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Document 52007AB0011

Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 13. April 2007 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Ermittlung und Ausweisung kritischer europäischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern (CON/2007/11)

OJ C 116, 26.5.2007, p. 1–4 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

26.5.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 116/1


STELLUNGNAHME DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK

vom 13. April 2007

zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Ermittlung und Ausweisung kritischer europäischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern

(CON/2007/11)

(2007/C 116/01)

Einleitung und Rechtsgrundlage

Am 23. Januar 2007 wurde die Europäische Zentralbank (EZB) vom Rat der Europäischen Union um Stellungnahme zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Ermittlung und Ausweisung kritischer europäischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern (nachfolgend der „Richtlinienvorschlag“), ersucht (1). Der Richtlinienvorschlag legt ein Verfahren zur Ermittlung und Ausweisung kritischer europäischer Infrastrukturen (KEI) fest, deren Störung oder Zerstörung schwerwiegende Auswirkungen auf zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder einen anderen Mitgliedstaat, als dem, in dem sie sich befinden, zur Folge hätte. Die Zuständigkeit der EZB zur Abgabe einer Stellungnahme beruht auf Artikel 105 Absatz 4 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Diese Stellungnahme wurde gemäß Artikel 17.5 Satz 1 der Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank vom EZB-Rat verabschiedet.

1.   Allgemeine Anmerkungen

1.1

Die EZB erklärt ihre volle Unterstützung für das Ziel des Richtlinienvorschlags, die Koordinierung der Maßnahmen zu stärken, die in den unterschiedlichen einschlägigen Sektoren der Europäischen Union für die Prävention, Abwehrbereitschaft und Reaktionsfähigkeit bei Bedrohungen, insbesondere terroristischen Anschlägen gegen kritische Infrastrukturen und mit Berührung von sektorübergreifenden Abhängigkeiten (2), geplant sind. Nach Auffassung der EZB ist es insbesondere wichtig, sicherzustellen, dass in den unterschiedlichen Sektoren übereinstimmende und koordinierte Maßnahmen ergriffen werden, um auf diese Bedrohungen angemessen zu reagieren.

1.2

Die bestehenden nationalen Zuständigkeiten und die Zuständigkeiten der EU-Behörden müssen in den Bestimmungen des Richtlinienvorschlags berücksichtigt werden, in denen den Mitgliedstaaten bestimmte Aufgaben übertragen werden im Hinblick auf die Ermittlung der kritischen europäischen Infrastrukturen (nachfolgend die „KEI“), deren Mitteilung an die Kommission und die Aufstellung, Aktualisierung, Überprüfung und insbesondere regelmäßige Überwachung der Sicherheitspläne der KEI, sowie im Hinblick auf die zusammenfassende Berichterstattung über die Risiken der einzelnen Sektoren an die Kommission. Diese Zuständigkeiten umfassen die ausschließlichen Aufgaben der Zentralbanken, die im Einklang mit dem Vertrag (3) auf unabhängige Art und Weise ausgeübt werden müssen, ebenso wie die Aufgaben, die den Zentralbanken nach anwendbarem nationalen Recht zugewiesen sind. Es muss insbesondere sichergestellt werden, dass die nationalen Bestimmungen zur Umsetzung des Richtlinienvorschlags mit den Aufsichtsrechten oder -verpflichtungen der Zentralbanken im Hinblick auf Netze und Infrastrukturen für das Clearing und die Abrechnung von Zahlungen und Wertpapieren, Clearinghäuser und zentrale Geschäftspartner (4) in Einklang stehen. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass der durch den Richtlinienvorschlag vorgesehene Rahmen die Rechte und die Unabhängigkeit der Zentralbanken nicht berühren wird. Ein Erwägungsgrund sollte in den Richtlinienvorschlag eingefügt werden, um diese Überlegungen wiederzugeben.

1.3

Darüber hinaus möchte die EZB betonen, dass das Eurosystem und/oder die nationalen Zentralbanken bereits Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs von Zahlungssystemen im Euro-Währungsgebiet ergriffen haben und dass die EZB der Ansicht ist, dass diese Arbeit zur Vermeidung von Doppelungen und zur Gewährleistung der Übereinstimmung der durch verschiedene Behörden geleisteten Arbeit berücksichtigt werden sollte.

2.   Spezifische Anmerkungen

2.1

Erstens ist der in dem Richtlinienvorschlag benannte Finanzsektor unterteilt in 1) Infrastrukturen und Netze für das Clearing und die Abrechnung von Zahlungen und Wertpapieren und 2) geregelte Märkte. Die EZB schlägt eine weitergehende Formulierung vor, um Netze und Infrastrukturen für den Handel, die Zahlungen, das Clearing und die Abrechnung von Finanzinstrumenten zu erfassen.

2.2

Zweitens erkennt die Definition der „kritischen Infrastruktur “ausdrücklich sektorübergreifende Abhängigkeiten an, da die Wirksamkeit von Durchführungsmaßnahmen in einem bestimmten Sektor schwerwiegend gestört wäre, wenn sektorspezifische Abhängigkeiten nicht angemessen berücksichtigt würden. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass sich diese Definition nicht ausdrücklich nur auf Infrastrukturen innerhalb der EU bezieht. Daher wird nicht deutlich, wie Infrastrukturen, die sich teilweise außerhalb der EU befinden und deren Störung oder Zerstörung Auswirkungen auf kritische europäische Infrastrukturen zur Folge hätte, gemäß dem Richtlinienvorschlag zu behandeln wären. Die EZB würde eine Klarstellung dieser Frage begrüßen.

2.3

Drittens ist der für die Ermittlung der kritischen europäischen Infrastrukturen entscheidende „Schwere-Test “ziemlich weit gefasst und sollte zur Gewährleistung einer übereinstimmenden länder- und sektorenübergreifenden Ausweisung durch klarere Merkmale hervorgehoben werden. Hilfreich wäre es, dieses Konzept bei der Festlegung von sektorübergreifenden und sektorspezifischen Kriterien im Rahmen des Komitologieverfahrens gemäß dem Richtlinienvorschlag klarzustellen. Es wird darauf hingewiesen, dass der Richtlinienvorschlag voraussichtlich zusätzliche Verwaltungsaufgaben mit sich bringen wird, die voraussichtlich mit begleitenden Kosten für die Infrastrukturen und die zuständigen Behörden verbunden sein werden. Abhängig von der Errichtung derartiger Schwellenwerte können gegenwärtig nicht beaufsichtigte Infrastrukturen erfasst werden und zusätzlichen Kosten unterliegen.

2.4

Viertens ist möglicherweise ein gesonderter Rechtsakt der Gemeinschaft erforderlich, um Verfahren einzuführen, mit denen KEI ermittelt und ausgewiesen werden können, die den Organen, Einrichtungen oder Agenturen der Gemeinschaft gehören oder die von diesen betrieben werden. Während die Kommission gemäß dem Richtlinienvorschlag auf der Grundlage der ihr von den Mitgliedstaaten mitgeteilten und „sonstigen ihr zur Verfügung stehenden Informationen “eine Liste kritischer Infrastrukturen vorschlägt, die als KEI ausgewiesen werden sollen, könnten KEI, die von Einrichtungen der Gemeinschaft betrieben werden und eine europaweite Dimension aufweisen, ungeeignet dafür sein, Teil eines von den Mitgliedstaaten verwalteten Systems zu sein.

2.5

Fünftens sieht der Richtlinienvorschlag vor, dass die Liste der als KEI ausgewiesenen kritischen Infrastrukturen nach dem durch den Richtlinienvorschlag festgelegten Komitologieverfahren angenommen werden muss (5). Die Liste aller KEI würde vor der Aufstellung und Inbetriebnahme der Sicherheitspläne angenommen, die entsprechende Sicherheitsmaßnahmen für den Schutz der aufgelisteten KEI enthalten, da den Betreibern nach der Ausweisung ein Jahr für die Ausarbeitung eines Sicherheitsplans zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang ist öffentliche Bekanntgabe für die Infrastrukturen und Netze für das Clearing und die Abrechnung von Zahlungen und Wertpapiere unerwünscht. Da die Richtlinie auch die Vorbereitung gegen Bedrohungen der Finanzmärkte bezweckt, wäre es insbesondere unklug, die Liste der kritischen Infrastrukturen, die für ein reibungsloses Funktionieren der Finanzmärkte unabdingbar sind, zu veröffentlichen. Aufgrund ähnlicher Erwägungen würde kein Land der Welt heutzutage eine derartige Liste veröffentlichen. Die EZB empfiehlt daher nachdrücklich, die Liste der KEI geheim zu halten.

2.6

Schließlich empfiehlt die EZB nachdrücklich, bei der Festlegung der Durchführungsmaßnahmen die bestehenden Maßnahmen angemessen zu berücksichtigen und sich auf die Gebiete zu konzentrieren, in denen bisher noch keine spezifischen Maßnahmen ermittelt worden sind. In diesem Zusammenhang erscheint es daher wünschenswert, nun nicht daran zu gehen, Maßnahmen im Bereich der Zahlungen und des Clearings festzulegen oder durchzuführen, sondern die von den zuständigen Behörden bereits geleistete Arbeit zur Kenntnis zu nehmen. Einerseits müssen eine zusätzliche Regulierung und die damit verbundenen Belastungen durch eine angemessene Analyse der Auswirkungen gerechtfertigt werden. Andererseits ist es wichtig, die Standards und Vorschriften in diesem Bereich hinreichend flexibel zu gestalten, so dass diese problemlos und fortlaufend dem sich ändernden Umfeld angepasst werden können. Die EZB würde es vorziehen, dass keine spezifischen, rechtlich bindenden Maßnahmen angenommen werden. Sollte die Kommission sich dazu entschließen, Durchführungsmaßnahmen anzunehmen, so ist die EZB gemäß dem Vertrag in Bezug auf die Maßnahmen, die Infrastrukturen und Netze für das Clearing und die Abrechnung von Zahlungen und Wertpapiere betreffen sowie in Bezug auf andere Angelegenheiten, die in den Zuständigkeitsbereich der EZB fallen, formell zu konsultieren (6).

3.   Redaktionsvorschläge

In den Fällen, in denen diese Stellungnahme zu Änderungen des Richtlinienvorschlags führen würde, sind Redaktionsvorschläge im Anhang aufgeführt.

Geschehen zu Frankfurt am Main am 13. April 2007.

Der Vizepräsident der EZB

Lucas D. PAPADEMOS


(1)  KOM(2006) 787 endg.

(2)  Die EZB ist auch der Ansicht, dass das Europäische Programm für den Schutz kritischer Infrastrukturen sämtliche denkbaren Risiken abdecken und vorrangig auf die Bekämpfung terroristischer Bedrohung abstellen sollte und dass ein derartiger Ansatz zum Schutz kritischer europäischer Infrastrukturen sowohl von Menschen ausgehende technologische Bedrohungen, als auch die Möglichkeit von Naturkatastrophen berücksichtigen sollte.

(3)  Im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer allgemeinen, EU-weiten Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen gegen terroristische Angriffe hat gleichzeitig die Anerkennung einer solchen ausschließlichen Zuständigkeit des Eurosystems nicht zur Folge, dass die EZB völlig von der Europäischen Gemeinschaft gesondert und von jeder Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ausgenommen wäre (Randnr. 135 in der Rechtssache C-11/00 Kommission/Europäische Zentralbank, Slg. 2003, I-7147).

(4)  Das Eurosystem hat beispielsweise Grundsätze und Verfahren für die Aufsicht über die Zahlungs- und Abrechungssysteme und Infrastrukturen festgelegt, einschließlich vorbeugender Maßnahmen gegen operative Probleme, wie etwa die„Erwartungen der Zahlungsverkehrsüberwachung an die Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung des Betriebs von Zahlungssystemen, die für die Stabilität des Finanzsystems bedeutsam sind “(Business continuity oversight expectations for systemically important payment systems) von Juni 2006.

(5)  Artikel 4 Absatz 2 und Artikel 11 des Richtlinienvorschlags.

(6)  Artikel 105 Absatz 4 erster Gedankenstrich des Vertrags.


ANHANG

Redaktionsvorschläge

Kommissionsvorschlag

Änderungsvorschläge der EZB  (1)

Änderung 1

Neuer Erwägungsgrund 17a

 

Für die Zwecke des Finanzsektors soll diese Richtlinie im Einklang mit den dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) durch den Vertrag und das Statut des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank übertragenen Aufgaben und Pflichten stehen. Besondere Aufmerksamkeit ist in dieser Hinsicht dem Betrieb und der Aufsicht über die Infrastrukturen und Netze für das Clearing und die Abrechnung von Zahlungen und Wertpapieren durch die Zentralbanken des ESZB und dem Beitrag der Zentralbanken zur Stabilität des Finanzsystems zu widmen. Um unnötige doppelte Arbeit zu vermeiden, sollten die Mitgliedstaaten auf die Arbeit und auf die regelmäßigen Bewertungen der Zentralbanken im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereichs vertrauen.

Begründung –Siehe Nummer 1.2 der Stellungnahme

Anhang I Liste von Sektoren mit kritischen Infrastrukturen

VII   Finanzsektor

Infrastrukturen und Netze für das Clearing und die Abrechnung von Zahlungen und Wertpapieren

Geregelte Märkte

VII   Finanzsektor

Infrastrukturen und Netze für den Handel, das Clearing und die Abrechnung von Zahlungen und Wertpapieren in Bezug auf Finanzinstrumente

Geregelte Märkte

Begründung — Siehe Nummer 2.1 der Stellungnahme


(1)  Der neue Wortlaut, der nach den Änderungsvorschlägen der EZB eingefügt werden soll, erscheint in Fettschrift. Der Wortlaut, der nach den Änderungsvorschlägen der EZB gestrichen werden soll, erscheint in durchgestrichener Schrift.


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