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Stabilität und Wohlstand in der Währungsunion

2. Januar 2015

Opinion piece by Mario Draghi, President of the ECB, for Project Syndicate, 2 January 2015

Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass der Euroraum eine Währungsunion ohne eine politische Union sei. Dabei wird grundlegend missverstanden, was eine Währungsunion eigentlich bedeutet. Die Währungsunion ist nur möglich, weil wir bereits eine beachtliche Integration zwischen den Ländern der Europäischen Union erreicht haben – und die gemeinsame Währung vertieft diese Integration weiter.

Wenn sich die Europäische Währungsunion als widerstandsfähiger erwiesen hat, als viele gedacht hatten, liegt das allein daran, dass die Zweifler diese politische Dimension falsch beurteilt hatten. Sie hatten unterschätzt, wie eng die Verbindungen zwischen den Mitgliedern waren, wie viel sie gemeinsam investiert hatten – und wie groß ihre Bereitschaft sein würde, Probleme gemeinsam zu lösen, wenn es wirklich darauf ankommen sollte.

Es ist jedoch auch klar, dass unsere Währungsunion noch nicht vollendet ist. Diese Diagnose stellten vor zwei Jahren die sogenannten „vier Präsidenten“ (der Präsident des Europäischen Rates in enger Zusammenarbeit mit den Präsidenten der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Eurogruppe). In einigen Bereichen wurden wichtige Fortschritte erzielt, in anderen hingegen ist die Arbeit noch nicht abgeschlossen.

Was aber bedeutet das: eine Währungsunion zu „vollenden“? Es bedeutet vor allem, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Währungsunion ihren Mitgliedern mehr Stabilität und Wohlstand bringt. Sie müssen innerhalb der Währungsunion besser dastehen als außerhalb.

In anderen Fällen beruht der Zusammenhalt der politischen Union auf einer starken gemeinsamen Identität; häufig wird er aber auch durch dauerhafte Finanztransfers gefestigt, wodurch Einkommensunterschiede zwischen reicheren und ärmeren Regionen ex post ausgeglichen werden. Im Euroraum sind derartige einseitige Transferzahlungen zwischen Ländern nicht vorgesehen (es gibt Transfers im Rahmen der Kohäsionspolitik der EU, jedoch in begrenztem Umfang und in erster Linie, um Länder oder Regionen mit einem niedrigeren Einkommensniveau beim Aufholprozess zu unterstützen). Wir müssen also einen anderen Weg wählen, damit alle Länder innerhalb des Euroraums auf Dauer besser dastehen als außerhalb.

Dies setzt im Wesentlichen zwei Dinge voraus. Als Erstes müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich alle Länder unabhängig voneinander erfolgreich entwickeln können. Jedes Mitglied muss in der Lage sein, komparative Vorteile im Binnenmarkt zu nutzen, Kapital anzuziehen und Arbeitsplätze zu schaffen. Außerdem brauchen alle Länder die nötige Flexibilität, um schnell auf kurzfristige Schocks reagieren zu können. Hierzu bedarf es Strukturreformen, die Wettbewerb fördern, Bürokratie abbauen und die Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte erhöhen.

Bislang war es weitgehend Sache der einzelnen Länder, sich für oder gegen derartige Reformen zu entscheiden. In einer Union wie der unseren besteht jedoch ein klares gemeinsames Interesse. Die Länder des Euroraums sind voneinander abhängig, was das Wachstum angeht. Noch grundlegender gilt aber: Wenn mangelnde Strukturreformen zu einer dauerhaften Divergenz innerhalb der Währungsunion führen, geht das Schreckgespenst vom Austritt um – und darunter haben am Ende alle Mitglieder zu leiden.

Im Euroraum hängen Stabilität und Wohlstand jedes einzelnen Landes vom wirtschaftlichen Erfolg aller Mitglieder ab. Deshalb sprechen gewichtige Argumente dafür, die Souveränität in diesem Bereich gemeinsam auszuüben – im Rahmen einer echten Wirtschaftsunion. Dies beinhaltet mehr als nur die Stärkung bestehender Verfahren. Es geht um eine gemeinsame Governance – darum, von der Koordination zur gemeinsamen Beschlussfassung überzugehen und von Regeln zu Institutionen.

Als zweite Anforderung ergibt sich aus den fehlenden Finanztransfers, dass die Länder stärker in andere Mechanismen investieren müssen, die eine Aufteilung der Kosten von Schocks ermöglichen. Selbst bei flexibleren Volkswirtschaften wird die interne Anpassung immer langsamer gelingen als über einen eigenen Wechselkurs. Eine Verteilung der Risiken ist deshalb unabdingbar, um zu verhindern, dass Rezessionen bleibende Spuren hinterlassen und dazu beitragen, dass die Volkswirtschaften noch weiter auseinanderdriften.

Die Lösung besteht im Wesentlichen darin, durch eine Vertiefung der Finanzmarktintegration eine bessere Risikobeteiligung des Privatsektors zu ermöglichen. Je weniger wir nämlich den öffentlichen Sektor an den Risiken beteiligen wollen, desto höher muss die Risikobeteiligung des Privatsektors sein. Die Bankenunion im Euroraum sollte als Katalysator für eine stärkere Integration des Bankensektors dienen. Risikobeteiligung setzt aber auch eine Vertiefung der Kapitalmärkte voraus, insbesondere der Aktienmärkte. Deshalb müssen wir auch bei der Kapitalmarktunion rasch vorankommen.

Gleichwohl müssen wir auch die zentrale Rolle anerkennen, die der Finanzpolitik in einer Währungsunion zukommt. Eine auf Preisstabilität im Euroraum ausgerichtete einheitliche Geldpolitik kann nicht auf Schocks reagieren, die nur ein Land oder eine Region betreffen. Um also anhaltende lokale Wirtschaftskrisen zu vermeiden, ist es unbedingt notwendig, dass die Finanzpolitik in den jeweiligen Ländern ihrer Stabilisierungsfunktion gerecht wird.

Damit aber die nationalen fiskalischen Stabilisatoren ihre Wirkung entfalten können, müssen sich die Staaten in wirtschaftlich angespannten Zeiten zu erschwinglichen Konditionen Geld leihen können. Ein starker finanzpolitischer Steuerungsrahmen ist hierfür unverzichtbar und schützt die Länder vor Ansteckung. Die Erfahrungen aus der Krise haben jedoch gezeigt, dass in Zeiten extremer Marktspannungen selbst eine solide finanzielle Ausgangslage keinen absoluten Schutz vor Ansteckungseffekten bietet.

Dies ist ein weiterer Grund, warum wir die Wirtschaftsunion brauchen: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Märkte negativ auf vorübergehend höhere Defizite reagieren, wäre geringer, wenn mehr Zuversicht hinsichtlich der Wachstumsaussichten herrschen würde. Indem die Wirtschaftsunion die Regierungen zu Strukturreformen verpflichtet, macht sie glaubhaft, dass die Länder tatsächlich durch Wachstum ihre Verschuldung überwinden können.

Wirtschaftliche Konvergenz der Länder kann schließlich nicht nur ein Beitrittskriterium für die Währungsunion sein oder eine Bedingung, die zeitweise erfüllt ist. Sie muss eine Bedingung sein, die stets erfüllt ist. Deshalb müssen wir – um die Währungsunion zu vollenden – letztlich die politische Union weiter vertiefen und ihre Rechte und Pflichten in einer neuen institutionellen Ordnung verankern.

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