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Kommunikation und Transparenz – wie werden Notenbanken den Anforderungen gerecht?

Rede von Otmar Issing, Mitglied des Direktoriums der EZB
Topic of the year 2006,
Frankfurt am Main, 18. Januar 2006.

Die Antwort der EZB

Auf die Frage, die ich mir selbst gestellt habe, weiß ich eine ebenso klare wie einfache Antwort für die EZB.

Als neue Institution, verantwortlich für einen riesigen, heterogenen Währungsraum, musste die EZB von Anfang an ihren eigenen Weg finden. Noch vor der Übernahme der geldpolitischen Verantwortung informierte sie die Öffentlichkeit über ihre Strategie. Eine quantitative Definition ihres Mandates war ein unmissverständliches Signal an die Märkte und zugleich eine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit. Mit dem Hinweis, die EZB werde alles daran setzen, die Preisstabilität auf mittlere Sicht zu erhalten, stellte sie gleichzeitig Transparenz über die Möglichkeiten und Grenzen der Geldpolitik her.

Von Beginn an informiert die EZB zum jeweils gleichen Zeitpunkt - 13.45 Ortszeit am Tage der entsprechenden Sitzung des EZB-Rates - über die geldpolitischen Beschlüsse. In der anschließenden Pressekonferenz – immer um 14.30 - erläutert der Präsident in seinen einleitenden Bemerkungen die Gründe für den Beschluss und steht anschließend den Vertretern der Medien aus aller Welt für Fragen und Antworten bereit. Eine Woche später gibt der Monatsbericht eine eingehende Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung. Nach intensiven Vorarbeiten veröffentlicht die EZB inzwischen viermal im Jahr die Prognosen ihres Stabes, jeweils im Juni bzw. Dezember auf der Basis der Zusammenarbeit der Experten der EZB und der nationalen Notenbanken.

Kommunikation - Inhalt und Form

So etwa, oder vielmehr genauso haben Sie sich meine Antwort vorgestellt. Bevor ich aber jetzt nach Hause gehe und Sie Musik und Buffet genießen können, möchte ich doch noch ein paar Überlegungen nachschieben.

Allein die Anwesenheit so vieler Vertreter der Medien bei diesem Anlass mag als Beleg für die Wichtigkeit der Kommunikation dienen, freilich eine alles andere als neue Erkenntnis. Im Anfang war das Wort – so beginnt das Johannes-Evangelium. Aber nicht von ungefähr lässt Goethe seinen Faust mit der Übersetzung aus dem Urtext ringen. „Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen.“ Über „Sinn“ und „Kraft“ schreibt er zum Schluss getrost: “Im Anfang war die Tat“. Das bringt allerdings den Pudel zum Heulen und Bellen. Warum wohl mag man fragen, spürt das Tier die Spannung zwischen Inhalt und Form, zwischen Wirklichkeit und Botschaft? Gilt aber nicht heute: Politik, wie jedes andere Produkt, muss in erster Linie gut verkauft werden, frei nach dem Motto: Nicht die Politik ist schlecht, sie wird nur nicht richtig vermittelt. Diese Überzeugung mündet am Ende in das Prinzip ein: Je schlechter die Politik, desto wichtiger die Aufgabe der Kommunikationsabteilung. Hätte also Wagner, der „trockene Schleicher“, recht, dass es nur auf den Vortrag, also die Form ankommt? Faust hält dem entgegen: “Es trägt Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor“. Oder wie Cicero in seiner Schrift De Oratore – Von der Redekunst schon vor über 2000 Jahren doziert hat: “Wenn nicht ein sachliches Fundament da ist, das der Redner gründlich beherrscht, so bringt er einen leeren und beinahe kindischen Wortschwall hervor“.

Also doch Substanz, der Inhalt steht im Mittelpunkt. Für die Geldpolitik gilt es, zuerst und vor allem, richtige Entscheidungen zu treffen. Die richtige Entscheidung steht im Zentrum, aber nicht am Anfang. Voraus geht die angemessene Vorbereitung der Öffentlichkeit, der Märkte. Geldpolitik ist als eine Abfolge von Kommunikation und Tat, von Ankündigung und Entscheidung zu verstehen. Die Erklärung der eben getroffenen Entscheidung enthält bereits Elemente der Vorbereitung der nächsten. Wie schon der legendäre Sepp Herberger wusste: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Das entscheidende Kriterium guter Geldpolitik ist die Erfüllung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Mandats. Da Geldpolitik nur mit großer Zeitverzögerung wirkt, kann die strategische Ausrichtung nur einem mittelfristigen Zeithorizont gelten. Die Geldpolitik muss daher einerseits kurzfristig möglichst vorhersehbar und gleichzeitig mittel- und langfristig glaubwürdig und berechenbar sein. Die Kunst der Kommunikation liegt darin, aktuelle Hinweise mit der strategischen Ausrichtung der Geldpolitik überzeugend zu verbinden.

Wenngleich man nicht übersehen sollte, dass es durchaus auch das Interesse gibt, ökonomischen Vorteil aus der Ungewissheit zu ziehen, so muss einer Notenbank daran gelegen sein, den ohnehin vorhandenen Grad an Unsicherheit nicht noch zu erhöhen. In diesem Bestreben trifft sie auf den immer stärker werdenden Wunsch nach eindeutiger Vorankündigung der Geldpolitik. Das Interesse fixiert sich geradezu auf die Suche nach Codewörtern. Solche „Schlüsselwörter“ lassen sich rasch identifizieren und bei den Dispositionen am Markt entsprechend berücksichtigen. Sie können helfen, Fehldispositionen zu vermeiden und damit die Volatilität der Zinsen zu verringern. Eine Fehleinschätzung der bevorstehenden geldpolitischen Entscheidung kann die Akteure teuer zu stehen kommen. Was liegt dann näher, als die Notenbank und ihre mangelhafte Kommunikation verantwortlich zu machen? Die schärfste, mit größter Lautstärke vorgetragene Kritik kommt folglich nicht von ungefähr von den Akteuren auf den Finanzmärkten. Notenbanken sind daher der Versuchung ausgesetzt, ihre Kommunikation vollständig an deren Interessen auszurichten – und setzen sich damit der Gefahr aus, in das Schlepptau der Finanzmärkte zu geraten. Diese Gefahr ist umso größer, als in einem entsprechenden Umfeld die Marktteilnehmer selbst Erwartungen schaffen können, die von der Notenbank dann quasi zu erfüllen wären.

Die Notenbank wappnet sich gegen diese Gefahr am besten durch die bereits angesprochene Konsistenz zwischen der eher auf kurze Sicht angelegten Vorbereitung der Märkte im Vorfeld geldpolitischer Entscheidungen und der Einbettung der Kommunikation insgesamt und der Entscheidungen selbst in die strategische Ausrichtung der Geldpolitik.

Eine geeignete Strategie, ein überzeugender, im Laufe der Zeit erworbener track record und eine damit konsistente Kommunikation ergänzen sich gegenseitig und charakterisieren effiziente Geldpolitik. Sollten Sie mich fragen, ob die EZB diesen Anforderungen gerecht wird, kennen Sie die Antwort im Voraus. Nach inzwischen sieben Jahren Geldpolitik für den Euroraum beginnt sich auch ein entsprechender track record aufzubauen, der für die neue Institution einfach nicht zur Verfügung stand.

Rechenschaft und Transparenz

Es versteht sich in einer demokratischen Gesellschaft von selbst, dass gerade eine unabhängige Notenbank ihre Entscheidungen vor der Öffentlichkeit und gegebenenfalls vor den zuständigen parlamentarischen Gremien – im Falle der EZB vor dem Europäischen Parlament – begründen muss. Die Zeiten sind glücklicherweise längst vorbei, dass der führende Repräsentant einer Notenbank, nämlich der Deputy Governor der Bank von England Sir Ernst Harvey, im Jahre 1928 auf eine entsprechende Frage von J. M. Keynes vor dem Macmillan Committee erklären konnte: „Soweit es um Kritik geht, fürchte ich, obgleich das Komitee nicht zustimmen mag, gestehen wir nicht zu, es gebe eine Notwendigkeit der Verteidigung. Uns zu verteidigen wäre in etwa so, als ob es eine Lady notwendig hätte, ihre Tugend zu verteidigen.“

Heutzutage sind Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht und Transparenz untrennbar miteinander verbunden. Was aber ist mit Transparenz konkret gemeint? Wer allein schon die Frage stellt, setzt sich heutzutage dem Verdacht aus, er plädiere für Geheimnistuerei, hinter der sich dunkle Machenschaften verbergen könnten. Ein, allerdings eindruckvolles Beispiel für den heute geforderten Standard der Transparenz möge genügen. Erfuhr die amerikanische Öffentlichkeit nicht gerade erst durch die New York Times, dass sich ihr Präsident im Regelfall von 9.00 – 17.00 Uhr im Büro aufhält, mit 2 Stunden Pause dazwischen um zu joggen, und durchschnittlich 15 Minuten benötigt, um ein Todesurteil zu überprüfen? (FAZ vom 30-12-05 – Titelseite). Für diese Information benötigte die Zeitung nicht nach Watergate anmutende Recherchen, es genügte eine simple Anfrage nach dem Freedom of Information Act.

Grenzenlose Transparenz?

Transparenz wird mehr und mehr verstanden als die Pflicht zur vollständigen, grenzenlosen Offenlegung jeglicher Information. Nicht von ungefähr werden zunehmend Rankings aufgestellt, in denen eine Notenbank um so mehr an die Spitze der Tabelle rückt, je mehr Informationen sie über ihre Analysen, den Entscheidungsprozess etc. bekannt gibt (s. z.B. S.C.W. Eijffinger und P.M. Geraats, How transparent are central banks?, European Journal of Political Economy, 2005).

Jede Selektion von Informationen, jedwedes Zurückhalten von Wissen – oder auch Nicht-Wissen – welcher Art auch immer wäre in dieser Sicht eine Verletzung des Prinzips der Transparenz und damit letztlich ein Verstoß gegen die Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit.

Versteht man die Verpflichtung zu Kommunikation und Transparenz in diesem rechtlich-politischen Sinne, ist das Ausmaß der Informationsvermittlung im Extrem ausschließlich „nachfragebestimmt“. Die Öffentlichkeit bestimmt den Umfang der Auskunftspflicht, die Notenbank hat kein Recht, die „Angebotsseite“ zu beschränken. Schon jeder Versuch in diese Richtung verletzte eine gegenüber der Gesellschaft am Ende einklagbare Verpflichtung und wäre damit sogar strafbar.

Konsequent weiter gedacht muss dieses Verständnis einer „gläsernen Notenbank“ in regelmäßigen Fernsehübertragungen von Sitzungen der Entscheidungsgremien enden. Man verfalle hier nicht auf das nahe liegende Argument, dann fänden eben Absprachen und Vorabstimmungen außerhalb der öffentlichen Sitzungen statt. Bleibt das Postulat vollständiger Transparenz unangetastet, dann geht es hier nur um die Frage der Durchsetzbarkeit, und nicht um das Hinnehmen eines ausweichenden Verhaltens, das auf einen Verstoß gegen eine rechtliche Verpflichtung hinausliefe und daher keinesfalls toleriert werden könnte.

Je weiter man das Postulat nach schrankenloser Informationspflicht bis an sein logisches Ende verfolgt, desto fragwürdiger wird seine Grundlage, desto gravierender werden die Einwände. Kann die Fernsehkamera alleine alle relevanten Informationen über den Entscheidungsprozess liefern? Müsste man nicht auch wissen, warum das eine Mitglied so, das andere anders abgestimmt hat? Liegt es etwa an der unterschiedlichen wissenschaftlichen Ausrichtung, keynesianische versus monetaristische Orientierung, oder vielleicht nur an unterschiedlich intensiver Vorbereitung auf die Sitzung? Müssten dann nicht auch vorbreitende Sitzungen der Entscheidungsträger mit ihrem Stab öffentlich übertragen werden? Und ebenso die Vorbereitungen dieser vorbereitenden Sitzungen? Wo soll dieser Rekurs enden? Das Bemühen um vollständige Offenlegung des geldpolitischen Entscheidungsprozesses stößt damit rasch an die Grenze der Praktikabilität.

Einfach, jedenfalls auf den ersten Blick, scheint dagegen der Fall bei der Veröffentlichung von Fakten und Daten zu liegen. Aber selbst hier kann mit Transparenz kaum die Anforderung gemeint sein, alles und jedes sofort zu veröffentlichen. Dem steht einmal die Flut an Informationen entgegen, die den Kanal der Kommunikation zu verstopfen und den Empfänger zu überfordern droht. In strikter Auslegung des umfassenden Prinzips der informativen Rechenschaftspflicht könnte ein Akteur – gewiss keine rein hypothetische Überlegung – die Kommunikation als Mittel zur gezielten Informationsüberflutung einsetzen, um hinter einem Schleier geplanter Verwirrung im Grunde unbeobachtet und diskretionär agieren zu können. Wohlgemerkt, hier ist die Rede nur von Überflutung mit korrekten Informationen.

Bei den Daten selbst bietet sich ein breites Spektrum zwischen kurzfristiger Verfügbarkeit und Anfälligkeit für Revisionen sowie zwischen Häufigkeit und Zuverlässigkeit usw. Im Kern sprechen Daten oft nicht für sich selbst, sie verändern ihren Informationsgehalt für den Empfänger mit der Art der Kommunikation durch den Sender. Selbst wenn eine Notenbank wollte, könnte sie sich daher dem Zwang zur Auswahl von Informationen, deren Relativierung und Kommentierung nicht entziehen. Diese Konsequenz befreit sie freilich nicht von der Pflicht, diesen Prozess so transparent wie möglich zu gestalten.

Es geht mir hier nicht darum, das Gebot der Transparenz in einer Karikatur enden zu lassen – etwa gar mit der erkennbaren Absicht, Willkür bei der Beschränkung von Informationen zu rechtfertigen. Öffentliche Institutionen sind in einer Demokratie nicht nur zur Rechenschaft über ihr Tun verpflichtet, sie schulden zu diesem Zweck auch Transparenz über ihr Handeln. Dies gilt nicht zuletzt für eine Notenbank, der der Gesetzgeber umfassende Unabhängigkeit verliehen hat, und die damit nicht einmal indirekt in Wahlen zur Verantwortung gezogen werden kann. Gleichwohl kann ein Diskurs über das Transparenzgebot nicht der Frage ausweichen, was darunter konkret zu verstehen ist.

Das Verlangen nach vollständiger, uneingeschränkter Transparenz stößt zunächst instinktiv auf Zustimmung, jeder Zweifel auf emotionalen Widerstand. Deshalb ist zu begründen, warum das Gebot unbegrenzter, quasi automatischer Transparenz in Theorie und Praxis auf unüberwindbare Schranken stößt. Aus Einigkeit über diesen Schluss folgt Übereinstimmung in der Folgerung: Das Prinzip der Transparenz bedarf der Interpretation.

Zur Rolle der „Minutes“

Bleibt man nicht dem unreflektierten Postulat grenzenloser Transparenz verhaftet, liegt der Casus offenbar weit weniger simpel. Lassen Sie mich die Komplexität an einigen Überlegungen zu dem Vorwurf erläutern, der im Mittelpunkt der Kritik an der Kommunikation der EZB zu stehen pflegt – Sie ahnen, worum es geht: Die Veröffentlichung oder genauer Nichtveröffentlichung von „Minutes“. Nur halb im Scherz räume ich gelegentlich unseren größten Fehler in der Kommunikation ein: Wir hätten das „Introductory Statement“ des Präsidenten „Minutes“ nennen sollen. Dem Begriff „Introductory Statement“ geht die Attraktivität des Wortes „Minutes“ ab. Der Ausdruck „Minutes“ hat sex appeal, er vermittelt den Eindruck: Wenn man „Minutes“ – das Protokoll einer Sitzung gelesen hat, dann weiß man so viel als ob man selbst dabei gewesen wäre. Und doch weiß jedermann, dass „Minutes“ sorgfältig getextete, korrigierte und abgestimmte Veröffentlichungen sind. Auf seiner Sitzung vom 27./28. Januar 2004 hat das FOMC darüber diskutiert, die Veröffentlichung der Minutes von 6 auf 3 Wochen zeitlich vorzuziehen. In den Minutes (sic!) dieser Sitzung heißt es: „Einige Mitglieder äußerten Bedenken, die beschleunigte Veröffentlichung könnte sich negativ auf die Überlegungen des Komitees und die Minutes selbst auswirken. Die Mitglieder betonten auch wie wichtig es sei, ihnen genug Zeit zu geben, die Minutes zu überprüfen und zu kommentieren und Meinungsunterschiede zwischen den Mitgliedern eines großen und geographisch verstreuten Komitees in Einklang zu bringen.“

Erlauben Sie mir den Hinweis, dass wir jeweils eine Woche nach der geldpolitischen Entscheidung unseren Monatsbericht veröffentlichen, in dem wir eine ausführliche Analyse der ökonomischen Situation vorlegen, die im Einklang mit der vorausgegangenen geldpolitischen Diskussion und Entscheidung steht.

Für den geldpolitischen Entscheidungsprozess selbst richtet sich aller Augenmerk immer wieder auf die Frage: Wer hat wie abgestimmt? Zu unserem Entscheidungsverfahren im Konsens will ich hier nur soviel festhalten. Viele negative Kommentare gelten einer Karikatur der Wirklichkeit. Ist es so schwer, sich vorzustellen, dass am Ende eines offenen Meinungsaustausches nicht völlig klar ist, welche Entscheidung vom Rat gewünscht wird? Ob diese Meinung von allen oder nur einer mehr oder minder großen Mehrheit geteilt wird, spielt dabei im Grunde keine Rolle. Konsens bedeutet keineswegs Zwang zur impliziten Einstimmigkeit und folglich Verzögerung der Entscheidung bis diese erreicht ist. Entscheidung im Konsens auf der Basis des gegenseitigen Respekts vor Meinungsunterschieden erleichtert aber zweifelsohne die einheitliche Unterstützung und Kommunikation einer einmal getroffenen Entscheidung.

Zum Schluss möchte ich die Komplexität von Transparenz und Kommunikation noch an einem Phänomen erläutern, dem immer wieder besondere Aufmerksamkeit gilt, nämlich die Veröffentlichung des Abstimmungsergebnisses.

Ich bin davon überzeugt, dass die Bekanntgabe des Resultates der Abstimmung ohne Namensnennung nur ein auf die Dauer nicht haltbares Zwischenstadium wäre. Es geht also um die individualisierte Bekanntgabe der Entscheidung. Im Falle der EZB ist hier ein spezifischer Gesichtspunkt zu beachten. Es wäre schlichtweg unvermeidlich, dass das Abstimmungsverhalten der Gouverneure der nationalen Notenbanken immer unter der Warte „nationaler“ Überlegungen gewertet würde – ganz gleich, welche tatsächlichen Gründe hinter der individuellen Entscheidung stünden. Die möglichen negativen Auswirkungen auf die einheitliche Geldpolitik für den Euroraum und deren Wahrnehmung liegen auf der Hand. Nach meiner Ansicht sollte die EZB daher unter keinen Umständen das Ergebnis von Abstimmungen – sollte es denn solche geben – veröffentlichen.

Im Folgenden möchte ich einen Aspekt anschneiden, der grundsätzlich übersehen wird, nämlich um den Rückkoppelungseffekt zwischen Abstimmungsverhalten und Veröffentlichung.

Lassen Sie mich einfach einige Fragen aufwerfen.

  1. Kann man unterstellen, das Abstimmungsverhalten einer Person sei (immer) völlig unabhängig vom Wissen um die nachfolgende Veröffentlichung?

  2. Könnte es sein, dass eine Person gerade deshalb anders stimmt, als der Sache nach beabsichtigt, weil sie weiß, dass dies anschließend bekannt wird?

  3. Welche Motive mögen dabei eine Rolle spielen?

    1. - Profilierungssucht ganz allgemein oder z.B. gegen den Vorsitzenden?

    2. - Oder Konformität, weil man nicht als Außenseiter dastehen will?

  4. Wurde der Vorsitzende überstimmt, steht die nächste Sitzung nicht im Banne der Beobachtung, ob dies erneut geschehe? Was folgt daraus für das individuelle Verhalten?

Diese Liste ließe sich fast beliebig erweitern. Ich wollte hier nur oft geradezu naiven Ansichten etwas von ihrer vordergründigen Attraktivität nehmen. Wir wissen vom Heisenberg Prinzip, dass selbst in der Physik die Beobachtung eines Objektes das Verhalten des Objektes selbst ändern kann, um wie viel mehr sollte dies nicht im Bereich menschlichen Verhaltens gelten?

Kommunikation verändert die Wirklichkeit und deren Wahrnehmung, und die veränderte Wirklichkeit schlägt zurück auf den Urheber der Botschaft. Das wusste schon Lady Wilberforce, die Frau des Bischofs von Worcester. Als sie im Jahre 1860 von Charles Darwins neuer Lehre hörte, soll sie ausgerufen haben: „Vom Affen! Wir! Wie entsetzlich. Lasst uns hoffen, dass es nicht stimmt, und wenn es stimmt, lasst uns beten, dass es nicht allgemein bekannt wird.“

Notenbanken müssen versuchen, die gegenwärtige Situation und ihre voraussichtliche Entwicklung umfassend zu analysieren und in richtige Entscheidungen zur Wahrung ihres Mandates umzumünzen. All dies gilt es in angemessener Weise der Öffentlichkeit darzulegen. Dann werden die Notenbanken den Anforderungen unserer Zeit an Kommunikation und Transparenz gerecht.

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