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Interview mit Börsen-Zeitung

18. September 2013

Interview mit Benoît Cœuré, Mitglied des Direktoriums der EZB, und Joachim Nagel, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank,
geführt von Mark Schrörs von der Börsen-Zeitung am 12. September 2013, Datum der Veröffentlichung: 18. September 2013

Herr Cœuré, Herr Nagel, Ex-US-Finanzminister Henry Paulson warnt bereits vor einer neuen Finanzkrise. Die Superzentralbank BIZ spricht mit Blick auf jüngste Marktentwicklungen von „Erinnerungen an den Überschwang vor der weltweiten Finanzkrise“. Bereiten wir gerade den nächsten Finanzcrash vor?

Nagel: Eine lange Phase niedriger Zinsen erhöht die Gefahr, dass Marktteilnehmer auf die so genannte „Jagd nach Rendite“ gehen. Durch Übertreibungen an den Märkten können Risiken für die Finanzstabilität entstehen. Das müssen wir als Zentralbanken sehr genau im Blick behalten. Das gilt umso mehr, als wir nun auch im Bereich der makroprudenziellen Aufsicht eine wesentliche Verantwortung tragen. Aktuell halte ich das Risiko eines von Ihnen beschriebenen Finanzcrashs für gering.

Cœuré: Im Moment bin ich weniger besorgt als die BIZ. Wobei ich über die Gegenwart spreche und nicht über die Zukunft. Künftig müssen wir sehr vorsichtig sein.

Was meinen Sie genau? Die BIZ sorgt vor allem, dass sich durch die historisch niedrigen Renditen Kreditzinsspannen einengen und es zu einem erhöhten Absatz von risikoreicheren Anleihen kommt.

Cœuré: Wir wissen, dass bei reichlich vorhandener Liquidität das Risiko von Vermögenspreisblasen besteht. Da müssen wir sehr wachsam bleiben. Zugleich gilt es aber auch zu bedenken, dass sich der gesamte regulatorische Rahmen radikal verändert hat. Vor 2007 haben sich Banken und andere Finanzakteure Geld geliehen, um in riskante Vermögenswerte zu investieren. Jetzt ist diese Möglichkeit für Banken sehr eingeschränkt worden. Und mit Basel III bekommen wir noch höhere Eigenkapitalvorschriften und die Verschuldungsquoten. Aber das ist kein Grund, sich zurückzulehnen.

In Deutschland fürchten viele eine Blase am Immobilienmarkt.

Nagel: Wir haben mehrfach betont, dass wir die Preisentwicklung am Wohnimmobilienmarkt sehr genau beobachten. In den vergangenen Jahren stiegen die Preise in Deutschland deutlich – vor allem in Ballungsräumen. Preisübertreibungen sind allerdings aktuell nicht auszumachen. Momentan sehen wir daher keine akuten Risiken für die Finanzstabilität.

Und wie sieht es im Euroraum als Ganzes aus, Herr Cœuré?

Cœuré: Derzeit fließt die zusätzliche Liquidität, die die EZB zur Bekämpfung der Krise geschaffen hat, wieder an sie zurück. Deswegen sehen wir kein Risiko für Blasen und noch weniger für Inflation. Wenn sich die Lage aber bessert und die Liquidität ihren Weg in die Realwirtschaft findet, könnte sich das ändern. Sobald wir das Risiko von Blasen oder Inflation sehen, müssen wir damit beginnen, Liquidität abzuschöpfen. Aber das liegt wie gesagt noch in weiter Ferne.

Sie haben die verschärften Regeln für Banken angesprochen. Aber es gibt andere Bereiche, die weniger oder gar nicht reguliert sind – wie der Schattenbanksektor.

Nagel: Wenn ein Bereich stark reguliert ist und ein anderer wenig, kann es den Anreiz geben auszuweichen. Durch Kreditintermediation außerhalb der Sphäre der Bankenregulierung können systemische Risiken entstehen. Diese Risiken müssen wir identifizieren und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen.

Ein großes Thema für die Märkte ist der avisierte erste Schritt der US-Notenbank Richtung Ausstieg aus der ultra-lockeren Geldpolitik („tapering“). Das hat bereits für Turbulenzen gesorgt. Wie groß ist die Gefahr, dass sich diese verstärken, wenn es soweit ist?

Cœuré: Ich denke, dass sich die Fed sehr bewusst ist, wie wichtig ein reibungsloser Übergang Richtung Exit ist. Wir haben volles Vertrauen in die Fed, dass sie die Märkte durch diesen Prozess steuern wird.

Aber die vergangenen Wochen waren nicht „reibungslos“, oder? Die Renditen etwa für zehnjährige US-Staatsanleihen haben stark angezogen und mit ihnen die Kapitalmarktzinsen weltweit – nicht zuletzt auch im Euroraum.

Nagel: Bei der Betrachtung der Renditen müssen wir schauen, wo wir herkommen. Die Renditen waren auf sehr niedrigen Niveaus. Sicher gab es einen Anstieg, aber ich würde ihn nicht als übertrieben charakterisieren.

Sorgen vor einem Bondcrash wie 1994 sind also übertrieben?

Nagel: Der IWF hat vor einer Wiederholung von 1994 gewarnt, als eine abrupte Ände-rung der Fed-Politik erfolgte. Die 2-jährige Treasury Rendite stieg damals innerhalb von einem Jahr um fast 400 Basispunkte und es kam 1995 zu einem Wachstumseinbruch. Der jüngste Zinsanstieg ist aber eher eine Normalisierung von den zuvor sehr niedrigen Werten, als eine Wiederholung von 1994. Anfangs gab es durch die Tapering-Debatte vielleicht ein gewisses Überschießen der Märkte. Aber jetzt verstehen die Marktakteure besser, was die Fed vorhat. Und die Fed kennt die Märkte sehr gut. Ich mache mir keine Sorgen über das, was die Fed tut.

Cœuré: Wir müssen den Unterschied zwischen dem kurzen und dem langen Ende der Zinsstrukturkurve des Euroraums sehen. Das lange Ende ist seit jeher getrieben von Arbitrage und den Aktivitäten der Marktteilnehmer – und das werden wir nicht unterdrücken. So funktionieren internationale Kapitalmärkte. Was für uns wirklich zählt, ist das kurze Ende. Dort wollen wir nicht, dass Schocks von außerhalb des Eurogebiets die Geldmarktsätze auf Niveaus treiben, die nicht zur Lage der Wirtschaft des Euroraums passen. Das ist der Grund, warum wir beschlossen haben, Forward Guidance zu geben: um sicherzustellen, dass die Geldmarktsätze weiterhin zu den wirtschaftlichen Fundamentaldaten des Eurogebiets passen.

So recht überzeugt scheinen die Marktteilnehmer aber nicht zu sein. Die Geldmarktsätze wie Eonia liegen höher als vor dem Beginn der Tapering-Debatte.

Nagel: Sind sie wirklich nicht überzeugt? Ich würde gerne eine Gegenfrage stellen: Wo würde Eonia heute liegen ohne die Guidance?

Cœuré: Genau. Wir haben bereits eine gewisse Entkopplung von US- und Euro-Geldmarktsätzen beobachtet, was das Ergebnis der Forward Guidance ist. Aber natürlich steht der eigentliche Test noch aus.

Das heißt?

Cœuré: Unsere Forward Guidance soll die Wirtschaft des Euroraums während der gesamten Erholungsphase schützen. Wenn die Fed – wie beabsichtigt – mit der allmählichen Rücknahme der quantitativen Lockerung beginnt, wird das Einfluss auf die gesamte Weltwirtschaft haben. Dann soll die Guidance unsere Wirtschaft schützen. Das ist ihr Zweck: Wir sehen den Wert der Guidance nicht nur in dem, was seit Juli passiert ist. Noch wichtiger ist, was während der Dauer der Forward Guidance geschehen wird, also über einen längeren Zeitraum.

Und was ist, wenn die Sätze weiter steigen, aber wie zuletzt nicht nur wegen des US-Einflusses, sondern wegen besserer Konjunkturdaten aus dem Euroraum selbst?

Cœuré: Wir beobachten diesen Aspekt in einem Umfeld, in dem die globalen Finanzmärkte generell eine höhere Volatilität aufweisen, sehr aufmerksam. Wir wollen sicherstellen, dass die Geldmarktsätze nicht überreagieren – auch nicht auf positive Wirtschaftsdaten des Eurogebiets. Ihre Reaktion soll weiterhin zur wirtschaftlichen Lage passen.

Aber klar ist: Die EZB zielt auf die – kurzfristigen – Geldmarktsätze, weniger auf die – langfristigen – Anleihezinsen, korrekt?

Nagel: Das ist die Tradition der Geldpolitik im Euroraum. Wir sind fokussiert auf das kurze Ende der Kurve. Dort wollen wir jetzt auch mit unserer Forward Guidance die Erwartungen stabilisieren. Die Forward Guidance kann dazu beitragen, Unsicherheit über die weitere Leitzinsentwicklung zu reduzieren, und damit auch stabilisierend auf die längerfristigen Zinssätze wirken.

Cœuré: Ich würde in diesem Zusammenhang gerne noch einen Grund anführen: Wir brauchen am langen Ende der Kurve einen funktionierenden Markt. Eines der Probleme vor der Krise war die mangelnde Preisdifferenzierung an den Anleihemärkten sowohl in Bezug auf private als auch auf öffentliche Emittenten. Damals gab es de facto keine Marktdisziplin mehr. Das hat dem Euroraum nicht gut getan. Wenn man darüber nachdenkt, wie das Eurogebiet nach der Krise aussehen und funktionieren sollte, wäre sicher ein wünschenswertes Merkmal, dass die Marktdisziplin funktioniert und am langen Ende der Kurve effektiv ist. Ich bin nicht der Auffassung, dass Zentralbanken oder öffentliche Institutionen die langfristigen Zinsen steuern sollten.

Manche Kritiker der Guidance sagen aber, dass die Zentralbanken auch am kurzen Ende keine „Feinsteuerung“ betreiben sollten.

Nagel: Ganz ehrlich, das Argument verstehe ich überhaupt nicht. Diese „Feinsteuerung“ war doch vor der Krise viel größer als heute. Wir haben bei unseren Refinanzierungsgeschäften und Feinsteuerungsoperationen im Vor-Krisen-Regime den Liquiditätsbedarf stets so geschätzt, dass Eonia am Ende möglichst nah am Hauptrefinanzierungssatz lag.

Cœuré: Es ist normal, dass Zentralbanken die kurzfristigen Geldmarktsätze beobachten. Dabei geht es um die Transmission unserer Geldpolitik. Das ist unser Kerngeschäft. Doch je weiter wir uns an der Zinskurve vom kurzen Ende entfernen, desto weniger legitim ist es für Zentralbanken, Preise zu beeinflussen und die Rolle der Marktkräfte auszuüben.

Wo Sie die Beeinflussung von Marktpreisen ansprechen: In den vergangenen Jahren haben die Zentralbanken enorme Mengen Liquidität in die Märkte gepumpt Das hat doch Preismechanismen ausgeschaltet. Kommt man da ohne Verwerfungen wieder heraus?

Cœuré: Sie haben vollkommen recht. Die Zentralbanken rund um den Globus – die Fed, die Bank of England, die Bank of Japan und wir als EZB – haben gemeinsam den Märkten so viel Liquidität zugeführt, dass wir zu einem gewissen Grad Preismechanismen unterdrückt haben. Aber diese Phase wird enden. Die Marktteilnehmer müssen deshalb wieder lernen, Risiken richtig zu bepreisen. Und sie müssen sich wieder an den Gedanken gewöhnen, dass sich Märkte in beide Richtungen entwickeln können – nach oben und nach unten.

Die Turbulenzen um die Tapering-Debatte lassen befürchten, dass dieser Lernprozess schwierig werden könnte.

Nagel: Finanzmärkte haben immer ein wenig die Tendenz zu Übertreibungen. Aber alles in allem habe ich den Eindruck, dass der Lernprozess voranschreitet.

Cœuré: Ein Beleg dafür scheint mir die Situation in den Schwellenländern zu sein. Die Anpassung der Märkte gestaltet sich in den Volkswirtschaften unterschiedlich. Länder mit besseren Fundamentaldaten sind weniger betroffen. Die Märkte schauen also auf Fundamentaldaten und unterscheiden wieder. Das ist ein gutes Zeichen. Wir brauchen richtig funktionierende Märkte.

Nagel: Die Unruhe um den Fed-Ausstieg war insofern vielleicht sogar ganz hilfreich.

Inwiefern?

Nagel: Sie hat die Marktteilnehmer daran erinnert: Vergesst nicht, dass es irgendwann in der Zukunft einen Ausstieg aus der unkonventionellen Geldpolitik geben wird.

Cœuré: Ja, das war eine nützliche Erinnerung.

Nagel: Mitunter haben wir das Gefühl, dass sich die Banken zu sehr an die Ausnahmesituation gewöhnen. Die Gefahr besteht darin, dass sie ihre Geschäftsmodelle in eine Richtung ändern, die wir nicht gutheißen. Banken müssen klar verstehen, dass die derzeitige Geldpolitik eine absolute Ausnahme ist: Das Mandat der EZB ist die Geldwertstabilität - und daran orientiert sich der EZB-Rat in seiner Zinspolitik. Er rechnet damit, dass die wirtschaftliche Perspektiven im Euro-Raum und damit auch die Aussichten für die Preisstabilität noch eine Weile gedämpft bleiben. Ich gehe aber nicht davon aus, dass die Zinsen über Jahre hinweg niedrig sein werden. Auch weil der konjunkturelle Impuls der ultralockeren Geldpolitik mit ihrer Dauer abnimmt und die Risiken für die Finanzstabilität zunehmen. Unbegrenzte Liquidität zum festen Zins – das wird nicht die Realität in der Zukunft sein.

Cœuré: Das gilt nicht nur für Banken, sondern eben für alle Marktteilnehmer. In der Krise waren Zentralbankmaßnahmen erforderlich, um einen Kollaps des Systems zu verhindern und um die Preisstabilität zu wahren. Aber wir werden diese Maßnahmen wieder zurücknehmen. Und die Marktteilnehmer werden künftig wieder mit höheren Zinsniveaus leben müssen. Mit unseren Entscheidungen haben wir ihnen Zeit gegeben. Diese Zeit müssen sie dazu nutzen, um sich vorzubereiten und um ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken. Aber mir ist in diesem Kontext noch etwas anderes wichtig.

Und das wäre?

Cœuré: Der Zeitplan für den Ausstieg ist in den USA ein ganz anderer als im Euroraum. Für unsere Wirtschaft käme ein Exit zu diesem Zeitpunkt viel zu früh. Unsere Einschätzung ist, dass sich die wirtschaftliche Erholung ganz allmählich vollziehen wird. Wir brauchen nach wie vor ein hohes Maß an geldpolitischer Akkommodierung, um die Erholung zu beschützen. Anders gesagt: nehmen wir dem Patienten nicht die Krücken weg, bevor er nicht alleine aufstehen und laufen kann.

Nagel: Da stimme ich hundertprozentig zu. Gegeben die gedämpften Inflationsaussichten für den Euro-Raum ist der geldpolitische Kurs auf absehbare Zeit angemessen. Deswegen auch unsere Guidance. Genauso klar aber ist: Wenn neue Daten zu einem veränderten Ausblick für die Preisniveaustabilität führen, werden wir auch die geldpolitische Ausrichtung anpassen. Die Forward Guidance bedeutet keinen Paradigmenwechsel in der Geldpolitik der EZB und vor allem kein unbedingtes Versprechen, die Notenbankzinsen auf längere Zeit niedrig zu halten.

Cœuré: Und just deshalb haben wir unsere Guidance so gegeben, wie wir sie gegeben haben. Wir haben ein einziges Ziel und das ist die mittelfristige Preisstabilität. Wenn wir Aufwärtsrisiken für die mittelfristige Preisstabilität sehen, werden wir aus der Guidance aussteigen.

Neben der Forward Guidance beschäftigen die Märkte die Zukunft des Staatsanleihekaufprogramms OMT und das bevorstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Welche Folgen hätte es für die Märkte, falls Karlsruhe OMT enge Grenzen setzt?

Nagel: Es ist nicht hilfreich, über die Entscheidung des Gerichts zu spekulieren. Es ist davon auszugehen, dass wir ein rechtlich ausgewogenes Ergebnis des laufenden Verfahrens sehen werden. Die Bundesbank selbst hat ihre Kritik an OMT klar ausgedrückt und hält auch an ihren Vorbehalten fest. Die Durchführung von OMTs bringt Risiken mit sich, die uns jederzeit bewusst sein müssen.

Herr Cœuré, teilen Sie diese Einschätzung?

Cœuré: Ich möchte ebenfalls keine Spekulationen anstellen. Wir im Direktorium der EZB sind der Meinung, dass wir die potenziellen Risiken – auch jene, auf die die Bundesbank hingewiesen hat – ermittelt und durch die Ausgestaltung des Programms abgemildert haben. OMT hat dazu beigetragen, das Risiko eines unbeabsichtigten Euroraum-Ausstiegs einzelner Länder zu beseitigen. Dieser hätte eine Gefahr für die Preisstabilität dargestellt und katastrophale Folgen haben können. Die nach der Ankündigung von OMT an den Finanzmärkten festzustellende Verbesserung hat überdies die Abhängigkeit der Banken von EZB-Liquidität verringert, wodurch die Risiken in der Bilanz der EZB zurückgegangen sind. Man kann viel spekulieren über die potenziellen Risiken von OMT. Aber Fakt ist, dass OMT das Risiko für die EZB und für ihre Anteilseigner reduziert hat. Allerdings, rein juristisch ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die EZB als EU-Organ nicht bindend.

Das wäre nur ein Urteil des EU-Gerichtshofs. Aber Karlsruhe könnte über den Umweg ESM und Bundestag de facto Grenzen setzen.

Cœuré: Ich möchte hier wirklich keine Spekulationen anstellen, das ist neues Terrain.

Der niederländische Notenbankchef Klaas Knot sagt, dass OMT noch zehn Jahre lang nötig sein könnte, weil früher die Schulden der Euro-Ländern nicht ausreichend abgebaut seien.

Cœuré: OMT ist ein sehr eng gefasstes Instrument zur Bekämpfung eines sehr spezifischen Risikos, des sogenannten Redenominierungsrisikos. Darunter ist zu verstehen, dass die Märkte fälschlicherweise erwarten, dass ein Land aus dem Eurogebiet ausscheidet. Die Wahrscheinlichkeit, dass OMT zum Einsatz kommt, ist gering, doch es wird uns erhalten bleiben. Ich sehe auch keinen Grund für eine Änderung der Konditionalität. Sie ist, wie sie ist. Jetzt ist es an den Ländern zu entscheiden, ob sie sich dem unterwerfen wollen.

Irland will einen vorsorglichen ESM-Kredit beantragen, um die Rückkehr an die Märkte abzusichern. Könnte die EZB OMT aktivieren und Anleihen kaufen, bevor der Kredit gezogen wird?

Cœuré: Wenn die Eurogruppe einem entsprechenden ESM-Programm zugestimmt hat, kann der EZB-Rat OMT aktivieren. Die Kreditlinie muss nicht erst gezogen werden. Diese Entscheidung trifft der EZB-Rat in vollkommener Unabhängigkeit.

Kommen wir zu einem anderen Thema: den Sicherheitenrahmen der EZB. Zuletzt hat es immer wieder Probleme gegeben, weil einzelne nationale Notenbanken zu lax waren bei der Zulassung und Bewertung solcher Papiere.

Cœuré: Die EZB und das Eurosystem sind einzigartig in dem Sinne, dass wir für 17, bald 18 Länder zuständig sind, die sehr unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen, vertragliche Standards und Marktstrukturen haben. Das schafft Komplexität. Wir müssen in allen Ländern für Wettbewerbsgleichheit sorgen. Zugleich verändern sich die Marktstrukturen laufend. Und um es klar zu sagen: Es besteht immer die Gefahr, dass Marktteilnehmer versuchen, unsere Regeln zu umgehen.

Und was folgt daraus?

Cœuré: Zum einen: Wir brauchen im EZB-Rat einen gemeinsamen Willen, um sicherzustellen, dass unsere Regeln einheitlich angewendet werden. Diesen Willen sehe ich. Zum anderen: Wir müssen die Marktentwicklungen laufend beobachten und unseren Rahmen anpassen, damit die Marktteilnehmer ihn nicht umgehen können.

Nagel: Der gemeinsame Sicherheitenrahmen muss in allen Zentralbanken auf die gleiche Art und Weise verstanden und angewendet werden. Alle Zentralbanken müssen das gleiche Interesse haben: das Risiko bei unseren Ausleihgeschäften zu reduzieren. Wenn es einen Verlust gibt, ist es ein Verlust für alle. Im Übrigen überprüft der EZB-Rat regelmäßig die Angemessenheit der Risikokontrollmaßnahmen des Sicherheitenrahmens.

Aber der Vorwurf ist nicht nur, dass Marktteilnehmer Regeln umgehen, sondern auch, dass nationale Zentralbanken zumindest Schlupflöcher nutzen, um ihren heimischen Banken zu helfen.

Cœuré: Ich würde den nationalen Zentralbanken keine Schuld zuweisen. Den gemeinsamen Willen des EZB-Rats kann man ja auch daran ablesen, dass er einstimmig beschlossen hat, eine Compliance-Einheit in der EZB und ein Netzwerk aus Experten für das Thema Sicherheiten zu schaffen. Diese Fachleute sollen jede Inkonsistenz und jeden Fehler in unserer Datenbank der notenbankfähigen Vermögenswerte überprüfen und darüber Bericht erstatten.

Nagel: Unsere Datenbank umfasst rund 40.000 marktfähige Sicherheiten, die wir auf täglicher Basis bewerten müssen. Dies ist auch historisch bedingt, da durch einen breiten Sicherheitenrahmen sichergestellt werden sollte, dass Banken aus allen Teilnehmerländern an Refinanzierungsoperationen des Eurosystems teilnehmen können. Es ist kein großes Geheimnis, dass das eine Herausforderung ist. Besonders in Krisenzeiten ist das mitunter sehr schwierig. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass unsere Bilanz in dieser Zeit gut ist – mit einigen wenigen Ausnahmen.

Wäre es dann nicht das Beste, das Rahmenwerk zu vereinfachen?

Cœuré: Für die Zukunft sollten wir anstreben, es so weit wie möglich zu vereinfachen. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass es für die ordnungsgemäße Durchführung unserer Geldpolitik wichtig ist, dass eine gute Verfügbarkeit von Sicherheiten für unsere Geschäftspartner im gesamten Euroraum besteht. Deshalb wurde das Rahmenwerk während der Krise noch komplexer.

Und solange wird es Fehler geben?

Cœuré: Wir werden tun, was wir können, um Fehler zu vermeiden. Wichtig ist, dass bisher kein Fehler dazu geführt hat, dass das Eurosystem einem Finanzinstitut zu viel Geld geliehen hat. Alle Geschäfte sind übersichert.

Nagel: Wo Fehler passiert sind, haben wir sie abgestellt. Wo Schlupflöcher aufgetaucht sind, haben wir sie geschlossen. Wir ziehen permanent die Lehren aus unseren Erfahrungen.

Stichwort Lehren: Wie wird der Sicherheitenrahmen und der Rahmen für geldpolitische Operationen nach der Krise aussehen?

Cœuré: Es ist zu früh, dass zu sagen. Zum einen sind wir noch nicht im Exit-Modus. Zum anderen gilt es abzuwarten, wie dann die Märkte und die Regulierung aussehen. Meine persönliche Meinung ist, dass wir das Ziel haben sollten, irgendwann die temporären Maßnahmen wieder zurückzunehmen. Aber es ist denkbar, dass wir einige dieser Vermögenswerte, z. B. die zusätzlichen Kreditforderungen, dauerhaft in unsere Liste aufnehmen. Aber dann natürlich mit gemeinsamer Kontrolle.

Nagel: Ich sehe die Additional Credit Claims (ACC) kritisch, da sie mit einem Risiko verbunden sind und ich speziell die Fragmentierung des geldpolitischen Handlungsrahmens sehr bedauerlich finde. Deshalb befürwortet die Bundesbank eine möglichst rasche Rückführung der ACC-Frameworks, sobald die Lage auf den Finanzmärkten dies erlaubt. Erweiterungen des allgemeinen Sicherheitenrahmens sind möglich sofern die bisherigen hohen Bonitätsstandards des Eurosystems erhalten bleiben. Künftig sehe ich vor allem zwei Entwicklungen: Die längerfristige Refinanzierung von Banken wird eine größere Bedeutung einnehmen. Dies auch aufgrund neuer bankenaufsichtlicher Regelungen. Und der unbesicherte Geldmarkt wird sicher nicht mehr das Gewicht haben wie vor der Krise.

Manche Beobachter sagen, die EZB solle vor allem ihren Sicherheitenrahmen weniger mit Blick auf die Risikokontrolle sehen, sondern als geldpolitisches Instrument – auch um auf länderspezifische Probleme einzugehen.

Nagel: Bei dem Sicherheitenrahmen geht es nicht um Geldpolitik an sich, sondern um die Implementierung der Geldpolitik. Würden unterschiedliche länderspezifische Sicherheitenanforderungen eingeführt, würde dies auf Grund der Risikoteilung letztlich eine Umverteilung von finanziellen Risiken zwischen den Ländern bedeuten.

Cœuré: Genau. Der Sicherheitenrahmen ist kein geldpolitisches Instrument an sich. Bei diesen Entscheidungen geht es nicht darum, einem Land Liquidität zuzuführen und einem anderen Liquidität zu entziehen. Wenn in einigen Ländern Engpässe in Bezug auf Sicherheiten bestehen, ist das problematisch. Dann müssen wir uns das anschauen. Aber, und das betone ich: Ich sehe keinen Trade-off zwischen solchen Überlegungen und der Kontrolle der Risiken – wir müssen beides erreichen. Wir werden unseren Rahmen nicht ausweiten, um die Transmission der Geldpolitik zu verbessern, wenn das zu Lasten der Risikokontrolle geht. Das wäre nicht richtig.

Die Beobachter argumentieren, die EZB könne doch auch mit negativem Kapital funktionieren.

Nagel: Es ist allgemein akzeptiert, dass eine Zentralbank mit negativem Kapital funktionieren kann. Aus Sicht der Bundesbank wäre das allerdings ein schlimmes Signal.

Cœuré: Das ist genau die richtige Antwort: Aus technischer und rechtlicher Sicht könnte die EZB mit einem negativen Kapital funktionieren. Dies darf allerdings nicht passieren, da sonst das Vertrauen in die EZB und den Euro untergraben würde.

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