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Rede

Rede von Dr. Willem F. Duisenberg, Präsident der Europäischen Zentralbankanlässlich der Verleihung des "Großen Goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich" durch Dr. Thomas Klestil, Bundespräsident der Republik Österreich Wien, 9. Mai 2003

Es ist aus mehreren Gründen eine große Ehre für mich, diese hohe Auszeichnung der Republik Österreich zu erhalten.

Erstens fühle ich mich besonders geehrt, dass Sie, Herr Bundespräsident, persönlich mir diese Auszeichnung verliehen haben – in diesen historischen Räumen, im Zentrum einer der mächtigsten und einflussreichsten Nationen der Geschichte Europas. Darüber hinaus bedeutet es mir sehr viel, eine Auszeichnung der Republik Österreich zu erhalten, die schon immer eine stabilitätsorientierte Politik unterstützt hat, auch als sie noch nicht Mitglied der Europäischen Union war. Tatsächlich ist es während eines sehr langen Zeitraums in Europa eigentlich nur Österreich und meinem eigenen Land gelungen, eine erfolgreiche Wechselkurspolitik zu verfolgen, indem sie ihre nationalen Währungen mehr oder minder an die Deutsche Mark banden. Und schließlich ist es für mich von symbolischem Wert, am 9. Mai ausgezeichnet zu werden – dem Jahrestag der Erklärung von Robert Schumann, die den Beginn des europäischen Integrationsprozesses darstellt. Wie Sie wissen, wird der 9. Mai von den europäischen Institutionen besonders gefeiert. Dieser Feiertag für alle europäischen Institutionen unterstreicht die Bedeutung des europäischen Integrationsprozesses in der Geschichte Europas – eines Prozesses, der unumkehrbar ist und viel zum Frieden und Wohlstand in Europa beigetragen hat. In der Tat wird die Spaltung der Nachkriegszeit mit der Erweiterung der Europäischen Union am 1. Mai 2004 endlich überwunden.

Herr Bundespräsident, nach Ihren freundlichen Worten kann ich nur wiederholen, was ich schon bei vielen anderen Anlässen gesagt habe: Ich war eigentlich nur Augenzeuge der geldpolitischen Integration Europas – eines Prozesses, der wohl mit dem Werner-Bericht im Jahr 1969 begann und am 1. Januar 2002 in der Einführung der Euro-Banknoten und -münzen gipfelte. Ich bezeichne mich nur als Augenzeuge, weil ich überzeugt bin, dass die Einführung des Euro ohne die Anstrengungen der Zentralbanken im Euroraum, der nationalen und europäischen Behörden sowie des privaten Sektors, besonders des Finanzsektors, nicht erfolgreich gewesen wäre. Und nicht ohne die Bürger Europas, die den Euro als ihre Währung offenbar voll akzeptiert haben.

Für die wirtschaftliche Integration Europas wird die Einführung des Euro oft als Endpunkt angesehen. Dies ist jedoch meines Erachtens nicht richtig. Neben ihrer politischen Dimension als Schritt zu einer immer engeren Union ist die Einführung des Euro auch ein Katalysator für die weitere Integration der europäischen Wirtschaft. Dies zeigt sich bereits im Bereich der finanziellen Integration; hier haben Marktentwicklungen ebenso wie politische Initiativen, vor allem die Zielsetzung der Europäischen Kommission, bis zum Jahr 2005 einen wahrhaft integrierten Finanzmarkt zu schaffen, große Fortschritte bewirkt.

Ich möchte die Gelegenheit heute wahrnehmen, um einen anderen Bereich anzusprechen, in dem die Einführung des Euro zumindest meiner Ansicht nach deutlich gemacht hat, dass weitere koordinierte Anstrengungen in der Europäischen Union notwendig geworden sind. Ich meine, dass es vor allem notwendig ist, die Strukturpolitiken in Europa besser zu koordinieren, d. h. die Politiken, die dem besseren Funktionieren der Marktmechanismen und der Wirtschaft als Ganzes dienen. Ich sehe drei Gründe für die Notwendigkeit solch einer verstärkten Koordinierung von Strukturpolitiken.

Erstens sind Wechselkursschwankungen als Instrument der Angleichung seit der Einführung des Euro überholt. Vor der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) konnte man divergierende nationale wirtschaftliche Entwicklungen durch Abwertung oder Aufwertung der Währungen ausgleichen. In einer Währungsunion sollten solche Anpassungen mit Hilfe anderer Mechanismen geschehen, zum Beispiel durch die Angleichung von Preisen und Löhnen, Mobilität der Arbeitskräfte oder – am wenigsten erwünscht – vorübergehend steigende Arbeitslosigkeit. Um diese zu verhindern und eine wirtschaftliche Angleichung durch Löhne und Preise zu fördern, die dem Grad der Angleichung zwischen verschiedenen Regionen der USA entspricht, sind Politiken erforderlich, die der Flexibilisierung der Märkte dienen.

Zweitens hat die Bedeutung der Nebenwirkungen der nationalen Wirtschaftspolitiken in der WWU zugenommen, aufgrund der Zunahme der Handels- und Finanzverbindungen zwischen den Mitgliedstaaten. Anders ausgedrückt: Wenn eine Regierung Wirtschaftspolitiken verfolgt, die nicht solide sind oder das Funktionieren ihrer Volkswirtschaft behindern, machen die schädlichen Folgen nicht vor den Landesgrenzen Halt, sondern haben auch Auswirkungen auf andere Länder des Euroraums. Auch die größeren Nebenwirkungen unzulänglicher Strukturpolitiken erfordern also eine verstärkte Koordinierung der Strukturpolitiken auf europäischer Ebene.

Schließlich ist immer deutlicher geworden – aus praktischer Erfahrung wie auch aus der ökonomischen Theorie und empirischen Untersuchungen –, dass das Wirtschaftswachstum nur auf eine strukturell höhere Ebene zu bringen ist, indem man das Funktionieren der Wirtschaft verbessert. Im europäischen Kontext heißt dies: durch tief greifende Strukturreformen. Die Entscheidungsträger der Geld- und Finanzpolitik müssen oft als Prügelknaben herhalten, insbesondere in Zeiten konjunktureller Schwäche, wie wir sie derzeit erleben. Doch der beste und einzige Beitrag, den Entscheidungsträger der Geld- wie auch der Finanzpolitik zur Steigerung des potenziellen Wirtschaftswachstums leisten können, besteht darin, die gesamtwirtschaftliche Stabilität zu fördern und dadurch ein Umfeld zu schaffen, das für Verbrauch, Investitionen, Handel und Wirtschaftswachstum möglichst günstig ist. Die Europäische Union hat sich ein ehrgeiziges Reformprogramm vorgenommen, das der Europäische Rat auf seinem Gipfel in Lissabon im März 2000 vereinbart hat. Allerdings hat die Europäische Kommission bereits festgestellt, dass der Prozess der Strukturreformen im Jahr 2001 an Schwung verloren hat und im vergangenen Jahr nicht wieder beschleunigt wurde. Wenn die meisten Mitgliedstaaten ihre Strukturreformen weiterhin so langsam und unvollständig vorantreiben, wird es immer schwieriger werden, die in Lissabon vereinbarten Ziele zu erreichen. Diese schleppenden Fortschritte der Strukturreformen und der offensichtliche Mangel an Engagement für solche Reformen bei den Regierungen erfordern eine verstärkte Koordinierung der Strukturpolitiken auf europäischer Ebene.

Wenn ich von verstärkter europäischer Koordinierung von Strukturpolitiken spreche, impliziere ich damit ausdrücklich nicht die Notwendigkeit, Strukturpolitiken zu harmonisieren. Bitte nicht, würde ich sogar sagen. Die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten sind noch immer recht unterschiedlich strukturiert, und um das Funktionieren dieser Strukturen zu verbessern, sind oft unterschiedliche Lösungen und Politiken angezeigt, je nachdem, welches Land betroffen ist.

Für mich würde eine stärkere Koordinierung der europäischen Strukturpolitiken die Einführung von Koordinierungsmechanismen und -instrumenten bedeuten, die den Mitgliedstaaten mehr Anreize bieten, ihre Strukturreformen zu beschleunigen – die ihr Engagement fördern, ihnen aber gleichzeitig ausreichend Freiraum lassen, die Politiken zu verfolgen, die aus ihrer eigenen Perspektive am besten geeignet sind. Meine Sicht wird von aktuellen Entwicklungen bestätigt, insbesondere von den schleppenden Fortschritten der Strukturreformen in manchen Ländern. Umso mehr freue ich mich über die Bemühungen der Regierungen in einigen Mitgliedstaaten, ernsthaft wirksame Strukturpolitiken zu verfolgen, um ihre Wirtschaft zu reformieren.

Herr Bundespräsident, ich hoffe aufrichtig – als Präsident der EZB, aber auch als europäischer Bürger und überzeugter Anhänger der europäischen Integration –, dass die Einführung des Euro als Katalysator für eine verstärkte Koordinierung im Bereich der Strukturpolitik wirken wird. Und wie bereits erwähnt, sollte der Euro diese Wirkung auch in anderen Bereichen haben.

Nach einer Periode der Quantensprünge im europäischen Integrationsprozess – der mit der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahr 1987 begann und mit der Einführung des Euro sowie dem Beschluss, die Europäische Union nach Süden und Osten zu erweitern, endete –, scheint das Pendel der europäischen Integration in den Augen von einigen nun in Richtung einer Eurosklerose zu schwingen, einer Periode des Stillstands, wie wir sie besonders in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren erlebt haben. Besonders spürbar wird dies im Hinblick auf die politische Integration Europas. Ich bin jedoch nicht allzu skeptisch. Erstens bin ich überzeugt, dass der Europäische Konvent zur Zukunft der Europäischen Union unter dem Vorsitz von Valéry Giscard d'Estaing und die bevorstehende Regierungskonferenz dem europäischen Integrationsprozess neuen Schwung geben werden. In der Tat wäre die Geburt einer europäischen Verfassung, die der Konvent ja vorbereitet, ein Meilenstein in der Geschichte der europäischen Integration. Zweitens, wie ich schon sagte, bin ich sicher, dass die Einführung des Euro auch die weitere Integration Europas fördern wird, in politischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht. Schließlich hat die Erfahrung gezeigt, dass auf Phasen, in denen das Tempo der Integration sehr rasant war, oft Phasen mit langsamerem Tempo folgten. Einige Kommentatoren haben die europäische Integration mit der berühmten Prozession im luxemburgischen Echternach verglichen, bei der es bis vor kurzem immer drei Schritte vor und zwei zurück ging. Mit anderen Worten, die aktuelle Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses hat, im historischen Zusammenhang gesehen, nichts Ungewöhnliches; wir sollten sie deshalb auch nicht zu pessimistisch einschätzen.

Nun möchte ich zum Schluss kommen. Herr Bundespräsident, lassen Sie mich nochmals meinen aufrichtigen Dank für diese hohe Auszeichnung zum Ausdruck bringen. Sie bestärkt mich in meinem Glauben, dass die Sache, für die ich – wie so viele andere – seit so vielen Jahren arbeite, unsere Mühen lohnt und geschätzt wird. Und ich bin überzeugt, dass Österreich, auch wenn es ein noch relativ junges Mitglied der Europäischen Union ist, weiterhin eine bedeutende und tragende Rolle in der europäischen Integration und als Botschafter stabilitätsorientierter Geldpolitik spielen wird.

Ich danke Ihnen

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Europäische Zentralbank

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