Hauptursache sind der sinkende Ölpreis und eine Abschwächung des globalen Wachstums. In den letzten Tagen sehen wir zudem eine steigende Volatilität an den Finanzmärkten. Wenn das zu lange anhält, kann auch diese Entwicklung das Risiko erhöhen, dass die Inflation erst später anzieht.

Die anhaltend niedrigen Zinsen verunsichern die Sparer, insbesondere in Deutschland. Was raten Sie den Sparern?

Wir müssen die Inflation wieder unter aber nahe an zwei Prozent bringen, das ist seit langer Zeit unsere Definition von Preisstabilität. Warum sind die Zinssätze so niedrig? Weil die Kapitalrenditen in der Wirtschaft zurückgegangen sind. Um die Niedrigzinsphase so kurz wie möglich zu halten, brauchen wir mehr private Investitionen und eine Politik der Regierungen, die die Voraussetzungen für profitable Projekte schafft. So lange ist unser bester Beitrag für die Sparer, dass wir unsere Leitzinsen niedrig halten.

Müssen die Regierungen mehr tun, um die Sparer vor Vermögensverlusten zu schützen, etwa durch Steuersenkungen?

Unser Rat an die Euro-Regierungen ist, dass sie die Einsparungen, die sie durch die niedrigen Zinsen bei der Finanzierung ihrer Schulden haben, auf wachstumsfördernde Art nutzen. Sie könnten zum Beispiel die Steuern auf Arbeit verringern, mehr Anreize für private Investitionen schaffen, oder wo erforderlich ihr Defizit senken. In vielen Euro-Staaten sind die Investitionsbedingungen zu schlecht.

Muss die EZB noch expansiver werden, um Deflation zu verhindern?

Das hängt stark von den globalen Entwicklungen ab. Wenn es nötig ist, stehen wir bereit, alle unsere Instrumente einzusetzen. Das beinhaltet die Leitzinsen und Umfang, Zusammensetzung und Dauer unserer Wertpapierkäufe. Darüber werden wir im März entscheiden.

Wie will die EZB aus der expansiven Geldpolitik jemals wieder herauskommen?

Technisch ist das nicht schwer zu bewerkstelligen. Sie sehen es an der US-Notenbank, die es gerade vormacht. Wichtiger ist, dass unser Umfeld - damit meine ich die Politik der Regierungen - uns beim Generieren von Wachstum unterstützt. Wenn das nicht passiert, werden wir die Zinsen sehr lange niedrig halten müssen. Es liegt also nicht allein in unserer Hand, ob der Ausstieg aus der Niedrigzinsphase gelingt, es hängt auch vom Reformtempo der Euro-Staaten ab.

Aber gerade jetzt erleben wir mit der Flüchtlingskrise eine neue Herausforderung. Wird sie die Wirtschaftsentwicklung beeinträchtigen?

Es ist eine enorme Herausforderung nicht nur für Deutschland, sondern für Europa als Ganzes. Aber die Flüchtlingskrise ist auch eine große Chance für Europa, wenn es gelingt, die Flüchtlinge erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Je mehr Europa in der Flüchtlingskrise zusammensteht, desto eher kann sie gemeistert werden. Als europäischer Bürger glaube ich, dass wir jetzt den historischen Moment haben, in dem die EU zeigen muss, dass sie zu einer europäischen Lösung in der Lage ist.

Ist das realistisch?

Europa hat ähnliche Situationen schon gemeistert, etwa in der Schuldenkrise. Gerade weil es dieses Mal um Millionen Menschen geht, die nach Europa fliehen, hat die EU aus meiner persönlichen Sicht eine moralische Verpflichtung für eine gemeinsame europäische Lösung. Das europäische Projekt ist nicht in erster Linie ein finanzielles. Europas Idee war immer und ist es auch künftig, Menschen zu vereinen und nicht zu spalten.

Die Euro-Staaten sind sich nicht einmal einig darüber, ob es eine gemeinsame Obergrenze für Bargeldgeschäfte geben soll. Wofür plädieren Sie?

Es ist Sache der EU-Finanzminister das zu entscheiden, nicht der EZB. Es gibt Länder in Europa, für die ist Bargeld sehr wichtig, es gibt andere, in denen Bargeld eine geringere Rolle spielt.

Aber für die Abschaffung des 500-Euro-Scheins ist die EZB zuständig.

Hier haben wir die direkte Kompetenz, weil wir den Schein ja drucken. Wir diskutieren die Frage, ob wir den 500-Euro-Schein abschaffen sollen oder nicht, aktuell sehr sorgfältig im Rat der EZB. Wir wissen von den zuständigen Behörden, dass der 500-Euro-Schein zunehmend genutzt wird, um Terrorismus zu finanzieren und Geld zu waschen. Diese Warnung nehmen wir im EZB-Rat sehr ernst.

Was ist Ihre persönliche Einschätzung?

Ich persönlich sage: Wir haben heute weniger Gründe als bei Einführung des Euros, den 500-Euro-Schein beizubehalten, weil der elektronische Zahlungsverkehr heute viel wichtiger ist. Uns wird gesagt, dass der Schein zunehmend kriminellen Geschäften dient. Deshalb glaube ich, dass der 500-Euro-Schein letztendlich abgeschafft wird, aber das muss auf bedachte Weise geschehen. Mir ist wichtig zu sagen: Das bedeutet nicht, dass wir Bargeld generell abschaffen wollen. Bargeld ist elementar für unser tägliches Leben. Selbst wenn also der 500-Euro-Schein nicht mehr existiert, werden die Bürger weiter alle anderen Scheine nutzen können. Angesichts der Bedeutung für die Bürger gibt es überhaupt keine Diskussion, Bargeld generell abzuschaffen.

Griechenland ist belastet durch Tausende Flüchtlinge, die täglich an seinen Küsten landen, gleichzeitig geht es durch eine tiefe Krise. Belastet die Flüchtlingskrise Griechenlands Gesundung?

Die Frage, ob Griechenland die Anforderungen des dritten Hilfspakets erfüllt, sollten wir nicht mit der Flüchtlingsfrage vermischen. Es liegt im Interesse der Griechen, dass die griechische Wirtschaft stärker wird, unabhängig von der Flüchtlingsfrage. Zum Beispiel muss Griechenland sein Rentensystem sowieso zukunftsfähig reformieren.

Wie bewerten Sie die Reformfortschritte in Griechenland?

Die Experten von EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) hatten produktive Diskussionen in Athen, aber wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Es geht nicht mehr um die grundsätzlichen Ziele, es geht um die Umsetzung. Hier muss Griechenland der im August 2015 geschlossenen Vereinbarung über das dritte Hilfspaket treu bleiben. Wir in der EZB wollen, dass der Internationale Währungsfonds diese Initiative weiter unterstützt.

Wann ist die griechische Krise vorbei?

Die Griechenland-Krise ist vorbei, vorausgesetzt dass jeder zu seinen im vergangenen Sommer gemachten Verpflichtungen steht.

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