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Interview mit VDI Nachrichten

Interview mit Peter Praet, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Sabine Seeger und veröffentlicht am 24. März 2017

Herr Praet, am 25. März feiert die EU in Rom ihr 60-jähriges Bestehen. Nach einem brillanten Start und großen Erfolgen steckt die Gemeinschaft jetzt in der Krise. Sehen Sie eine Chance, diese zu überwinden?

Die Menschen in der EU haben sich so sehr an die Vorteile von offenen Grenzen und dem Binnenmarkt gewöhnt, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen können, wie es zuvor war oder wie es wäre, wenn man diese Errungenschaft verlieren würde. Sie leben in einer stabilen Welt und sind sich nicht immer bewusst, dass das ein großer Wert ist, den es zu erhalten gilt.

Was gilt es jetzt zu tun?

Wir müssen die Menschen wieder überzeugen, dass der EU-Markt mit seinen mehr als 500 Mio. Menschen die Grundlage unseres Wohlstands bildet. Als wir 1992 mit dem Vertrag von Maastricht den Grundstein dafür legten, war die EU ein Verbund relativ homogener Staaten. Mit der Erweiterung wurden allerdings Staaten integriert, in denen die Einkommen oder auch die soziale Absicherung viel niedriger sind. Das hat zu Verwerfungen geführt, die wir angehen müssen.

Welche zum Beispiel?

Es steht außer Frage, dass Handel und ein größerer Markt den Wohlstand fördern. Aber man sollte nicht verschweigen, dass dieser Fortschritt nicht allen im gleichen Maße zugutekommt. Das kann zu Missgunst führen. Solche Gefühle sollte man nicht einfach beiseiteschieben; man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Auch die Finanzkrise, die am Anfang der Rezession von 2009 stand, hat zu einer Glaubwürdigkeitskrise geführt. Es gibt also Gründe für den Unmut vieler Bürger. Andererseits wird die EU gerne als Sündenbock benutzt. Mancher kann so auf vermeintlich billige Art von nationalen Problemen ablenken, etwa von Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, bei den Sozialsystemen oder von den alles lähmenden Bürokratien.

Durch Politiker wie Trump, Putin und Erdogan ist die Welt unsicherer geworden. Sollte das nicht zu einer Rückbesinnung führen?

Wir haben uns lange unter dem Schutz der USA friedlich entwickeln können. Wir haben uns in einer multilateralen Welt eingerichtet. Aber die alte Weltordnung wird gerade in Frage gestellt. Im schlimmsten Fall droht eine Ordnung, in der vor allem Macht und Größe zählen. In einer solchen Ordnung würden vor allem die Großmächte USA, Russland und China dominieren. Die Stimmen kleinerer Länder würden an Bedeutung verlieren, wenn sie isoliert auftreten. Und machen wir uns nichts vor, selbst die größten europäischen Länder zählen zu dieser Kategorie, wenn sie auf sich allein gestellt sind. Wenn wir unsere Interessen wahren wollen und unsere Vorstellungen davon, wie wir leben wollen, dann müssen wir uns gemeinsam behaupten. Und das geht nur über die EU.

Eine der größten Herausforderungen ist der Populismus, der sich vielfach gegen die EU richtet. Wie kann man die Menschen überzeugen, dass Populismus ins Verderben führt?

Wir erleben Misstrauen und Vorbehalte gegen die Eliten. Allzu oft werden Probleme und Missstände, die es natürlich in unseren Gesellschaften gibt, nicht mehr angesprochen, um nach den richtigen Lösungen zu suchen, sondern als Ausdruck allgemeiner Ablehnung. Populisten versprechen die vermeintlich einfachen Lösungen, die zugleich eingängig und letztendlich schädlich sind. Was kann man dem entgegensetzen? Zunächst sollte man zuhören und die Sorgen der Menschen ernst nehmen, dann gilt es die tatsächlichen und vermeintlichen Missstände zu analysieren und – wenn möglich – zu lösen. Und schließlich gilt es, die Folgen politischen Handelns zu erklären: Wenn Bürger Populisten wählen, die den Nationalstaat idealisieren und absolut setzen, dann müssen sie wissen, dass sie zwar in kleineren und leichter zu steuernden Märkten leben würden, dass dies aber auch sehr viel höhere Preise für Verbraucher und weniger Wohlstand bedeuten würde. Grundsätzlich ist mein Eindruck, dass Menschen, die Populisten wählen, ihren Protest zum Ausdruck bringen, aber nicht die EU als solche abwählen wollen.

Sehen Sie vor der gegenwärtigen Stimmungslage überhaupt noch eine Chance für weitere Integrationsschritte?

Wir arbeiten ja an der Vertiefung des Binnenmarktes, um den freien Handel zu erleichtern. Wenn die EU zum Beispiel die Leistungsfähigkeit von Staubsaugern harmonisiert, dann geht es doch neben Energieeffizienz auch darum, dass diese in ganz Europa vertrieben werden können. Aber in der Bevölkerung kommt das so an, als wenn „Brüssel“ da etwas diktieren wolle, quasi als „Schikane“. Dabei verbilligt die Harmonisierung unsere Produkte, die sonst für jeden nationalen Markt extra angepasst werden müssten. Wenn man also von einer tieferen EU spricht, mehr Harmonisierung und weniger Handelshürden will, dann geht das zwangsläufig auf Kosten der Entscheidungsfreiheit in den Mitgliedsstaaten. In anderen Bereichen aber, wo die nationalen oder sogar regionalen Institutionen besser geeignet sind, die richtigen Regeln zu setzen, sollte das Prinzip der Subsidiarität wieder stärker zur Geltung kommen. Es geht also nicht um Integration als Wert an sich, sondern um die richtige und notwendige Integration. Dafür – so glaube ich – gibt es die erforderliche Zustimmung.

Nun hat sich die Eurozone aus der Krise herausgewunden, wirtschaftlich geht es aufwärts.

Es geht aufwärts, aber die wirtschaftliche Lage ist noch sehr unterschiedlich. Deutschland, das die Krise gut überstanden hat, weil es eine geringe staatliche Schuldenlast hatte und auch die Privathaushalte wenig verschuldet waren, steht blendend da. Aber andere Länder waren schwer getroffen und müssen noch kämpfen. Die gute Nachricht ist: Die Erholung festigt sich in allen Ländern der Eurozone und weitet sich auf immer mehr Branchen aus. Das Vertrauen der Verbraucher und der Wirtschaft wächst - trotz aller politischen Unsicherheiten. Das ist ermutigend. Nach all den Jahren der Krise geht es aufwärts und die Menschen vertrauen darauf.

Ist der Aufschwung Frucht der EZB-Niedrigzinspolitik?

Im Jahr 2009 hatten wir die größte Rezession der Nachkriegszeit mit einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. Seit dem Tiefpunkt sind immerhin mehr als 4 Mio. neue Arbeitsplätze im Euroraum entstanden. Unsere Geldpolitik hat diese Erholung unterstützt, weil sie die Finanzierungsbedingungen für Banken und in der Folge auch für Haushalte und Unternehmen erleichtert hat. Aber gehen wir einen Schritt zurück und blicken auf den vorangegangenen Wirtschaftseinbruch. In dessen Folge kam die Staatsschuldenkrise. Und die sorgte dafür, dass im Jahr 2011/2012 die Staaten wieder in die Rezession zurückfielen. Da hat die Geldpolitik der EZB und ihr Eingreifen eine entscheidende stabilisierende Rolle gespielt. Sie konnte eine große Depression verhindern.

Was genau wäre ohne das Eingreifen passiert?

Nur als Beispiel: Wenn die EZB den spanischen Banken 2012, als massiv Geld abgezogen wurden, keine Liquiditätshilfen gegeben hätte, dann wäre es zu Kapitalverkehrskontrollen gekommen, durch die Gläubiger aus anderen Euroländern in ihrem Zugriff auf ihr Eigentum beschränkt worden wären. Die Menschen haben vergessen, wie brandgefährlich die Lage damals war. Viele sind sich nicht bewusst, dass die EZB, aber auch die Regierungen damals mit Bedacht und Verstand gehandelt und damit Schlimmeres verhindert haben. Dabei waren die europäischen Institutionen gar nicht auf eine derart Krise vorbereitet, weshalb die Entscheidungen am Anfang auch ziemlich chaotisch waren. Aber am Ende ist es gelungen – auch durch die Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM – einen Kollaps des Binnenmarkts zu verhindern.

Dennoch ist die Rolle der EZB bis heute umstritten, ihre expansive Geldpolitik viel kritisiert.

Die EZB hat eine tragende Rolle gespielt, schon allein wegen des Umstands, dass sie in der Krise jederzeit handlungsfähig war. Das waren nie einfache Entscheidungen und über den richtigen Weg wurde heftig gerungen. Aber bei der EZB waren wir uns unserer Verantwortung immer bewusst und haben es geschafft, eine von allen Mitgliedern unseres Rates getragene Geldpolitik zu machen. Das hat sich in der Krise bewährt. Der Erfolg hat allerdings ambivalente Folgen: Die EZB musste nicht nur immer neue Aufgaben, wie etwa die der Bankenaufsicht, übernehmen. Sie wird auch – je mehr sie als handlungsfähige und besonders einflussreiche europäische Institution wahrgenommen wird - verantwortlich gemacht für Probleme. Das ist selbst dann der Fall, wenn sie in Wahrheit gar nicht verantwortlich ist.

Jetzt stehen Sie allerdings vor der Herausforderung, aus der expansiven Geldpolitik wieder herauszufinden. Dazu gehört auch ein Anstieg der Zinsen, wie er gerade in den USA erfolgt  ist. Ist der Schritt der FED ein Signal für die EZB?

Wir haben ein klares Mandat und das bezieht sich auf die Eurozone. Und da müssen wir uns die Entwicklungen genau anschauen, bevor wir handeln. Bisher können wir nur feststellen, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung verbessert. Das stimmt uns zuversichtlich, aber der Aufwärtstrend und damit auch die Normalisierung der Teuerung sind noch sehr abhängig vom geldpolitischen Stimulus. Die Inflationsrate liegt zwar vorübergehend in der Nähe des angestrebten Wertes, aber das basiert zu einem guten Teil auf kurzfristigen Schwankungen der Energiepreise. Die unterliegende Dynamik der Teuerung ist immer noch auffallend schwach, und auf die müssen wir auch schauen, um unser Mandat Preisstabilität nachhaltig erfüllen.

In Deutschland liegt die Inflation bei über zwei Prozent. Müsste dem nicht Rechnung getragen und der für den deutschen Sparer teuren Niedrigzinspolitik ein Ende bereitet werden?

Wir sind uns der Kritik, die es übrigens auch in anderen Ländern gibt, sehr bewusst und nehmen sie Ernst. Natürlich könnten die Zinsen höher sein für die Wirtschaft in Deutschland und auch in einigen anderen Ländern, wenn sie denn allein dastehen würden. Das tun sie aber nicht, sondern wir haben eine gemeinsame Währung. Deshalb ist die EZB zu einer Geldpolitik für die Eurozone als Ganzes verpflichtet, und das fordert von allen mitunter Geduld. Denn immer ist einigen die Geldpolitik zu locker, während andere sich gerade mehr Unterstützung wünschen würden. Man sollte allerdings auch mal zurückdenken in die Zeit vor der Währungsunion, als wir noch schwankende Wechselkurse hatten, die eine hohe Instabilität mit sich brachten. Das kam gerade Volkswirtschaften wie Deutschland teuer zu stehen. Heute tragen wir mit unserer Geldpolitik zum Bestand, zur Stabilität und zur Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes bei. Das ist gerade für exportstarke Mitgliedsländer von immenser Bedeutung. Und das gilt umso mehr in Zeiten, da der Freihandel international in Frage gestellt wird.

Dennoch führt die Niedrigzinspolitik zu Verwerfungen am Markt, wie wir am Immobilienmarkt in Deutschland sehen. Drohen da nicht Gefahren?

Man sollte die Preissteigerungen im Kontext sehen. Vorangegangen ist ja eine ungewöhnlich lange Phase, in der sich die Häuserpreise in Deutschland gar nicht vom Fleck bewegt haben. Das hat sich in den vergangenen sieben Jahren geändert. Und nun stellt sich die Frage, ob es Übertreibungen gibt. Möglicherweise ja in den besonders beliebten Großstädten, aber insgesamt gibt es keine klaren Anzeichen dafür. Zu einer gefährlichen spekulativen und die Stabilität gefährdenden Übertreibung käme es außerdem nur dann, wenn die Preissteigerungen zunehmend und im Übermaß auf Pump finanziert wären. Das würde man an stark wachsenden Hauskrediten sehen, was aber nicht der Fall ist. Und wenn es dazu kommen würde, dann wäre es nicht in erster Linie Aufgabe der Geldpolitik zu reagieren, die ja vornehmlich der Preisstabilität verpflichtet ist. Aber es gibt andere Mittel in der Hand der nationalen Regierungen und Aufsichtsbehörden, gefährlichen Übertreibungen im Fall der Fälle Einhalt zu gebieten. Das kann zum Beispiel über verschärfte Regeln für die Kreditvergabe oder auch über die Steuerpolitik geschehen.

Nun steht der EU der Austritt Großbritanniens ins Haus. Könnte der Brexit die Finanzstabilität der Eurozone gefährden?

Nein, ich denke nicht, dass der Brexit eine Gefahr für die Finanzstabilität ist. Erstens wird das ein durchaus gesteuerter Austrittsprozess sein und zweitens haben wir durch die Krise gelernt, wie man mit gefährlichen Situationen umgeht. Sorgen um die Stabilität muss man sich immer dann machen, wenn es zu abrupten und ihre Wirkung unmittelbar entfaltenden Ereignissen kommt. Das ist aber gerade beim voraussichtlichen Austritt Großbritanniens nicht der Fall. Wir werden Zeit haben, den Bruch und die damit verbundene Umstellung zu organisieren. Und die bringt schon rein organisatorisch für die Regulierer wie die Aufsicht unendlich viel Arbeit mit sich. Was mir Sorge bereitet, sind die enormen Kosten, die der Austritt sowohl in der Rest-EU, aber vor allem im Vereinigten Königreich verursacht.

Dennoch könnte es auch Gewinner geben. Frankfurt könnte sich zum größten Finanzplatz der EU entwickeln. Teilen Sie diese Einschätzung?

Frankfurt ist sympathisch, multinational, überschaubar und bequem. Die Stadt bietet ein gutes Arbeitsumfeld. Ich weiß das zu schätzen und mancher private Banker auch. Aber das kann man sicherlich auch von Madrid, Dublin, Paris oder anderen europäischen Metropolen sagen. Entscheidend ist aus meiner Sicht etwas anderes: Wenn sich die Finanzzentren des Euroraums eine größere Bedeutung erhoffen, dann haben sie die besten Chancen darauf nur im Rahmen einer vollständigen europäischen Bankenunion. Und da hilft es nicht auf eine ferne Zukunft zu hoffen. Wir brauchen eine starke und komplette Bankenunion innerhalb der kommenden vier bis fünf Jahre.

Was fehlt denn noch zur Vollendung?

Wir brauchen eine klare Road-Map, die vorgibt, wo wir in vier bis fünf Jahren stehen wollen. Der Brexit ist bedauerlich und schädlich, aber für die Bankenunion eröffnet er auch Möglichkeiten. Denn ein starker und verlässlicher regulatorischer Rahmen und eine ebenso strikte wie faire einheitliche Aufsicht sind in der Bankenbranche große Wettbewerbsvorteile – denn das schafft nachhaltig Vertrauen, die wichtigste Währung des Bankers.

Wie optimistisch sind Sie denn, dass die Bankenunion vor der nächsten Finanzkrise vollendet werden kann?

Heute sind die Banken viel besser mit Kapital ausgestattet als vor der Krise. Zudem haben die Aufsichtsbehörden gelernt, rasch zu reagieren, um Gefahren für Finanzmarktstabilität abzuwenden. Eine Pleite wie die im Falle Lehman in 2008 ist heute sehr viel unwahrscheinlicher. Auch die Banken selbst schützen sich, indem sie bessere Vorsorge betreiben.

Was bedeutet es, dass sich einige Banken vom europäischen Markt zurückziehen und sich auf ihren Heimatmarkt konzentrieren. Also doch keine europäische Bankenlandschaft?

Das bereitet mir auch Sorge, weil wir in der Währungsunion grenzüberschreitende Geldhäuser brauchen, die sich gemeinsamen Aufsichts- wie Abwicklungsregeln unterwerfen. Wenn man eine gemeinsame Bankenaufsicht hat, brauch man auch eine Lastenteilung, für den Fall, dass etwas schief geht. Das haben wir im Moment aber noch nicht. Wir haben zwar eine gemeinsame Aufsicht, aber im Fall einer Schräglage, müssen immer noch die einzelnen Staaten einspringen. Erst wenn wir einen gemeinsamen Back-stop, also eine Kreditlinie etwa durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM haben, werden wir eine Bankenunion mit einer echten Risikoteilung haben.

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