Suchoptionen
Startseite Medien Wissenswertes Forschung und Publikationen Statistiken Geldpolitik Der Euro Zahlungsverkehr und Märkte Karriere
Vorschläge
Sortieren nach

Interview mit der Standard

Interview mit Peter Praet, Mitglied des EZB-Direktoriums, und der Standard, geführt von Andras Szigètvari am 10. Juni 2015.

Standard: Herr Praet, die Rolle der Europäische Zentralbank hat sich seit Krisenausbruch gewandelt: Sie mischen sich in politische Diskussionen ein, schreiben Ländern Reformen vor. Hat die EZB ihr Mandat, die Preisstabilität zu erhalten, nicht überdehnt?

Praet: Wie Sie wissen, trifft die EZB geldpolitische Entscheidungen, um ihr Ziel, die Gewährleistung von Preisstabilität, zu erreichen. Wir äußern uns hörbar zu Strukturreformen, wenn dies im Rahmen unseres vertraglich festgeschriebenen Mandats für notwendig gehalten wird. Wie Mario Draghi in Sintra sagte: Widerstandsfähigkeit ist für Mitglieder einer Währungsunion von entscheidender Bedeutung, damit Schocks nicht im Zeitverlauf zu dauerhaften wirtschaftlichen Divergenzen führen. Sie hat also unmittelbare Folgen für die Preisstabilität. In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns beispielsweise von der Federal Reserve in den Vereinigten Staaten, die sich nie an solchen Debatten beteiligen würde.

Oft wird uns geraten, uns doch allein auf unsere Kernaufgabe, die Geldpolitik, zu konzentrieren. Aber in einer Währungsunion wie dem Euroraum haben die einzelnen Länder die Flexibilität verloren, die ein eigener Wechselkurs bietet. Sie müssen also Krisen und externen Schocks gegenüber widerstandsfähiger werden. Eine solide Governance und effektive Institutionen sind von zentraler Bedeutung. Das gilt unter anderem für die Arbeits- und Gütermärkte, die Justiz und für die Verwaltungsbehörden. Das ist notwendig für eine wirksamere Geldpolitik in einer Währungsunion und deshalb sagen wir den Regierungen, dass strukturelle Reformen wichtig sind. Dabei ist es für uns nicht von Interesse, wie Länder diese Reformen durchführen. Das ist ihnen überlassen. Uns interessiert, ob sie dabei erfolgreich sind, da dies Auswirkungen auf die Währungsunion insgesamt hat. Allerdings möchte ich auch selbstkritisch anmerken, dass unsere Botschaften in der Vergangenheit zu sehr wie ein Mantra geklungen haben.

Standard: Was meinen Sie?

Praet: In mancherlei Hinsicht sind Länder ähnlich, weil sie Teil einer Währungsunion sind, aber in vielerlei Hinsicht unterscheiden sie sich aufgrund ihrer nationalen Bedingungen. Es gibt also unterschiedliche Kombinationen von Strukturreformen, die funktionieren – es gibt kein Standardmodell. Dies müssen wir deutlich machen, weil sonst der Eindruck entsteht, dass die Bürger keine große Wahl haben. Wir müssen ihnen vermitteln, dass Reformen auch Vielfalt zulassen.

Ein Beispiel: Es reicht nicht aus, öffentlich zu sagen, dass der Arbeitsmarkt eines Landes flexibler werden muss. Ansonsten verstehen die Menschen darunter nur, dass Kündigungen erleichtert werden sollen. Dabei ist das falsch. In Deutschland zum Beispiel haben die Firmen Mitarbeiter nicht entlassen, nachdem die Nachfrage infolge der Krise 2008 dramatisch zurückgegangen war. Gewerkschaften haben Lohnkürzungen oder Kurzarbeit akzeptiert und damit einen schlimmeren Einbruch verhindert. Trotz gewisser Rigiditäten hat der Arbeitsmarkt somit sehr flexibel reagiert. Länder können wohlhabend und stabil sein, ohne dass sie alle die gleiche Politik machen müssten. Die USA und Schweden sind zwei gute Beispiele: Die Arbeitsmärkte sind dort sehr verschieden, trotzdem haben die Menschen in diesen Ländern einen hohen Lebensstandard.

Standard: Was Sie sagen klingt theoretisch gut. Aber die EZB hat in ihrer Rolle in der Troika von Portugal oder Griechenland immer verlangt, den Kündigungsschutz zu lockern und Kollektivverträge aufzuweichen. Viel Spielraum gab es nicht .

Praet: Unsere Aufgabe in der Troika besteht darin, die EU-Kommission bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Das ist technische Arbeit und am Ende trifft die Eurogruppe die politische Entscheidung darüber, in welche Richtung es geht. Denn sie repräsentiert die gewählten Regierungen und damit die europäischen Steuerzahler. Auch muss klar sein, dass nicht jede politische Lösung möglich ist, da Sozialsysteme finanzierbar bleiben müssen. Dennoch hoffe ich, dass in Zukunft ein stärkerer Fokus darauf liegen wird, den Ländern mehr Ownership an Reformprogrammen zu geben, sie sollen also in Eigenregie und eigenverantwortlich handeln.

Standard: Aber ist es möglich, ein Land umzukrempeln, während gespart wird?

Praet: Als die Krise zuschlug, erodierte das Vertrauen der Investoren in die Schuldentragfähigkeit mehrerer Länder. Die darauffolgende Anpassung der öffentlichen Finanzen wurde daher vor allem mit Blick auf die kurzfristigen Wirkungen durchgeführt. Oft wurden öffentliche Investitionen gekürzt und die Mehrwertsteuer erhöht, um eine rasche Verringerung der Schulden zu erreichen, auch wenn dadurch die Wachstumsaussichten belastet wurden. Einige Länder haben gleichzeitig aber sehr wohl erfolgreich reformiert, ihre Arbeitsmärkte sind flexibler geworden und ihre Banken wurden restrukturiert. Das war nicht leicht, und es war auch schmerzhaft. Inzwischen wachsen diese Länder aber wieder.

Standard: Aber sogar ihre Kollegen sagen, dass man nicht zu viel zu radikal sparen kann – etwa im Falle Griechenlands.

Praet: Allgemein möchte ich anmerken, dass die institutionellen Standards in vielen betroffenen Ländern besonders gering waren. Es gibt von der Weltbank ebenso wie vom IWF namhafte Rankings zu Good Governance und soliden Institutionen. Diese zeigen, dass ein klarer Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsleistung pro Kopf in einem Land und seinem Abschneiden bei diesen Rankings besteht. Einige Länder schneiden im Hinblick auf alle Kriterien in der Kategorie Good Governance sehr schlecht ab. Wettbewerbsfähigkeit lässt sich beispielsweise wiedererlangen, indem man die Produktion verbilligt. Aber solange sich das Geschäftsumfeld nicht verändert, werden die Ergebnisse nicht zufriedenstellend sein. Auf dieses Problem wurde bereits in den ersten Reformprogrammen hingewiesen. Dem Problem der institutionellen Standards wurde allerdings zu wenig Gewicht beigemessen.

Standard: Sie haben vorher von Ownership gesprochen: Das heißt aber, dass eine Regierung, die nicht an die Reformmaßnahmen glaubt, diese auch nicht umsetzen sollte.

Praet: Ich habe Ende der 1970er Jahre als Ökonom für den Währungsfonds gearbeitet. Damals wurden die Ansuchen um Hilfsgelder, die so genannten „Letter of Intent“ von IWF-Mitarbeitern vorformuliert, dann aber von den betroffenen Ländern später als ihre eigenen Briefe beim IWF eingereicht. Das war natürlich ungewöhnlich, obwohl ihr Inhalt das Ergebnis von Diskussionen war. Aber der IWF gab das Geld und stellte die Bedingungen – das war das damalige Verständnis von Ownership. Ich denke, dass wir daraus gelernt haben.

Standard: Das heißt aber im Falle Griechenlands: Egal, was die Linksregierung Syriza unterschreibt, es kann nicht funktionieren, solange sie nicht selbst daran glauben.

Praet: Ich will wegen der laufenden Verhandlungen nichts zu Griechenland sagen. Aber für solche Situationen gilt grundsätzlich, dass gegenseitiges Vertrauen und Glaubwürdigkeit entscheidend sind. Das heißt, wenn ein Land etwas zusagt, muss es diese Zusage auch umsetzen. Je glaubwürdiger ein Land ist, desto geduldiger können Gläubiger sein und ihr Vertrauen schenken. Das gilt für alle Länder: Wenn eine Regierung grundsätzlich Vertrauen genießt, bedeutet es nicht so viel, wenn eine vereinbarte Zahl in einem Jahr nicht exakt erreicht wird. Das Problem ist, dass die Situation verfahren wird, wenn dieses Vertrauen verloren geht, und die Gläubiger dann darauf drängen, sofort Zahlen und Ergebnisse zu sehen.

Standard: Der frühere EZB-Chef Trichet hat sich als reger Briefschreiber beteiligt: Er hat Irland einen Brief geschrieben und damit gedroht, dem Land die Hilfen zu streichen, wenn sie nicht ein Hilfsprogramm annehmen und Reformen zusagen. Er hat auch später auf die Berlusconi-Regierung in Rom und die Sozialisten in Spanien Druck ausgeübt. Ist das nicht eine Überschreitung des EZB-Mandats gewesen?

Praet: Ich möchte diese Briefe nicht kommentieren. Ich würde aber schon sagen, dass wir im Euroraum vor Ausbruch der Wirtschaftskrise zu wenig in Institutionen investiert haben, die in Notfallsituationen bereitgestanden wären. So waren Institutionen, die mit Bankenkrisen befasst sind, zu schwach.

Standard: Für Notenbanken ist Unabhängigkeit sehr wichtig. Muss man die Frage nun öffentlich auch mal andersherum stellen: Wie weit darf sich eine Notenbank in die Politik einmischen?

Praet: Ich würde es so sagen: Weil es bei Ausbruch der Krise keine ausreichend effektiven Institutionen für Krisenmanagement gab, konnte die EZB die möglichen Auswirkungen der Bankenkrise auf die Preisstabilität nicht einfach ignorieren. Angesichts ihres Mandats konnte die EZB dies nicht akzeptieren.

Standard: Der griechische Premier Tsipras hat diese Woche gesagt, es wäre eine Katastrophe, wenn sein Land den Euro verlässt, weil alle Welt sehen würde: Der Euro ist reversibel. Wie sehen Sie das?

Praet: Lassen Sie mich wiederholen, was Mario Draghi vor einer Woche in der Pressekonferenz der EZB gesagt hat: Der EZB-Rat will, dass Griechenland Mitglied der Währungsunion bleibt.

Standard: Herr Praet, wie fühlt man sich eigentlich so als Dieb?

Praet: Als Dieb?

Standard: Ja. So würden Sie viele in Österreich bezeichnen. Sie und ihre Kollegen bei der EZB haben schließlich die Zinsen de facto abgeschafft. Wer sein Geld aufs Sparbuch legt, bekommt dafür fast nichts mehr.

Praet: Ich bin mir sicher, dass die meisten Österreicher verstehen, dass unsere Geldpolitik die angemessene und notwendige Reaktion auf die schwache wirtschaftliche Lage und die außergewöhnlich niedrigen Inflationsraten ist, die weit unter dem geldpolitischen Ziel von unter, aber nahe 2 % liegen. Die niedrigen Zinsen waren für viele Sparer ein ernstes Thema. Für den Sparer sind aber nicht die nominalen Zinsen entscheidend, die wir unmittelbar beeinflussen. Für den Sparer zählen vielmehr die realen Zinsen – die Zinsen nach Abzug der Inflation. In der Vergangenheit gab es sehr lange Perioden, in denen die realen Zinsen deutlich niedriger waren als heute, einfach, weil die Inflation derart hoch war. Auch ist es auf längere Sicht der Zustand der Wirtschaft, der für die realen Erträge der Sparer entscheidend ist. Eine Zentralbank hat keinen Einfluss auf Faktoren, die die strukturelle Stärke einer Volkswirtschaft und damit die realen, also die inflationsbereinigten Zinsen bestimmen.

Standard: Das hilft Sparern heute wenig.

Praet: Auf mittlere und längere Sicht hilft unsere Geldpolitik den Sparern sehr wohl. Wir tragen unseren Teil dazu bei, dass die Wirtschaft sich erholt. Das wird die Inflationsrate zurück auf das angestrebte Niveau bringen und in der Folge auch das Zinsniveau normalisieren. Die niedrigen Zinsen sind also für einige eine kurzfristige Belastung, aber für alle langfristig ein Gewinn. Aber jeder in Europa hat ein Interesse daran, dass wir aus der aktuellen Situation, die von niedriger Inflation und geringem Wachstum gekennzeichnet ist, herauskommen. Das wird uns gelingen. Aber die Krise war derart stark, dass dieser Prozess einige Jahre dauert.

Standard: Es gibt Ökonomen, die davon sprechen, dass es höhere Zinsen auf Jahre hinaus nicht geben wird.

Praet: Es gibt immer die Kassandras, die alles schlecht reden, aber …

Standard: Kassandra hatte Recht mit ihren Warnungen.

Praet: Prophezeiungen, die Menschen verängstigen und deshalb zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden, können gefährlich sein.

Standard: Die EZB hat im Jänner 2016 damit begonnen, Staatsanleihen im großen Stil zu kaufen. Haben Sie irgendeinen Beleg dafür, dass dieses Quantitative-Easing-Programm wirkt?

Praet: Ja. Der erste Effekt ist, dass wir ein klares Signal gegeben haben. Als wir die Zinsen gesenkt haben, haben sich die Kreditbedingungen für Unternehmen in einigen Ländern rasch verbessert. Jetzt, vor dem Hintergrund von Quantative Easing, haben sich die Kredite für Unternehmen und den Staatssektor insgesamt deutlich verbilligt.

Standard: Österreich hat als erstes Land in Europa ein Bail-in gestartet, im Fall der Hypo Alpe Adria. Warum unterstützen die europäischen Institutionen das nicht stärker – es wurde Jahrelang darum gekämpft, Bail-in einzuführen.

Praet: Wir unterstützen die Bail-in-Klausel in der europäischen Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten. Zu Einzelfällen, die nicht unter die Aufsicht des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus fallen, kann ich mich nicht äußern.

KONTAKT

Europäische Zentralbank

Generaldirektion Kommunikation

Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.

Ansprechpartner für Medienvertreter