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Gespräch mit der Börsen-Zeitung

Interview mit Vítor Constâncio, Vizepräsident der EZB, geführt von Mark Schrörs und publiziert am 31 Dezember 2015

Herr Constâncio, als Sie 2010 Vize-Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) wurden – hätten Sie es sich damals vorstellen können, dass die EZB einmal mit allen verfügbaren Mitteln versuchen würde, die Inflationsrate nach oben zu treiben statt den Preisanstieg einzudämmen?

Das wäre mir damals wirklich nicht in den Sinn gekommen. Das kam für alle absolut unerwartet. Aber es ist ja nicht nur ein Thema des Euroraums. Weltweit ist die Inflation aktuell sehr niedrig.

Viele Menschen, vor allem in Deutschland, halten es für irrsinnig, dass eine Zentralbank wie die EZB versucht, unter allen Umständen Inflation zu erzeugen.

Als EZB haben wir ein klares Mandat und Ziel. Dieses Mandat ist Preisstabilität, die wir 2003 definiert haben als eine Inflationsrate von mittelfristig unter, aber nahe 2 %. Wir wollen nicht, dass die Inflation zu hoch – also über unserem Ziel – liegt. Wir wollen aber auch nicht, dass sie zu niedrig ist. Das ist unsere Maxime und deswegen tun wir, was wir tun.

Dennoch fragen sich viele, was so schlimm ist an Inflationsraten von rund 0 % - ob das nicht eigentlich stabile Preise bedeutet.

Sicher, man kann sich fragen, ob Preisstabilität nicht 0 % Inflation bedeutet. Auf den ersten Blick schiene das für die Bürger gut zu sein. Aber man sollte sich auch fragen, warum nahezu alle wichtigen Zentralbanken ein Inflationsziel von rund 2 % haben. Es muss gute Gründe geben - und tatsächlich gibt es die.

Nämlich?

Zunächst ist es schwierig, die Inflationsrate akkurat zu messen. Sowohl die Erfahrung als auch die Forschungsliteratur zeigen, dass Inflationsdaten die Tendenz haben höher zu liegen als die tatsächliche Inflation. Wenn die Statistiker sagen, dass die Inflationsrate bei 0 % liegt, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie tatsächlich unter 0 % liegt. Das kann in einer potenziell sehr gefährlichen Situation enden. Hinzu kommt: Wenn die Inflation zurückgeht, steigen die Realzinsen…

… also die um die Inflation oder die erwartete Inflation korrigierten nominalen Zinssätze.

Angesichts des Rückgangs des Potenzialwachstums und der Produktivität in den entwickelten Volkswirtschaften wird geschätzt, dass der so genannte reale Gleichgewichtszins, der für Vollbeschäftigung sorgt, ohne Inflation zu erzeugen, in den USA und sehr wahrscheinlich auch im Euroraum aktuell negativ ist. Wenn nun die Inflation so niedrig ist, ist es schwer, die Wirtschaft ins Gleichgewicht zu bringen. Ein anderer Grund ist, dass die Löhne nicht flexibel sind. Löhne können nicht einfach gesenkt werden, wenn die Inflation fällt. Das bedeutet, dass die Lohnkosten steigen, so dass die Produktion teurer wird und die Wettbewerbsfähigkeit sinkt.

Aber viele Sparer sorgen sich um ihre Altersvorsorge.

Die Sparer unterliegen der "Geldillusion". Sie schauen auf die nominalen Zinsen. Was aber wirklich zählt, sind die realen Zinsen - was also nach Abzug der Inflation übrig bleibt. In Deutschland lag etwa die reale Verzinsung im Fall von Einlagen 2007 bei nahe 0%, weil Zinsen von 2,2 % eine Inflation von 2,4 % gegenüberstand. Und jetzt sind es wieder 0 %.

Die ganze Aufregung um eine Enteignung durch die aktuelle Niedrigzinspolitik ist also übertrieben?

Lassen Sie mich die Bundesbank zitieren, die 2014 zu folgendem Ergebnis gekommen ist: "In den vergangenen Jahrzehnten waren negative Realzinsen eher die Regel als die Ausnahme." Es entbehrt also jeder Grundlage, die EZB für die Probleme der Sparer verantwortlich zu machen. Die Zinsen werden erst steigen, wenn das Wachstum und die Inflation wieder anziehen. Das ist genau das, was wir zu erreichen versuchen.

Anfang Dezember hat der EZB-Rat eine weitere Lockerung beschlossen. Die Finanzmärkte reagierten enttäuscht, sie hatten mehr erwartet. Die Volatilität war so groß, wie seit Jahren nicht. Welche Lehren zieht die EZB daraus?

Das war zweifelsohne die größte Kluft bislang zwischen dem, was wir zu tun beabsichtigten, und dem, was die Märkte erwarteten. Beide Seiten müssen ihre Lehren ziehen. Die Märkte müssen unsere Entscheidungsprozesse noch besser verstehen und dürfen sich auch nicht von Wunschdenken hinreißen lassen. Wir müssen aber auch besser kommunizieren. Wir haben entschieden, was wir entscheiden wollten. Wir wollten aber nicht solch eine Überraschung an den Märkten erzeugen.

Was heißt "besser kommunizieren"? Warum hat der EZB-Rat nicht im Vorfeld versucht, die Erwartungen zu dämpfen?

Es ist schon schwierig genug, die Geldpolitik richtig zu justieren. Aber es ist noch sehr viel schwieriger, die Erwartungsbildung an den Märkten feinzusteuern. Manchmal werden unsere Aussagen überinterpretiert.

Werden es der EZB-Rat und speziell EZB-Präsident Mario Draghi nach diesem Vorfall schwerer haben, die Märkte zu lenken?

Wir sollten diese eine Episode nun auch nicht überbewerten.

Was nun die Zukunft betrifft, gibt es sehr unterschiedliche Erwartungen im Markt: Die einen sagen, die EZB sei jetzt "fertig" oder dass die Hürde für eine nochmalige Lockerung zumindest sehr hoch liege. Die anderen sagen, dass weitere Maßnahmen nur eine Frage der Zeit seien. Wer hat Recht?

Es ist verfrüht, über weitere Schritte zu spekulieren. Ich würde es vorziehen, wenn wir unsere Geldpolitik in absehbarer Zeit nicht wieder ändern müssten. Aber natürlich sind wir immer datenabhängig. Entscheidend für uns sind die Inflationsaussichten. In 15 Jahren haben wir im Durchschnitt eine Inflationsrate von 1,9 % erreicht - also unter, aber nahe 2 %. Wir haben den Euro abgesichert. Wir haben geliefert und wir werden weiter liefern. Wir haben ganz sicher unsere Werkzeuge, die helfen könnten, unser Ziel zu erreichen, und wenn das nötig werden sollte, werden wir diese auch nutzen.

Sollten die Projektionen der EZB-Volkswirte für 2018, die es im März 2016 erstmals gibt, eine anhaltende Unterschreitung der knapp 2 % zeigen, wäre das also ein Auslöser für weitere Hilfen?

Die Abweichung der Inflationserwartung von unserem mittelfristigen Ziel ist das, was für uns zählt.

Wie sehr sorgt Sie noch die Gefahr einer Deflation?

Ich habe immer gesagt, dass ich nicht glaube, dass der Euroraum als Ganzes in eine Deflation schlittern könnte. Aber wie gesagt: Auch eine zwar positive, aber zu niedrige Inflation birgt signifikante Risiken. Dazu zählt auch, dass sie auf Dauer die Inflationserwartungen drückt, was dann Einfluss auf Lohn- und Preisentscheidungen hat. Das kann es noch schwerer machen, das Ziel zu erreichen. Wir müssen sehr wachsam sein, was solche Zweitrundeneffekte betrifft.

Sollten dem EZB-Rat weitere Maßnahmen nötig erscheinen, was wären die bevorzugten Instrumente? Warum hat er es jetzt beispielsweise als effektiver angesehen, das Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing, QE) bis März 2017 zu verlängern statt die monatlichen Käufe von rund 60 Mrd. Euro zu erhöhen?

Das Programm im September 2016 enden zu lassen wäre vermutlich nicht genug gewesen, um die Inflation bis Ende 2017 dorthin zu bringen, wo wir sie haben wollen. Deshalb haben wir unser Programm verlängert, damit es länger Wirkung entfaltet.

Es gibt also eine Tendenz, eher das Programm zu verlängern?

Die Verlängerung haben wir als angemessen angesehen und so entschieden.

Der EZB-Rat hat auch den Einlagezins weiter gesenkt - auf -0,3 %. Wann werden Negativzinsen zum Risiko für die Finanzstabilität?

Ich hoffe sehr und denke, dass negative Einlagezinsen weltweit ein temporäres Phänomen sind und kein fester Bestandteil normaler Geldpolitik. Wenn das Potenzialwachstum zulegt und die Inflation steigt, wird das der Vergangenheit angehören. Jetzt aber wird dieses Instrument in vielen Ländern ausprobiert, weil die regulären Zinsen nahe null liegen und die Zentralbanken vor dem Problem stehen, dass der reale Gleichgewichtszins negativ ist und die Inflation so niedrig. Beide Entwicklungen haben nicht die Zentralbanken kreiert - aber sie versuchen, sie zu überwinden.

Was nicht leicht ist. Fühlen Sie sich als Zentralbanker nicht mitunter schlicht überfordert?

Ich denke, es gab schon ruhigere Zeiten für Notenbanker.

Gehört zu den verfügbaren Werkzeugen der EZB auch das "Helikoptergeld", also die Idee, dass die Zentralbanken Geld drucken und es direkt unter die Leute bringt?

Die ursprüngliche Idee von Helikoptergeld bezog sich auf die direkte Finanzierung öffentlicher Ausgaben. Das ist für uns keine Option. Das ist nichts, was wir erwägen. Wie Präsident Draghi zu dem Thema gesagt hat, verbietet der EU-Vertrag die direkte Finanzierung von Regierungen des Euroraums.

Besteht bei dem Kurs der EZB nicht die große Gefahr, dass er nötige Korrekturen in der Wirtschaft untergräbt, weil das billige Geld etwa Bilanzbereinigungen obsolet macht oder nicht lebensfähige Banken oder Unternehmen am Leben hält? Einige Kritiker warnen, die EZB schaffe letztlich „japanische Verhältnisse“.

Das ist bestimmt nicht der Fall. Sicher, keine Politik ist absolut „sauber“, es gibt immer Nebenwirkungen. Die Verantwortlichen müssen sich aber an ihr gegebenes Ziel halten. Bei uns lautet das: eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 %. Wir ignorieren die Folgen unseres Tuns nicht. Aber wir müssen auch unserer Verantwortung gerecht werden, und andere Akteure ihrer Verantwortung. Das gilt auch für mögliche Risiken für die Finanzstabilität aus der aktuellen Geldpolitik: Das ist eine Aufgabe für die makroprudenzielle Aufsicht, nicht für die Geldpolitik.

Die US-Notenbank Fed hat nach sieben Jahren Nullzinspolitik erstmals ihren Leitzins erhöht. Macht das auf längere Sicht den Job der EZB leichter oder schwerer?

Es ist beides möglich. Unsere Aufgabe würde schwerer, wenn mittelfristig mit den US-Zinsen auch die Anleiherenditen im Euroraum ansteigen würden. Das ist aber nicht wahrscheinlich. Wahrscheinlich ist dagegen, dass die Zinserhöhung Einfluss auf die Schwellenländer entfaltet. Das kann das ohnehin nachlassende Wachstum in diesen Ländern weiter dämpfen. Das würde es schwieriger für uns machen. Leichter würde es dagegen zum Beispiel, wenn der "lift-off" letztlich mittelfristig dazu führt, dass der Preis für US-Exporte in anderen Währungen steigt. Das würde helfen, dass sich die Inflation weltweit normalisiert.

So mancher Beobachter befürchtet wegen der fast beispiellosen Divergenzen der Geldpolitik von Fed und EZB besondere Turbulenzen an den Finanzmärkten.

Ich sehe da keine besondere Quelle von Risiken. Jeder versteht, dass beide Zentralbanken auf die jeweils heimische Situation reagieren - auf Wachstum, Beschäftigung, Inflation. Und sowohl die Geschichte wie auch die Theorie zeigen eindeutig: Wenn jedes Land für ein Gleichgewicht seiner Volkswirtschaft sorgt, ist das am Ende auch positiv für das Gleichgewicht der gesamten Weltwirtschaft.

Sie teilen also nicht Sorgen, dass die Dollar-Aufwertung tendenziell noch stärker ausfallen könnte - mit negativen Folgen für die USA und die Schwellenländer?

Es ist nahezu unmöglich, Wechselkurse vorherzusagen.

Den größten Effekt scheint QE auf die Wechselkurse zu haben. Die EZB ist deshalb Vorwürfen ausgesetzt, zumindest indirekt eine Abwertungspolitik zu verfolgen.

Wir haben kein irgendwie geartetes Ziel für den Wechselkurs.

Wir haben über das Mandat und Ziel der EZB gesprochen. Hielten Sie es für sinnvoll, in Zukunft beides zu überprüfen, so wie 2003?

Keine Zentralbank ändert aktuell ihr Inflationsziel und wir haben da auch keinerlei Überlegungen. Ich sehe keine Notwendigkeit, sich jetzt auf eine solche Diskussion einzulassen.

EZB-Präsident Draghi hat Anfang Dezember gesagt, dass der Rat in Zukunft berücksichtigen müsse, dass die Inflation lange weit unterhalb von 2% lag. So mancher fühlte sich erinnert an die Idee der Preisniveausteuerung, bei der ein Unterschreiten des Ziels später aufgeholt werden muss. Bahnt sich da ein Umdenken an?

Das ist ganz sicher eine der Überinterpretationen, die ich anfänglich erwähnte. Ich würde einer Preisniveausteuerung niemals zustimmen. Das ist auch keine Überlegung für uns.

In der Finanz- und der Euro-Schuldenkrise hat die EZB immer mehr Macht bekommen und ist zum politischen Akteur geworden. Welche Folgen hat das langfristig?

Ich stimme mit ihrer Prämisse nicht überein, dass wir politischer geworden sind - das ist einfach nicht wahr. Wir mussten in der Krise mutig sein und zu einigen außergewöhnlichen, unkonventionellen Instrumenten greifen. Wir sind dadurch sichtbarer geworden, aber nicht politischer.

Sie sorgen sich also nicht um die Unabhängigkeit der EZB? In der US-Politik gibt es Bestrebungen, die Fed stärker zu kontrollieren.

Einige Leute fühlen sich nicht wohl mit dem, was die Zentralbanken in der Krise getan haben. Ich hoffe aber sehr, dass die Mehrheit versteht, dass die Zentralbanken eine entscheidende Rolle hatten, um eine schwere Depression der Weltwirtschaft zu verhindern. Was unsere Unabhängigkeit betrifft: Die Geschichte zeigt, wie essenziell die Unabhängigkeit der Zentralbanken ist.

Aber ist diese Unabhängigkeit nicht de facto in Gefahr, wenn die EZB mit QE zum größten Gläubiger der Euro-Staaten aufsteigt?

Verglichen mit unseren Käufen haben die Fed, die Bank of Japan und Bank of England relativ zur Wirtschaftsleistung viel mehr Staatsanleihen gekauft. Wenn für uns der Ausstieg aus der aktuellen Politik irgendwann in der Zukunft gerechtfertigt erscheint, werden wir das tun und es wird keine größeren Probleme geben.

Die EZB fordert einen "Quantensprung" bei der Integration in Europa und im Euroraum. In der Politik und der Öffentlichkeit ist aber kaum Willen erkennbar. Müssen wir dauerhaft mit Krisen rechnen?

Die Lehre aus der Krise ist ganz eindeutig, dass wir in der Währungsunion mehr Integration brauchen. Aber natürlich sieht jeder, dass die politische Bereitschaft dazu im Moment sehr gering ist. Das ist das Ergebnis der Wirtschaftskrise, der hohen Arbeitslosigkeit. Das destabilisiert die sozialen und politischen Systeme in Europa. Ich glaube aber, dass die grundsätzliche Logik des europäischen Projekts weiterhin Bestand hat: In einer zunehmend vernetzten Welt haben sich die Länder Europas zusammengeschlossen, um ihre Interessen besser vertreten zu können. Die Europäische Union ist im Übrigen schon jetzt eine historische Errungenschaft, die uns Jahrzehnte des Friedens beschert hat. Niemand sollte dies leichtfertig riskieren. Ich vertraue darauf, dass es weitere Integrationsschritte geben wird.

Und wenn nicht?

Die Alternative wäre, die ganze Konstruktion Europas infrage zu stellen - was den Interessen aller schaden würde. Wir müssen aber ganz sicher wachsam sein: Von Zeit zu Zeit spielt die Geschichte verrückt.

Stellt auch die Flüchtlingskrise "die ganze Konstruktion" infrage?

Lassen Sie mich zunächst eines sagen: Ich bewundere sehr, wie sich Deutschland im anfänglichen Schock der Flüchtlingskrise verhalten hat - die Bereitschaft, große Mengen an Flüchtlingen aufzunehmen, ohne die Solidarität der anderen europäischen Länder zu erhalten. Was nun Ihre Frage betrifft: Wir alle waren und sind besorgt über die möglichen Folgen - zumal am Anfang alles sehr schnell ging. Mein Eindruck ist aber, dass der Prozess nun besser unter Kontrolle ist. Am Ende kann das sehr gut für Europa sein.

Was meinen Sie genau?

Europa steht vor einem gravierenden demografischen Problem. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nimmt bereits signifikant ab und das wird sich fortsetzen, wenn nichts passiert. Das drückt das Potenzialwachstum und macht die Finanzierung der Sozial- und Rentensysteme immer schwieriger. Ein Zuzug erwerbsfähiger Menschen, die dann in den Arbeitsmarkt integriert werden, kann das verhindern, aber die organisatorischen Details sind alles andere als simpel. Hier ist es nicht die Aufgabe einer Zentralbank, Ratschläge zu erteilen.

Die Flüchtlingskrise überlagert die Krise um Griechenland. Im Sommer war erstmals die Rede davon, dass mit Griechenland ein Land aus dem Euro ausscheiden könnte. Wie sehr hat das dem Vertrauen in den Euro geschadet?

Ein Land kann nur selbst entscheiden, den Euro zu verlassen, es kann rechtlich nicht gezwungen werden, auch wenn sicher Druck aufgebaut werden kann. Um eines ganz klar zu machen: Die EZB hat kein Mitspracherecht, was den Eintritt oder Austritt eines Landes betrifft. Wir sind verantwortlich dafür, den Euro und die Integrität der Währungsunion zu sichern - unabhängig von der Zusammensetzung. Was nun Ihr Thema betrifft: Jede Diskussion über das mögliche Ausscheiden eines Landes schwächt die Währungsunion als Ganzes und bedeutet auch zusätzliche finanzielle Kosten für alle. Glücklicherweise ist die griechische Krise nun überwunden.

Ist das so? Athen hinkt wieder hinter dem Reformplan her.

Es gibt eine Vereinbarung und jetzt ist es die Verantwortung Griechenlands und auch der anderen Euro-Länder, ihre Zusagen zu erfüllen.

Zuletzt hat das geheime Anfa-Abkommen über Wertpapierkäufe der nationalen Euro-Zentralbanken hohe Wellen geschlagen. Im Raum steht der Verdacht der verdeckten monetären Staatsfinanzierung. Die EZB hat das zurückgewiesen. Die wohl wichtigste Frage aber ist offen: Warum sind die Anfa-Volumen gerade in den Krisenjahren so stark angestiegen?

Ich finde, dass die Debatte über Anfa am Thema vorbeigeht. Zum einen haben wir ein dezentralisiertes System von Zentralbanken. Jede Zentralbank hat ihre Aufgaben und Kosten und kann schauen, wie sie diese deckt. Vor allem aber gilt zum anderen, dass keine nationale Zentralbank in der Lage ist ihre Bilanz unendlich oder nach eigenem Ermessen auszuweiten. Es gibt strikte Grenzen, was etwa die Höhe dieser Netto-Finanzanlagen je nationaler Zentralbank betrifft. Und über diese wird jedes Jahr entschieden. Das wird vom Eurosystem strikt überwacht. Das gilt umso mehr, als wir strukturell ein Liquiditätsdefizit im Bankensektor aufrechterhalten wollen, damit die Institute für Liquidität zu uns kommen.

Das beantwortet aber die Frage nicht – und auch nicht, warum einige Länder mehr Gebrauch gemacht haben als andere?

Was nun die Zahlen betrifft: Einerseits sollte man berücksichtigen, dass einige in der Öffentlichkeit genannten Beträgen nicht korrekt sind, teilweise weil Notfallkredite ELA enthalten sind, die nur wenige Länder betreffen. Die Zahlen müssen, ELA ausschließend, in Perspektive gesetzt werden: Ende 1999 beliefen sich die Netto-Finanzanlagen aggregiert auf 251 Mrd Euro, bei einer Gesamtbilanzsumme von 1,1 Billionen Euro. Ende 2014 waren es 534 Mrd Euro bei einer Bilanzsumme von 2,2 Billionen Euro. Relativ gesehen war es also mehr oder weniger das Gleiche. Die jährliche Steigerungsrate von im Durchschnitt 5,5 % korrespondiert zudem mit dem Anstieg der Verbindlichkeiten wie dem erhöhten Banknotenumlauf und den gestiegenen Mindestreserven. Allein der Bargeldumlauf stieg seit der Ausgabe des Euros als Banknote um 9,2 %. Von den 534 Mrd Euro Ende 2014 entfiel zudem weniger als die Hälfte auf Staatsanleihen – und das bei ausstehenden Staatsschulden von 8,5 Billionen Euro. Ein anderer Teil entfällt etwa auf Goldreserven. Und noch etwas wird gerne übersehen.

Das da wäre?

Als wir im Januar 2015 Staatsanleihekäufe durch das Eurosystem beschlossen haben, haben wir gesagt, maximal 33 % der Schulden eines Landes zu kaufen, Anfa-Anlage eingeschlossen. Wenn eine Zentralbank also im Zuge von Anfa heimische Staatstitel erwirbt, kauft das Eurosystem weniger, wenn das nötig sein sollte, um eine Verletzung der oben genannten Grenze zu vermeiden. Die ganze Debatte über Anfa ist eine Art unsinnige Ablenkung.

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